Читать книгу Held des Weltraums: Mark Tolins Band 1-17 - Die ganze Serie - W. W. Shols - Страница 13
ОглавлениеDie verschobenen Kraftlinien
Mark Tolins stand auf dem Küchentisch.
Es war eine altmodische, große Küche mit einem mächtigen Eisenherd, der in das alte Haus hineinpasste. Sie erinnerte an die Zeiten, in der die Hausfrauen vorzugsweise damit beschäftigt waren, ihre Familie auf angenehme Weise zu füttern. Jetzt stand sie sauber und unberührt wie ein Museumsstück, denn inzwischen war an die Stelle der Küche die Kochnische mit Tauchsieder, Elektroplatte und Infragrill getreten, und die Kochkünste zahlloser Hausfrauen beschränkten sich darauf, sich einen Tisch in einem Speiserestaurant zu sichern.
Mark Tolins ließ Erbsen herunterfallen.
Er war über hundertachtzig groß, schlank und sehnig, mit breiten Schultern und schmalen Hüften, ein Mann von dreißig Jahren, der sich sportlich in Form befand. Es war ihm leicht anzusehen, denn er trug im Augenblick nur Shorts und ein offenes Hemd. Er gehörte zu den seltenen Männern, bei dessen Anblick einem unversehens einfiel, dass der Mann eigentlich das beste Stück der Schöpfung war.
Sein braunes, verwettertes Gesicht war nicht hübsch, aber männlich und energisch mit einem guten Stich ins Verwegene und Abenteuerliche. Es wirkte beherrscht und verschlossen, ließ aber trotzdem ein frohes Lachen zu. In seinen hellen, grauen Augen lag die kühle Gelassenheit eines furchtlosen Mannes, der den Tod schon oft genug gesehen hat. Unter dem Grau lag ein dünner Hauch von Blau, der wie ein Schimmer von Eis hervortreten konnte.
Er stand schräg auf dem Küchentisch, und die trockenen Erbsen fielen schräg zum Boden, schlugen kaum hörbar auf und rollten weg.
Biggy beobachtete eine Weile von der Küchentür aus, bevor er begriffen hatte und es angemessen fand, sich zu räuspern.
»Ein neue Methode, Mark? Es wird nur etwas schwierig sein, auf diese Weise zu Erbsensuppe zu kommen. Oder soll es Erbsenbrei werden? Das wäre vielleicht eher zu erreichen.«
Mark Tolins bedachte ihn mit einem flüchtigen Blick.
»Schade, Biggy. Ich dachte, das wäre haarsträubend genug, um dich zu irritieren, aber ich sehe, dass ich mich geirrt habe. Oder ist dir überhaupt nichts aufgefallen?«
»Doch, Mark«, antwortete Biggy mit einem Seufzer. »Ich habe heute das erste weiße Haar entdeckt. Es ist grauenhaft, wenn man alt wird.«
»Ja, ich hörte schon davon. Die geistigen Fähigkeiten lassen nach. Das muss vor allem den Leuten, die nie so etwas besessen haben, außerordentlich schmeicheln.«
»Wem sagst du das, Mark?«, lächelte Biggy mild. »Es gibt nicht viele Leute, die ihrem Kopf so viel Aufmerksamkeit widmen wie ich.«
»Wenigstens nicht außerhalb der Friseursalons«, erwiderte Tolins trocken und sprang vom Tisch herunter. Er ging mit schnellen Schritten auf Biggy zu und fixierte ihn. »Nun, Biggy?«
Biggy überzeugte sich mit einem gewohnheitsmäßigen Griff, dass sein Mittelscheitel noch nicht gelitten hatte.
»Ich sage nichts von diesen Dingen zwischen Himmel und Erde, Mark. Ich sage nur, dass die Hühner schräg herumlaufen. Und der Postbote ist mit Schlagseite angeradelt gekommen. Soweit es mich selbst betrifft, werde ich mir ein Korsett zulegen. Selbst die besten inneren Organe halten diese Herumtorkelei nicht aus. Aber wenn du meinst, dass das Herumwerfen mit Erbsen etwas nützt ...?«
Er schluckte, als Mark Tolins die Brauen zusammenzog, um dann hastig und beschwörend zu ergänzen:
»Ein Schlafmittel, Mark. Schlafmittel sind immer gut, wenn man Ungelegenheiten vermeiden will. Du glaubst nicht, was der Menschheit alles erspart geblieben wäre, wenn gewisse Leute ihre Epoche Verschlafen hätten. Wir sind erst einige Tage hier, und du hattest mir fest versprochen, aus Rücksicht auf meine angegriffenen Nerven längere Zeit zwischen den Hühnern und ...«
»Das ist eine teuflische Sache, Biggy«, unterbrach Mark Tolins nachdenklich und wandte sich ab. »Wenn das eine allgemeine Erscheinung ist, von der die ganze Erde betroffen wird ...?«
»Eine lokale Eigentümlichkeit, Mark«, redete Biggy gut zu. »Ich habe mit dem Postboten gesprochen. Er meint, das käme hier öfters einmal vor, und es hätte nichts zu bedeuten. Kein Grund zur Aufregung. Soll ich die Erbsen wieder einsammeln oder willst du, dass sie am Boden zertreten werden?«
»Gravitationsschwankungen«, überlegte Mark Tolins halblaut. »Sie sind aber unmöglich.«
»Genau das meinte ich«, nickte Biggy. »Eine alkoholische Erscheinung. Ich erinnere mich, dass ich einmal betrunken war und dass sich bei dieser Gelegenheit die Straße vor mir hob und senkte und bald nach der einen und bald nach der anderen Seite schwankte.«
Tolins lächelte flüchtig, ohne den nachdenklichen Ausdruck aus seinem Gesicht zu verlieren.
»Dann solltest du die Hühner nicht mit Whisky tränken, Biggy. Und die Erbsen haben bestimmt nicht in Alkohol gelegen. Nein, das sind schon objektive Gravitationsschwankungen. Ich frage mich nur, wie sie möglich sind.«
Biggy griff schleunigst nach der Türkante, weil er den Eindruck hatte, zu fallen. Gleich darauf bemerkte er, dass die Küche wieder normal vor seinen Augen stand. Mark Tolins ebenfalls.
»Schon vorbei, Mark«, stellte er überflüssigerweise fest.
Mark Tolins drehte sich wieder zu ihm um.
»Und was denkst du dir dabei, Biggy?«
»Nichts!«, sagte Biggy stur. »Ich denke mir überhaupt nichts mehr. Ich habe einmal in meinem Leben daneben gedacht, als ich mich von dir als Universalgehilfe engagieren ließ und mir dabei ein geruhsames Dasein mit deinen Zigarren versprach. Das hat mir genügt. Von mir aus kann mich diese Gravitation auf den Kopf stellen, ohne dass ich ein Wort darüber verliere. Wieso schwankt diese Gravitation eigentlich?«
»Das möchte ich auch gern wissen.«
»Als gebildeter Mensch hat man seine Verpflichtungen«, erinnerte Biggy vorwurfsvoll. »Wenn du es schon nicht weißt, solltest du wenigstens so tun. Ich persönlich bin für Blähungen.«
»Blähungen?«
»Erdblähungen. Ich würde mich nicht wundern, wenn sich die Erde irgendwo ausgebeult hat. Vielleicht ist aber auch nur der Mittelpunkt verrutscht? Ich erinnere mich, in der Schule gelernt zu haben, dass die Dinge nach unten fallen, weil sie von diesem Mittelpunkt angezogen werden.«
»Von der Erdmasse«, berichtigte Tolins sachlich. »Es ist nur eine Vereinfachung, wenn man die Wirkung auf den Erdmittelpunkt konzentriert denkt. Die physikalische Wirkung liegt bei der Masse. Jedes Masseteilchen zieht ein anderes mit einer bestimmten Kraft an, und da die Erdmasse allen anderen Massen an ihrer Oberfläche riesig überlegen ist, wird alles zur Erde herangezogen. Und weil die Erde eine Kugel ist, zielt die Fallrichtung auf den Mittelpunkt.«
»Also Blähungen«, wiederholte Biggy befriedigt. »Die Erde ist keine Kugel mehr. Habe ich gleich gesagt. Der Instinkt des kleinen Mannes, mein Lieber.«
»Stinkt!«, sagte Mark Tolins trocken. »Wir stehen schon wieder normal. Man kann der Erde eine ganze Menge zutrauen, aber nicht, dass sie für eine halbe Stunde zur Pflaume wird und dann wieder zur vorschriftsmäßigen Kugel.«
»Ganz meine Meinung«, behauptete Biggy unerschüttert. »Es kann nur an der Masse liegen. Ich habe da neulich ein Buch gelesen, das ›Aufstand der Massen‹ hieß. In unseren ...«
»Das betrifft etwas anderes.«
»Interessant, Mark, aber in unseren revolutionären Zeiten muss man damit rechnen, dass auch die Erdmassen in Aufruhr geraten. Vielleicht haben sie sich organisiert und sind entschlossen, aus ihrer Anziehung mehr herauszuholen als bisher? Wenn ich bedenke, an wie viel Stellen der Erde von Freiheit, Selbstbestimmung und anderen demokratischen Rechten unaufhörlich gesprochen wird, wundert es mich nicht, wenn selbst diese Masseteilchen ...«
»Das reicht, Biggy«, fing Tolins amüsiert ab. »Wenn du so weitermachst, werde ich dich eines Tages doch noch zwischen die Knie nehmen und deinen Kopf rasieren müssen. Eine physikalische Veränderung in den Masseteilchen scheidet schon deshalb aus, weil es dort insofern nichts gibt, was sich verändern könnte. Nicht einmal unserer gesamten Kernphysik ist es gelungen, in den Masseteilchen eine Anziehung zu entdecken - oder irgendetwas, das eine Anziehung hervorrufen könnte.«
»Hä?«, staunte Biggy.
»Eben.«
»Aber ...?«
»Schon gut, Biggy. Denke lieber nicht erst darüber nach. Mit deinen Blähungen ist uns jedenfalls nicht geholfen. Wir werden uns an die Kraftlinien halten müssen.«
»Kraftlinien sind immer gut«, seufzte Biggy vorsichtig. Er kannte Mark Tolins und wusste ziemlich genau, dass hinter dieser breiten, ausdrucksvollen Stirn die Gedanken jagten und nach einer Erklärung suchten. In diesen sonderbaren Veränderungen der letzten halben Stunde drohte eine Gefahr, und Mark Tolins war nicht der Mann, der einer Gefahr den Rücken zeigte.
»Die Kraftlinien«, wiederholte Mark Tolins wie im Selbstgespräch. »Es gibt in den Atomen nichts, was anziehen könnte. Es gibt auch zwischen der Erdmasse und einem fallenden Stein keine nachweisbare physikalische Beziehung. Aber man kann sich wenigstens Kraftlinien vorstellen, mit denen die Richtung vorgeschrieben wird. Sie zeigen alle zum Erdmittelpunkt, stehen also lotrecht auf der Erde. Ein Igel mit Stacheln, die nach allen Seiten gleichmäßig gesträubt sind. Wir stehen senkrecht auf den Füßen, wie es die Kraftlinien verlangen, und jeder Stein fällt wie die Kraftlinie. Wir wissen eigentlich nicht, was physikalisch vorliegt, aber wenn es möglich sein sollte, diese Kraftlinien zu verändern, ihnen eine andere Richtung zu geben ...?«
Er ließ den Gedanken stumm weiterlaufen und schloss erst nach einer Pause ab:
»Das könnte es sein, Biggy. Die Erdmasse bleibt unverändert, aber die Kraftlinien werden in eine andere Richtung gezwungen. Das würde unsere Beobachtungen erklären.«
»Interessant, Mark«, stimmte Biggy zu. »Wir werden sicher darüber noch in den Zeitungen lesen.«
Tolins lächelte schwach.
»Keine frohen Hoffnungen, Biggy. Wir werden uns nicht mit den Zeitungen begnügen. Ich weiß noch nicht, ob wir es mit einem lokalen Ereignis zu tun haben oder ob es die ganze Erde betrifft, aber wir müssen ihm nachgehen. Es bedeutet Gefahr. Ich möchte wissen, wer diese Kraftlinien verändern kann, wenn wir einmal bei dieser Vorstellung bleiben wollen.«
»Hm?«
Mehr brachte Biggy im Moment nicht heraus. Er entdeckte in den hellgrauen Augen einen gewissen blauen Schimmer, der ihm eine Menge besagte. Es war wieder einmal Zeit, die Hosen fester zu binden.
»Genau das«, sagte Mark Tolins, als könnte er Gedanken lesen. »Es spricht nämlich wenig dafür, dass ein irdischer Wissenschaftler die Mittel gefunden hat, um auf diese Weise zu experimentieren. Und das bedeutet, dass vielleicht Unbekannte aus dem Raum dabei sind, die Erde durcheinander zu bringen. Und dann könnte es hart auf hart gehen.«
»Ich kündige«, seufzte Biggy. »Ich habe mir ernstlich vorgenommen, meinen Enkelkindern Märchen zu erzählen. Wie soll ich aber zu Enkelkindern kommen, wenn du mich dauernd in Lebensgefahr bringst?«
»Ein ernstes Problem«, stimmte Mark Tolins zu. »Noch ernster ist freilich die Frage, ob deine Enkelkinder nicht mit einem anderen Großvater glücklicher wären.«
Biggy öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu.
»Ein gemeiner Trick, Mark«, sagte er nach einer Pause verwirrt. »Du bringst mich um meinen Seelenfrieden.«
Gleich darauf blinzelte er, und dann ging er hinaus.