Читать книгу Einer der endlos tippenden Affen liefert erste Ergebnisse - Volker Schwarz - Страница 8

Оглавление

Kein Anschluss unter dieser Nummer

Eine monetäre Groteske

Die angesagteste Bar der Stadt, Samstagabend.

Ein modisch nach dem Zeitgeist gewandeter Mann mittleren Alters fragt soeben eine attraktive Brünette von annähernd gleichem zellularem Kilometerstand, ob sie an Liebe auf den ersten Blick glaube … oder ob er noch einmal hereinkommen solle. Die brünette Grazie zeigt sich unbeeindruckt. Vielmehr erwidert sie gelassen, man habe vor Jahren einen Germanen ausgegraben, der eine Steintafel mit sich führte, darauf sei diese Anmache bereits durchgestrichen gewesen.

Der Mann war kurz zuvor inmitten eines Haufens ähnlich Dresscodierter lärmend in die Bar gesprengt, offensichtlich durchweg angeheitert und vor Testosteron triefend wie Marlboro-Hengste. Die schlagfertige Brünette mustert nun diesen plump-geistreichen Kavalier in Gedanken: „Was bist Du wohl für einer? Ein Don Juan? Ein War-ich-gut-Frager? Bist Du einer von denen, die ihren Schniedel durch alle Bars Gassi führen, während die arglose Frau daheim sitzt und Tupperware-Orgien für ihre proseccotrunkenen Freundinnen aus der Rückbildungsgymnastik veranstaltet? ... oder bist Du der Richtige?“

Natürlich schmeicheln des Don Juans Komplimente dennoch ihrer angeborenen Eitelkeit, dazu sich alsbald ein spendierter Daiquiri gesellt, und so lässt sie ihn vorerst in seinem Werben gewähren. Da der Charmeur jedoch auffällig bald den Wunsch nach ihrer Telefonnummer äußert, beschließt die vorsichtige Brünette, ein Experiment durchzuführen. Also fordert sie von ihrem neuen Verehrer unversehens einen Zwanzig-Euro-Schein. Ihr Gegenüber ist darob nicht wenig verblüfft, tut jedoch wie ihm geheißen. Sodann notiert die Lady ihre Handynummer auf dem Geldschein und gibt ihn dem hocherfreuten Mann zurück. Doch kaum des Scheins wieder habhaft geworden - signiert mit der Nummer zur Nummer, wie er hofft - seilt sich der Don Juan nun an einem Strang platter Ausreden wieder ab und taucht im Kreise seiner Freunde unter ...

Der eitle Don Juan wird den Geldschein mit der Telefonnummer im Zuge einer euphorischen Alkoholvernichtungsaktion noch am selben Abend in dieser Bar gedankenlos gegen einen Stiefel Bier eintauschen. In der Woche darauf wird er mit seinen Kumpanen zu einem Sex- und Saufurlaub nach Mallorca aufbrechen, dessen offizieller Terminus jedoch „Fußball-Trainingslager“ lautet. Im Verlaufe seiner dortigen Umtriebe werden ihm Schamläuse übertragen, die er unwissend seiner Frau als Souvenir mitbringt, woraufhin diese die richtigen Schlüsse, sodann Leine und schließlich ihn in kalter Rachsucht finanziell in den Abgrund zieht.

Die angesagteste Bar der Stadt, früher Sonntagmorgen.

Nachdem die letzten Gäste endlich hinaus komplimentiert sind, zählt die mit reichlich Hüftgold ausgestattete Serviererin ihr blechernes Trinkgeld. Zehnsechzig, welch erbärmlicher Ertrag. Das reichte ja wieder einmal kaum für ihren wöchentlichen Lottoschein. Oh, wie sie dieses heuchlerische, auf Äußerlichkeiten fixierte Gästepack verabscheute, das die Nasen so hoch trug, dass sie schon Furchen in der Decke zogen. Auf groß machen, aber im Kleinen geizig sein. So flucht sie, weil sie mutmaßt, dass ihr unattraktives Erscheinungsbild die schwache Trinkgeldmoral des Barpublikums verursacht. Just von einem neu definierten Rechtsempfinden beseelt, annektiert die frisch gebackene Revolutionärin aus der Kasse einen Zwanzig-Euro-Schein, darauf ihr eine handschriftliche Zahlenfolge ins Auge sticht. Eine Handynummer, kombiniert sie. „Oder ein Zeichen!“, durchfährt es die praktizierende Esoterikerin. Also teilt sie die Nummern sinnvoll auf und überträgt sie in ihren Lottoschein. Trinkgeld und Tageslohn deponiert sie in ihrer Börse, den beschriebenen Zwanziger legt sie als Lesezeichen und Notreserve in „Feuchtgebiete“, ihre derzeitige Lektüre.

Endlich in den Feierabend entlassen, besteigt die feiste Kellnerin die erste Straßenbahn des Tages heimwärts. Wenige Minuten später wird sie Opfer einer Straftat: Man erwischt sie beim Schwarzfahren. Viktimologisch betrachtet war dies aber auch geradezu saudumm gelaufen. Als sie eine Fahrkarte lösen wollte, musste sie feststellen, dass sie wieder einmal ihre Tasche in der Bar vergessen hatte und lediglich den Zwanziger zwischen den Seiten von „Feuchtgebiete“ mit sich führte. Der unbestechliche Fahrkartenautomat in der Tram forderte jedoch explizit Blechgeld. So kamen die städtischen Verkehrsbetriebe und die stattliche Bedienung also nicht ins Geschäft. Den vorliegenden Sachverhalt rechtfertigt sie so auch vergeblich vor den beiden Kontrolleuren in Zivil, nachdem ihr pantomimischer Auftritt als Gehörlose, die ihren Ausweis vergessen hat, jene nicht täuschte …

Die mollige Kellnerin wird bei der nächsten Lotto-Ziehung mit fünf Richtigen ohne Zusatzzahl 3275 Euro und 60 Cent gewinnen und sich den ersten Urlaub seit fünf Jahren leisten. Jamaika. Dort wird sie schon am ersten Abend auf der Suche nach etwas Geborgenheit an einen bildschönen, wurstlockigen Einheimischen geraten. Der Rasta wird sie dazu überreden, am Strand zu lustwandeln. Dort wird er sie recht lieblos beschlafen und ihr danach die Handtasche entwenden. Sie wird versuchen, ihn davon abzuhalten und dafür von ihm brutal geschlagen. Erniedrigt und ausgeraubt wird sich die Misshandelte in ihr Hotelzimmer schleppen und die restlichen Urlaubstage damit beschäftigt sein, einen Ersatz-Reisepass, Geld und ein neues Flugticket zu organisieren. Nach Hause zurückgekehrt wird sie auf die obligatorischen Na-wie-wars? knapp antworten, dass es ein schöner Urlaub gewesen sei.

Eine Studenten-WG, später Sonntagnachmittag.

Ein Student wird von einem stechenden Schmerz im Rücken geweckt. Es ist ein Buch, was ihm da das Kreuz malträtiert. „Feuchtgebiete“. Ach ja, das hatte er heute früh in der Straßenbahn gefunden, auf dem Heimweg von der Semesterabschlussfete. Lag dort herrenlos auf einem Sitz, also nahm er es an sich, bevor es noch jemand stahl. Mit dem Daumen lässt er die Seiten an seiner Nase vorüber ratschen, um sich ihr Aroma zu fächeln - unerklärliches Ritual, mit dem er jedes neu erworbene Buch initialisiert. Gerade, als er das Aroma aufgenommen hat und das Büchlein zur Seite legen will, gleitet etwas zwischen den Seiten hervor und auf sein Kissen: Ein Zwanzig-Euro-Schein. Ein Geschenk der Götter, nun ist er wieder flüssig. Und sieh an, eine Nummernfolge, handschriftlich notiert, befleckt das Wertpapier. Seine Betrachtungen werden jäh durch ein Klopf-klopf unterbrochen. So macht an der offen stehenden Zimmertür eine zarte Hand auf den Rest von sich aufmerksam. Es ist des Herrn Studiosus’ schöne Vermieterin, die in transparenter rosa Gewandung am Türrahmen lehnt, was ihn seine Aversion gegen diese kitschige Farbe vorübergehend vergessen lässt. Ach ja, heute ist die Miete fällig. Schon wenig später suchen beider Zungen sich gegenseitig zu erdrosseln, während ungestüme Finger sich daran machen, keuchende Leiber aus ihrer zivilen Panzerung zu reißen. Just durchdringt ein lichter Moment gerade noch rechtzeitig den Sinnestaumel der Frau. Halte ein, junger Heißsporn! so bremst die Gierige den Gierigen herunter. Den Mumu-Club darf man nur mit Mütze betreten. Ei der Daus! Hier bahnt sich ein Desaster an. Mit seinem letzten Kondom hatte der Student auf der Abschlussfeier einem balzenden Studienkameraden in eine Kommilitonin verholfen. Doch erzeugt seine sexuelle Elektrisierung sogleich einen Geistesblitz: Die Apotheke um die Ecke! Der Student bittet die Geliebte um fünf Minuten Aufschub und stürmt provisorisch bekleidet aus der Wohnung ...

In der Apotheke wird er seinen Kautschukvorrat zum Notdiensttarif mittels einer in dubioser Weise erworbenen Banknote aufstocken. Mit vibrierenden Lenden wird er aus dem Medikamentenschuppen eilen, ohne nach links zu sehen auf die Straße treten und dabei von einem Auto angefahren. Beinbruch. Tatütata. Krankenhaus.

Dieselbe Apotheke, Montagmorgen.

Eine junge blonde Frau - viel zu aufgewühlt, um zu bemerken, dass sie mittels ihres Rückgeldes soeben zur neuen Besitzerin des uns bekannten Zwanzigers avancierte - entfleucht dem Drogenladen, nachdem sie dort einen Schwangerschaftstest erworben hat. Sollte ihr Liebhaber sie tatsächlich dick geschossen haben, wäre das fatal. Ihr Ehemann, erst vor einigen Tagen von einer sechsmonatigen Montagearbeit aus dem Ausland zurückgekehrt, würde wohl kaum an das Wunder einer unbefleckten Empfängnis glauben. Zumal diesbezüglich kein korrespondierender Stern im Osten aufgegangen ist.

Interessanterweise war die attraktive Blondine mit eben jenem Privatdetektiv in Sünde verfallen, den ihr misstrauischer Gemahl aus der Fremde heimlich auf sie angesetzt hatte. Der Seitensprung-Investigator hatte sich nämlich schon am ersten Observierungstag recht unprofessionell in seine betörende Zielperson verliebt und sich ihr pochenden Herzens offenbart. Die schöne Blonde wiederum hatte sich dem Detektiv hauptsächlich aus Trotz wider den Gatten hingegeben. In ihren Augen hatte nämlich ihr Mann den Liebesverrat zuerst begangen, indem er ihr solchen unterstellte. Sie war fest davon überzeugt, dass nur jemand einen derart schlimmen Verdacht hegen könne, der selbst zu so etwas fähig wäre ...

Der wenig aufs Vaterwerden erpichte Detektiv wird später an diesem Tag den Fehler begehen, seiner schwangeren Geliebten einen heimlichen Trip in die Niederlande vorzuschlagen, da man dort in Sachen „entfernter Verwandter“ recht unbürokratisch vorgehen würde. Daraufhin wird die schwangere Frau ihren pietätlosen Liebhaber nahezu hysterisch ohrfeigen und ihm zornig den besonderen Zwanzig-Euro-Schein hinwerfen. Das Honorar für seine drittklassigen Ermittlungen in Sachen G-Punkt, wie sie es verächtlich formulieren wird.

Keine Frage, diese Affäre würde zu Ende sein.

Die angesagteste Bar der Stadt, Montagnachmittag.

An der Theke ist ein deprimierter Privatdetektiv zugange, sich eine Klagemauer aus Bier zu errichten, um seinen Liebeskummer daran auszuweinen. Seelenknick sucht meist Solidarität, deshalb lädt der Angetrunkene seinen ebenso verdrossen dreinblickenden Sitznachbarn zu einem Bier ein, das er bei der molligen Bedienung mit jenem geschichtsbehafteten und markierten Zwanziger begleicht. Diese legt den Schein diesmal jedoch unerkannt in die Kasse. Weil er glaubt, aufgrund des spendierten Biers sich das Recht dazu erkauft zu haben, berichtet der von Amor über den Haufen geschossene Detektiv zwecks Selbsttherapie dem Nebensitzer sein Leid …

Er wird noch nicht zu Ende geredet haben, als sein Sitznachbar ihn bereits grün und blau zu schlagen beginnt, da sich herausstellt, dass es sich bei ihm um den internetzlichen Auftraggeber handelt. Jener suchte ebenfalls niedergeschmettert Trost im Alkohol, nachdem ihn seine Frau über ihr Kuckucksei informiert und zugleich verlassen hat. Den gehörnten Ehemann wird man wegen Körperverletzung in Untersuchungshaft einquartieren, den schwer demolierten Detektiv indes im Krankenhaus neben einen frakturierten Studenten betten, den ein Zwanzig-Euro-Schein zu Fall gebracht hatte.

Die angesagteste Bar der Stadt, Montagabend.

Als sie ihr Wechselgeld entgegen nimmt, entdeckt eine gut aussehende Brünette mittleren Alters darunter den legendären Zwanzig-Euro-Schein, darauf sie zwei Tage zuvor ihre Telefonnummer notierte. Durch einen Zufall hält sie das Medium ihres Experiments wieder in Händen. Weit bist du ja nicht gekommen, denkt sie und lächelt enttäuscht, ein redlicher Proband hätte dich verwahrt um anzurufen.

Sie will den Schein soeben einstecken, als sie von einem Mann gefragt wird, ob sie an Liebe auf den ersten Blick glaube - oder ob er noch einmal hereinkommen solle ...

Einer der endlos tippenden Affen liefert erste Ergebnisse

Подняться наверх