Читать книгу Hexen und Hexenverfolgung in der frühen Neuzeit - Walter Rummel - Страница 8

I. Einleitung

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Das Thema „Hexerei“ beziehungsweise „Hexenverfolgung“ erfreut sich ungebrochen großer Aufmerksamkeit. So viel Interesse für ein historisches Thema ist sicher nützlich, erleichtert aber nicht unbedingt seine Vermittlung. Ein Blick in das Internet, wo allein über 600.000 Angebote zu dem deutschen Begriff „Hexerei“ zu finden sind, lässt noch ganz andere Motive erkennen, als man sie bei einem rein historischen Interesse erwarten würde: Den Glauben an die Sache selbst (SPIEGEL-Online 3.4.2004: „Es gibt Hexerei“), den Wunsch, Hexerei selbst zu praktizieren („Willkommen im Reich der Hexen“), oder lieber in die Rolle der Folterer zu schlüpfen, wie es der Filmtitel „Hexen – bis aufs Blut gequält“ anzubieten scheint.

Dabei sind uns die Figuren der ‚bösen Hexe‘ und der ‚guten Fee‘ schon lange durch die älteren Erzähltraditionen der Märchen und Sagen vertraut. Hinzugekommen sind inzwischen neuere Fiktionen, wie Otfried Preußlers „Kleine Hexe“, welche die böse Hexenfigur rehabilitiert, oder J.K. Rowlings „Harry Potter“, in dessen Zauberwelt sich die Konflikte der normalen Welt spiegeln. Filme wie „Blair Witch Project“ spielen hingegen mit unseren Ur-Ängsten. Gemeinsam ist allen diesen Kreationen jedoch, dass sie ein offenbar unerschöpfliches und tiefreichendes Assoziationspotential haben.

Phantasien

So rufen die Begriffe „Hexe“, „Hexerei“ und „Hexenverfolgungen“ immer auch Vorstellungen auf, die hochgradig emotionale, teilweise archaische, in jedem Fall aber unreflektierte Anteile enthalten. Dazugehörige Geschichtsbilder (zum Beispiel „das finstere Mittelalter“) sind unter wissenschaftlichem Gesichtspunkt meist defizitär. Überblickt man die Vielzahl möglicher Assoziationen, so lassen sie sich in zwei Grundkategorien einteilen: In einen kritischen Typus, welcher Fragen nach Recht und Unrecht sowie dem Zusammenspiel von Kultur, Justiz, Macht und Denunziation nachgeht, und einen mystischen Typus, welcher sich in Imaginationen über Subkultur, Magie, Sexualität und dem ‚Bösen‘ schlechthin ergeht. Dementsprechend zerfällt das allgemeine Interesse, vereinfacht gesagt, in diese zwei gegensätzlichen Grundhaltungen: Einerseits Betroffenheit, ja Empörung über das historische Unrecht der Hexenverfolgung in Europa – deshalb wird auf diesem Feld mit großer Hartnäckigkeit nach Schuldigen gesucht –, andererseits Faszination über das, was Hexerei in Wirklichkeit gewesen sein soll oder gewesen sein könnte, nämlich ein (vermeintlich) real existierender Okkultismus, eine zu Ausschweifungen aller Art einladende Unterwelt, ein geheimes Refugium magischen Wissens, eine Frühform feministischer Autonomie in einer patriarchalischen Gesellschaft oder einfach nur jene uralte Projektionsfläche für das Böse, wie es die Hexenfigur im klassischen Märchen bis heute verkörpert.

Schon in früheren Jahrhunderten spiegelte die Aneignung des Themas Varianten der genannten Tendenzen wider. Darunter befand sich lange Zeit jene Überzeugung, mit der zumindest in Europa die Verfolgung vermeintlicher Zauberer und Hexen begann: Dass sie nämlich schuldig seien an vielen Übeln der Welt. Doch schon das Interesse der spätmittelalterlichen Theologen an der Aufdeckung des „Superverbrechens“ (Behringer) der Hexerei war unverkennbar von Motiven durchsetzt, die neben machtpolitischen auch esoterische, sexuelle oder sogar perverse Züge aufwiesen. In der Phase des Glaubens an die Wirklichkeit des Hexereideliktes (15.–18. Jahrhundert) begann ab dem späten 17. Jahrhundert mit der Kritik der Aufklärung eine Phase, welche das eigentliche Verbrechen nicht bei den Hexen (deren Existenz man jetzt bestritt), sondern im Sinne eines „Justizmordes“ bei ihren Verfolgern sah. Die vor diesem Hintergrund von protestantischen Gelehrten entwickelte Bewertung der Hexenverfolgungen sollte in den „Kulturkampf“ der 1870er und 1880er Jahre einfließen, als eine protestantisch-laikale Grundströmung des wilhelminischen Kaiserreiches glaubte, den nationalen Staat und die liberale Gesellschaft gegen den Unfehlbarkeitsanspruch des Papsttums verteidigen zu müssen. Eindeutig wurde in dieser Auseinandersetzung die Frage politisch instrumentalisiert, welche Konfession historisch die Verantwortung für die Hexenverfolgung zu tragen habe. Waren für die Anhänger des national-liberalen Lagers der Aberglaube und die finsteren Unterdrückungsmechanismen der Papstkirche schuld an den Verfolgungen, trugen für die Verteidiger des Katholizismus die Reformation und die ihr angeblich nachfolgende Sittenlosigkeit und Verrohung des einfachen Volkes die Last der Verantwortung.

Seit dem 19. Jahrhundert traten neben die aufgeklärte Kritik auch romantisierende oder esoterische Interpretationen. Deren Verfechter waren zwar ebenfalls um Rehabilitation der verfolgten Frauen bemüht (die männlichen Opfer interessierten kaum), stilisierten sie aber auf der Suche nach historischen Vorbildern zu unhistorischen Stereotypen. So wurden aus den „Hexen“ mal „weise Frauen“, mal germanische Priesterinnen, mal Vorkämpferinnen weiblicher Emanzipation.

Wissenschaftliche Stereotypen

Auch wissenschaftliche Erklärungen der Hexenverfolgungen sind bisweilen geprägt von Vorurteilen und mangelnder Sachkenntnis, was immer dann zu erkennen ist, wenn die Ursachen allein auf religiösen Fanatismus und klerikale Frauenfeindlichkeit oder auf Besitz- und Machtgier der Mächtigen reduziert werden. Wenn die Kirchen, insbesondere die katholische, ausnahmsweise einmal nicht alleinverantwortlich gemacht werden, dann zumindest die Vertreter der berüchtigten päpstlichen Inquisition, also jene Dominikaner und (weniger) Franziskaner, die ab dem 13. Jahrhundert zur Überführung von Glaubensabtrünnigen eingesetzt worden waren. Der Begriff „Inquisition“ gilt bis heute als Inbegriff für Machtmissbrauch, wobei wenig bedacht wird, dass es ‚die‘ Inquisition im Sinne einer totalitären, omnipräsenten Institution nicht gegeben hat. Wenn auf der anderen Seite die Mächtigen jener Zeit pauschal verantwortlich gemacht werden, meint man damit unterschiedslos die katholische Kirche als Besitz- und Herrschaftsinstitution gemeinsam mit den Fürsten und Territorialherren, obgleich mit Blick auf das spezifische Interesse an Hexenverfolgungen sehr unterschiedliche Voraussetzungen zu berücksichtigen sind (vgl. Kap. VII). Eine dritte Grundvorstellung aus dem Spektrum der großen Simplifizierungen klassifiziert die Bevölkerung als hauptverantwortlich: Sie sei entweder vom religiösen Fanatismus der Kleriker infiziert oder noch im uralten Aberglauben befangen gewesen. Allen monokausalen Ursachenvermutungen dieses Typs gemeinsam ist die Grundannahme, Hexen hätten als Sündenbock für die Krisen und Katastrophen jener Zeit herhalten müssen.

Die Hexe als Sündenbock, als subkulturelle Leitfigur, als Sozialrebell oder als bloßes Objekt in einem Schurkenstück – unverkennbar ist, wie sehr das Thema dazu einlädt, als Projektionsfläche für ganz unterschiedliche Phantasien und Deutungen zu fungieren. Von allen diesen Vorstellungen beruhte nur die Kritik der Aufklärung am Unrecht der Hexenverfolgungen auf einer bestimmten Kenntnis der historischen Sachverhalte, denn ihre Vertreter befassten sich kritisch mit den Prozessen und kamen zu dem für unsere Geistesgeschichte fundamentalen Ergebnis, dass der Vorwurf der Hexerei theologisch und physikalisch unhaltbar sei, weil der Teufel sich nicht materialisieren könne. Dies ist bis heute die unverzichtbare Grundlage einer rationalen Beschäftigung mit dem Thema. Allerdings ist die Konzentration auf die rechtliche Seite des Phänomens zu einseitig. Sie erschwert das Verständnis dessen, was Hexen und Hexerei in der Zeit der Verfolgungen in den Augen der Gesellschaft darstellten (Mentalitätsgeschichte) und worin die Vielschichtigkeit der Motive und die Dynamik der Verfolgungen begründet waren (Sozialgeschichte).

Begriffe

Dieses Buch beschäftigt sich mit den Hexenprozessen, welche während des 15. bis 18. Jahrhunderts überwiegend in Europa stattfanden. Unverzichtbar ist dabei auch die Klärung der Phantasien, welche diesen Vorgängen zugrunde lagen. Angesichts des großen Spektrums von Vorstellungen, die sich auf das Übernatürliche bezogen und immer noch beziehen, ist zunächst eine Begriffsklärung notwendig: Was verstehen wir unter Magie – Zauberei – Hexerei?

In allen Kulturen und in allen uns bekannten kulturellen Epochen ist der Glaube verbreitet, dass bestimmte Personen mit Hilfe besonderer Fähigkeiten übernatürliche Kräfte ausüben können. Die dazu gedachten Verfahren können spiritueller Natur sein oder auf bestimmten Substanzen beruhen. In jedem Fall bedarf es dazu magischer Formeln und Rituale, die nur Eingeweihten bekannt sind. Kräuterfrauen, Medizinmänner, Schamanen, GeistheilerInnen, WahrsagerInnen, Magier oder Zauberer und Zauberinnen, HandleserInnen, LosdeuterInnen, so genannte QuacksalberInnen – sie alle hatten und haben sowohl ihrem eigenen Verständnis nach als auch in den Augen ihrer Umgebung immer mit übernatürlichen Kräften zu tun beziehungsweise mit Kräften, die sich dem modernen naturwissenschaftlichen Denken verschließen. Sofern sich solche Praktiken auf Heilung von Krankheiten, Schutz vor Unglück und Wiedergutmachung von bereits eingetretenen Gebrechen und Unglück oder auf materielle Vorteile (Erntezauber, Schatzsuche) und Zukunftsschau beziehen, wurden und werden sie als „weiße Magie“ bezeichnet. Doch die Grenze zur „schwarzen Magie“ oder vielmehr zum Schadenzauber ist fließend, da die Vorteile der einen immer auch Nachteile für andere bedeuten können. Die Kräfte, welche in einem Fall nützen, beinhalten immer auch ein Bedrohungspotential für andere. Dies verschafft allen Formen von Magie eine charakteristische Zwiespältigkeit. Wer sich hier hervortut, nimmt gesellschaftlich eine Sonderstellung ein. Magisches Können bedeutet vielfach Schutz und Prestige, kann aber auch in ihr Gegenteil, in Ausgrenzung, Stigmatisierung und Verfolgung, umschlagen.

Schon ein kurzer Blick in die Sprachgeschichte Europas zeigt, welche besonderen Fähigkeiten und Dimensionen lange vor der Epoche der eigentlichen Hexenverfolgungen mit der Ausübung von Magie gedanklich assoziiert wurden. So gehen die germanischen Wurzeln des deutschen Wortes „Zauber“ auf die Bedeutung von „Schutzmittel“ zurück, während die älteste Bedeutung von „zaubern“ sich auf das Ausüben von besonderen Kräften bezieht, denen man ohne entsprechende Hilfsmittel (Schutzzauber!) ausgeliefert ist. Mit „betören“ (vgl. niederdeutsch betoveren = bezaubern) und „zauberhaft“ sind in unserem Sprachschatz noch heute Bedeutungen vorhanden, welche diese besonderen Wirkungen magischer Fähigkeiten ausdrücken. Zu der defensiven Komponente gehörte also immer auch die offensive. Die englischen Bezeichnungen „witch“ und „wizard“ für Zauberin und Zauberer gehen auf „wissen“ und „sehen“ zurück. Sie lassen vermuten, dass neben den allgemeinen magischen Fähigkeiten speziell die Wahrsagerei ursprünglich ein Kernelement dieser Zaubereivorstellung war. Ähnlich lässt sich das französische Wort „sorcellerie“ (Zauberei) über seine lateinische Wurzel sortilegium, also „Losdeutung“, direkt auf die besondere Fähigkeit der Zukunftsvorhersage zurückführen. Andere lateinische Begriffe wie Beschwörende (Incantatrix) und Kräuterfrau (herbaria) verweisen ebenfalls auf das Feld der besonderen Künste.

Nicht nur die Sache selbst (Magie) war in grauer Vorzeit vielgestaltig ausgeprägt, sondern auch die Vorstellung von der Natur der Wesen, welche man zu dieser Sphäre rechnete. Neben den dazu besonders befähigten Menschen, wie sie das niederdeutsche Wort kunstfruwe bezeichnet, begegnen Wesen, die an den Übergängen zum Reich der Geister, Gespenster und Dämonen anzusiedeln sind oder gar vollends diesem Reich angehören. So geht das deutsche Wort „Hexe“ sprachgeschichtlich auf Wortbestandteile zurück, die auf ein böses Gespensterwesen auf der Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis, Leben und Tod, Mensch und Dämon verweisen (hagazussa). Weitere zu diesem Bedeutungsfeld gehörende Begriffe bezeichnen Wesen, welche vorzugsweise nachts die Menschen heimsuchen, wie Trutten und Alpe (davon herkommend: Alptraum) beziehungsweise Mare (engl.: „nightmare“). Das lateinische strix (Eule) verweist auf die (vermeintlichen) Fähigkeiten solcher Wesen zum Fliegen, davon abgeleitet und eher menschlicher als dämonischer Natur ist dann der Begriff striga (ital.: „stregha“) für die nachfahrende Frau. Von ihr glaubte man, sie dringe nachts in die Häuser ein und raube Kinder, um sie zu verspeisen.

Hexereivorstellung

In der Epoche der europäischen Hexenverfolgungen (15.–18. Jh.) ist von diesem vielgestaltigen Kosmos kaum noch etwas in ursprünglicher Gestalt geblieben, ausgenommen das, was mit dem Beibringen von Unglück und Schaden zu tun hatte. Dieses Bedrohungspotential erscheint nun eingebettet in eine umfassende, religiöse Theorie des Bösen. Von Theologen im Übergang vom 14. zum 15. Jahrhundert ausformuliert und von den Trägern der weltlichen Ordnung nach und nach übernommen, besagt diese Theorie folgendes: Alle Magie und insbesondere die Anrufung übernatürlicher Kräfte (= Dämonen) ist eine Sünde gegen den christlichen Glauben. Wer sich trotzdem darauf einlässt, fällt von Gott ab (Apostasie) und wird ein Anhänger des Teufels (Idolatrie), der allein magische Wirkungen vorspiegeln oder real geschehen lassen kann – allerdings immer mit Gottes Zulassung (permissio dei). Um Männer und Frauen in seinen Bann zu ziehen, bietet der Teufel materielle Gefälligkeiten (wie Geld in Notzeiten) oder sexuelle Befriedigung an, wobei er sich Männern in einer Frauengestalt (succubus) und Frauen in einer Männergestalt (incubus) präsentieren kann. Ziel seiner Verführung ist es, Christen zur Aufkündigung ihres Taufbundes zu bewegen. An dessen Stelle sollen sie mit ihm einen neuen Bund (pactum cum diabolo) schließen, der dann mit einem entsprechenden Schwurritual und häufig noch in Form einer pervertierten „Eheschließung“ (Buhlschaft) sexuell vollzogen wird. Auf solche Weise schafft er eine verschworene Gemeinschaft (Sekte) von Glaubensabtrünnigen (Ketzer). Hexerei wird damit – im Gegensatz zu traditionellen Zaubereivorstellungen – zu einem stets kollektiv ausgeübten Verbrechen, zu einem Bandendelikt.

Zudem kommt der Aufmarsch zum Umsturz der göttlichen Weltordnung nicht auf stillen Wegen daher. Vielmehr gibt der Teufel seinen Anhängern Aufträge und entsprechende Mittel an die Hand, um Menschen und Natur heimzusuchen: Unwetter, Frost und Ungeziefer, welche die Ernten vernichten, oder Krankheiten, welche Mensch und Tier dahinsiechen lassen und töten. Durch Not und Elend in Depression und Verzweiflung getrieben, sollen dann umso mehr Menschen den Versuchungen Satans zum Opfer fallen.

Neben dem Pakt wird die Sekte durch nächtliche Zusammenkünfte, meist an weit abgelegenen Plätzen, zusammengehalten. Damit ihre Mitglieder schnell und unerkannt dorthin gelangen können, verleiht der Teufel ihnen die Fähigkeit, auf Besen oder auf Tieren zu fliegen (Hexenflug). Bei den Treffen auf dem „Hexensabbat“ oder auf den „Tanzplätzen“ wird stets aufs Neue dem teuflischen „Meister“ durch seine Anhänger gehuldigt, verbunden mit einem Gelage, mit Tanz und orgiastischen sexuellen Ausschweifungen der Teilnehmer. Außerdem wird auf dem Hexensabbat die Ausführung weiteren Schadenzaubers verabredet.

Entsprechend der hier sichtbaren Kombination verschiedener, aber in einen logischen Zusammenhang gebrachter Inhalte (Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft, Hexenflug, Teilnahme am Hexensabbat, Schadenzauberei) bezeichnet die neuere Forschung diese Vorstellung als „kumulatives Hexereidelikt“ und markiert damit den Unterschied zu einer universalkulturellen (Schaden)-Zaubereivorstellung, die auf einem animistisch-magischen Weltverständnis beruht. Außerdem entwickelte sich die christlich-römische kumulative Vorstellung von Hexerei zu einem komplexen Gesinnungsdelikt, zu einer Todsünde gegen die göttliche Weltordnung: Imaginationen von Magie, von dämonischen Einflüssen und von menschlichen Verbrechen wurden in einem kollektiven, religiös-moralischen Szenario vermischt, ältere Bilder dämonischer Wesen und traditionelle Vorstellungen der als Einzelfiguren gedachten Zauberin beziehungsweise des Magiers in generalisierbare menschliche Rollen umgewandelt. Auch dies hat die Sprachgeschichte konserviert, indem aus der oder dem älteren dämonischen Unhold(in) nun böse Leute wurden, also Menschen mit grundschlechten Absichten. Schließlich gehörte zur frühneuzeitlichen Vorstellung von Hexerei die Zuspitzung des Feindbildes auf das weibliche Geschlecht, obgleich nicht nur Frauen, sondern auch Männer als vermeintliche ‚böse Leute‘ in Frage kamen. Die ideologische Fokussierung auf Frauen verweist wiederum auf die religiös-moralische Erklärung der Hexenlehre durch eine Kirche, deren Theologen und Inquisitoren – allesamt Männer! – Verführbarkeit als allgemein menschliche Eigenschaft besonders auf Frauen projizierten und ihnen außerdem das Bedürfnis zur Kompensation von gesellschaftlicher Schwäche als glaubhaftes Motiv ihrer Hinwendung zum Teufel unterschoben.

Unabhängig von der Einbettung in eine solch umfassende Theorie des Bösen wurde bloße Schadenzauberei schon in der heidnischen Antike verfolgt, ebenso im frühen Mittelalter – sowohl mit als auch ohne gesetzliche Sanktionierung. In außereuropäischen Kulturen hat das Phänomen alles andere als den Charakter eines anachronistischen Reliktes. In Teilen Afrikas sind Hexenglaube und -verfolgung bis heute Stammestradition. So war Südafrika 1996 Schauplatz einer ausgedehnten Hexenverfolgung mit Hunderten von Opfern, was sogar die UNO zu Reaktionen veranlasste.

Aufbau des Buches

Davon unterscheiden sich die europäischen Hexenverfolgungen der Frühen Neuzeit nicht nur im Umfang, sondern auch in ihrer Motivation, denn nur hier war die Vorstellung existent, dass Hexerei sowohl das größte denkbare spirituell-religiöse Gesinnungsverbrechen als auch das größte Verbrechen gegen das materielle Wohlergehen der Christenheit sei. Wie es zu dieser Vermischung von Religions- und Profandelikt gekommen ist, stellt Kapitel III dar. Kapitel IV beschäftigt sich mit den juristischen Grundlagen und Problemen der Verfolgung eines spirituellen Verbrechens, eines im heutigen Verständnis „Verbrechens ohne Straftat“ (Schormann), während Kapitel V die zeitgenössische Diskussion um die Frage von Recht und Unrecht beziehungsweise Wirklichkeit oder Unwirklichkeit von Hexerei aufgreift. Wer sich zuerst einen chronologisch-geographischen Überblick über die europäischen Hexenverfolgungen verschaffen will, wird diesen in Kapitel VI finden. Kapitel VII diskutiert die ernsthaften wissenschaftlichen Erklärungsansätze und entwickelt daraus ein Faktorenmodell zur Beschreibung der überaus komplexen Bedingungen und Dynamik, welche bei der Durchführung von Hexenverfolgungen in Betracht gezogen werden müssen. Kapitel VIII unternimmt den Versuch einer Erklärung des historischen Phänomens „Hexenverfolgungen“, welche sich an den politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeiten des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit orientiert.

Doch zuvor empfiehlt es sich, in Kapitel II die überaus heterogenen Vorstellungen näher zu beleuchten, welche seit dem Ende der europäischen Hexenverfolgungen im 18. Jahrhundert das Interesse an diesem Thema aufrecht hielten, zugleich aber viele Irrtümer in der Bewertung des Phänomens erschufen, die bis heute in Umlauf sind.

Hexen und Hexenverfolgung in der frühen Neuzeit

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