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Das Erscheinen der jungen Königin

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Maria Theresia erscheint in ihrem ersten französischen Kleid. Frankreich umweht sie mit seiner Luft, sie ist umhüllt von rosenroter, mit Gold und Silber bestickter Seide und umflutet vom Feuer ihrer Juwelen.

In Saint-Jean-de-Luz nimmt Maria Theresia ihre erste französische Mahlzeit ein in dem Haus, in dem Anna von Österreich residiert.

Am 8. Juni: Anproben. Es ist der Tag der Schneiderinnen und Friseure. Line der beiden Hauptfiguren des großen Schauspiels wird für die Bühne zurechtgemacht. Am 9. Juni: die Eheschließung in Saint-Jean-de-Luz. Vor den Häusern, in denen die Mitglieder der königlichen Familie wohnen, ist der Erdboden mit kostbaren Teppichen bedeckt. Auf beiden Seiten des Weges erheben sich weiß-goldene Säulen, die durch Girlanden verbunden sind. Die Regimenter der Schweizer und französischen Garden stehen Spaliere. Ohrenbetäubendes Geläut der Glocken. Und natürlich eine ungeheure Menschenmenge, die vor Begeisterung jubelt, als sähe sie Gott und seine Engel.

Der Hochzeitszug bewegt sich zu Fuß voran. An der Spitze der Prinz von Conti. Dann Kardinal Mazarin, stärker noch als sonst geschminkt, parfümiert und gelockt; er verbirgt seine Schmerzen unter seinem Hermelinkragen und seinem wallenden Purpurgewand.

Ganz allein, der König. Wie ist er gekleidet? Die Grande Mademoiselle hat plötzlich ihr Gedächtnis verloren. Sie sagt in ihren Memoiren nichts darüber. In Fontarabia hat sie genau gesehen, wie Philipp IV. angezogen war.

Wahrscheinlich erinnert sie sich nicht mehr, weil sie Ludwig XIV. hatte heiraten wollen und weil diese Hochzeit den Zusammenbruch ihrer Träume bedeutet. „Ich erinnere mich nicht mehr genau, wie er gekleidet war. Ich glaube, dass er sehr mit Gold bestickt war, und Monsieur ebenfalls. Dass ihre Hutbänder mit Diamanten besetzt waren. Ich glaube, dass Monsieur die Königin führte.“ Augenzeugen, die ein besseres Erinnerungsvermögen haben, bezeugen, dass der König ein Habit aus Goldstoff mit schwarzen Verzierungen trug.

Maria Theresia hat zu ihrer Rechten den Herzog von Orleans, den Bruder des Königs, zu ihrer Linken ihren Ehren-Chevalier, Herrn von Bernaville. Über ihrer Silberbrokatrobe trägt sie einen lilafarbenen Samtumhang, der mit goldenen Lilien bestickt und zehn Ellen (zwölf Meter) lang ist. Diese samtene Flut wird seitlich von den Damen von Valois und Alencon gehalten, und das Ende der Schleppe von der Prinzessin von Carignan. Zwei Damen halten die Krone über dem Haupt der neuen Königin.

Schwarze, mit Silber durchwirkte Schleier mildern die Spuren, die die Zeit bei der Königinmutter hinterlassen hat; sie bewahrt die Schönheit einer prächtigen Rose, die langsam verwelkt.

Am Ende des Zuges geht die Grande Mademoiselle, in Schwarz, um den Hals eine aus zwanzig Reihen bestehender Perlenkette. Sie trägt Trauer um ihren Vater und um ihre dahingeschwundenen Illusionen. Als der Festzug die Kirche erreichte, hatte die Hochzeitsgesellschaft drinnen bereits ihre Plätze eingenommen. Als wären sie nicht Gäste, sondern nur Zuschauer, versuchten alle, die Neuvermählten zu sehen, als sie sich unter ihren Thronhimmel begaben, der mit den Lilien der Bourbonen bestickt und mit Helmbüschen geschmückt war. Für Königin Anna war ein separater Platz auf ei-ner mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Estrade vorbereitet, überwölbt von einem Baldachin aus dem gleichen Stoff.

Der Bischof von Bayonne vollzog die Trauung. Maria Theresia, die sonst so leicht in Tränen ausbrach, blieb gefasst. Sie hatte erreicht, was sie immer ersehnt hatte. Doch es war nicht die Krone von Frankreich, um die es ihr ging. Viel lieber wäre sie Königin von Spanien gewesen. Nein, es war dieser junge Mann an ihrer Seite, der Einzige auf der Welt, der ihr ebenbürtig war.

Wie allen Infantinnen war auch Maria Theresia von ihrem Beichtvater erzählt worden, dass Könige nur Königinnen lieben könnten, und Umgekehrt sei es genauso. Maria Theresia hatte es geglaubt, wie die spanischen Prinzessinnen vor ihr. Kein einziges Mal hatte sie einem anderen Mann absichtlich in die Augen geblickt. Immer hatte es nur Ludwig für sie gegeben, obwohl sie ihn noch nicht mal gekannt hatte. Als ihr ihre Zwergin zuflüsterte, Ludwig poussiere mit einer Italienerin, hatte Maria Theresia nur gleichgültig die Achseln gezuckt.

Nach der Trauung erhoben sie sich von ihren Samtkissen. Die Damen ordneten Maria Theresias Mantel und Schleppe. Dabei blickte die junge Königin verstohlen zur Seite. Sie hatte Glück. Ihre und Ludwigs Augen begegneten einander. Maria Theresias erster Impuls war, sich schnell wieder wegzudrehen. Dann aber fasste sie sich ein Herz und schaute ihrem Gemahl geradewegs in die Augen. Auch er blickte sie an. Dann lächelte er plötzlich und neigte kaum merklich den Kopf. Maria Theresia wurde blutrot. Sie wagte nicht, Ludwigs Lächeln zu erwidern, doch während sie sich wieder abwandte, dachte sie in Dankbarkeit an ihren Beichtvater, als hätte er das wunderbare Gesetz königlicher Liebe erwirkt.

Wolken von Weihrauch erfüllten das Gotteshaus, und die Glocken läuteten noch kräftiger als zuvor, als der Bischof mit seiner Begleitung den Neuvermählten voranschritt. Die königliche Familie und die Hochzeitsgäste schlössen sich an. Unter dem Jubel der Zuschauer traten sie durch das Hauptportal hinaus auf den sonnigen Vorplatz.

Als sich die Kirche geleert hatte, löschten Ministranten die Kerzen, und ein Priester verschloss unter dem Beifall der Bevölkerung das Hauptportal. Bis in alle Ewigkeit, so hatte Königin Anna verfügt, sollte dieses Tor nicht mehr geöffnet werden, um die nachfolgenden Generationen daran zu erinnern, welch erhabenes und glückliches Ereignis hier stattgefunden hatte.

Nach der Zeremonie Festmahl des Königs, der beiden Königinnen und Monsieurs. Vom Balkon herunter bedanken sich die Neuvermählten für die Zurufe des Volkes und werfen Geldstücke in die Menge.

Es war noch Nachmittag und ganz hell, als Ludwig plötzlich erklärte, es sei nun an der Zeit, schlafen zu gehen. Niemand antwortete, nur Maria Theresia rief entsetzt: „Aber es ist doch noch viel zu früh!“

Dann schlug sie, erschrocken über ihre eigene Auflehnung, die Hände vor den Mund, erhob sich schnell und lief in ihr Schlafgemach. Dort befahl sie ihren Kammerfrauen, die Vorhänge ganz dicht zuzuziehen und ihr danach gleich beim Auskleiden zu helfen. Auch sie schien es auf einmal eilig zu haben. „Rasch!“, trieb sie ihre Hofdamen an. „Beeilt euch! Der König erwartet mich!“

Sie war aufgeregt wie ein Kind, als Ludwig ins Zimmer trat. Auch Anna, Mazarin und die Mitglieder der königlichen Familie erschienen nun sowie mehrere ausgewählte Vertreter der Hofgesellschaft. Sie alle stellten sich an der Wand gegenüber dem königlichen Alkoven auf und sahen zu, wie Ludwig und Maria Theresia in ihr Bett stiegen.

Seit Jahrhunderten war es üblich, dass die Zeugen der königlichen Hochzeitsnacht bis nach dem Vollzug der Ehe anwesend blieben. Doch Anna sorgte dafür, dass es diesmal anders war. Zu quälend war die Erinnerung an den Beginn ihrer eigenen Ehe, als sie die neugierigen Augen der Höflinge hinter dem angestrengten Gesicht ihres Ehemannes gesehen und nicht gewusst hatte, wer ihr Schlimmeres antat: ihr Gemahl, der ihren Körper verletzte, obwohl er es eigentlich nicht wollte, oder diese Fremden, denen sie jeden Tag begegnen würde und die sie mit ihren Blicken demütigten.

Ihrem Sohn und seiner Gemahlin wollte Anna diese Erfahrungen ersparen. So wartete sie, bis sie sich unter die Decke gelegt hatten. Dann küsste sie die beiden auf die Stirn, segnete sie und Ihren Bund und zog dann eigenhändig die Vorhänge zu. Danach wandte sie sich an die enttäuschten Zeugen. „Unsere Aufgabe ist erfüllt!“, entschied sie mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. „Wir wollen uns nun zurückziehen.“

Erst am nächsten Morgen kehrten die Zeugen zurück. Man öffnete die Vorhänge wieder und blickte auf das junge Paar, das an die vielen Kissen gelehnt in seinem Bett saß. Ludwig verzog keine Miene, doch Maria Theresia erstaunte alle, weil sie, viel weniger schüchtern als erwartet, ihre kleinen, weißen Hände aneinander rieb und dann liebevoll lächelnd auf ihren Gemahl blickte. Alle wunderten sich noch über die Veränderung, die mit der scheuen Infantin vorgegangen war, da fing sie plötzlich, wie nach einer gelungenen Theateraufführung, an zu klatschen. Die Zeugen tauschten betretene Blicke und entschlossen sich dann einer nach dem anderen, ebenfalls Bei-fall zu spenden.

Nur Anna beteiligte sich nicht. Stattdessen nahm sie sich vor, mit ihrer Schwiegertochter behutsam über das Verhalten einer Königin zu sprechen.

Maria Theresia legte ihre Händchen auf die Bettdecke. „Ich möchte gerne die Heilige Kommunion empfangen, liebe Mutter“, erklärte sie, zu Anna gewandt. „Man muss dafür beten, dass der Himmel nach der gegebenen Frist Frankreich ein Kind schenkt.“

Einige Schriftsteller und Historiker halten Maria Theresia für eine Haremssultanin, weil sie gern Stofftiere um sich hat und Zwerge, und weil sie morgens beim Lever in die Hände klatscht, um den Hof darüber zu unterrichten, dass der König sie in der Nacht mit seinem Besuch beehrt hat. Aber Maria Theresia ist auch eine ihren Mann abgöttisch liebende Frau, eine Kindfrau, die in ihrer Naivität und ihrer Unkenntnis des Französischen inmitten dieses grausamen Hofs wie eingemauert lebt. Einige bedauern die in ihre Kindlichkeit und Liebe verstrickte Gefangene. Nach der Hochzeitsnacht nimmt der König die erste Mahlzeit ohne sie ein. Man kann sich vorstellen, mit welchen Glossen die Höflinge das Ereignis kommentieren. Um allen Spöttereien ein Ende zu machen, beschließt Seine Majestät, während der Rückreise mit seiner jungen Frau zusammenzuwohnen.

Dennoch entzieht sich Ludwig XIV. diesem Paradezug unter Triumphbogen, mit denen Frankreich ihn als Symbol des Friedens feiert. Am 27. in Bllintes verkündet er gebieterisch, die Königinnen und der Hof sollten den Weg bis Saint-Jean-d'Angely fortsetzen, während er sich zur Inspektion mich La Rochelle begeben würde. Anna von Österreich und Mazarin sind entsetzt, sie ahnen, dass er an Marie Mancini denkt und dass die Wunde noch nicht geheilt ist. Der Kardinal versucht sich einzuschalten; er führt den Titel eines Statthalters der Saintonge. Ihm käme die Ehre zu, Seine Majestät durch seine Provinz zu geleiten. Doch der König lehnt dieses zu fadenscheinige Angebot ab. Er nimmt nur Philippe Mancini und zwei andere Edelleute mit.

In La Rochelle besichtigt der König einige Schiffe. Am 28. Juni verbringt er die Nacht in Brouage, in dem Bett, in dem Marie so viel und so oft an ihn gedacht hat. Ludwig liegt lange schlaflos, er ist nicht mehr der König, sondern ein von Tränen überwältigter junger Mann, der seiner Verzweiflung nachgibt.

Ein endloser Tränenstrom, der tief aus der Jugend kommt und seine Pflichten überflutet, die letzten Tränen reiner Liebe eines Mannes, der nur sich selbst gehört und die gleichen Freuden und Schmerzen wie der bescheidenste der Menschen empfindet. Hier am Meeresufer erlebt er seinen Ölberg, die verzweiflungsvolle Nachtwache, während der die letzten Schwächen von ihm abfallen. Am folgenden Tag, als er in Saint-Jean-d'Angely wieder mit dem Hof zusammentrifft, ist er der König, hart geworden, gepanzert, bereit, sein Kreuz zu tragen.

Am 25. August 1660 ziehen der König und die Königin feierlich in Paris ein. Gott steigt auf die Erde herab, um den Menschen die Ordnung und den Frieden zu bringen. Es ist der Triumphzug des Sonnenkönigs, der die in vierundzwanzig Unglücksjahren zusammengeballten Wolken teilt und die Menschheit mit Licht überflutet. Dem Volk von Paris, bis zum letzten Lastenträger, scheinen alle diese Bilder aus dem Musenhimmel zu kommen und durch die Straßen zu ziehen. Die abstrakten Bilder verschwinden, der König erscheint „so wie die Dichter uns jene Menschen schildern, die sie vergöttlicht haben“.

An der Porte Saint Antoine, wo Conde und Turenne ihr brudermörderisches Duell ausgefochten haben, erhebt sich, um dieses erinnerungsschwere Ereignis zu überdecken, ein monumentaler Triumphbogen. Der König und die Königin sitzen auf zwei Thronsesseln und nehmen aus den Händen des Vorstehers der Kaufleute die Schlüssel der Stadt in Empfang. Dann besteigt Seine Majestät einen spanischen Falben, der unter einem Brokatbaldachin tänzelt. Die Königin steigt in ihre offene, ebenfalls von einem Baldachin überdeckte, dem Prachtwagen der Göttinnen gleichende Karosse. Unter unbeschreiblichen Begeisterungsausbrüchen setzt sich der Zug nach Paris hinein in Bewegung. Als sollte das während der Fronde vergossene Blut unsichtbar gemacht werden, haben die Pariser die Pflastersteine, die einst zur Errichtung der Barrikaden dienten, mit einem so dicken Teppich von Blüten und Blättern bedeckt, dass von den Rädern der Kutschen Wohlgerüche aufgewirbelt werden.

Der Zug braucht am Nachmittag vier Stunden, um von der Place du Trone, über die Ile de la Cite zum Louvre zu gelangen.

Der Hofstaat Mazarins, der Hofstaat des Königs und der beiden Königinnen, die Kanzlei, die Chevaulegers, die Beamten der Krone, der König selber, von Gold und Edelsteinen funkelnd, sein Bruder, Monsieur, die Prinzen von Geblüt, die lächelnde Königin, deren Karosse von einem Schwärm weißgekleideter Pagen umgeben ist, diese ganze Märchenpracht zieht durch Paris, das sich in einen Garten betäubender Düfte verwandelt hat. Der prächtigste Triumphbogen steht auf der Place Dauphine, Le Brun, der spätere Hofmaler und Hofdekorateur, hat ihn errichtet, anscheinend mehr zum Ruhm Mazarins als zum Ruhm des Königs. Die Allegorien stellen den Eifer dar, mit dem der Kardinal die Staatsgeschäfte und Friedensverhandlungen geführt hat. Verherrlichung des Königs, Triumph des Ministers. Neben dem König und der Königin ist der dritte Anziehungspunkt dieser Kavalkade „der Aufzug Seiner Eminenz“.

Mazarin entfaltet bei dieser Inszenierung die Kunst der klugen Steigerung. Zuerst zweiundsiebzig Maultiere, von fünfundzwanzig grünlivrierten Männer geführt. Vierundzwanzig dieser Maultiere tragen einfache rote Decken sowie „Federn und gewöhnlichen Kopfschmuck“. Die nächsten vierundzwanzig tragen Schabracken „aus feinstem Seidengewebe mit eingewirkten goldenen Figuren“, Glöckchen, Kopfgeschirre und Zaumzeug aus massivem Silber. Die letzten vierundzwanzig sind geschmückt mit „großen karminroten Samtdecken, auf denen Wappen und Wappensprüche eingestickt sind, daneben Füllhörner, aus denen Früchte und Blumen quellen“, Auf dem Kopf tragen sie „prächtige weiße und rote Straußenfedern“, aus denen wiederum Reiherfedern sprießen. „Dann kamen“, erzählt der venezianische Gesandte, „der Stallmeister Seiner Eminenz mit vierundzwanzig reichgekleideten und wohlberittenen Pagen, dann zwölf prächtige, mit karminrotem, gold- und silberbe-sticktem Samt bedeckte Pferde, die von zwölf Männern an der Hand geführt wurden; danach andere Pferde und Reiter in der Livree des Kardinals.“ Dann eine weitere Steigerung in der Reihe der Herrlichkeiten: elf sechsspännige Karossen, „die Pferde jeweils in gleicher Größe und Farbe ausgesucht, und nach ihrem Geburtsort“, welch Raffinement!

Zum Schluss, wie bei den Raketen eines Feuerwerks, das große Bukett, das sich in Sterne auflöst, aus denen wiederum Sterne fallen und dann, nach einer winzigen Pause, die schönste Himmelsperle.

Fünfzig Reiter, alle von hohem Rang, in reicher Kleidung auf unglaublich wertvollen Pferden“. Nun aber, als letzter und endgültiger Höhepunkt, auf den alle Welt während des ganzen Aufzugs wartet: die Karosse Seiner Eminenz. Von acht und nicht von sechs „herrlichen Pferden“ gezogen. Doch ist diese Prachtkarosse - eine phantastische Koketterie dieses „unnachahmlichen Lebens“ - nicht etwa die größte, sondern die kleinste. Wie ein Schrein, der den Diamanten der Diamanten enthält, der für sich allein unermesslich viel teurer ist als alle anderen Glanzstücke.

Und nun der Theatercoup. Der Zauberer führt sein letztes Kunststück vor: diese Karosse ist leer. Der Illusionist entzieht sich den Schmerzen, dem Tod. Er lässt sich selbst verschwinden. Wo ist er? Sucht ihn! Ein wahres Bilderrätsel Der Künstler hat sich das unendlich lange Rollen im Wagen über das holprige Pflaster ersparen wol-len, er hat die Fähigkeit zu fliegen. Den Qualen des Körpers, den Verheerungen, die die Zeit ihm zugefügt hat, entrinnend, schwebt er oben in den Lüften, wie in der Oper der „deus tx machina“ in seiner Luftgondel. Er ist auf einem der Balkone des Hauses der Frau von Beauvais in der Rue Samt-Antoine gelandet, von wo aus er dem Schauspiel zusieht. Lächelt er selber, oder ist es seine geschminkte Mumie? Man vermag es nicht mehr zu unterscheiden. Auf welchem der drei Balkone sitzt er? Er hat den Historikern eine solche Wolke von Puder ins Gesicht gestreut, dass sie nicht mehr klar sehen können. Einige behaupten, ihn auf dem Balkon der Königinmutter zu erblicken: die beiden Liebenden, auf dem Höhepunkt ihres gemeinsamen Werks vereint, nehmen unter Tränen die jubelnden Zurufe der Bevölkerung entgegen. Andere sagen, auf dem mittleren Balkon, dem größten und am weitesten vorspringenden, habe unter einem Baldachin die Königinmutter gesessen, zu ihrer Rechten die Königin von England und deren Tochter, die spätere Herzogin von Orleans.

Auf dem zweiten Balkon befinden sich die Hofdamen der Königinnen. Unter ihnen Marie Mancini, von innerer Erregung geschüttelt, und Madame Scarron, die dann Madame de Maintenon wird: das Gestern und das Morden, die Schauspielerinnen des Stückes, denen das Schicksal den Augenblick ihres Auftritts und Abgangs von der Bühne bezeichnet.

Auf dem dritten Balkon „der Herr Kardinal von Mazarin, der fast die ganze Zeit Herrn von Turenne im schwarzen Habit bei sich hatte . . .“

Als der König unter dem Balkon ankommt, lässt er sein Pferd schwenken. Mit der ihm eigenen, unnachahmlichen Würde zieht er den mit weißen Federn geschmückten Hut und grüßt lange und ehrerbietig seine Mutter und den Kardinal. Seine Mutter, die er verehrt und in der vielleicht schon die Krebsgeschwulst schwärt, an der sie fünf Jahre später stirbt. Den Kardinal, der ihn geformt und der ihm seinen Thron bewahrt, der ihm die Wege zu einer großen Regierungszeit geebnet hat und der unter seinem Purpurgewand bereits ein Leichnam ist.

Madame Scarron, die spätere heimliche Gemahlin des Königs, sie selber also spätere Königin von Frankreich, ist fasziniert von dieser göttlichen Grußbezeigung. Am Tag darauf schreibt sie an eine Freundin, in ihren Worten offenbart sich ihre Höflings Seele. „Ich glaube nicht, dass man etwas Schöneres erleben kann. Die Königin hat sich gestern Abend, sicherlich völlig überwältigt von dem Ehemann, den sie sich erwählt hat, schlafen gelegt.“ „Völlig überwältigt“, wie ganz Frankreich, das verliebt in seinen König ist. Aber was soll das heißen: „der Ehemann, den sie sich erwählt hat“?

In der Menschenmenge stehen auch zwei Dichter, die das Ereignis besingen: Racine, zwanzig Jahre, La Fontaine, neununddreißig Jahre alt. Racine verfasst eine höfische Ode, „Die Nymphe der Seine“, und lässt sie durch seinen Vetter Charles Perrault vorlegen. Der Verfasser der „Märchen“ wirft Racine vor, er habe die neue Königin mit Venus, der Prostituierten, verglichen. Und persönlich trägt Racine seine Ode zu Chapelain, dem allmächtigen Papst der Literatur, der wiederum den Ausdruck „die Tritonen der Seine“ bemängelt. Denn die „Tritonen“ leben nur in Salzwasser, und deswegen muss Racine die ganze Strophe umdichten. Am liebsten hätte er sie wohl alle ertränkt!

La Fontaine hingegen, der ewige Anfänger, denkt nicht daran, irgendjemand den Hof zu machen. Dem prächtigen Maultier-Aufzug Seiner Eminenz gegenüber lässt er eher Bosheit und Spott in seinem Gedicht anklingen. Er bezeigt gallische Impertinenz, er macht deutlich, dass in jedem Franzosen, auch wenn er ein Dichter ist, ein misstrauischer Steuerzahler steckt. Was hat das alles gekostet?

Es war nicht der Prunk allein, der Ludwigs Zuschauer mitriss. Prächtige Auftritte des Königs war man in Paris gewöhnt. Es war vielmehr die Lebenslust, die der königliche Hof auf einmal ausstrahlte. Das übermütige Selbstbewusstsein nach den Jahren des Streits und des Krieges. Seht her!, schien der König zu rufen, als er in seinem silbernen Gewand neben der Karosse seiner Gemahlin durch die Straßen ritt. Seht her, ich bringe euch den Frieden! Ich bringe euch die Jugend! Ich bringe euch die Zukunft!

Ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren statt der bisher nur alte Männer, die ihre griesgrämige Macht ausgeübt hatten. Zweiundzwanzig Jahre auch seine Gemahlin, die als süßestes aller Geschenke den Frieden mitbrachte: Maria Theresia, deren Haar wie Gold in der Sonne leuchtete. Viel mehr als das konnte man von ihr nicht sehen. Nur dieses wunderbare Haar und eine kleine weiße Hand, die - von einem großen Diamantring beschwert - aus dem Fenster winkte. Doch das genügte schon, um die Zuschauer zu begeistern. Sie sei bereits guter Hoffnung, erzählte man sich. Aber das konnte auch ein bloßes Gerücht sein - wie ganz Paris in diesen Tagen voll war von Gerüchten, eines erfreulicher als das andere. Ein zerrissenes, verunsichertes Volk fand sich selbst wieder, war aufgeregt und begeistert und glaubte endlich wieder daran, dass von nun an alles besser werden würde; dass das glorreiche Frankreich zum Wohlstand zurückkehrte, zur Einigkeit und vielleicht sogar zur Vorherrschaft über die anderen Völker des Kontinents.

Die junge Königin habe Ludwig das Versprechen abgenommen, jede Nacht bei ihr zu beenden, erzählte einer und schwor, seine Quellen seien sicher. Wie spät es auch immer sei, dass er zu Bett gehe: Es müsse immer das ihre sein. Alle lachten. „Spanische Weisheit!“, erklärte man. Ein anderer berichtete, wenn der König Maria Theresia seine Gunst erwiesen habe, bekreuzige sie sich und riefe nach dem Segen der Heiligen Jungfrau. Bei Hofe nenne man diesen Vorgang inzwischen schon „zu Maria kommen“, weil sogar Ludwig selbst einmal gesagt habe, auch er ziehe es vor, im Zimmer seiner Gemahlin zu schlafen. Da könne man bequemer „zu Maria kom-men“. Lange Diskussionen über die Liebesgewohnheiten der Spanier folgten, die den Franzosen nach der langen Feindschaft fast genauso exotisch vorkamen wie die Völker des tiefsten Afrika.

„Niemand vermisst mich!“, beklagte sich Anna leise, während auf der Straße die Menschen sangen und tanzten. „Ich will die Aufmerksamkeit nicht von Ihnen ablenken“, hatte sie zu Ludwig und Maria Theresia gesagt. „Deshalb werde ich einen Tag vor Ihnen inkognito nach Paris fahren und als einfache Zuschauerin an Ihrem Triumph teilnehmen.“

Dass es ein solcher Triumph werden würde, hatte Anna allerdings nicht erwartet. Auch nicht, dass es keine einzige Stimme gab, die nach ihr rief. Bisher war sie die Königin gewesen, die Erste Dame, wo auch immer sie auftrat. Dass auf einmal niemand mehr nach ihr zu fragen schien, versetzte ihr einen Schlag, der ihr wehtat. Sie sah den Diamanten, der an Maria Theresias kleiner Hand in der Sonne blitzte, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass von nun an diese junge Frau die Stelle einnehmen würde, die bisher ihr, Anna, zugekommen war.

Von Anfang an war Anna entschlossen gewesen, ihre Schwiegertochter und Nichte zu lieben wie ein eigenes Kind. Inzwischen fühlte sie sich allerdings ernüchtert. Maria Theresia hatte ihre Erwartungen enttäuscht. Dass sie die französische Sprache nicht beherrschte, konnte ihr nicht angelastet werden. Ebenso wenig, dass ihr Verstand unter dem Durchschnitt geblieben war. Maria Theresia war verspielt wie ein Kind. Nie war sie glücklicher, als würde sie mit ihren Schoßtieren und Zwerginnen spielen konnte, und immer stand ein Tellerchen mit Naschwerk dabei. Auch ihr Umgang mit Ludwig hatte etwas Treuherziges und Kindliches. Wenn Maria Theresia Liebe machte, tat sie es auf die gleiche naiv-sinnliche Weise, mit der sie ihre Pralinen genoss oder den Finger in die Marmelade tauchte.

Anna, die die beiden aufmerksam beobachtete, hatte den Eindruck, dass Ludwig dennoch mit seiner Ehe zufrieden war. Doch Wie lange noch? Wie sollte sich ein Mann, der der Liebhaber von Oympia Mancini gewesen war und Marie Mancini geliebt hatte, auf Dauer mit einer Frau begnügen, die immer noch jeden Morgen klatschte, um den Hofstaat über seine nächtliche Leistungen zu informieren, und die immer noch davon überzeugt war, dass ein König nur eine Königin lieben könne?

Sie blickte hinunter auf die Straße, wo nun hinter dem Wagen der Königin die Equipagen des Kardinals auftauchten. Auch ihnen winkte das Volk gutmütig zu. Längst hatte man aufgehört, Mazarin zu hassen. Dieser Tag war auch sein Triumph.

Alle wussten, dass es Mazarin gewesen war, der den Frieden herbeigeführt und listig erschachert hatte. „Vive le cardinal!“, riefen einzelne, raue Stimme. Trotzdem konnte man hinter den Scheiben der ersten Equipage, in der man den Kardinal vermutete, nichts erkennen. Keinen Umriss eines Menschen, keine winkende Hand. Niemand ahnte, dass die Equipagen des Kardinals leer waren.

Schon seit einem Jahr hatte sich Mazarin krank gefühlt. Nur die riesige Herausforderung des Friedens mit Spanien hatte ihn noch aufrechterhalten. Schon während der Rückfahrt aber hatten ihn immer öfter seine Kräfte verlassen. Die Gicht quälte ihn, dass er es kaum noch aushielt, und nachts rang er nach Luft. Die meiste Zeit konnte er nicht einmal mehr liegen, sondern saß, der Verzweiflung nahe, aufrecht in seinem Himmelbett. Er dachte an Rom, an den Vatikan und wie viel noch bedacht und organisiert werden musste, bis der gegenwärtige Papst das Zeitliche segnete.

Mazarin lachte bitter auf, während sein Beichtvater, der Theatiner Joly, an seinem Bett saß, das Kinn auf der Brust und die Augen geschlossen. „Womöglich bin ich früher dran als er!“, klagte Mazarin und schüttelte den Kopf.

Der Mönch schreckte hoch. „Wer, Eminenz?“, fragte er schlaftrunken. Als Mazarin nicht antwortete, dachte der kleine Mönch, dass Eminentissime auch nicht jünger wurde und manchmal nicht mehr ganz richtig im Kopf war.

Die Prozession war vorbeigezogen. Die Menschen am Straßenrand folgten ihr. Nach und nach wurde es ruhig. „Darf ich Sie in den Salon bitten, Majestät?“, fragte Catherine de Beauvais. Sie hatte die ganze Zeit geschwiegen. Ihr Gesicht ließ nicht erkennen, was sie dachte, als da unten ihr kleiner König in all seinem Glanz vorbei ritt.

Unter der Sonne geboren - 2. Teil

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