Читать книгу Einer der endlos tippenden Affen liefert erste Ergebnisse - Volker Schwarz - Страница 6

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Dein Körper ist dein Tempel

Chronik einer Midlife Crisis - Teil I

Und Jesus ging in den Tempel hinein und trieb heraus alle Verkäufer und Käufer im Tempel und stieß um der Wechsler Tische und die Stühle der Taubenkrämer und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: „Mein Haus soll ein Bethaus heißen; ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus...“

Reinigung des Tempels, Matthäus 21,12-16

Ja, dein Körper ist dein Tempel - du erwachst in seinen Ruinen nach durchzechter Nacht. Das Hauptgebäude liegt völlig zerschmettert danieder, nur über der Kanzel dröhnen die Glocken, als gälte es den Weltuntergang anzukünden.

Übelkeit pocht ans Portal.

Wenige Augenblicke später findest du dich wieder, über das gähnende Maul des Lokus gebeugt, brockenwürgende Zwiesprache mit dem sanitären Untergrund haltend. Sodann wieder regungslos auf deinem Lager dahin siechend, flehst du nur noch darum, man möge dir endlich die Sterbesakramente erteilen.

Es ist ein Morgen nach einem schlimmen Tag, an dem du wieder einmal über Sinn und Sein deiner selbst gegrübelt und daraufhin versucht hattest, deine Sorgen in Alkohol zu ertränken - vergeblich, wie du feststellen musstest, sie konnten alle schwimmen.

Nehmt es von mir! In deinem Elend beteuerst du den Göttern Besserung und Sühne, mögen sie dich nur endlich aus deiner Agonie erlösen. Doch die Götter schweigen. Sie sind wohl noch erzürnt vom letzten Mal. Vor zwei Wochen erst hattest du ihnen in ähnlicher Verfassung gelobt, ein anderer Mensch zu werden. Wohl wahr, du konntest ja nicht wissen, dass dieser auch gerne mal ein Gläschen trinkt.

Dein paralysierter Zustand gibt dir Gelegenheit zur Selbstkritik: Tief unten, in deines Tempels Seelengewölben, ahntest du längst die Baufälligkeit deiner Fundamente; spürtest schon seit Jahren, dass der Putz zu bröckeln begann. Doch das unheilvolle Menetekel, von allerlei Suchtmitteln an deine Tempelwand gepinselt, wurde von dir störrisch ignoriert. Hättest wohl früher einmal auf den Hausarzt hören sollen, als er süffisant bemerkte, in deinem Alter wäre man nicht mehr gesund, sondern bloß nicht richtig untersucht. Während deiner letzten Generalinspektion glaubtest du, gehört zu haben, wie er in seinen Bart brummelte, dass man dich, wärest du ein Pferd, erschießen müsste.

Nackt stehst du jetzt vor dem Spiegel und blickst rotäugig durch Tränensäcke, die groß genug wären, um Old Shatterhand als Satteltaschen zu dienen. Kinn und Hals werfen Falten, als hättest du eine Spiralfeder verschluckt.

Dieser Spiegel hat entweder eine Wölbung oder deine Hüften sehen tatsächlich so aus. Diesen Zustand nennt der Volksmund Die Münchner Krankheit: Stau am Mittleren Ring.

Angewidert betrachtest du deinen aufgedunsenen, 46jährigen Leib, der erschreckende Ähnlichkeit mit einer Wasserleiche aufweist. Und da kommt sie auch schon wieder angedackelt, diese Minderwertigkeit, und drischt dir mit psychologischer Keule immer auf dieselbe Stelle.

Doch zeigt sich endlich ein Silberstreif. Leider nicht am Horizont, jedoch an deinen Schläfen. Oje, schon bald wird deine Haartracht komplett im Friedhofsblond erstrahlen. Nun ja, zumindest der Teil, welcher bis dahin noch nicht diesen gefräßigen Geheimratsecken zum Opfer gefallen wäre - ist es doch nur noch eine Frage der Zeit, dass ein extrem breiter Mittelscheitel deine Runkelrübe zieren wird. Um diesen dann noch zu kaschieren, müsstest du dir die Augenbrauen nach hinten kämmen. Oder eine kleidsame Perücke tragen. Anhand der unzähligen Runzeln auf deiner Stirn, ließe sich diese sicherlich bequem aufschrauben.

Krise perfekt. Deprimiert stehst du nun da in deiner ganzheitlichen Hässlichkeit und bist dir gewiss, dass dich niemals mehr jemand lieben wird.

An diesem historischen Punkt trifft dich die Erkenntnis schmerzhaft wie ein Bußgeldbescheid: Es muss sich etwas ändern! Dein derangierter Körper benötigt umgehend eine Gesundheitsreform. Die Pfunde müssen runter, ehe man dir noch eine eigene Postleitzahl verleiht.

Leibesübung scheint ja die Lösung zu sein, wie man die Leute so gerüchteweise sagen hört. Was genau aber tun? Extremes Auf-der-Couch-sitzen und erbitterte Tresenmarathons machten Dich im Laufe der Jahre in etwa so beweglich wie einen Amboss. Einen Amboss auf einem Betonsockel, wohlgemerkt. Somit hält dir das Schicksal wenige Optionen bereit. Eigentlich nur jene Institution, in welcher man mittels raffinierter Mechanismen seine aus kontraktilen Faserbündeln bestehenden Gewebsorgane gewaltsam zur Verkürzung zwingt, um innere Zugkräfte zu erzeugen, was die Fibrillen bei wiederholter Anwendung straffen und so zu allgemeinem Wohlbefinden führen soll, sprich: das Fitness-Studio um die Ecke.

Schon ereilt dich diese Vision. Darin siehst du dich schweißtriefend und mit angeschwollenen Muskeln gigantische Gewichte stemmen, Liegestütz einarmig mit Hochfrequenz absolvieren, den Trimmrad-Dynamo in sprühendem Funkenregen heißlaufen lassen und Jungfrauen den Klauen feuerspeiender Drachen entreißen.

Ja, so wird’s gemacht!

Doch soll die innere Reinigung mit Meister Proper erfolgen. So gehst du hinein in deinen Tempel und treibst hinaus die niederträchtigen Spirituosen- und Tabakhändler, jagst die Versuchung davon wie einen räudigen Hund. Dies führt dazu, dass du nach drei Tagen des Entzuges leicht zitternd und wenig motiviert vor den Toren des Fitnesscenters „CorporeSano“ erscheinst.

Eine seltsame Welt ist es, die du da betrittst.

Diverse Reize stürmen schon eingangs auf dich ein. Zuerst fällt dein Blick auf eine wenig sittsam gekleidete Dame, welche, ein buntes Glas haltend, die Getränkebar ziert. Das bezaubernde Nichts, das sie beinahe trägt, betont perfekt ihren anmutigen Körper und ermöglicht am üppigen Dekolleté tiefe Einblicke in ihr weibliches Wesen. Du lächelst sie an, wirst von ihr allerdings nicht einmal ignoriert. Bevor man dir dein Gaffen als Sittendelikt auslegt, schweifst du mit deinen Blicken weiter.

Um dich herum ist eine ächzende Maschinerie im Gange - ein pulsierender Mechanismus, halb Mensch, halb Stahl. Über diesem Menschenapparat schwebt der dunkle Schatten des Gehörsturzes, denn die lauten Techno-Trommeln mahnen beständig zur Bewegung. Die Stereoanlage ersetzt den Galeerenpauker und der Kraftsport-Sklave pullt im Takt.

So stellst du dir den neunten Kreis der Hölle vor.

Dein persönlicher Fitnesstrainer heißt Rüdiger, dessen Anblick dich unmittelbar an ein Lied der Ersten Allgemeinen Verunsicherung denken lässt. Und so nennst du ihn im Stillen „Ahugahaga“, da ihn die Lautmalerei dieses Wortes vollständig beschreibt. Du trottest ihm hinterher von Bizeps-Bank zu Trizeps-Traverse, von Waden-Wuchte zu Abdomen-Apparat, vom Hüft-Hobel zum Schließmuskel-Straffer. In der Hand hältst du stets deinen individuellen Trainingsplan, was dich vermutlich aussehen lässt, wie einen überarbeiteten Raketen-Wissenschaftler aus alten James-Bond-Filmen.

Schnell fällt dir die Monotonie auf, welche sämtlichen Übungen innewohnt. Sie fordert dem Anwender die Fähigkeit ab, sich zeitweise in das Gemüt eines sizilianischen Hausesels zu transzendieren. Zudem lassen sich die Hebel, Griffe und Stangen sämtlicher Streckbänke und Guillotinen nur durch ein utopisch hohes Maß an Kraft bewegen. Und noch realitätsfremder ist die von Ahugahaga verordnete astronomische Anzahl der Wiederholungen. Diese wird von dir allerdings mit einem verlegenen Lächeln für abschlägig beschieden, dreimal hin- und hergeschwungen reicht dir völlig. Nachdem dir der hinterhältige Crosswalker die Beine verknotet hat, empfiehlt dein Trainer resigniert eine Pause inklusive Stärkung. Während du ein grelles Gesöff trinkst, von dessen Ingredienzien du niemals die Namen erfahren willst, erklärt dir Ahugahaga das kleine Universum des „CorporeSano“. Seiner These zufolge lässt sich das Klientel einer Muckibude hauptsächlich in drei Kategorien unterteilen: Fanatiker, Narziss und Verlierer.

Die Fanatiker sind vorwiegend Modelle der Ahugahaga-Klasse. Für diese Eiweiß-Titanen ist das tägliche Training gleichzeitig Sucht und Lebensinhalt. Sitzend, liegend oder stehend werden von ihnen Lasten bewegt, die einem Normalsterblichen die Gliedmaßen ausreißen oder sie unmittelbar zu Knochenmehl verpuffen lassen würden. Den jeweiligen Anstrengungsgrad ihrer Lektionen lassen die Fanatiker durch Modulation ihrer Atemgeräusche erkennen, meist röhren sie jedoch wie Elche in der Brunftzeit.

Und dann wären da die Narzisse, bussi bussi. Sie sehen sich als die Aristokraten in der Studio-Hierarchie, obwohl noch niemals blauer Schweiß an ihnen entdeckt werden konnte. Das Trainings-Terrain der Narzisse umschließt auch die Getränkebar, wo sie mit dermatologisch verdammenswert getoasteter Haut gerne telefonierend Hof halten. Hierbei schreibt der Dresscode knallbunte, hautenge Sportkleidung vor, deren Anblick beim Unwissenden eventuell den Eindruck auslöst, die Belegschaft der Marvel-Comics halte hier soeben ihre Betriebsversammlung ab.

Das Gros der Mitglieder wird jedoch von den Verlierern gebildet. Bei ihnen handelt es sich vorwiegend um sympathische, übergewichtige Menschen mittleren Alters mit kurzer sportiver Halbwertszeit. Eine temporäre Bewusstseinstrübung, worin sie sich als muskelbepackte, Jungfrauen rettende Drachentöter auf flammenschlagenden Trimmrädern sehen, treibt diese Phantasten der Bizepsplantage in die Arme. Ahugahaga gibt ihnen höchstens die Länge einer Zehnerkarte. Lethargie bilde sich halt leichter als der Latissimus, bemerkt er in leicht abschätzig gehaltenem Tonfall und schaut dich dabei merkwürdig an.

Zum Abschluss des Trainings empfiehlt dir dein Coach noch einen Saunagang. Vermutlich möchte er dich wenigstens einmal schwitzen sehen.

Die Sauna ist ein Käfig voll nasser Narren.

Kaum pfercht man einige Menschen auf sechs Quadratmetern zusammen, fühlt sich anscheinend sogleich ein jeder genötigt, eine Unterhaltung vom Zaun zu brechen. Muss an der Hitze liegen. Die Gesprächsinhalte erstrecken sich von dilettantischer Sportfachsimpelei über die Lage der Nation bis hin zum Crashkurs im Aquariumsbau. Man spricht, während man seine Hände beständig schmatzend und schlürfend über Arme und Beine streichen lässt und der eigene Schweiß die Körper und Handtücher der anderen bespritzt.

Nach drei Durchgängen im Dampfkessel bist du gar. Mit dem Gefühl perfekter innerer und äußerer Reinheit trittst du schließlich deinen Heimweg an.

Ja, dein Körper ist dein Tempel.

Du erwachst in seinen Ruinen tags darauf nach deinem ersten Training. Das Hauptgebäude liegt völlig zerschmettert danieder, die Gliedmaßen vor Schmerz ganz steif. So bleibst du vorerst regungslos liegen und wartest darauf, dass man dir die Letzte Ölung erteilt.

Als du später Ahugahaga anrufst, um deinen nächsten Termin abzusagen, singst du ihm den Muskelkater-Blues. Dein Trainer bemerkt daraufhin völlig sachlich, dass es sich in deinem Falle ja nur um Phantomschmerzen handeln könne. Du legst resigniert auf, blickst kopfschüttelnd auf den Kontrakt, den du mit dem „CorporeSano“ über ein Jahr Laufzeit abgeschlossen hast und du weißt, dass du dorthin nie wieder gehen wirst.

Anatomie ist Schicksal, sagt Siegmund Freud. Also stellst du dich deinen Dämonen, indem du dich mit deiner Figur reumütig versöhnst. Dem Rauchen willst du künftig abschwören, dafür öfters spazieren gehen und Alkohol nur noch in kleinen Dosierungen einnehmen. Die Stützliege ersetzt wieder die Liegestütz und die bedrängten Jungfrauen hast du längst dem Drachen überlassen.

Als die Kraft zu Ende ging, war es nicht Sterben, sondern Erlösung. Amen.

Einer der endlos tippenden Affen liefert erste Ergebnisse

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