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Kohärenz der Bildung aus gesellschaftspolitischer Sicht

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Wie sind die Veränderungen im Bildungssystem gesellschaftspolitisch einzuschätzen? Verfügt die Bildungspolitik über eine kohärente Orientierung, die ihr erlaubt, auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Problemlagen differenziert zu reagieren? Mit Bezug auf die berufliche und schulische Grundbildung und die primäre Integration junger Erwachsener in den Arbeitsmarkt kann die Frage für die Schweiz in der Tendenz positiv beantwortet werden, auch im Vergleich mit anderen Ländern. Die institutionellen Träger der beruflichen Grundbildung sind heute mit der Privatwirtschaft und dem öffentlichen Sektor eng vernetzt.

Einschränkungen sind jedoch beim Zugang zur beruflichen Grundbildung zu machen: Der Übergang von der obligatorischen Bildung in die berufliche Grundbildung, auch in die Erwerbstätigkeit fällt Schülerinnen und Schülern mit schwächeren Leistungen oder mit Migrationshintergrund nach wie vor nicht leicht. Sondermaßnahmen (»Brückenangebote«) lösen dieses Problem nicht zureichend, es kommt öfter zum Abbruch von Bildungslaufbahnen (Künzli & Scherrer 2013).

Probleme gibt es ferner bei der beruflichen Nachholbildung Erwachsener ohne Berufsabschluss. Nach Lindenmeyer (2013) werden die gesetzlich vorgesehenen Wege der Nachholbildung via Erfahrungsjahre, spezielle Bildungsgänge und Validierungsverfahren auch deshalb wenig genutzt, weil es den Betroffenen an Selbstlernkompetenzen mangelt, aber auch weil Begleitung und finanzielle Überbrückungshilfen fehlen.

Weitere Vorbehalte sind mit Bezug auf die soziale Selektivität der höheren Bildung anzubringen. Zwar sind Fortschritte bei der institutionellen Durchlässigkeit der Bildungswege zu verzeichnen (siehe oben). Der Zugang zur höheren Bildung ist jedoch nach wie vor in hohem Maße abhängig von der sozialen Herkunft, und zwar besonders ausgeprägt auf dem akademischen Niveau. Die Segregation des Bildungssystems nach Geschlecht ist in den letzten Jahrzehnten insofern schwächer geworden, als sich der Zugang von Frauen zu höheren Ausbildungsniveaus deutlich verbessert hat; dies schlägt sich aber nach wie vor nicht in einem gleichberechtigten Zugang zu Führungspositionen am Arbeitsmarkt nieder. Die Selektivität der höheren Bildung zeigt sich auch daran, dass im Lehr- und Forschungsbetrieb der Hochschulen Fragestellungen der Geschlechterforschung und des Feminismus nach wie vor nur am Rande existieren (Fankhauser & Schöni 2013).

Der Beitrag der Bildung zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen könnte also in vielen Bereichen gezielter und wirksamer gestaltet werden. Über die Ansatzpunkte allfälliger Korrekturen besteht allerdings wenig Einigkeit. Vielmehr werden auf dem Gebiet der Bildung grundsätzliche gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen geführt. Sie betreffen etwa die Gewichtung des schulischen und des beruflichen Bildungswegs, der Wirtschaftsbedürfnisse und der sogenannten Akademisierung (vgl. Strahm 2014). In der Analyse dieser Konfliktpunkte ist zu beachten, dass der Bildungssektor längst selber ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Seine Akteure haben keineswegs nur den Bildungsauftrag oder die Kohärenz der Bildung im Blick, sie verfolgen vielmehr eigene Einfluss- und Wachstumsinteressen.

Fazit: Das Bildungssystem nimmt Probleme der Arbeitswelt auf, um sie zu bearbeiten und Wege der Qualifizierung anzubieten. In der Abstimmung der Bildungswege und in der Steuerung der Bildungsleistungen sind in den letzten Jahrzehnten Fortschritte erzielt worden. Zunehmend definiert das Bildungssystem aber auch selber Probleme und Lernbedürfnisse, für die es »passende« Angebote bereitstellt und damit neue Geschäftsfelder besetzt. Als Folge haben die Bildungsmärkte, ob staatlich reguliert oder kommerziell, ihr Sortiment stark erweitert. So entstanden neben den großen Bereichen der formalen (Grund-)Bildung ausgedehnte zielgruppenspezifische Angebotsprogramme: Karrieremodule für Arbeitskraftunternehmerinnen, Lebensgestaltungstools fürs breite Publikum, arbeitsmarktliche Zwangsmaßnahmen für Problemgruppen usw.

Die Expansion zeitigt ambivalente Folgen. Sie kann in Teilbereichen die berufliche Handlungskompetenz der Erwerbstätigen stärken. Zugleich festigt sie bei ihnen jedoch die Vorstellung, dass Probleme der Erwerbsarbeit, der wirtschaftlichen Entwicklung oder der sozialen Beziehungen sich ohne die Teilnahme an Lernveranstaltungen nicht lösen lassen; und dass alles nur eine Frage des passenden Lernangebots sei. Werden gesellschaftliche Problemlagen in dieser Weise »pädagogisiert«, wie die Bildungswissenschaftler K. A. Geißler und F. M. Orthey schon vor einigen Jahren diagnostizierten (1998, 33f.), birgt dies das Risiko, dass nur thematisiert wird, was sich mit pädagogischen Mitteln und marktgängigen Angeboten bearbeiten lässt.

Bildungswertschöpfung

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