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Atmosphärische Elektrizität und Radioaktivität
ОглавлениеEiner der primären Forschungsgegenstände am Physikinstitut II war die atmosphärische Elektrizität. Auch von Schrödinger wurde erwartet, dass er sich des Themas annahm. Egon Schweidler hatte eine Reihe von Beobachtungsstationen zur Untersuchung der elektrischen Leitfähigkeit der Atmosphäre aufgebaut. Sie befanden sich am Attersee, am Ossiachersee und die wichtigste bei Seeham am Mattsee, in der Nähe von Salzburg. Möglicherweise gab es einen wissenschaftlichen Grund für die Wahl der am Seeufer gelegenen Erholungsorte, sie waren aber auch über die Sommermonate für die Arbeit außergewöhnlich angenehme Orte. Schrödingers erste Arbeit zur atmosphärischen Elektrizität wurde unter der Nummer 48, in einer Serie von 78 Arbeiten aus dem Physikalischen Institut, veröffentlicht.
Viele Jahre lang hatten Physiker keine Erklärung für die Entstehung der Hintergrundstrahlung, die eine langsame Entladung der Elektroskope verursachte. Zwei Quellen der Radioaktivität wurden gefunden: eine in den oberen Schichten der Erde, zurückzuführen auf Radium, Thorium und ihre Zerfallsprodukte, eine weitere in der Atmosphäre, hauptsächlich infolge der Radiumemanation (Radium-A, heute als Radon bezeichnet) und seinen Zerfallsprodukten. Schrödingers Wiener Kollege Viktor Hess verfolgte eine andere, weitaus aufregendere Spur: eine extraterrestrische Quelle der hochenergetischen Strahlung. Hess war ein begeisterter Ballonfahrer und begann im April 1912 mit einer Serie von Aufstiegen mit Präzisionselektroskopen. Am 7. August erreichte ein Ballon eine Höhe von 4800 m, wo die Entladungsrate gegenüber der Erdoberfläche den dreifachen Wert aufwies. Hess publizierte seine Daten im November 1912 mit der Schlussfolgerung: „Die Ergebnisse meiner Messungen lassen sich am besten mit Hilfe der Annahme erklären, dass eine Strahlung sehr hoher Durchdringungsfähigkeit von oberhalb in unsere Atmosphäre eintritt.“ Somit war die Entdeckung der kosmischen Strahlung dokumentiert, wobei sie von Robert Millikan nur einige Jahre später so benannt wurde. Hess erhielt den Nobelpreis hierfür erst 1936. Schrödinger wiederum leitete einen Ausdruck für die Abhängigkeit der atmosphärischen Radioaktivität, die ihren Ursprung im Erdboden hat, von der Höhe ab – hiermit konnten die Beobachtungen von Hess verglichen werden.
Im August 1910 hatte Kohlrausch in Seeham eine Reihe von Messungen zum Radium-A-Gehalt in der Atmosphäre durchgeführt. Professor Exner bezeichnete es Erwin gegenüber als gute Idee, die Messungen Kohlrauschs an der gleichen Stelle im Sommer 1913 zu wiederholen. Somit baute Schrödinger seine Messgeräte in der Nähe seines Hotelfensters auf, ungefähr 200 m von dem Ort entfernt, an dem Kohlrausch seine Messungen durchgeführt hatte. Zwischen dem 24. Juli und dem 5. September führte er insgesamt 229 Bestimmungen durch – mit dieser mühsamen Arbeit hatte er sich zweifelsfrei seine Sporen als Experimentalphysiker verdient. Seine Aktivitätswerte entsprachen jedoch nur ungefähr einem Fünftel der Werte, die von Kohlrausch bestimmt wurden. Er erklärte:
„Ich habe dieses merkwürdige Ergebnis häufig detailliert mit meinem Freund Kohlrausch diskutiert … Es bleibt keine andere Erklärung als die, dass die Emanationen des Bodens infolge der häufigen und starken Niederschläge in dem verregneten Sommer 1913 deutlich reduziert wurden. Es blieb uns selten auch nur eine Woche, in der es nicht regnete.“
Obwohl Schrödinger sich in erster Linie als Theoretiker verstand, war er in der Lage und auch bereit, einen Beitrag zu dem Gemeinschaftsprojekt „atmosphärische Elektrizität“ des Physikalischen Instituts zu leisten. Das Projekt war wichtiger, als die Beteiligten vermuteten. Wie wir heute durch die Arbeiten von Hermann Muller und anderer wissen, ist es für die Bestimmung der Mutationsrate der genetischen Information (DNA) notwendig, beide hochenergetischen Strahlungsquellen – die terrestrische und die extraterrestrische – zu berücksichtigen.
Erwin liebte die freie Natur und die Landschaft Österreichs. Als Ausgleich für die Herumplagerei mit dem Elektroskop genoss er das Wandern in den Bergen der Umgebung und das Schwimmen im kühlen See. Die Kohlrauschs verbrachten zusammen mit den Kindern ihren Urlaub hier und unternahmen gemeinsam mit Erwin eine Vielzahl von fröhlichen Ausflügen. Bedeutender war, dass sie Erwin eine hübsche und fröhliche Teenagerin vorstellten: Annemarie Bertel aus Salzburg. Sie half, auf die Kinder aufzupassen, trug ein Trachtenkleid und wirkte wie ein armes Bauernmädchen. Ihr Vater war jedoch Hoffotograf in Salzburg und verfügte über ein gewisses Vermögen. Anny wurde am Silvesterabend 1896 geboren. Sie war überaus beeindruckt von dem jungen Wissenschaftler und dachte: „Er sieht sehr gut aus“. Zu diesem Zeitpunkt endete die Begegnung mit Erwin aber nicht in einer ernstzunehmenden Liebesbeziehung. Anny war ein Mädchen vom Lande, „praktisch ein Kind“, im Dirndl und mit Zöpfen – Erwin hingegen war ein ernsthafter Wissenschaftler, mit all den Erfahrungen der Hauptstadt. Abgesehen davon, hatte er den Verlust seiner wahren Liebe Felicie noch nicht verkraftet. Wie die Zukunft zeigen sollte, war es dennoch mehr als eine Ferienromanze.
Am 1. Oktober 1919 gab Erwin Anny eine Kopie seiner Arbeit von 1913, mit einem Zusatz in Form einer Parodie seines wissenschaftlichen Stils:
„Wie ich erst jetzt entdecke, muss sich zu dieser Zeit noch etwas anderes, von unterschiedlicher Natur, in der Luft von Seeham befunden haben. Etwas außer Radium A, B und C, von welchem mein Elektrometer allerdings keine Spur zu detektieren vermochte. Alle Anerkennung für die Entdeckung gebührt ausschließlich Fräulein Bertel (Salzburg), die die Aufmerksamkeit des Autors hierfür erregte … Eine gemeinsame Veröffentlichung der oben erwähnten Entdeckerin und des Autors wird in der nahen Zukunft an anderer Stelle folgen.“
Nachdem seine letzten Messungen abgeschlossen waren, packte Erwin eilig seine Sachen zusammen und hastete nach Wien zurück, um sich an den Vorbereitungen für einen wichtigen internationalen wissenschaftlichen Kongress zu beteiligen, der 85. Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte.