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Familienleben
ОглавлениеZum seelischen Scherbenberg gehörte der Verlust des Familienlebens herkömmlicher Ordnung. Dazu fuhren die Autorinnen erklärend aus, dass in den deutschen Provinzen, einschließlich der Metropole Berlin, vor dem Krieg unter den Begriff "Familie" keineswegs die Kleinfamilie fiel, wie unsere Zeit sie kennt. Zu zahlreichen Verwandten, zu Geschwister- und Schwiegerfamilien wurden enge Beziehungen unterhalten.
Verwandte waren es, die im Kriegstrubel und noch in der Nachkriegszeit notwendige Hilfe leisteten. War das Wohnhaus zerbombt, durfte man Behelfsunterkunft beim Onkel, bei einer Tante in Anspruch nehmen. Die Kleinkinder jener Frauen, die dienstverpflichtet oder zur Nahrungsbeschaffung unterwegs waren, fanden Bleibe bei den Schwiegereltern. Gegenseitiges Geben und Nehmen, ständig praktizierte Opferwilligkeit machte die Überlebensarbeit möglich. Seinerseits konnte der Frontsoldat sich mit der Gewissheit trösten – sofern es ein Trost war – dass die Seinen nicht gänzlich verlassen der Rundum-Tragödie ausgeliefert waren. Photographien von Frau und Kindern bewahrten die Soldaten sorgfältig auf, als eine Art Talisman, in der Uniformtasche.
Von 1945 an wurden die Männer nach und nach aus der Gefangenschaft entlassen.
Aber zu Jahresbeginn 1948 warteten noch 1,3 Millionen Frauen auf ihren Lebenspartner. Erst 1956 kamen die letzten Gefangenen – bis auf wenige Ausnahmen – zurück. Im Krieg, vor allem in der Gefangenschaft, wurden die Soldaten über die wirklichen Verhältnisse in Deutschland nur lückenhaft informiert. Kein Wunder, dass die Männer zuversichtlich hofften, bei ihrer Rückkehr werde sich wenigstens das Familiendasein als intakter Lebensbestandteil erweisen. Der Schock traf die Heimkehrer oft genug bereits in den ersten Wiedersehenstagen. Kleinkinder graulten sich vor dem Vater, den sie nie gesehen hatten. Halbwüchsige Söhne und Töchter gingen auf Distanz. „Ohne Vater war es schöner", flüsterten sie noch Monate später der Mutter zu. Die Ehemänner standen nun überanstrengten, zum Teil verhärmten Frauen gegenüber, die unablässig tätig waren: Heimarbeit, Haushalt, Schwarzmarkthandel. Andere arbeiteten in Betrieben, übten führende Funktionen aus.
Sie waren während der langen Katastrophenphase zu Frauen geworden, die rasche Entscheidungen fällten und nachdrücklich anzuordnen verstanden.
Die Männer spürten, dass ihre traditionelle Rolle als "Haushaltungsvorstand" verlorengegangen war. Da sie zudem entkräftet, viele chronisch unterernährt zurückgekehrt waren, mussten sie sich von ihren Frauen pflegen lassen. Nicht arbeiten, nicht die Familie ernähren können – das trieb manchen Familienvater in Depressionen. Auch und vielleicht gerade dann, wenn die Frau, die Kinder ihm zu helfen versuchten.
Kriegstrauungsehen erwiesen sich als besonders gefährdet. Zusammengelebt hatten diese Paare oft nur Tage, allenfalls Wochen. Manche Frauen hatten Freundschaften geschlossen. Allein in Berlin erreichte die Scheidungsziffer 1948 mit 15 363 Ehetrennungen ihren Höhepunkt.