Читать книгу Einer der endlos tippenden Affen liefert erste Ergebnisse - Volker Schwarz - Страница 7
ОглавлениеMein Jahr mit Roderich
25. August. Sitze mit meiner Liebsten wie üblich am Frühstückstisch, als sie mich plötzlich in diesem speziellen und von mir so gefürchteten Tonfall anspricht, den nur Frauen zustande bekommen und der wie ein Vorschlag klingt - in Wirklichkeit ist es aber ein Beschluss! Nachdem wir uns nun dieses traumhafte alte Bauernhaus auf dem Land gekauft haben, flötet sie, sollten wir doch auch das süße Katerchen der Vorbesitzer übernehmen. Man dürfe das arme Tier doch nicht skrupellos aus seiner gewohnten Umgebung reißen.
Na, von mir aus, behalten wir das Vieh. Hatte ja noch nie eine Katze als Haustier. Wozu auch, wenn man bedenkt, dass die einen ja nur deshalb nicht fressen, weil man größer ist. Ich erinnere mich aber noch daran, dass sich mein Großvater auf dem Bauernhof zwei Katzen hielt, mit denen er abends seine ledernen Reitstiefel polierte.
1. September, morgens. Sind heute also eingezogen. Dieses rustikale Haus war ein echtes Schnäppchen. Zwangsverkauf. Gehörte davor einem jungen Ehepaar, das sich aber in einem wüsten Rosenkrieg trennte. Es soll sogar Verletzte gegeben haben. Außerdem wanderte der Mann inzwischen in den Knast. Hat Geld unterschlagen. Der arbeitete, genau wie ich, in einer Bank. Leute gibt’s.
Das „süße Katerchen“, Roderich, bringt schätzungsweise zehn Kilo auf die Waage, selbst dann noch, wenn man ihm den toten Cocker Spaniel aus dem Maul nimmt.
Er lässt sich meiner Frau gleich schnurrend in die Arme plumpsen. Mich faucht er an, als ich ihn anfassen möchte. Fremdelt noch ein bisschen, der drollige Fratz.
1. September, nachmittags. Einer der neuen Nachbarn begrüßt mich. Scheint aber ein Idiot zu sein. Rät mir mit verschwörerischem Blick, den Kater zu erschießen. Der brächte nur Ärger, ich würde schon noch sehen. Der Typ hält sich einen Dobermann – klar, dass der keine Katzen mag. Als Roderich in diesem Moment durch die Katzenklappe ins Freie tritt und fauchend die Haare stellt, verzieht der Köter sich gleich winselnd in seine Hütte. Erstaunlich.
1. September, abends. Unsere erste Nacht im eigenen Haus. Gerade, als wir das neue Himmelbett einem ersten Belastungstest unterziehen wollen, schnalzt die Türklinke, die Schlafzimmertür geht knarrend auf und Roderich springt zwischen uns aufs Bett. Der kleine Schlingel weiß also, wie man Türen öffnet. Cleveres Kerlchen. Er schmiegt sich sofort an die Seite meiner Liebsten und legt seine Pfote auf ihre Brust. Sie lacht und findet das total süüüüß! Als ich nach meiner Geliebten taste, zerkratzt Roderich mir den Handrücken. Ist wohl eifersüchtig, der kleine Racker. Das ist ja lustig. Aber das mit dem Sex wird heute wohl nichts mehr.
2. September. Bin völlig übernächtigt, da ich nachts mehrmals von Roderich aufgeweckt wurde. Der Frechdachs biss mich jedes Mal, sobald ich mich im Schlaf umdrehte oder meiner Liebsten näherte. Um Punkt drei Uhr nachts klapperte er dann auch noch mit dem Fressnapf. Damit er Ruhe gab, kleckste ich ihm eine Portion Nassfutter hin.
15. September. Man muss Roderich seitdem jede Nacht um drei füttern.
Meine Liebste hat auch einen Grund gefunden, warum ich das machen soll: So würde er mir gegenüber vielleicht endlich zutraulicher und ich müsste nicht mehr in der bissfesten Lederjacke schlafen.
1. Oktober, morgens. Habe meine Frau anhand klarer Fakten der Stiftung Warentest davon überzeugt, dass wir auf das teure Nassfutter verzichten können, wenn wir Roderich das empfohlene Trockenfutter geben. Ist hier ja kein Drei-Sterne-Restaurant für geschrumpfte Tiger.
1. Oktober, nachmittags. Roderich sitzt fauchend vor seinem leeren Nassfutternapf. Pädagogisch drücke ich seine Schnauze ins Trockenfutter daneben. Er krallt und beißt mich in den Handballen. Blute fürchterlich. Als ich mit Pflastern verarztet zurück in den Flur komme, hat Roderich dort einen Haufen gesetzt, dahinter sich der Nachbarshund in den Schatten legen könnte.
Setze mich ins Auto und gehe Nassfutter kaufen.
Roderich frisst nur „Meeresfrüchte-Filets“. Hundert Gramm, ein Euro fünfzig! Und das fünfmal am Tag!
Unser Liebling muss uns das wert sein, sagt meine Frau fahrlässig.
Von wegen unser Liebling! Für diesen Whiskas-Häcksler bin ich doch bloß der Dosenöffner.
7. November. Überlege, wo anderweitig katzenbezogene Kostenreduzierungen umsetzbar sind. Könnte künftig die Streu einsparen, indem ich das Katzenklo entferne - es steht nämlich unbenutzt da, obwohl es draußen seit Tagen in Strömen regnet. Tapferer Bursche, dieser fette Kater, geht auch bei Sauwetter zum Download vor die Tür.
11. November, Morgengrauen. Der Rauchmelder im Wohnzimmer löst aus. Dort hat sich die seit Tagen mysteriöser anfühlende Raumluft in ein ätzendes Gas umgewandelt, davon man schier erblindet, auf jeden Fall aber erstickt. Ich lokalisiere das Epizentrum hinter dem alten Bauernschrank und schaue nach. Roderich hat dort hingekackt. Den vielen Haufen nach zu urteilen, macht er das schon eine ganze Weile. Vermutlich seit es regnet.
Gleich darauf eine Meinungsverschiedenheit mit meiner Frau gehabt, wer von uns Roderichs Hinterlassenschaft zu entfernen hat, bevor es sich durch den Boden ätzt. Hab’s schließlich weggeputzt, weil sie gleich das Schließlich-mache-ich-den-ganzen-Haushalt-Geschütz aufgefahren hat. Und um ein wochenlanges sexuelles Embargo zu vermeiden.
11. November, nachmittags. Habe stundenlang im Internet recherchiert, wieso Roderich die Bude fäkal bombardiert haben könnte. Mehrheitlich ist man der Meinung, etwas missfalle ihm an der sanitären Einrichtung, hygienisch oder optisch. Feng Shui für die Katzenwurstbude, ich glaub’s ja nicht! Bin dennoch verunsichert und kaufe für viel Geld verschiedene Streu und sicherheitshalber noch mehrere ungleich geformte und gefärbte Katzenklos zum Probesitzen.
13. November. Ein anderer Online-Ratgeber hatte mir empfohlen, Musik abzuspielen, solange man den Kater alleine lässt. Die Musik entschärfe das typische Protestverhalten sich einsam fühlender Kater und entspanne sie.
Aber lediglich Roderichs Blase hat sich entspannt.
Hat heute quasi voller Inbrunst in den Receiver gebrunzt. 2000 Euro futsch! Und dabei hatte ich „The Lovecats“ in Endlosschleife aufgelegt, bevor wir morgens aus dem Haus gingen.
15. Dezember. In dieser Woche hat Roderich sechsundzwanzig Bücher aus dem Regal gezerrt und völlig zerfleddert. Habe die restlichen Bücher im Regal blockweise mit Stacheldraht umwickelt. Bin gereizt. Während meine Frau unter der Dusche steht, kicke ich das fette Floh-Asyl quer durchs Wohnzimmer.
15. Dezember, abends. Als ich mich an den Schreibtisch setze, stelle ich fest, dass sich mein Laptop nicht mehr starten lässt und streng nach Roderich No. 5 riecht. 1500 Euro!
16. Dezember. Habe bei meiner Frau durchgesetzt, dass wir Roderich nachts aussperren. Um ihn hinauszutragen, ohne von ihm zerfleischt zu werden, kaufte ich mir extra Kettenhandschuhe. Jetzt sitzt die blöde Fellwurst auf dem Balkongeländer vorm Schlafzimmer und maunzt durch die Nacht wie eine Sirene bei Fliegeralarm. Drei Nachbarn rufen nacheinander an und verlangen, dass ich das krakeelende Vieh ins Haus hole, da sie es sonst erschießen würden.
Biete jedem 100 Euro bei Erfolg.
Mit Ohrstöpseln verschaffe ich uns Stille. Endlich allein! Meine Annäherungsversuche lehnt sie allerdings ab.
16. Dezember, zwei Stunden später. Meine Liebste teilt mir mit, Sex in Erwägung zu ziehen, falls ich den Kater wieder herein lasse. Das ist sexuelle Nötigung, sage ich. Na und, sagt sie. Sie finde einfach keine Ruhe solange ihr „Rody“ da draußen den Raubtieren ausgesetzt sei. Außerdem habe sie Schüsse gehört. Mir tut’s dann auch leid: Wegen der armen Raubtiere! Meine Frau untersucht den fetten Dachhasen gleich auf Wunden, doch er ist leider unverletzt!
Dass ich die mir offerierten Beischlafaktivitäten plötzlich abbreche, verwundert sie. Mach das mal, während ein übergewichtiger Kater mit tennisballgroßen Klöten daneben sitzt und dich abfällig mustert! Ich schwör’s, das Mistvieh hat gegrinst!
26. Januar. Wir haben seit fünf Monaten keinen Sex mehr gehabt. Dieser getigerte Coitus interruptus kuschelt sich jeden Abend an die Frau, von der ich einmal dachte, dass ich nicht ohne sie sein könnte. Dann brummt er los wie ein Schiffsdiesel, wovon sie sofort einschläft, während ich deshalb die halbe Nacht wach liege. Habe deswegen aus Übermüdung schon öfters morgens verschlafen und inzwischen von meinem Chef eine Abmahnung dafür erhalten. Übernachte ab morgen im Gästezimmer.
2. Februar. Katerbedingte Inventarverluste in dieser Woche: Mein wildlederner Geldbeutel - verschwunden. Zerbrochene Skulptur „Der Denker“ - 500 Euro. 37 zerkratzte CDs - unbezahlbar!
3. Februar. Korrektur. Mein Geldbeutel ist wieder aufgetaucht. Fand ihn hinter der Katzenklo-Siedlung. Scheint aber inzwischen durch einen Katermagen gewandert zu sein.
17. Februar. Heute die zweite Abmahnung verpasst gekriegt. Einesteils, weil mein Chef sich verarscht fühlte, als ich ihm meine erneute Verspätung damit erklärte, ich hätte auf dem Weg zur Arbeit zuerst noch verhindern müssen, dass unser Kater den Nachbarshund vergewaltigt. Hauptsächlich aber, weil ich am Auszahlungsschalter angeblich die Kunden irritierte, da ich versehentlich noch die Kettenhandschuhe trug.
4. März. Roderich sitzt einfach am längeren Hebel, weil er weiß, dass sein in ihn vernarrtes Frauchen ihm alles durchgehen lässt. Sobald ich ihn nur schräg anschaue, trüffelt der Psycho wenig später in meine Schuhe. Mein neunmalkluges Weib meint ja, das sei alles meine Schuld. Ich würde mich mental nicht auf Roderich einlassen. Bin versucht, ihr zu sagen, dass ich mich durchaus mental mit Roderich beschäftige - dass ich ihn mir in letzter Zeit nur noch als Pelzmütze vorstelle.
18. März. Habe jetzt eigenhändig Fliesen verlegt, weil der große Teppichboden aufgrund täglicher Kater-Attacken zuletzt nur noch wie das Fell eines überfahrenen Schafes ausgesehen hatte. 5000 Euro und ein Bandscheibenvorfall.
2. April. Heute bekommen wir Besuch von Freunden, also hängen wir zu diesem Anlass einen Abend lang wieder Vorhänge und Bilder im Haus auf. Gäste haben wir nur noch selten. Ein Freund gesteht mir, weshalb: Zwischen meiner Frau und mir herrsche in letzter Zeit offensichtlich ein sehr gespanntes Verhältnis. Außerdem rieche es im Haus in allen Räumen penetrant nach Diesel. Das ist so, weil ich alle losen Gegenstände zur roderichschen Abschreckung damit einpinselt habe.
23. April. Bin jetzt hoch verschuldet. Habe mein Auto und das Garagentor demoliert. 11000 Euro Schaden! In der Hoffnung, Roderich einmal zu erwischen, biege ich immer sehr schnell in unsere Hofeinfahrt ein - bin dieses eine Mal allerdings von der Bremse abgerutscht.
2. Mai. Wollte Roderich heimlich vergiften, doch der gerissene Kerl hat das Rattengift im Futter gerochen und den Napf nach draußen gebracht. Jetzt liegt der Nachbarshund tot im Garten. Nachmittags eine Schlägerei mit dem Nachbarn gehabt. Hat mir die Nase gebrochen und mich wegen Tiermord angezeigt. Als meine Alte hämisch darüber lacht, tunke ich ihr Gesicht in den Futternapf.
2. Juni. Bin fristlos entlassen worden. Wegen Geldunterschlagung. Ein Gerichtsverfahren gegen mich hat man auch schon eingeleitet. Das Haus muss ich verkaufen, mein liederliches Weib ist ausgezogen und hat die Scheidung eingereicht. Roderich hat sie dagelassen, ihr neuer Freund hat eine Katzenallergie.
25. August. Meine Strafe wurde vom Richter zur Bewährung ausgesetzt, seine Frau hat sich vor kurzem einen Kater angeschafft.
Ich lebe jetzt in einer Einzimmer-Sozialwohnung in der Weststadt.
Zusammen mit Roderich.
Abends sitzen wir gemeinsam vor dem Fernseher, essen Chips und trinken Bier. Seitdem ich ihm regelmäßig Katzenminze zum Schnüffeln gebe, ist er völlig stubenrein und schaut mich stundenlang verliebt an, während ich ihn mit dem Kettenhandschuh streichle.
Nur manchmal, wenn er zuviel Bier aufgeleckt hat, randaliert er in den Straßen, kackt auf Motorhauben und jagt streunende Hunde.
Manchmal begleite ich ihn.