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Drittes Kapitel ‐ Die Frühlingsnacht

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So war nun ein Blumenelf, ein Wunderwesen der Sommernacht, durch das Begebnis, das ich erzählt

habe, verbannt worden, auf der Erde der Menschen, Tiere und Pflanzen zu leben. Auf dieser Erde,

auf der auch wir für kurze Zeit zu unserer Bewußtheit erwacht sind, dieser Erde der grünenden

Fluren, der Wasserläufe, der Berge und Täler, der Tage und Nächte.



Da es sonst den Elfen bestimmt ist, nur für ein paar Nachtstunden im Mondschein aus ihrem

Blumenbett zu erwachen, so erfahren sie von der Erde selbst und von allem Irdischen nur wenig; in

blauen Nachtbildern, die vom Himmelssilber glänzen, prägt sich diese Welt des Wirkens und der

Leiden nur flüchtig in ihre Seele ein, und mit einem fragenden Lächeln versinken sie beim

hereinbrechenden Morgen aufs neue in ihren Weltenschlaf. Im Tau, im Frühlicht, trinken die Pflanzen

ihre zarten Seelen, und der Wandel der Natur nimmt ihre durchschimmernden Körperchen auf, wie

Nebel sich in der Sonne verflüchtigt.



Die Menschen sehen die Elfen nur selten, zuweilen begegnen sie Kindern, aber zumeist nur im

Traum, oder ungesehen, wie auch die Engel, die nur von denen erkannt werden, die sie lieben und an

sie glauben.



Die Elfen haben große Ähnlichkeit mit den Engeln, aber sie sind wie Kinder und haben von Haus aus

keine Beziehungen zum Reich der Liebe, und nicht die Allmacht der himmlischen Engel. Aber darüber

soll in diesem Buch noch vielerlei gesagt werden, es ist in der Tat ein großes Ereignis gewesen, daß

ein Elf die Erde im Sonnenschein kennenlernte, wunderbar hat ihr Lebensglanz auf sein Herz und

Wesen eingewirkt, es hat ihn langsam den Irdischen gleichgemacht und ihn in ihr Bereich der Freude

und der Schmerzen gezogen.



Mitten im Frühling waren die Sinne des Blumenelfen zu seiner irdischen Reise erwacht, zugleich mit

den Seelchen unzähliger Blumen und Blüten und in Gemeinschaft mit der erneuten Daseinslust aller

Tiere und Menschen. Täglich kamen nun neue Vögel und vierfüßige Tiere auf der Wiese an, es war

sehr schwer, ihre Gestalt und Eigenart rasch zu begreifen, täglich brachen neue Blumen auf, und die

Farben und Düfte im Sonnenschein oder im Regen überwältigten zu immer neuem Glück. Wäre den

Seelen der Elfen nicht eine tiefe Ahnung vom Wesen alles Lebendigen eigentümlich, so hätte

sicherlich sein Herz der Fülle der Eindrücke nicht ohne Verwirrung standgehalten.



Ein heimliches Brennen in den Tiefen seiner Brust führte ihn langsam allem näher, was er erkannte.

Er wußte noch nicht, daß es Liebe war, die wie ein stilles Licht in den Kammern des Herzens

emporglühte, aber er empfand, daß diese brennende Süßigkeit der Hoffnung und des Heimwehs

nach Gemeinschaft seine Führer und seine Freude wurden. Ihm war, als leitete dies hilflose Weh in

der Tiefe ihn dem Licht immer näher, dieser unfaßbaren Fülle, die die ganze Erdoberfläche erstrahlen

ließ. Dies Glühen des Verlangens war es, das ihn sehen und lauschen lehrte, so daß er alle Stimmen

um sich her verstehen lernte, und er erkannte, noch wie in einem Traum, daß dies heiße Begehren

seiner Brust nach Zugehörigkeit das eine, große, treibende Element des Lebendigen um ihn her war.



In träumerischem Staunen schritt er dahin, lernte den Tag und die Nacht begreifen und erbebte vor

Glück über ihre Treue. Er sah die Sternbilder, die er wie aus ferner tiefer Erinnerung einer anderen

Jugend wiederzuerkennen glaubte, strahlen, wandern und singen und doch immer gleichbleiben, er

begriff den hohen Himmelsweg des Wassers, das die Sonne aufsaugte und das die Wolken den

Irdischen zurückgaben, und liebte über alles den Himmelswiderschein im Tau. Am meisten aber

beseligte ihn die gewaltige Sonne, ihre Gnadenbahn im Blauen, ihre Milde und Fülle, ihre

unaussprechliche Freigebigkeit. Ihren Glanz und ihre Wärme liebte er in betörend hingebender

Demut, sein Vertrauen zu ihr war so groß, daß schon der kleinste Lichtblick ihrer Herrlichkeit ihn wie

in einen Rausch von Zuversicht versetzte.



Oft konnte er stundenlang dasitzen und in den Tannenwald schauen, durch dessen hohe, gerade

Stämme das Sonnenlicht auf das Moos sank und überall helle Inseln von strahlendem Goldgrün

zurückließ. Die Lichtflecke rührten sich nicht, der Waldboden sah wie ein stiller Teppich mit

strahlenden Ornamenten aus. Aber hoch oben in den Kronen rauschte es in einer gewaltigen

Lebensmelodie im Frühlingswind, als zögen himmlische Heerscharen im Goldrauschen ihrer

Gewänder darüber hin. Dieses Rauschen der Baumkronen verwandelte sein Herz in einen einzigen

schimmernden Traum, ihm war, als erklängen darin die ewige Heiterkeit der freien Bewegung und

zugleich die Schwermut der irdischen Fesseln.


Als er eines Nachts, nachdem er schon manchen Tag auf der Wiese wohnte, erwachte, lockte der

Mondschein ihn aus seiner grünen Höhle im Moosgrund in die Stille der strahlenden Nacht empor.

Am Bach waren die Lilien aufgeblüht, sie leuchteten wie Schnee über dem dahinziehenden Wasser,

es war still und kühl und schon nahe dem Morgen, die Stimmen der Nachttiere waren verstummt.



Es war Halbmond, aber sein Licht schien so klar, daß die Sterne in seiner Nähe nur blaß schimmerten,

die Erde umher duftete von Nässe, denn es hatte am Tag vorher geregnet. Als der Elf sich auf einen

niedrigen Zweig der Linde setzte, fielen ein paar große Tropfen ins Gras nieder, auf ihrem kurzen

Weg zur Erde blinkten sie auf, kleine durchschienene Kugeln, sie trugen Mondlicht durch die Luft und

Glanz und Frische.



Der Elf sah dem fallenden Wasser nach und dachte an die Pflanzen, die es im Schlaf trinken würden.

Wenn die Erde die hellen Tropfen aufnimmt, sann er, so kehrt das Licht zum Himmel zurück. Der

Gedanke beschäftigte sein Gemüt, er rührte die Blätter in seiner Nähe an und sah zu, wie die

fallenden Tropfen, erfüllt von Licht, die Pflanzen tränkten. Die Waldtiefe schimmerte schwarz wie

Teer, nur die ersten Stämme waren vom Mond beschienen, und zwischen ihnen zogen sich

Lichtstreifen in die stille Finsternis hin. Gibt es auf der Erde ein Fleckchen, so groß wie meine Hand,

dachte er, auf dem nicht Leben schlummerte? Überall, wo Leben pocht, da glüht ein kleiner

Lichtherd, eine Stätte, wo das Licht einmal in Verlangen erwartet und empfangen wird, wo es

beglückt und zurückstrahlt. Nichts hat so viele Heimatrechte auf der Erde, wie das Licht.



Die Luft wurde von einem Surren erfüllt, das kaum vernehmlich zwischen den schwarzen Stämmen

begann, langsam anschwoll und nun beinahe drohend und feierlich über ihm dahinzog. Es war ein

großer Wasserkäfer, der sich ein neues Gewässer suchte, um dort den Tag zu verbringen. Wie mag es

ihm in der silbernen Dunkelheit und in der Ruhe der Luft behagen, dachte der Elf und sah ihm nach.

Es wurde wieder still, dicht neben ihm glitzerte ein Tropfen so hell wie ein Diamant, fast wurden

seine Augen geblendet, der Mond spiegelte darin, wie in geschliffenem Glas, aber es wurde darüber

umher nicht heller, hinter ihm war die Nacht so schwarz wie Kohle. Der Tropfen behielt das Licht, es

kreiste in seinem kühlen Rund, in freier Klarheit entstand eine unbeschreiblich erstrahlende kleine

Welt für sich.



Vielleicht leben auch in ihr Geschöpfe, dachte der Elf, halten die Sekunden ihrer Zeit für ein langes

Dasein und empfangen unser Himmelslicht in eigenen Lichtherden, aus denen es als Freude

widerstrahlt.



Der Tropfen sank und erlosch in der Finsternis am Boden.


Dem Elfen kamen die Schwalben in den Sinn, die er bis in die Stunde des sinkenden Abendlichts in

schwindelnder Himmelshöhe hatte fliegen sehen. Eine von ihnen war am Tage mit ihm bekannt

geworden, sie hatten sich auf dem Felde getroffen, wo der Vogel am Erdboden Lehm für sein Nest

suchte, und die Erzählung der Schwalbe war wie ein strahlendes Bild der fernen Welt in sein Herz

gesunken.



Wie mag euch Schwalben die Erde erscheinen, die ihr bewohnt, dachte er nun in der Erinnerung ihrer

Worte, wie anders werdet ihr sie kennen und empfinden als ein kleines Bodentier des ebenen Feldes,

oder als der Mensch. Eure Reise nach dem Süden führt euch Jahr für Jahr über das schimmernde

Meer, über welchem, wie über einer unabsehbaren, runden Silberfläche, die Sonne rot aufwacht,

ihren hohen Strahlenweg geht, einsam über dem tausendfältigen Glitzern, und am Abend langsam,

feuerrot in ihr helles Bett sinkt. Dann fliegt ihr allein über der großen Ebene, das Wasser sieht wie

flüssiges Eisen aus, der Himmel im Westen wie durchscheinendes Glas und im Osten kalt und blau, im

Wehn der herannahenden Nacht. – Wie schön die Schwalbe erzählt hatte.



Seid ihr nicht viel mehr als alle, seid ihr nicht am glücklichsten, ihr Menschen, fuhr er in seinem

Sinnen fort. Ich lebe unter Tieren und Pflanzen und kann euch nicht erscheinen, aber es zieht mich zu

euch, stärker und freier als in jener ersten Nacht, in welcher ich euch erblickte und euer Glück

verstand. Ihr Sonnenmenschen, ihr Gesegneten, die ihr geschickt seid, alles, alles zu empfangen! Was

macht euch so reich an Frohsinn und Betrübnis, ich möchte den Grund der Quellen in euch kennen,

aus denen die jauchzenden Lichtgarben eures Lachens entspringen und das schwermütige Geheimnis

der Tränen. Wieviel Sagen von eurer Herrlichkeit und eurem Elend kennt die alte Welt!



Wie aus tiefer Kindererinnerung stieg über solchen Gedanken in der Seele des Elfen eine Ahnung

empor, als habe er schon zu einer anderen Zeit alles gewußt und alles erfahren. Die Seele ist so alt

wie die Welt, dachte er, sie wird zur Erde geboren, um wieder jung zu sein. Aber kaum glaubte er sich

einer Gewißheit zu erfreuen, da zog es aus blauen Tiefen heran wie Wolken, und ihn befiel eine

Traurigkeit, so daß er sich aus dem Bereich der Ahnungen und Gedanken in die Welt der

Erscheinungen zurückflüchtete.



Leben, o schönes Leben auf der Erde, dachte er. Ihm war zumut, als sei er ein Geschöpf aus fremden

Regionen der Welt, das nur träumte, es lebte auf der Erde unter ihren Wesen. Es lag am

geheimnisvollen Weben der Nacht, daß alles ihm unaussprechlich wunderbar vorkam, und er sprach

leise vor sich hin, wie Leute, die viel allein sind, es bisweilen tun, und sagte:



»Es muß an meiner Herkunft liegen, und weil ich ein Fremdling bin, daß ich alle Erscheinungen, die

mir begegnen, so groß, so schön und sonderbar empfinde. Wer in seiner Kindheit als ein Geschöpf

seiner irdischen Eltern unter seinesgleichen erwacht, der wächst in seiner Umgebung empor, ohne

daß ihn dies selige Erstaunen befällt, das immer und immer wieder mein Gemüt erschüttert. Anderen

werden alle Dinge langsam vertraut, sie gewöhnen sich auch an das Schönste und nehmen es wie ihr

selbstverständliches Recht hin. Sie haben sichere Augen und gleichmütige Gedanken, die Erde ist ihre

Heimat, und sie wundern sich nur über den Tod, obgleich er das einzige ist, was sie bestimmt wissen.

Alle Geschöpfe, die ich kennengelernt habe, haben mehr Zuversicht und ein größeres Vertrauen der

Zugehörigkeit als ich, aber weniger Entzücken. Es muß daran liegen, daß sie die Erde längst gewohnt

sind, aber ich kann mich nicht in ihre Wunder finden, denn ich bin niemals mit unbewußten Sinnen

durch ihr blühendes Tal geschritten. Als ich die Sterne zum erstenmal sah, wußte ich, daß es die

Sterne waren, ich erkannte das erste Lachen, das ich vernahm, aber es war meinen Lippen fremd,

und der erste Sonnenschein überwältigte mich zu unnennbarem Glück. Auf die Anderen aber haben

die Sterne schon niedergesehen, ehe ihre Augen sie erkennen konnten, Tränen sind wie Tau auf sie

niedergetropft, Tränen der Freude oder des Schmerzes, und sie haben nicht gewußt, was sie

bedeuten, ihnen ist alles vertraut geworden, bevor sie es erkannten, vielleicht sind sie viel glücklicher

unter den Wohltaten ihrer Heimat, die sie blind, ohne Gedanken, hingenommen haben. Es ist gut so,

die Pracht der Erde ist so groß, daß ein Mensch sterben müßte, wenn ihre Gewalt eines Tages

plötzlich über ihn hereinbräche.«



Während in dieser stillen Frühlingsnacht sein Herz auf solch seltsame Wanderschaft ging, überkam

ihn plötzlich im Wandel von Andacht und Sorge ein geheimnisvolles Erzittern, und er mußte seine

Arme ausbreiten, als gälte es, eine liebreiche Fülle zu umschlingen, und er verstand nicht, wie ihm

geschah. Er mußte an die beiden Menschen denken, die sich in der Sommernacht seines Erwachens

umarmt hatten, an alle Blüten, an alle, an die Sonne über den Wiesen und an den Jubel der Vögel im

Grünen. Und plötzlich, wie in einer seligen Offenbarung, ahnte er das Wesen der Kraft, die ihn mit

allem Leben in der Natur verband, und er mußte singen. Er wandte sich in die Weite, die im

Mondlicht blühte, an die große, atmende Natur, die mit ihm ihrer Erlösung harrte, und sang:



Du bist mein Eigentum, weil ich dich liebe,kein Sinn ermißt die Fülle meines Glücks.Wie bitte ich die

Güte des Geschicks,daß mein Gemüt dem deinen nahe bliebe.



Was dir geschieht, das soll auch mir geschehn,o Hort der Liebe, so in dir zu weilen.Nun lernt mein

Herz in seiner Zeit verstehn,in deiner Anmut seinen Gram zu heilen.



Im Osten tauchte ein schmaler Glutstrich auf, und der Elf faltete seine Hände, denn der Morgen kam.

Ich werde euch alle, alle sehen und kennen und lieben, wie ihr seid, ihr Irdischen mit mir, dachte er,

das soll mein Glück sein.

Himmelsvolk

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