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Der "Heilige Gral"

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Ist er der legendäre letzte Abendmahlskelch? Der Gral hat zu allen Zeiten der Geschichte seine Spuren hinterlassen. Der "Heilige Gral": es gibt kaum ein anderes Symbol in der abendländischen Kultur, um das sich so viele Legenden ranken, wie um den Gral. Eine der gängigsten Theorien ist: bei dem Gral handelt es sich um den Kelch des letzten Abendmahls Christi. Einige Forscher sehen in dem Gral wiederum einen Hinweis auf die Blutlinie Christi, andere sprechen gar von einem "Kessel der Wiedergeburt", der auf die Kelten zurückgehen soll, oder von dem biblischen Zacken aus der Krone Luzifers.

Doch: was ist der Gral tatsächlich? Existiert er überhaupt? Oder ist er ganz einfach nur im Reich der Legenden und Mythen zuhause? Den meisten dürfte der "Heilige Gral" zum ersten Mal wohl durch die populäre Artus-Sage begegnet sein. Der junge Ritter Parzival begibt sich auf die Suche nach dem Gral. Wolfram von Eschenbach hat die Geschichte im späten Mittelalter in seinem gleichnamigen Gralsepos "Parzival" einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht. Er war allerdings nicht der erste, der sich mit dieser Thematik beschäftigt hat. Zum ersten Mal erschien die Legende um den Gral in schriftlicher Form Ende des 12.Jahrhunderts - zwischen 1180 und 1190. Der Autor des ersten "Perceval" war Chrétien de Troyes.

Der Name macht den Gralsforschenden stutzig: Troyes. Just bei der Synode von Troyes ist der Templerorden 1128, also ebenfalls im 12.Jahrhundert, offiziell bestätigt worden.

Das war nur wenige Jahre, nachdem die Templer ihre Grabungen in Jerusalem eingestellt hatten und zurück nach Europa gekehrt waren. Sind sie möglicherweise auf den Gral gestoßen? Haben sie den Gral mit nach Europa gebracht? Wusste Chrétien dies und hat in seinem Perceval-Epos in verschlüsselter Form darüber berichtet? Freilich sind das nur Spekulationen. Interessant erscheint jedoch die Tatsache, dass Wolfram von Eschenbach nur wenig später - bei seiner Version des Parzival - die Gralsritter in weißen Mänteln mit rotem Tatzenkreuz auftauchen ließ. Genau dieselbe Kleidung war das vielleicht markanteste Zeichen der Tempelritter.

Die älteste Legende des Grals spielt um die Zeitenwende, wenige Jahre nach der Kreuzigung Christi. Josef von Arimathäa, so berichten es diverse Legenden, habe eines Tages Britannien besucht. Jesus Christus selbst soll dort - vor seinen öffentlichen Auftritten - in Somerset gelebt haben.

An der Stelle seines Hauses, ein kleines Gebäude, wurde später die Glastonbury Abbey errichtet - so zumindest will es die Legende. Allerdings existieren keine realen Beweise für diese Geschichte. In einem Bericht über die Entstehung der Glastonbury Abbey ist jedoch viel von Josef von Arimathäa die Rede. Er soll, gemeinsam mit dem Apostel Philipp, 63 nach Christus auf Missionsreise in Britannien gewesen sein. Ihr Weg führte sie bis nach Glastonbury. Legenden zufolge rasteten sie aus Müdigkeit an einem der Hügel, der heute den Namen "Vearyall" trägt (veary all = alle müde). Joseph rammte dort einen Stab in den Boden, aus dem später ein Baum wuchs: der "Holy Thorn".

Joseph soll, so erzählen es die Mönche, das Gefäß des letzten Abendmahls, den "Heiligen Gral" bei sich gehabt haben. Die Rede ist dabei von übernatürlichen Kräften, die der Gral verlieh. Joseph soll das Gefäß einem Wächter anvertraut haben.

Dieser und seine Nachfolger bewahrte es mehrere Jahrhunderte auf, bis es im Zusammenhang mit König Artus im sechsten Jahrhundert wieder die Bühne der Sagenwelt betrat.

Ob König Artus wirklich gelebt hat, ist historisch umstritten. Nicht wenige verbannen ihn in die Welt der Mythen und Sagen. 1998 sorgte jedoch eine Schiefertafel für Furore. Sie wurde im Südwesten Englands gefunden: auf dem Berg Tintagel, also genau an der Stelle, an der sich die Artussage abgespielt haben soll. Auf der Schieferplatte eingraviert war der Name des legendären Königs. Ein Beweis also für seine reale Existenz? Zumindest die berühmte Tafelrunde scheint offenbar existiert zu haben. Im englischen Schloss Winchester ist sie heute zu sehen - bunt bemalt und noch recht gut erhalten. Kritiker gehen jedoch davon aus, dass jene Tafelrunde aus dem 13.Jahrhundert stammt: von König Edward I.

Nichtsdestotrotz gehört die Sage um König Artus, die Ritter der Tafelrunde und um den Gral zu der am meisten verbreiteten Lektüre des Mittelalters. Der Dichter Chrétien de Troyes war es, der die Geschichte in seinem Gralsepos "Perceval" erstmals aufgriff. Der Gral wurde als Schale beschrieben. Wolfram von Eschenbach sollte den Gral später als ein "Stein mit wundertätigen Eigenschaften" bezeichnen.

Er taufte ihn auf den Namen "lapsit exillis". Bis heute geben diese zwei lateinischen Wörter Rätsel auf. Ihre wahre Bedeutung ist nicht zweifelsfrei nachgewiesen.

Zwei religiöse Gruppierungen werden im Mittelalter mit dem Gral in Verbindung gebracht. Die Katharer und die Tempelritter. Beide sollen den Gral beschützt haben. Die Katharer waren es, die zunächst als die eigentlichen Hüter des Gral galten.

Nachdem sie durch den Albigenserkrieg im 13.Jahrhundert aber durch die Truppen Roms vernichtend geschlagen wurden, nahmen sich die Templer des Grals an - sagt wiederum die Legende.

Am Berg Montségur, der letzten Katharerfestung, sollen die Templer zum ersten Mal mit dem Gral in Berührung gekommen sein. Einen Tag vor dem Fall der Burg, die um 1244 monatelang belagert worden war, flüchteten vier Katharer mit einem Schatz. Es heißt, dass es sich dabei um den "Heiligen Gral" gehandelt haben soll und dass die Katharer diesen wenig später den Tempelrittern übergaben.

Eine andere Spur zu dem Abendmahlskelch führt in das Kloster St.Juan de la Pena: eine Urkunde von 1134 bescheinigt dem Kloster, dass es im Besitz jener Schale ist, in der das Blut Christi aufgefangen wurde: "in einem Schrein aus Elfenbein befindet sich der Kelch, in welchem Christus, unser Herr, sein Blut geheiligt hat; der hl. Laurentius übersandte ihn in seine Heimat, nach Huesca".

1135 erwähnte Ramiro II, König von Aragon, den "ex lapide pretioso" (Kelch aus Edelstein) ausdrücklich. Das Gefäß besteht aus einer aus Achat gearbeiteten Schale, die in eine goldene, mit Perlen und Rubinen verzierte Halterung eingefasst ist. Zu sehen ist es heute in der Kathedrale von Valencia in Spanien. Untersuchungen haben ergeben, dass die Schale zwischen dem vierten Jahrhundert vor Christus und dem ersten Jahrhundert nach Christus im Nahen Osten hergestellt worden sein muss. Ob es sich bei jenem Kelch aber tatsächlich um den Gral handelt, bleibt ungewiss.

Mehrere Jahrhunderte führte der Gral wiederum eher ein Schattendasein. Fast zeitgleich erlebte er im 19.Jahrhundert eine wahre Renaissance: in Südfrankreich und in Deutschland. In Rennes-le-Château sollen die Abbé Henri Boudet und Bérenger Saunière auf den Gral gestoßen sein.

In Deutschland war es der bayerische Märchenkönig Ludwig, der sich aufgrund seiner Abstammung selbst als Gralsritter betrachtete.

Ein Zeugnis dessen ist das Schloss Neuschwanstein bei Füssen. Ludwig hat es als Gralsburg bauen lassen. Jener Märchenkönig war es denn auch, der seinen guten Freund Richard Wagner zu dessen Parsival inspirieren sollte. Wagner fesselte nicht nur sein deutschsprachiges Publikum mit dieser Oper, die in vielen Kreisen heute noch als Form einer heiligen Messe angesehen wird.

Heiliger Graal auf der Isola Comacina

Während des letzten Abendmahls nahm Jesus das Brot, brach es und sprach: nehmt es und esst es, dies ist mein Leib; dann nahm er den Kelch und sprach: trinkt alle daraus, denn dies ist mein Blut, welches zur Vereinigung aller zur Vergebung der Sünden vergossen wird. Am nächsten Tag, Freitag der Passion, wurde Jesus gekreuzigt. Als er vom Kreuz genommen wurde, hüllte ihn einer seiner Jünger, Josef von Arimathäa, in ein Leintuch und trug ihn zum Familiengrab, welches er sich vor kurzer Zeit in der Nähe hat bauen lassen. Während der Körper Jesus gewaschen und zur Beerdigung gerichtet wurde, liefen einige Tropfen Blut aus der Wunde, die ihm der Befehlshaber zugefügt hatte; Josef fing sie mit dem gleichen Kelch des letzten Abendmahls auf. Josef verließ Palästina und flüchtete sich mit dem Heiligen Gral nach Britannien, wo selbiger 5 Jahrhunderte lang blieb, in Obhut der Priester der Kirche Aquae Sulis. Aufgrund des Vordringens des heidnischen Heeres im 6. Jahrhunderts wollte man ihn an einen sicheren Ort bringen. Daraufhin machte sich ein Priester auf, ihn zum Papst nach Rom zu bringen. Aber aufgrund der Invasion der Longobarden war er gezwungen, auf der Isola Comacina zu verweilen. Der erfolgreiche Widerstand gegen die Longobarden wurde dem Heiligen Gral zugesprochen, und es wurde ihm zu Ehren eine Kirche (auf der Insel) errichtet.

Aufgrund des Sieges der Longobarden versuchte man, ihn an einem vergessenen Ort im Tal Codera in Sicherheit zu bringen. Dort verloren sich seine Spuren. Den Heiligen Gral findet man in der Literatur des bretonischen Zyklusses wieder. Chretien de Troyes war der erste, der ihn 1190 in seinem Werk "Perceval de Gallois ou le Compte du Graal" erwähnte. In der Geschichte von König Artur wurde er zu einem zentralen Element.

Hübsche Geschichte, jedoch unwahrscheinlich.

Der Heilige Gral und die geheime Botschaft der Namen

Der Gral ist ein Objekt des Aberglaubens. In der Vorstellungswelt des Mittelalters ist der Gral ein mit der göttlichen Kraft Christi „aufgeladener“ Gegenstand. Der Gral gehört in die Kategorie der Reliquien, und diese sind verwandt mit den heidnischen Talismanen und Fetischen. Der Heilige Gral ist der Kelch, den Christus beim letzten Abendmahl benutzte, oder das Blut des gekreuzigten Christus, oder auch beide zusammen, wenn der Kelch das Blut Christi enthält. Es gibt aber noch andere Ansichten darüber, was der Grals ist (davon weiter unten).

Eine durch Dan Brown’s Roman „Sakrileg“ viel beachtete Deutung besagt, dass der Gral das Blut Christ in dem Sinne ist, dass unter „Blut“ die Blutverwandtschaft, also die Abstammung von Jesus gemeint sei. Der eigentliche Gral sei also das königliche Blut, das in den Adern der Nachfahren des Königs der Juden fließe.

Damit greift Dan Brown die These von Baigent, Leigh und Lincoln (in „Der Heilige Gral und seine Erben“) auf, dass der Heilige Gral (San Gral) das „sang real“, das königliche Blut Christi sei.

Das sollte sich über seine Kinder, die er mit Maria Magdalena hatte, bis zur fränkischen Dynastie der Merowinger weitervererbt haben.

Die Merowinger haben aber meines Wissens nie den Anspruch erhoben, von Jesus (und damit von Gott selbst) abzustammen. Das Buch von Baigent, Leigh und Lincoln ist Unterhaltungsliteratur, bestenfalls Geschichtsspekulation. Allerdings muss man ihnen in einem Punkt recht geben: Warum sollte Jesus keinen Freundin oder Frau gehabt haben? Vom katholischen Zölibat wusste man zu seiner Zeit nichts, und Jesus war kein katholischer Priester, sondern ein frommer Jude, dem es sehr wohl anstand, verheiratet zu sein.

Eine weitere Version des Gralsglaubens besagt, dass es sich um einen Meteor oder um einen Edelstein handelt, den „Stein der Weisen“.

Für die mittelalterlichen Gralsgläubigen von besonderem Interesse waren die Wunder- und Heilkräfte des Grals. Man glaubte, dass er Krankheiten heilen, sowie Macht, Reichtum Wissen und sogar das ewige Leben schenken könne. Interessant war für die Gläubigen die Frage: Wer besitzt den Gral und wer ist befugt und in der Lage, die Kräfte des Grals anzuwenden? Und schließlich: Wie könnte man an diese im Gral wirksame göttliche Kraft herankommen und sie zum eigenen Vorteil nutzen? Da lag es nahe, auf die Suche nach dem Gral zu gehen, also eine „quest“ zu unternehmen, wie sie in Romanen und Ritterepen beschrieben wird.

Diese Dichtungen handeln von Parzival und von den Rittern der Tafelrunde des Königs Arthur.

Die meisten dieser Werke entstanden in Frankreich und England in der Zeit zwischen 1170 und 1240. Im deutschen Sprachraum griff Wolfram von Eschenbach das Thema auf (in seinem „Parzival“). Nicht zu vergessen ist auch die Oper von Wagner „Parsifal“.

Die Gralsgeschichten sind zur Zeit der Kreuzzüge und der christlichen Wiedereroberung des maurischen Spanien entstanden. Die Gralsburg ist (nach Michael Hesemann) das am Rande der spanischen Pyrenäen gelegene burgartige Kloster San Juan de Pena.

Natürlich gibt es mehrere Kelche und Schalen, von denen behauptet wird, das von Jesus und seinen Jüngern beim Heiligen Abendmahl benutzte Trinkgefäß zu sein. Nach Michael Hesemann („Die Entdeckung des Heiligen Grals“) ist der in der Kathedrale von Valencia (Spanien) aufbewahrte „Santo Caliz“ der wirkliche und richtige Abendmahlskelch. Es handelt sich dabei um einen Achatbecher von schlichter Eleganz, der von einem mittelalterlichen Goldschmied auf einem mit zwei Henkeln versehenen Untersatz befestigt wurde. In diesen Untersatz ist als Standfuß eine Achatschale eingearbeitet, die angeblich beim Letzten Abendmahl zum Servieren von Fischen benutzt wurde.

Die Ritterdichtungen geben unterschiedliche Auskunft darüber, was der Gral eigentlich ist. Bei Wolfram von Eschenbach ist der Gral ein Stein, der vom Himmel fiel („lapis exilis“, d.h. „lapis ex coelis – Stein vom Himmel“), also ein Meteorstein - ähnlich wie der in der Ostseite der Kaaba von Mekka eingemauerte schwarze Stein. Ein Stein also, der mit der Kraft des Himmels aufgeladen ist, der Stein der Weisen, der Wissen und Macht verleiht und der aus Blei Gold machen kann.

Für andere ist der Gral eine Schale, in welcher das Blut des gekreuzigten Christus aufgefangen wurde, nachdem der römische Soldat Longinus seine Lanze (die Heilige Lanze) in die Seite Christi stieß, um zu überprüfen, ob der Gekreuzigte schon tot sei. Oder der Gral ist der Kelch, aus dem Christus und seine Jünger beim letzten Abendmahl tranken. Jesus reichte den Kelch mit den Worten: „Dies ist mein Blut, das für euch vergossen wird“. Der eigentliche Gral wäre demnach das Blut Christi.

Am plausibelsten ist, dass „Gral“ oder „Graal“ einfach nur Kelch, Krug oder Schale bedeutet. Jedenfalls hatte das Wort um 1200 in Spanien und Südfrankreich diese Bedeutung. Das Wort Gral ist verwandt mit „crater“, dem lateinischen Wort für Krug oder Becher. Die Römer übernahmen das Wort von den Griechen. Ein „Krater“ war bei den Griechen ein Mischkrug, der zum Mischen von Wasser und Wein zu benutzt wurde, denn nur Barbaren tranken den Wein unverdünnt. Auch Jesus schüttete auf der Hochzeit von Kanaan, (die übrigens seine eigene war), den Wein in die halbvollen Wasserkrüge und machte so daraus nach griechischem Brauch eine für kultivierte Menschen trinkbare Mischung. Der Gral ist eine Reliquie, und er gehört wie alle Reliquien in die Kategorie der Fetische und Talismane, und damit in das Reich des Glaubens und des Aberglaubens. Der Gral wird als ein Gefäß der göttlichen, segensbringenden Kraft betrachtet. Alle Gralsmythen gehen von der Vorstellung aus, dass es eine übernatürliche Kraft gibt, die in einem Gegenstand, oder an einem Ort oder in einem Menschen besonders konzentriert sein kann.

Gegenstände, die mit dieser Kraft aufgeladen sind, nennt man Talismane oder Fetische. Die erste und wichtigste Geschäftsgrundlage jeder Religion und Magie ist der Glaube an die Existenz einer übernatürlichen Kraft.

Wenn Jesus Christus der Sohn Gottes ist, dann muss seine Person in ganz besonderem Maß mit der göttlichen Kraft aufgeladen sein – so die religiöse Logik. Und dann muss auch das Blut Jesu in ganz besonderem Maße die göttliche Kraft enthalten. Und wenn in Sakrament des Heiligen Abendmahls aus dem Wein im Messkelch das Blut Christi wird, dann kann der gläubige Christ mit dem Blut Christi die göttliche Kraft trinken und erlangt damit letztlich das ewige Leben. Dieser magische Prozess der Transsubstantiation (Umwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi) wurde auf dem Konzil im Lateranpalast zu Rom von 1215 zum Dogma erklärt – just zu der Zeit, als die Gralsromane entstanden. Dies zeigt, dass man durch die Kreuzzüge mit heidnischer Magie in Berührung gekommen war und dass diese bis in die Kreise der Kardinale und Bischöfe Eindruck machte. Sie konnten sich dabei auf den Apostel Paulus berufen, welcher der hellenistischen Gnosis nahe stand. Paulus machte aus dem Passahmahl, das Jesus in einem Haus seiner essenischen Freunde feierte, eine griechisch-heidnisches Mysterienmahl. Der Gralsmythos ist schient ein christlicher zu sein, weil er an das Heilige Abendmahl anknüpft und davon ausgeht, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Trotzdem ist der Gralsmythos ein heidnischer Mythos, denn es geht dabei nicht um Christus, sondern um den mit göttlicher Kraft aufgeladenen Fetisch aller Fetische.

Dies ist also die religiöse Vorstellung, die hinter den Gralsmythen steht: Der Gral ist das Gefäß der Kraft Gottes. Quasi ein unerschöpflicher Kraftstoffbehälter. Wenn man so will: der Gral ist der größte und mächtigste Talisman überhaupt. Wer den Gral besitzt, kann Wunder aller Art vollbringen, erlangt das ewige Leben, göttliche Weisheit und göttliche Energie, unermessliche Macht und Reichtum. Er wird niemals krank und ist unverwundbar bzw. alle Wunden und Krankheiten werden innerhalb weniger Minuten wieder geheilt. Aber schon in den Gralsdichtungen wird dieser Wunschtraum stark eingeschränkt, denn nur der würdige und auserwählte Mensch kann die Kraft des Grals nutzbar machen – und zwar bevorzugt für andere, nicht so sehr für sich selbst.

Der Wunsch, über die göttliche Kraft zu verfügen, zumindest aber für die eigenen Wünsche und Bedürfnisse dienstbar zu machen, ist die Triebfeder für alle religiösen, magischen und abergläubischen Bemühungen. Insofern ist der Gralsmythos die Quintessenz jeder Religion und Magie. Wenn man alle Religionen einer großen Destillation unterziehen würde – heraus käme der Glaube an die göttliche Kraft. Die göttliche Kraft, enthalten im Heiligen Gral, ist das, was übrig bleibt, wenn man sich alle Götter, Halbgötter, Heroen, Heiligen, Dämonen und Geister wegdenkt: ein anonymes, unpersönliches Konzentrat an schöpferischer und zerstörerischer Energie. Die Chinesen nannten dies Kraft „Chi“ oder „Gi“ und die Ägypter sagten „Ka“ dazu.

In jeder Religion gibt es die Priester, Magier, Propheten und Gurus, die behaupten, einen besonderen Zugang zur göttlichen Kraft zu haben und die diese Kraft quasi zu verwalten (am liebsten als Monopol) und an das gemeine Volk weiterzugeben.

Als Beweis für diese Behauptung dient das Wunder.

In den Gralsmythen ist der Mensch mit dem Zugriff auf den Gral der Gralskönig, und seine Getreuen sind die Gralshüter. Der Gral ist nicht für jeden erreichbar. Wer in die Gralsburg eingelassen wird und sich am Ende dem Gral nähern darf, das entscheiden die Gralshüter. Und nur einer kann die Kraft des Grals nutzen: der Gralskönig. Er muss auserwählt sein und besondere Eigenschaften haben – die er gegebenenfalls in einer Prüfung unter Beweis zu stellen hat. Paradoxerweise kann der alte und kranke Gralskönig Amfortas die Kraft des Grals nicht nutzen, um sich selbst zu heilen, und er kann auch nicht mehr die Kraft des Grals für die Erhaltung der Bewohner der Gralsburg aktivieren. Im fehlt eine Eigenschaft, die der junge Parzival hat. Welche das ist, verraten uns die Namen der handelnden Personen.

Der Gralsmythos ist kein christlicher Mythos. Hier irrte Franz von Liszt, als er Wagners Parsifal als „zu christlich“ bezeichnete.

Wolfram von Eschenbach berichtet in dem Vorwort zu seinem Parzival: Kyot de Provence fand die Vorlage für seinen „Ur-Perceval“ in Toledo, und zwar in einem in arabisch geschriebenen Buch; dessen Autor war der „Heide Flegetanis“, ein Naturforscher, Arzt, Magier, Astrologe und „betete ein Kalb als seinen Gott an“, war also ein Anhänger eines Fruchtbarkeitskultes.

Toledo war eine Metropole der Mozaraber („Fast-Araber“). Nachdem der größte Teil der iberischen Halbinsel wieder in der Hand der Christen war, blieben viele Mauren und Juden in Spanien und bewahrten ihre Kultur weiter.

Unter den Mauren waren viele Schwarzafrikaner, die zu 90 % an Allah, aber zu 100 % an Magie glaubten.

Es gelangten nicht nur die Werke der großen arabischen Philosophen, Mathematiker und Naturwissenschaftler nach Westeuropa, sondern auch die afrikanische und orientalische Magie, wo sie sich mit den keltischen Traditionen verbanden. Wie stark das Heidnische faszinierte, könnten wir an dem etwa um 1050 beginnenden Baustiel der Romanik erkennen, deren Portale und Säulenkapitelle von Bestien und Dämonen nur so wimmeln.

Die Gralsburg „Munsalväsche“ ist nicht der „Mont de salvage“ (Berg des Heils), sondern der „Mont des sauvages“ (der Berg der Heiden). Die Gralsburg liegt nicht irgendwo im Reich von König Arthur, sondern man kann sie diesseits oder jenseits der Pyrenäen vermuten. Für Hesemann ist die Klosterburg San Juan de Pena in Aragon die Gralsburg, und nicht die Katharerburg Monstsegur.

Parzival wächst als Heide auf, er ist unverbildet vom Christentum. Er macht sich auf die Suche nach dem Gral, der göttlichen Kraft. Er findet sie nicht in einem Kloster oder bei einem christlichen Heiligen, sondern auf der Gralsburg. Dort regiert Amfortas, ein Onkel von Parzival.

Ein weiterer Onkel hat den Namen Trevrizent („Très froisant“, „sehr schauerlich“). Parzivals Halbbruder heißt Firefiz („Sohn des Feuers“). Dessen Mutter ist die schwarzhäutige Belekane (=Kanebele, also die „Kannibalin“). Parzivals Cousine ist Sigune („die Zigeunerin“).

Besonders christlich klingt das nicht.

König Arthur stammt aus dem Hause Pendragon („gefiederter“ oder „geflügelter Drache“). Der „alte Drache“ ist in der Bibel der Teufel, der als Luzifer aus dem Himmel auf die Erde geworfen wird. Arthurs Vorfahren leiteten also ihre Herkunft vom Teufel ab (einem zum Teufel erklärten Fruchtbarkeitsgott, dargestellt als Mischung zwischen Mensch und Bock.

Die Namen erzählen die wahre Geschichte. Es geht nicht um die Erlösung durch Christus und das Evangelium, sondern um die Kraft, die eher eine teuflische als eine himmlische zu schein scheint. Und so entdecken wir, hellhörig geworden, dass Parzival zwei Söhne hat, Kordeix und Loherangrin (Lohengrin). Kardeix hat „dieu dans le coeur“, aber in „Logeangerien“ wohnt kein Engel („Loge angerien“), sondern ein Teufel, zumindest aber ein Teufelsanbeter und Dämonenbeschwörer. Seine Utensilien hat er in dem Zimmer, das seine Frau nicht betreten darf.

Aufschlussreich sind auch die sexuellen Anspielungen in den Namen, die von den hochmittelalterlichen Lesern und Zuhörern sicher mit Verständnis und Ergötzung zur Kenntnis genommen wurden. Parzivals Frau heißt Conduiramurs („Liebe machen“), die Partnerin von Firefiz ist Repansedejoie („Antwort der Freude“) und Lancelots große Liebe ist Guinevere („guinde vierge“ – sie „windet die Rute nach oben“). Lancelot hat „a lot of lance“oder “uses his lance a lot”. Schon die Namen Guinevre und Lancelot lassen schon ahnen, dass die beiden ins miteinander ins Bett gehen und König Arthur betrügen werden. Lancelots Sohn heißt Galahead („= gaul ahead“).

„Gaul“ heißt in der Sprache Troubadoure die Stange, verwandt mit deutsch „geil“).

Parzivals Vater heißt Gauvain, „gaul vain“ („vergebliche Stange“), was darauf hindeutet, dass er bei den adeligen Damen nicht zum Zug kam.

Einmal im Jahr muss Amfortas den Gral hervorholen und mit Hilfe von dessen Kraft die Lebensmittelvorräte und letztlich die ganze Burg und ihre Bewohner erneuern. Dies geschieht durch einen rituellen Beischlaf mit einer Jungfrau, ganz im Stil der altorientalischen Fruchtbarkeitskulte. Der Gottkönig erneuert stellvertretend für den Fruchtbarkeitsgott die Welt, indem er den Beischlaf vollzieht.

Das ist eine magische Handlung; in Analogie zur Befruchtung einer Frau soll die Natur befruchtet werden. Aber der arme Amfortas kann nicht. Sein Name verrät es: „Amfortas“ ist „infortas“ – ohne (männliche) Kraft. Wie kam es dazu, dass Amfortas ohne sexuelle Kraft ist? Amfortas hat sich, enttäuscht über die Zurückweisung durch Orgeluse („Orgeilleuse“, die „Stolze“) im Garten der Lüste mit Klingsors Freudenmädchen eingelassen (so erzählt es Wagner’s Oper in Anlehnung an Robert der Borons Gralsgeschichte). Dabei hat er sich eine Geschlechtskrankheit geholt, die ihn am Beischlaf und am Kinderzeugen hindert. Klingsor machte also Amfortas Klinge sor („sor“ ist „wund“).

Ähnliches kann man auch aus den alten Gralsepen herauslesen. Da wird der blutende Speer zusammen mit dem Gral hereingetragen. Der Speer ist eindeutig ein Phallussymbol. Ein blutender Speer deutet an, dass Amforts geschlechtskrank war. Das ist ein Thema, das für die Zuhörer der Ritterepen, die auf dem Höhepunkt der Kreuzzüge entstanden, sicher aktuell war.

Als Folge der Kreuzzüge breiteten sich Geschlechtskrankheiten aus.

Der Fortbestand der Adelshäuser war wegen der grassierenden venerischen Infekte gefährdet. Außerdem machte den adeligen Zeitgenossen die Erhöhung der Stellung der adeligen Frauen zu schaffen, die, in Abwesenheit der Kreuzritter selbständig und selbstbewusst geworden, ihre Verehrer oft stolz abwiesen.

Amfortas kann also nicht. Jetzt ist guter Rat teuer. Die Mittel der Hexe Kundri (der Zauberkundigen) versagen. Wer soll die Stelle Amfortas einnehmen und als Gottkönig den rituellen Beischlaf vollziehen und die Kräfte des Grals freisetzen? Die Antwort: der junge, unverdorbene Parzival. Er ist mit Amfortas verwandt und kann die Linie der Gralskönige erhalten. Der Mythos vom göttlichen Blut ist, zumindest unterschwellig, legitimierende Basis jedes monarchischen Herrschaftsanspruches. Das Zeugen oder Finden eines würdigen Nachfolgers ist der kritische Punkt jeder Monarchie.

Parzivals Speer war dank seiner Enthaltsamkeit gesund geblieben. Er kann das Tal zwischen den Schenkeln der Jungfrau durchbohren („Perceval“ heißt „percer le val“, „das Tal durchbohren“). So kann Parzival einen neuen Gottkönig werden und den Dynastiegründer Titurels (der „Namensgebers“) weiter sein Schattendasein in seiner Gruft führen lassen.

Dass im Gralsmythos die Erinnerung an heidnische Fruchtbarkeitskulte steckt, gibt auch Dan Brown in seinem Roman „Sakrileg“ zu erkennen: Jacques de Saunière vollzieht im engsten Kreis der Prieurie de Sion einen rituellen Beischlaf, der von seiner Nichte als Kind beobachtet wurde.

König-Arthur- und Parzival-Literatur

1130 bis 1136 n. Chr.: Der walisische Mönch Geoffrey de Monmouth schreibt eine „Geschichte der Könige Britanniens“. Sein Auftraggeber ist Robert Earl of Glouchester, der illegitime Sohn des englischen Königs Henry I. (1100-1135). Monmouth schuf mit der Geschichte von König Arthur den Gründungsmythos der seit 1066 in England herrschenden französisch-normanischen Dynastie. Henrys Enkel, Henry II. von Plantagenet (Regierungszeit von 1154 bis 1189) war nicht nur englischer König, sondern auch Herr über Normandie, Anjou und Aquatanien, sodass sein Reich sich von Wales bis an die Pyrenäen ausdehnte. Seltsamerweise hatte man vor Geoffrey de Monmouth kaum etwas von König Arthur gehört, und jetzt sollte auf einmal dieser König nicht nur über England, sondern auch über ganz Gallien geherrscht haben. Und sein Hof und die Geschichten, die sich hier abspielten, passten viel besser ins hohe Mittelalter als in die finstere und barbarische Zeit nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches.

Der reale „König Arthur“ lebte etwa um 500 n. Chr. und war wohl nur ein Warlord oder ein walisischer Stammesfürst. Etwa um 410 n. Chr. sahen sich die letzten römischen Legionäre und die bereits christianisierten Briten einem Ansturm der heidnischen und barbarischen Angeln und Sachsen ausgesetzt. Es gelang Arthur 20 Jahre lang den Invasoren standzuhalten, dann fiel er 537 n. Chr. in der Schlacht. Wo König Arthur begraben ist, weiß man nicht, und selbst der phantasiereiche Geoffrey de Monmouth machte keine konkreten Angaben. Er ließ sogar offen, ob Arthur überhaupt gestorben sei. Jedenfalls sei er zuletzt „in Avalon“ gewesen.

Im Jahr 1125 beauftragte der Abt des Klosters von Glastonbury (in der Grafschaft Somerset) den Mönch William of Malmesbury eine Chronik des Klosters zu schreiben, wozu dieser etwa zehn Jahre brauchte. Darin hieß es dann, Arthurs Grab sei in Glastonbury.

Weder bei Monmouth noch bei Malmesbury findet sich eine Erwähnung von Parzival. Auch vom Heiligen Gral ist bei ihnen noch nicht die Rede. Dies ist erst in den ab 1170 verfassten Gralsdichtungen der Fall.

Etwa um das Jahr 1180 gab der Graf Philip von Flandern (1142 bis 1191) seinem Hofdichter Chretien de Troyes ein Manuskript eines anderen Dichters und beauftragte ihn, aus dieser Vorlage ein Werk zu schaffen. So entstand „Le Roman de Perceval ou Le Conte du Graal)“. Die Vorlage, dieser „Ur-Parzival“, wurde wahrscheinlich zwischen 1170 und 1180 von dem Troubadour Guiot de Provecne geschrieben, der ebenfalls vom Grafen von Flandern unterstützt wurde. Unklar ist, ob der Name des Dichters „Guiot de Provence“ oder „Guiot de Provins“ lautete. Provins ist eine Stadt in der Champagne. Guiot ist wahrscheinlich identisch mit dem „Kyot, der Provencale“, von dem Wolfram von Eschenbach sagt: „Kyot, der berühmte Meister der Dichtkunst, fand in Toledo in einer unbeachteten Handschrift die Erstfassung dieser Erzählung. Zuvor musste er die fremde Schrift (die arabische) lesen lernen, allerdings ohne die Zauberkunst zu studieren.“

Der Verfasser war, so schreibt Wolfram weiter, „ein Heide namens Flegetanis, der für seine Gelehrsamkeit hochberühmt war.

Dieser ‚fision’ (am besten mit dem englischen ‚physican’ zu übersetzten, also Naturforscher und Arzt) stammte von Salomon ab und war aus altem israelischem Geschlecht...dieser Mann zeichnete die Geschichte des Grals auf. Väterlicherseits war Flegetanis ein Heide und betete ein Kalb als seinen Gott an“ und „er wusste wohl Bescheid über die Bahnen der Sterne.“

Man liegt sicher nicht ganz verkehrt, wenn man in Flegetanis einen Magier und Alchemisten vermutet. Chretien starb bevor er seinen „Perceval“ vollendet hatte. In den nächsten Jahren erschienen mehrere Romane, die den Faden des „Perceval“ aufnahmen und weiterspannen. Zunächst kam Robert de Boron’s „Roman de l'estoire du Graal“ (etwa von 1180 bis 1200, also kurz nach Chretiens Werk, oder zeitgleich oder sogar davor, wie manche meinen). Um 1200 folgte dann der „Didcot-Perceval“ (benannt nicht nach dem Autor, sondern dem Manuskript-Besitzer).

Etwa um 1205 entstand in Glastonbury „Perlesvaux“ oder „Das Hohe Buch vom Gral“. Etwa um 1210 war Wolfram von Eschenbachs „Parzival“ vollendet, an dem der seit 1198 auf der Burg Wildenberg im Odenwald schrieb. 1220 bis 1230 erschien der „Vulgata-Zyclus“, und schließlich noch 1230 bis 1240 der „Roman du Gral“ und „Die Suche nach dem Heiligen Gral“.

Als Nachzügler erschien im 15. Jahrhundert Sir Thomas Malorys „Arthurs Tod“. Da der Buchdruck gerade erst erfunden war, war „Arthurs Tod“ eines der allerersten Bücher, die gedruckt wurden.

Der Gral und Nazis

Selbst die Nazis waren von dem Mythos Gral fasziniert - genauer gesagt: vom Mythos des reinen Blutes. Nicht nur Wagner, auch Lanz von Liebenfels und Guido von List haben sich dieses Themas angenommen. Heinrich Himmler machte sich angeblich die Forschungen Otto Rahns zunutze (unklar ist übrigens, ob diese Version der Geschichte den Tatsachen entspricht. Fakt ist auf jeden Fall, dass Himmler an Rahns Ketzerforschung interessiert war) und schickte mehrfach Expeditionen nach Rennes-le-Château. Ihr Auftrag: sie sollten den Gral finden und nach Deutschland zurückbringen. Sämtliche Expeditionen kehrten allerdings erfolglos zurück. Der Gralsforscher Rahn nahm sich 1939 das Leben - angeblich, weil er sein Anliegen durch das diktatorische Nazi-Regime missbraucht sah. Rahn hatte mehreren Berichten zufolge übrigens engen Kontakt zu Marie Dénarnaud, die Haushälterin des 1917 verstorbenen Abbé Saunière, der möglicherweise einer der letzten Menschen war, die das Geheimnis des "Heiligen Gral" kannten...

Zusammenfassung

Die Legende um den Heiligen Gral taucht im späten 12. Jahrhundert in vielgestaltiger Form in der mittelalterlichen Erzählliteratur im Umkreis der Artussage auf. Die Geschichte der christlich angehauchten Gralslegende und der ritterlichen Gralssuche ist deshalb nur als Literatur- und Mentalitätsgeschichte zu schreiben. Der Glaube an einen rätselhaften heiligen Gegenstand, in dem kultische Mysterien und Geheimnisse symbolisiert seien und der sich dem profanen Zugriff der Ungläubigen entziehe, ist auch heute in bestimmten Kreisen noch ungebrochen lebendig.

Die Herkunft des Wortes Gral ist nicht restlos geklärt: Am wahrscheinlichsten ist die Herleitung aus okzitanisch grazal, altfranzösisch graal 'Gefäß, Schüssel', das vermutlich etymologisch auf griechisch krater 'Mischgefäß' (über lateinisch cratalis/gradalis) zurückgeht. Im Altspanischen ist grial ebenso wie im Altportugiesischen gral ein gängiger Begriff für einen Mörser oder ein mörserförmiges Trinkgefäß.

Es gibt keine einheitliche oder originale Fassung der Gralslegende, aber die Überlieferungen haben viele gemeinsame Elemente:

Allen Überlieferungen ist gemeinsam, dass sie den Gral als ein wundertätiges Gefäß in Form einer Schale, eines Kelchs oder eines Steines (lapis) beschreiben. Zusammen mit einer rätselhaften blutenden Lanze wird er in einer unzugänglichen Burg von Gralskönig und Gralsrittern bewacht. Er soll Glückseligkeit, ewige Jugend und Speisen in unendlicher Fülle spenden.

Dieses wunderkräftige und heilige Gefäß, das ewige Lebenskraft spendet, ist jedoch umgeben von einer Gemeinschaft, die unter einem Mangel leidet. Dieser Mangel drückt sich in verschiedenen Bildern aus: dem Siechtum des Königs, der Unfruchtbarkeit des Reiches (Motiv der terre gaste, des 'Öden Lands'), der Sterilität der Gralsgemeinschaft. Daher wartet die Gralsgemeinschaft auf einen Helden, der den Gralskönig erlösen und ablösen kann.

Dieser Held, Parzival, der in sich größten Heldenmut und eine unschuldige Reinheit vereint, wächst abseits der Welt auf. Ihm fehlt der Sinn für die Wirklichkeit, diesen Mangel gleicht er jedoch durch seine Unschuld oder Naivität wieder aus, weshalb er auch "tumber Tor" oder "großer Narr" genannt wird.

Der Held verlässt sein behütetes Zuhause und wünscht sich, der bedeutendste Ritter seiner Zeit zu werden. Am Hof von König Artus wird schließlich seine Bestimmung erkannt, und obwohl er sich häufig als dummer Narr erweist, wird er zum Ritter geschlagen und in die Gemeinschaft der Tafelrunde aufgenommen. Der Held erwirbt sich Ansehen, erst durch seinen tollkühnen Umgang mit Waffen und dann durch seine naive Art, als er sich einfach auf den "Platz der Gefahr" setzt, der als tabu gilt und stets für den Auserwählten freigehalten wurde. Damit wird deutlich, dass es sich bei dem Narren nur um den erwarteten Auserwählten handeln kann. In der Artus-Sage ist dieser Platz der Gefahr ein Ort im Wald, an dem ein Amboss steht, in dem das Schwert Excalibur steckt, das nur vom legitimen Thronerben des Königs herausgezogen werden kann.

Die Handlungsstränge einzelner Gralslegenden gehen nun etwas auseinander: Entweder reitet der Held alleine los, um sich auf die Suche zu begeben, oder der Heilige Gral erscheint als strahlende Vision am Tisch der Tafelrunde, so dass sich alle Ritter bereit erklären, gemeinsam auf die Suche nach dessen Geheimnis zu gehen. Im Folgenden werden in diversen Variationen die Abenteuer der Ritter geschildert, die verschiedene Aufgaben lösen müssen. Der Held muss sich immer wieder neuen Rätseln stellen, beispielsweise die richtige Frage stellen, sich selbst treu bleiben, eine Burg erobern oder Unrecht rächen. Da in einigen Gralslegenden der Zauberer Merlin als eigentlicher Initiator der Suche nach dem Gral angesehen wird, erscheint er jeweils um helfend einzugreifen.

Ritter, die mit einem Makel behaftet sind, scheitern bei der Gralssuche.

Der Held verändert sich während der Gralssuche, er erwirbt sich zu seinem Mut und seiner Unschuld auch Erfahrung.

Zuletzt gelingt es den Rittern gemeinsam oder dem Helden allein, das Geheimnis des Heiligen Grals zu enthüllen. Durch die Taten des Helden wird der Hüter des Grals, der verletzt oder krank ist, geheilt, und das zerstörte Land erblüht wieder zu einem Paradies. Der Held wird der Nachfolger des Gralshüters.

Im Gralsmythos laufen verschiedene Traditionen zusammen. Es handelt sich um eine Mischung aus keltischen, christlichen und orientalischen Sagen und Mythen. Im hochmittelalterlichen Gralsmythos vermischen sich Anliegen des Laienchristentums und des Feudaladels sowie Versatzstücke der christlichen Liturgie (Abendmahlskelch) und des Reliquienkultes (Heilige Lanze) mit den archetypischen Bildern und generationenlangen mündlichen Überlieferungen keltischer und orientalischer Herkunft (z.B. der Kessel der Ceridwen).

Nordfrankreich war über mehrere Jahrhunderte hin ein Schmelztiegel gallisch-keltischer, romanischer, fränkischer und normannischer Bevölkerungsgruppen und ihrer Traditionen gewesen. In diesem Umfeld entstand die Artus-Sage.

Die Pilger- und Kriegszüge ins Heilige Land, die dort gesuchten Reliquien und Orte der Passionsgeschichte, die ständige Gefährdung der christlichen Herrschaft in Jerusalem, die Gründung von Ritterorden wie den Templern zum Schutz dieser Herrschaft trugen Stoff zu der Legende bei.

Außerhalb der Gralsromane gibt es eine kirchliche Überlieferung, die Josef von Arimathäa mit dem Kelch in Verbindung bringt. Diese geht auf den Bischof Amalarius von Metz zurück († um 850), der anfing, die Abendmahlsfeier allegorisch zu interpretieren. Der Altar wird hier das Grab Christi, das Altartuch das Leichentuch etc. Fassbar wird diese Überlieferung in Theologen des 12. und 13. Jahrhunderts wie Rupert von Deutz, Hildebert von Tours und William Durand. Von diesen wiederum hat Robert de Boron sein Gralsmaterial übernommen (vgl. Allen Cabaniss: Studies in English, 1963). In der Figur des Josef von Arimathäa kommt eine christliche Strömung zum Ausdruck, die abseits der offiziellen Glaubensrichtung steht. Er repräsentiert ein fernes Echo des Urchristentums, das ohne Amtskirche auskam, und das im Bild der Gralsgemeinde und ihrer Kulthandlung um das Gralsgefäß weiterlebt. Um seine Person herum verkörperte sich die neu aufkommende Strömung der Mysterienfrömmigkeit (etwa seit dem 8. Jahrhundert), die erst zur Zeit ihrer Unterdrückung durch die offizielle Kirche in die literarischen Zeugnisse eingegangen ist.

Sehr früh verband sich der Gral mit der christlichen Tradition der Eucharistie: Der Gral wurde als der Kelch verstanden, den Christus beim letzten Abendmahl mit seinen Jüngern benutzt hat und in dem Josef von Arimathäa das Blut Christi unter dessen Kreuz aufgefangen hat, wie schon früh in apokryphen Evangelientexten erzählt wurde. Der Gral stellt sich damit als eine der zahlreichen mittelalterlichen Blut-Christi-Reliquien dar (Longinuslanze, Turiner Grabtuch, Schweißtuch der Veronika, Eucharistie-Wunder von Lanciano, Blutwunder des Januarius in Neapel).

Ähnlich wie diese Traditionen gehört die Entstehung der Gralslegende mentalitätsgeschichtlich in die Entwicklung der zunehmenden Abendsmahlsfrömmigkeit des 12./13. Jahrhunderts. In dieselbe Zeit fallen auch die Formulierung und Dogmatisierung der Transsubstantiationslehre auf dem Vierten Laterankonzil (1215), die Entstehung des Fronleichnamfestes (1264 von Papst Urban IV. zum Fest der Gesamtkirche erhoben) und die Verdrängung der Kelchkommunion durch Laien (verboten erst 1415 auf dem Konzil von Konstanz, aber schon im Mittelalter zunehmend den Priestern vorbehalten, um die Gefahr versehentlichen Verschüttens des Blutes Christi zu vermeiden).

Die in Gralslegende, Transsubstantiationslehre, Fronleichnam (Fest der leibhaften Gegenwart Christi im Altarsakrament) und Priesterkelch sich ausdrückende Vorstellung von der substanzhaften Gegenwart des Blutes Christi im Abendmahl und seiner Heilswirkung ist geistesgeschichtlich von der scholastischen Hauptkontroverse im Streit zwischen Realismus und Nominalismus bestimmt, dem sog. "Universalienstreit" - der sich übrigens literarisch in dem Roman "Der Name der Rose" von Umberto Eco spiegelt.

Wie in die Artusromane sind auch in die Gralslegende alte keltische Motive eingeflossen.

Es existiert eine enge Verbindung zwischen dem Mythos des Heiligen Grals und den verschiedenen Legenden, die sich um König Artus und die Ritter der Tafelrunde ranken. Die Geschichte um das verlorene Paradies und die folgende Gralssuche als der Versuch, das Paradies wieder zu erlangen, stehen häufig im Mittelpunkt der Artuslegenden.

Sie bilden oft den Hintergrund für zahlreiche andere Legenden, so z. B. auch für die Geschichte des Zauberers Merlin, die Lebensgeschichte Lancelots oder die Erzählungen von der Fraueninsel Avalon.

Auch das Speisewunder des Grals wird auf Vorstellungen von einem magischen Trink- oder Füllhorn in der keltischen Mythologie zurückgeführt. Die Vorstellung von Wolfram von Eschenbach, der im Gral einen heiligen Stein sieht, lässt sich an orientalische Traditionen anschließen (Kaaba).

Auch die Phönixähnliche Wiedergeburt ist ein orientalisches Legendenmotiv.

Das Motiv des Grals taucht in der europäischen Literatur erstmals zu Ende des 12. Jahrhunderts auf.

Die älteste bekannte Gralserzählung ist der unvollendete mystisch-religiöse Perceval-Versroman (Le Conte du Graal) des französischen Dichters Chrétien de Troyes (vor 1150 - um 1190), für den Grafenhof von Flandern zwischen 1179 und 1191 abgefasst. Auf welche Vorformen der Sage er sich stützen konnte, ist unbekannt, sicher ist nur, dass sich Chretien auf eine zuvor existierende Quelle, ein Buch in der Bibliothek des Grafen von Flandern, beruft. So kann man auch nur mutmaßen, ob schon vor Chrétien der Gral mit der Figur des Perceval und der Artussage verbunden war oder ob Chrétien diese Bausteine selbständig zusammenfügte. Chrétien und seine Zeitgenossen kannten die Artuslegenden, die die so genannte "Matière de Bretagne", den britannischen Sagenkreis bildeten.

Die Legenden dieses Sagenkreises waren durchwoben von Begegnungen mit dem Übernatürlichen und mit magischen und mystischen Mächten. Es wird vermutet, dass Chrétien auch die irischen echtrai oder Aventüren, die ersten von Flüchtlingen auf das europäische Festland mitgebrachten keltischen Legenden, kennen lernte.

Bei Chrétien ist der Gral eine mit kostbaren Edelsteinen verzierte Goldschale, in der dem Vater des leidenden Gralskönigs (er wird Roi Pêcheur, der Fischerkönig, genannt) in einer feierlichen Prozession eine geweihte Hostie zugetragen wird, die seine einzige Nahrung darstellt. Perceval ist die Aufgabe auferlegt, seinen Onkel, den gelähmten Gralskönig zu erlösen. Er unterlässt es jedoch, die Frage zu stellen, und scheitert; der Roman bricht ab.

Die Herkunft und Bedeutung des Grals, die bei Chrétien in mysteriösem Dunkel verbleiben, hat erstmals Robert de Boron am Ende des 12. Jahrhunderts mit christlichen Aspekten ausgestattet: Der Gral sei der Kelch, der beim letzten Abendmahl verwendet wurde und in dem Josef von Arimathäa das Blut Christi vom Kreuze aufgefangen habe, wie es im Nikodemus-Evangelium berichtet wird. Später sei er dann vor den Römern mit dem Gral nach England geflüchtet. Die Lebensdaten von Robert de Boron sowie der Zeitpunkt des von ihm verfassten Roman de l'estoire dou Graal sind heute nicht mehr eindeutig bestimmbar. Es wird vermutet, dass er ihn annähernd gleichzeitig mit Chrétien de Troyes schrieb.

Das letzte Abendmahl von Leonardo da Vinci. Auf dem Bild sind keine Trinkgefäße zu sehen

Der Gral wird von Repanse de Schoye auf einem Tuch präsentiert, Bildausschnitt aus einer Parzival-Handschrift des 13. Jhs.

Sehr aufschlussreich ist das ebenfalls von Robert de Boron stammende Werk Joseph d'Arimathie, das Textkritiker zeitlich vor dem Roman de l'estoire dou Graal setzen und das damit das erste Werk ist, das den Gral als den Abendmahlskelch festlegt. Textkritische

Untersuchungen an diesem Werk zeigen, dass es auf den Acta Pilati, seit dem Mittelalter oft auch als Nikodemusevangelium bezeichnet, basiert.

Wahrscheinlich war der Inhalt der in Byzanz verbreiteten Acta Pilati über zitierende Quellen wie Vindicta Salvatoris oder Cura sanitatis Tiberii in den Westen gekommen. Ein Textvergleich zeigt, dass an den Stellen, wo in den Acta Pilati ein linnenes Grabtuch erwähnt ist, de Boron dieses durch den Abendmahlskelch ersetzt hat. Insbesondere die Stelle, wo Joseph von Arimathia durch Christus besucht wird und von ihm einen Gegenstand überreicht bekommt, ist in beiden Werken mit ähnlichen Worten wiedergegeben, mit dem Unterschied, dass der Gegenstand in den Acta Pilati das Grabtuch und im Joseph d'Arimathie der Abendmahlskelch ist.

In den Acta Pilati, 15:6, wird neben dem Grabtuch auch ein Schweißtuch erwähnt, während de Boron schreibt, Joseph von Arimathia hätte durch den Kelch überlebt und wäre dann durch Vespasian befreit worden, welchen das Schweißtuch der Veronika geheilt hätte, d.h. das Schweisstuch ist von de Boron unverändert aus den Quellen übernommen worden, das Grabtuch dagegen in den Abendmahlskelch umgewandelt worden. Die etwa 1225 geschriebene Vulgate Queste, die ihrerseits eine Variante der Werke Robert de Borons ist, lässt aus dem Gral einen unbekleideten Christus erscheinen, was kaum beim Gral als Kelch, sehr wohl aber beim Gral als Grabtuch vorstellbar ist.

In die deutschsprachige Literatur kommt das Thema etwa zwischen 1200 und 1210 durch Wolframs von Eschenbach Übersetzungsbearbeitung von Chrétiens Roman Parzival. Wolfram erweitert die Erzählung allerdings durch unzählige zusätzliche Quellen. Nicht nur knüpft er aus eigener Initiative und mit großem Nachdruck seinen Helden an das anglonormannische Herrscherhaus Anjou (Plantagenet) und zieht eine zweite Linie vom Gral zur Fürstensippe Gottfrieds und Balduins von Bouillon, sondern nennt auch, um Verwirrung zu stiften oder um eines literarischen Spiels willen, einen Dichter namens "Kyot, den Provenzalen" (wahrscheinlich Guiot de Provins, ca. 1140/50-1210) als seine Hauptquelle. Sein "Ur-Parzival" sei auch das mysteriöse Buch in der Bibliothek des Grafen von Flandern, auf das sich Chretien de Troyes berief, der aber vieles missverstanden habe.

Kyot wiederum soll in Toledo ein "heidnisches" Manuskript entdeckt und übersetzt haben, das von einem jüdischen Astronomen namens Flegetanis geschrieben worden sein soll.

Ist der Gral bei Chrétien ein Gefäß, so wird er bei Wolfram als Stein oder Steingefäß bezeichnet, das den Namen lapis exillis trägt, den Gralsrittern Speise und Trank spendet, Verbrennen und Wiedergeburt des Phönix bewirkt, allein durch seinen Anblick eine Woche vor Tod und vor Alter schützt und Ungetauften unsichtbar ist. Seine Kräfte verdankt er einer an jedem Karfreitag von einer Taube vom Himmel gebrachten Hostie, eine eindeutig eucharistische Symbolik. Auf dem Stein erscheinen die Namen der zum Gral Berufenen.

Helinandus Frigidimontis (um 1160 - 1229) berichtet in seiner Chronik von vor 1204, dass ein in Britannien lebender Einsiedler eine Vision von dem Hüter eines Kelches, Joseph von Arimathia, hatte. Mit diesem Kelch soll Joseph von Arimathia das Blut Christi am Kreuz aufgefangen haben. Die mythische Gralsvorstellung des Hochmittelalters setzt sich ungebrochen bis in die Moderne fort. Bis heute werden Versuche unternommen, seine Geschichte aufzudecken. Die Gralssuche, der in letzter Zeit zahlreiche literarische Versuche und zum Teil auch ernst gemeinte Bücher gewidmet werden, ist somit ein irrationales Signum der gegenaufklärerischen, esoterischen Strömung der Moderne.

Alle Spuren der Suche nach dem Gral führen aber nach

Die Geschichte vom Heiligen Gral

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