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Fünftes Kapitel ‐ Der Tod der Eiche

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Ein wenig von der Waldwiese entfernt stand am Rand des Tals die Eiche, sie war der älteste Baum im

Land; in diesem Frühling ist sie gestorben.



Man wußte es überall, weit im Umkreis. Ihre letzten Worte aus dem vergangenen Herbst rauschten

in den Büschen und Bäumen des Landes als Erinnerung wieder, und nun im Frühling nahm sie

Abschied.



Um ihre mächtige Gestalt umher sproßte und blühte es, ihre großen dunklen Glieder reckten sich

gewaltig über den wirren, grünen Lebenstrubel der neuen Jugend dahin, in den Himmel empor, ihre

Klage erfüllte das Land, alle Herzen. Viele hundert und wieder hundert Jahre des Lebens beschlossen

sich nach einem unbegreiflichen Ratschluß, der alle in heiliger Scheu erbeben ließ. Die langen Nächte

hindurch, in der Frühe und am verständlichen Tag wehte es aus der kahlen Höhe ihrer Krone klagend

im Wind über das Land, durch den Vogelgesang dahin, durch das selige Seufzen der vom Frühling

begnadeten Geschöpfe und durch das strahlende Tageslicht, das seine Macht über die Lebensgeister

des alten Baums verloren hatte.



Eines Tages vernahm der Elf die Klage der sterbenden Eiche im Wind und konnte sie nicht vergessen.

Nun ward er gewahr, daß alle sie wußten, und seit jener Stunde zwang es ihn plötzlich, im Schreiten

innezuhalten, wenn er durch den Wald ging, um zu lauschen, ob durch die Lebensmelodien der

lebendigen Bäume wieder diese Klage dränge, die den ganzen Wald erfüllt hatte. Und er vernahm die

Töne und erschauerte. Sie erklangen so heimlich, daß sein Gemüt in der Erkenntnis erzitterte, daß

diese bescheidenen Wehelaute eine so stille Wildheit zu bergen vermochten, und daß Geduld so

schmerzhaft sein könne.



Da ging er der Stimme nach, um den sterbenden Baum zu finden. Wie es zum Herzen griff! Er sah

eine Blume, die zu blühen anfing, den Tau trinken; in der Erwartung ihrer Sonne sangen alle Vögel, da

warf er sich ins Moos und lauschte. Seit jener Stunde trieb es ihn wieder und wieder herzu, am Tag,

in der Nacht, immer wieder zog es ihn an diesen Waldort ohne Schatten, wo die große Eiche stand.

Rings der Himmel über ihm war wie mit Sterben angefüllt, und die Seele des Elfen füllte sich mit

dieser Schwermut des Scheidens vom Leben, wie ein Becher mit Wein.


Er verstand den Baum. »Es ist kalt,« rief er einmal des Nachts, »der große Wald ist leer! Ich sehe hin

und zurück, zurück und hin, schaue, forsche und suche, und bin doch allein. Ich erinnere mich, ich

träume und bin doch allein.



Der Mond leuchtet hell, wenn seine Strahlen die Erde erreichen, scheint mir die Welt ohne Elend,

ohne Schmerz, alles und alle erscheinen mir sanft. Er bringt helle Tücher, als wollte er mich vor dem

schützen, was kommen soll, als wollte er mich erwärmen, und ich fühle wieder wie durstige Pflanzen,

die sich öffnen und zu blühen anfangen.



Enttäusche ich euch jetzt, weil ich dürr und kahl dastehe? Ihr habt mich grün gesehen! Ich gab der

Erde Schatten, den Vögeln Ruhe und den Tieren Früchte. Ich habe die Blicke entzückt, und nun liebt

ihr mich weniger, weil ich es nicht vermag? Müßt ihr nicht stets an jene Zeit denken, wo ihr mich

anders saht?



Ihr denkt nicht mehr daran! Meine Klage erniedrigt mich. Nun fühle ich zum erstenmal, daß mein

irdisches Gefühl mich von der Welt trennt. Einst erzählte ich, ich teilte das Neue, das Leben den

Blumen, den Bäumen mit. Dort oben liebkoste mich der Wind, als wollte er zu mir sagen: Du hast

nicht unrecht. Da wußte ich, daß mein irdisches Gefühl mich mit der Welt verband. Ich rief: Nehmt

mich nur auf, laßt mich euer Teil sein, ein Glied eurer reichen Familie. Ich fühlte die Welt und

vereinte mich mit ihr und wurde zum erstenmal mündig. Alles tönte in mir und mein Herz strömte

über. O, wie ich der Erde verschuldet bin, wie kein Wesen vor mir!«



Der Blumenelf lag im Moosgrund und lauschte der Klage, er begriff die Wirklichkeit des Todes und

erbebte. Aber er vermochte seine Sinne nicht vom Sterben des Baumes abzuwenden.



Da hörte er wieder die alte Stimme über sich im Wind:



»Es forscht ohne Aufhör in mir und will doch von nichts wissen. Meine Wurzeln werden vom Wasser

berieselt, das alle Pflanzen zu neuem Sprossen ernährt. Ich fürchte mich vor dem Tage, die Sonne, die

mein Blut beeinflußt hat emporzudrängen, blendet mich nun. Wie lockt mich die Weite, die ich lange

ohne Begehren im Bild erblickt habe! Wo sind die Tiere? Ich höre nur die Vögel. Und doch ist alles

Weite so nah, so möglich geworden.



Mein Herz war einst in der Sonne so weit offen, daß es nicht nur sich selber trug und ahnte, sondern

die ganze Welt. Da wußte ich die Wahrheit über mich. Nun umgibt es mich rings wie eine Wand, so

kalt wie Eis, so durchsichtig wie Glas, so nah, daß mir ist, als spiegelte ich mich wider. Sie macht die

Seele zum Verbrennen durstig, und ich fühle Angst. Lebt wohl!«



Da drückte der Elf erzitternd sein Herz fest, fest an die Erde, die Auferstehung und Vermoderungen in

sich barg und einen herben Geruch von Harz ausströmte. Ihm war, als durchdränge dieser Geruch

seinen vergänglichen Leib, er schloß seine Augen und schwieg, denn es redete mit vielen Stimmen zu

ihm, die wie eine Stimme waren.


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