Читать книгу Quentin Durward - Walter Scott - Страница 9
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Die Art von Durwards Erziehung hatte weder sein Herz bilden, noch sein sittliches Gefühl stärken können. Er war zur Jagd angehalten und gelehrt worden, den Krieg als einzige ernsthafte Beschäftigung, zugleich aber auch für die größte Lebenspflicht zu halten und erlittenes Unrecht aufs grimmigste zu rächen.
Nichtsdestoweniger fühlte sich Quentin durch die Gleichgültigkeit verletzt, womit sein Onkel die Nachricht von der Ausrottung der ganzen Familie seines Schwagers aufgenommen hatte; auch konnte er nicht umhin, sich zu wundern, dass ein so naher Verwandter ihm keine Unterstützung anbot, die er doch ohne Meister Peters Freigebigkeit notgedrungen hätte, in Anspruch nehmen müssen. Gleichwohl tat er seinem Onkel unrecht, dass dieser Mangel an Aufmerksamkeit auf seine wahrscheinlichen Bedürfnisse von wirklichem Geiz herrührte. Da er selbst in diesem Augenblick des Geldes nicht benötigt war, war es Balafré auch nicht eingefallen, dass sich sein Neffe in dringender Verlegenheit befinden könnte. Er hielt einen nahen Verwandten wie Quentin zu sehr für einen Teil seiner selbst, als dass er nicht ebenso für das Wohl seines Neffen Sorge trug. Allein, was auch immer der Beweggrund sein mochte, so war diese Vernachlässigung dem jungen Durward durchaus nicht angenehm, und er hegte mehr als einmal den Wunsch, in die Dienste des Herzogs von Burgund getreten zu sein. Ehe er die Gelegenheit bekam, über Meister Peter mit Balafré zu sprechen, wurde er von der großen Glocke von St. Martins unterbrochen, obwohl er eine Frage nach der anderen auf der Zunge lag. Er sagte sich, der alte Mann sei wohl finster und unfreundlich, scharf und spottend, aber doch edelmütig und freigebig gewesen, und ein altes, schottisches Sprichwort sagt: „Besser ein freundlicher Fremder, als ein fremder Blutsfreund!“
„Ich muss den Mann ausfindig machen“, dachte er bei sich selbst, „und das kann doch kein so schweres Unternehmen sein, wenn er so reich ist, wie mein Wirt ihn darstellt. Wenigstens wird er mir hinsichtlich meines zukünftigen Verhaltens einen guten Rat erteilen können. Wenn er in fremde Länder reist, wie es viele tun, so ist das, denk ich, ebenso ein guter Dienst, bei dem es etwas zu gewinnen gibt, wie bei König Ludwigs Leibwache.“
Während Quentin seinen Gedanken nachhing, begegneten ihm zwei Männer von würdigem Ansehen, allem Vermuten nach Bürger von Tours, vor denen er respektvoll die Mütze zog. Dann bat er sie, ihm doch Meister Peters Haus zu zeigen.
„Wessen Haus, lieber Sohn?“, fragte der eine.
„Meister Peters Haus, des großen Seidenhändlers, der die Maulbeerbäume dort in den Park gepflanzt hat“, entgegnete Durward.
„Junger Mensch“, sagte der von den Fremdlingen, der ihm am nächsten stand, „Ihr habt Euer nichtsnutziges Gewerbe ein wenig zu früh angefangen.“
„Und Euch an die unrechten Leute gewendet, um Späße anzubringen!“ versetzte der andere noch mürrischer. „Der Syndikus von Tours ist nicht gewohnt, sich von herumziehenden Spaßmachern aus fremden Ländern Nasen drehen zu lassen.“
Quentin war so erstaunt über das, was er hörte, dass er darüber vergaß, über die Unhöflichkeit der beiden Männer böse zu werden, und ihnen starr nachblickte. Mit schnellen Schritten eilten die beiden Männer davon, als wünschten sie, ihn so bald als möglich hinter sich zu lassen.
Nicht lange danach begegnete er einer Gruppe Winzer und stellte die gleiche Frage. Als Antwort wünschten sie zu wissen, ob er Meister Peter den Schulmeister, oder Meister Peter den Zimmermann, oder Meister Peter den Büttel, oder auch ein halbes Dutzend anderer „Meister Peter“ meine. Als aber keiner von diesen der Beschreibung glich, die er von der Person, die er suchte, gab, beschuldigten ihn die Winzer, er wolle sich einen plumpen Spaß mit ihnen machen. Sie drohten ihn tüchtig zu verprügeln, wenn er weiter macht. Der Älteste von ihnen, der in einigem Ansehen bei den übrigen stand, sie sollten sich aller Gewalttätigkeit lieber enthalten.
„Ihr könnt an seinen Reden und an seiner Narrenkappe sehen, dass er einer von den fremden Marktschreiern ist, die jetzt ins Land kommen. Lasst ihn also in Ruhe seines Weges gehen. Ihr aber, Freund, wenn Ihr was Böses im Sinne habt, geht still und ruhig davon und behelligt uns nicht weiter mit Eurem Meister Peter. Es ist am Ende wohl nur ein anderer Name für den Teufel!“ Der Schotte sah ein, dass er hier offenbar in der schwächeren Position stand, und hielt es fürs klügste, seinen Weg fortzusetzen.
Auf einer kleinen Anhöhe, die sich über dem reißenden Cher in der Richtung seines Weges erhob, bildeten ein paar Wallnussbäume eine schone Gruppe. Neben ihr standen ein paar Landleute, starr und bewegungslos, die Augen aufwärtsgerichtet, dem Anschein nach auf einen unter den Zweigen befindlichen Gegenstand. Neugierig, wie es die Jugend ist, eilte Quentin dorthin und sollte nun das schrecklichste Schauspiel mit ansehen, das sich einem menschlichen Auge bieten kann. An einem der Baumäste hing der Körper eines Mannes, dessen Züge die Todesangst verzerrte.
„Warum schneidet Ihr denn den armen Kerl nicht ab?“, rief der junge Schotte den Umstehenden zu. So, wie er immer bereit war, seine Ehre zu verteidigen, so war er bereit, Menschen in Not Beistand und Hilfe zu gewähren. Einer der Bauern sah ihn mit einem völlig entgeisterten Gesicht an, wies mit der Hand, ohne ein Wort über die Lippen zu bringen, auf ein in der Baumrinde befindliches Zeichen. Dies sah einer Lilie ähnlich. Das Zeichen wurde jedoch von verschiedenen unverständlichen Kritzeleien umgeben. Durward, der weder dies Zeichen kannte, noch es zu entziffern verstand, kletterte auf den Baum, langte aus dem Gurt den jedem Hochländer unentbehrlichen „Skene Dhu“, einen zweischneidigen Dolch, rief den Bauern zu, den Körper aufzufangen, und schnitt den Strick mit einem kräftigen Schnitt entzwei. Die Bauern hatten wenig Sinn für menschliche Empfindung, die den jungen Schotten leitete. Statt Durward Hilfe zu leisten, ergriffen sie vielmehr, sichtlich entsetzt über diesen Eingriff das Hasenpanier. Sie kümmerten sich weder um ihn noch um den vom Baum fallenden Körper. Quentin bemerkte, dass infolge des Sturzes aus nicht unbeträchtlicher Höhe, der letzte Lebensfunke aus dem Körper des Gehenkten wich. Trotzdem gab er seinen humanen Vorsatz nicht auf, demselben zu helfen. Er löste die schreckliche Schlinge von dessen Hals, knöpfte ihm die Jacke auf, bespritzte ihm das Gesicht mit Wasser und versuchte alles Mögliche, ihn wieder ins Leben zurückzubringen. Auf einmal erklang ein wildes Stimmengewirr in einer ihm völlig unbekannten Mundart. Kaum hatte er die nötige Zeit gefunden, sich umzudrehen, als er sich ziemlich unsanft am Arme gepackt fühlte und ein Messer blitzen sah. Das Messer zielte auf seine Brust. „Elender Sklave von Eblis!“, schrie ihn ein Mann an, der von andern Männern, Weibern und Kindern umringt wurde. Ihr wildes durcheinander Schreien, war ohrenbetäubend, aber in einem grässlichen Kauderwelsch, „willst Du den Menschen, den Du ermordet hast, auch noch berauben? Dafür sollst Du büßen!“ Grimmige, verzerrte Gesichter starrten ihn an. Von allen Seiten wiesen Messer auf ihn. Den jungen Schotten verließ seine Geistesgegenwart nicht. Er wehrte sich gegen die Männer, die ihn gepackt hielten. Mit einem heftigen Ruck war er frei. Dann rief er: „Was wollt Ihr von mir, Leute? Wenn Ihr in dem Unglücklichen einen Kameraden oder Freund zu beklagen habt, so lasst Euch sagen, dass ich ihn eben vom Baume losgeschnitten. Ich habe nicht vor, mich an seinem bisschen Habe zu bereichern. Besser wär's, statt Euch mit mir zu streiten, versucht ihn wieder ins Leben zurückzurufen. Wären die anderen Bauern nicht so erbärmlich weggelaufen, so wäre der arme Kerl wohl noch am Leben. Durch den Sturz scheint ihm das Letzte davon abhandengekommen zu sein“.
Inzwischen hatten sich die Weiber über den Unglücklichen hergemacht und alles Mögliche versucht, ihn wieder ins Leben zu bringen. Ihre Bemühungen waren ebenso erfolglos wie die vorangehenden von Durward. Auch sie sahen das Vergebliche ihrer Bemühungen ein. Sie hoben nach orientalischer Sitte ein klägliches Geschrei an, rauften sich die langen Haare, während die Männer ihre Kleider zerrissen und Straßenstaub auf ihr Haupt zu schütten anfingen. Jetzt erst betrachtete Durward die Anwesenden genauer, denn es kümmerte sich niemand mehr um ihn, überzeugt von seiner Unschuld. Für Durward wäre es das Gescheiteste gewesen, sich nicht weiter um die Leute zu kümmern, sondern stumm und still seiner Wege zu ziehen. Aber daran gewöhnt, Gefahren ohne Rücksicht auf die Folgen zu trotzen und seine Neugierde zu stillen, blieb er. Er wollte wissen, wer hinter diesen merkwürdigen Menschen verbarg, die so krause schwarze Bärte hatten und von so dunkelbrauner Hautfarbe waren, dass sie ganz aussahen wie Afrikaner. Ein paar von ihnen, augenscheinlich die Anführer, trugen seltsamen Zierrat um den Hals. Ketten aus Silbermünzen und ebenso in den Ohren, dazu gelbe, hellgrüne und scharlachrote Schärpen um den Leib. Außer den langen Messern, mit denen sie ihn eben noch bedrohten, bemerkte Quentin keinerlei Waffen bei ihnen. Nur einer trug eine Art Krummsäbel oder Maurenschwert an der Seite. Er überbot die anderen an Ausbrüchen von schmerzlichem Geheul, wohl auch Drohungen, weil er des Öfteren die Hand daran legte.
Plötzlich ertönte von anderer Seite her Pferdegetrappel. Die Leute, von denen Quentin meinte, sie seien Sarazenen ließen auf der Stelle den Leichnam fallen. Ihre Klagen wandelten sich in Schreckensrufe, und die meisten von ihnen wandten sich kurz entschlossen zur Flucht. Bis auf Zweien gelang es ihnen auch, sich durch die Reiter hindurch zu schlagen! Von diesen beiden, die in die Hände der Reiter fielen, war einer derjenige, der den Krummsäbel wild um sich geschwungen hatte. Der Nächste, der von den Reitern ergriffen und ungeachtet allen Einspruchs gebunden wurde, war Quentin Durward. An der Gewandtheit, mit der sich die Soldaten dieser Verrichtung entledigten, ließ sich erkennen, dass sie keineswegs Neulinge in dieser Polizeitätigkeit waren. Quentin, der sich bestürzt nach dem Anführer der Reiterschar umsah, wusste nicht, ob er sich freuen oder sorgen sollte. In ihm erkannte er den Gefährten Meister Peters, der den Blick immer zur Erde gerichtet hielt. Welches Verbrechens diese Fremdlinge beschuldigt sein mochten, so musste dieser Beamte doch aus der Geschichte des Morgens wissen, dass Durward in keinerlei Verbindung mit ihnen stand. Allein schwieriger war die Antwort auf die andere Frage, ob dieser finstre Mann für ihn ein günstiger Richter oder williger Zeuge sein werde. Und ob er bereit wäre, seine Lage zu verbessern.
Aber es blieb wenig Zeit zum Nachdenken übrig. „Trois-Echelles und Petit-André!“, sagte der Mann mit dem zu Boden gesenkten Blick zu zweien seiner Truppe; „die Bäume hier stehen gerade recht bequem. Ich will dies ungläubige, diebische Gesindel lehren, mit des Königs Gerechtigkeit zu spaßen, wenn sie einen von der verruchten Rasse erwischt hat. Steigt ab, und tut ohne weiteres Eure Schuldigkeit!“
Trois-Echelles und Petit-André standen augenblicklich auf den Füßen, und Quentin bemerkte, dass jeder von ihnen am Schwanzriemen und Sattelknopf seines Pferdes ein Bund Stricke befestigt hatten. Sie lösten sie schleunigst ab und knüpften sie zu der verhängnisvollen Schleife, die für solche, die gehenkt werden, den letzten Halsschmuck bilden. Eiskalt rann das Blut durch Quentins Adern, als er sah, dass man drei Stricke auswählte. In der Absicht, einen davon um seinen Hals zu schlingen, wurde ihm ganz anders. Er erinnerte den Mann mit lauter Stimme an ihr Zusammentreffen am Morgen, machte sein Recht als freigeborener Schotte in befreundetem Lande geltend, und behauptete, dass er weder die Personen kenne, in deren Gesellschaft er gefangen worden, noch wisse, was sie eigentlich verbrochen hätten.
Der Mann würdigte ihn keines Blicks, sondern wandte sich ohne weiteres zu ein paar Bauern, die jetzt zum Vorschein kamen. Er fragte kurz: „War der junge Mensch da bei den Vagabunden?“
„Allerdings war er dabei, Sir“, antwortete einer der Bauern, „und mit Ew. Edlen des Herrn Generalprofos Erlaubnis, wie wir schon gesagt haben, er war der Erste, der den Schurken abschnitt, den Se. Majestät Gerechtigkeit verdientermaßen hatte aufknüpfen lassen.“
„Ich schwöre bei Gott und dem heiligen Martin von Tours“, sagte ein anderer, „dass ich ihn mit ihnen gehen sah, als sie unsere Meierei plünderten.“
„Ja, aber der Heide war doch schwarz, Vater!“, sagte ein Knabe, „und der hier ist weiß; der hatte ganz kurzes, krauses Haar und der hier hat schöne, lange Haare.“
„Das ist wohl wahr, Junge“, versetzte ein Bauer; „jener hatte auch einen grünen Mantel, und dieser hat eine graue Jacke. Aber Ew. Edlen der Herr Profos wissen ja selbst, dass diese Halunken ihr Gesicht wechseln können wie ihre Jacke, so dass ich doch immer noch der Meinung bin, es sei derselbe.“
„Es genügt“, sagte der Mann mit dem zu Boden gesenkten Blick, „dass Ihr gesehen habt, wie er sich bemühte, einen gerichteten Verbrecher ins Leben zurückzurufen. Trois-Echelles und Petit-André, macht Euch fertig!“
„Haltet ein, Herr Offizier!“, rief der Schotte in Todesangst; „hört mich an und lasst mich nicht schuldlos sterben! Mein Blut wird von Euch gefordert werden durch meine Landsleute in dieser Welt und durch die Gerechtigkeit des Himmels in der künftigen!“
„Ich werde meine Handlungen hier und dort zu verantworten wissen!“, sagte der Profoß kaltblütig, indem er mit der linken Hand den Scharfrichtern ein Zeichen gab. Dann zeigte er mit boshaftem Lächeln auf seinen rechten Arm, den er in einer Binde trug, wahrscheinlich infolge des Schlages, den er am Morgen von Durward erhalten hatte.
„Elender, rachsüchtiger Bube!“, rief Quentin, nunmehr überzeugt, dass er von ihm kein Mitleid zu erwarten habe.
„Der arme Junge ist nicht bei Sinnen!“, sagte der Profoß: „sprich ihm doch ein tröstliches Wort zu, Trois-Echelles, ehe sein Ableben erfolgt. Du bist ja in dergleichen Fällen der Richtige, wenn ein Beichtvater fehlt. Nur eine Minute erteile ihm geistlichen Rat und Zuspruch und dann fort mit ihm! Ich muss jetzt die Runde machen – Soldaten, folgt mir!“
Der Profoß ritt mit seiner Wache fort, bis auf ein paar Männer, die zurückblieben. Diese blieben, um bei der Hinrichtung behilflich zu sein. Der unglückliche Schotte sah ihm verzweifelt nach. Mit jedem schwindenden Hufschlag schwand für ihn die Möglichkeit einer Rettung. Voller Todesangst sah er sich um. Zu seinem großen Erstaunen sah er, dass seine Mitgefangenen in stoischer Gleichgültigkeit verharrten. Anfangs hatten sie ängstlich versucht zu fliehen; nachdem sie aber allem Anschein nach dem unvermeidlichen Tode entgegengingen, erwarteten sie ihr Schicksal mit unerschütterlichem Gleichmut. Die beiden Scharfrichter hatten Quentin zu dem Baum geschleppt, von dem er erst den anderen Gehenkten abgenommen hatte, und legten ihm die Schlinge um den Hals. Mit verstörtem Blick sah er sich um. „Gibt es denn keinen guten Christen hier“, riefe er, „der es dem Ludwig Lesley von der schottischen Leibwache, hier zu Lande Balafré genannt, hinterbringen möchte, dass man hier seinen Neffen schändlich umbringt?“
Gerade rechtzeitig, denn ein Bogenschütze von der schottischen Garde, den die Hinrichtung herbeigelockt hatte, stand mit ein paar anderen zufälligen Passanten da.
„Nehmt Euch in acht!“, sagte er; „ist der junge Mensch hier vielleicht ein Schotte von Geburt, so solltet Ihr nicht solchen schlechten Spaß mit ihm treiben!“
„Gott behüt‘ uns, Herr Reiter!“, versetzte Trois-Echelles; „aber wir müssen tun, was man uns befohlen hat!“
„Das kürzeste Spiel ist immer das Beste!“, sagte Petit-André und wollte Quentin aufheben. Der aber hatte die tröstlichen Worte kaum vernommen, als er seine ganze Kraft aufbot und die beiden Schergen des Gesetzes auf die Seite warf und mit gebundenen Händen dem schottischen Bogenschützen entgegenlief.
„Steh mir bei, Landsmann!“, sagte er in seiner Muttersprache, „um Schottlands und des heiligen Andreas willen! Ich bin unschuldig, bin Dein Landsmann! Steh' mir bei, wenn Du es nicht dereinst am Jüngsten Tag zu verantworten haben willst!“
„Beim heiligen Andreas!“, rief der Bogenschütze; „sie sollen nicht an Dich kommen, so lang ich lebe!“ Mit diesen Worten zog er sein Schwert.
„Mach mich von den Stricken frei“, sagte Quentin, „und ich kann mir allein helfen.“
Der Strick war schnell zerschnitten und Quentin sprang auf einen Schergen des Profoß los und entriss ihm die Hellebarde ...
„Und nun“, rief er, „kommt heran, wenn Ihr es wagt!“
„Reite Du dem Generalprofos nach!“, sagte Trois-Echelles zu seinem Gefährten Petit-André, „ich will sie einstweilen hier aufhalten. Soldaten von der Wache! Ergreift die Waffen!“
Petit-André bestieg sein Pferd und verließ den Schauplatz. Die übrigen Leute von dem Gefolge des Profos zogen sich auf Trois-Echelles Befehl eilig zusammen. Bei der daraus entstandenen Verwirrung entschlüpften die beiden anderen Gefangenen.
„Sagt mir doch“, wandte sich der Bogenschütze an den Scharfrichter, „was hat der junge Mensch denn eigentlich verbrochen?“
„Er hat sich unterfangen, den toten Körper eines Verbrechers abzunehmen, trotzdem der Baum, an dem ich ihn aufgehängt hatte, mit der Lilie bezeichnet war.“
„Junger Mann?“, sagte der Bogenschütze, „wie kommt Ihr dazu, solche Ungebühr zu verüben?“
„So wahr ich Euren Schutz wünsche“, antwortete Durward, „will ich Euch die Wahrheit sagen, wie meinem Beichtvater. Ich sah einen Menschen an dem Baum zappeln und schnitt ihn ab, aus bloßer Menschenliebe. Ich habe weder an die Lilie noch sonst eine Blume gedacht, oder gar, dass ich dadurch den König von Frankreich, oder unsern Heiligen Vater, den Papst beleidigte.“
„Aber zum Henker, was ging Dich denn der tote Körper an? Wo der Henker arbeitet, wirst Du dergleichen immer wie Äpfel an den Bäumen hängen sehen, und Du hättest wahrscheinlich hier zu Land viel zu tun, wenn Du hinter dem Henker eine Ährenlese halten wolltest. Ein Wort, Herr Gerichtsmann! Es ist ein Missverständnis, wie Ihr seht. Ihr solltet Mitleid haben mit einem so jungen Reisenden. In unserem Land ist er nicht gewohnt, dergleichen schnelle Prozedur, wie die Eure und die Eures Meisters, zu sehen.“
„Weil sie dort etwa nicht nötig wären? Nein! Herr Bogenschütze!“, sagte Petit-André, der in diesem Augenblicke zurückkehrte. „Nicht gezögert, Freund Trois-Echelles! Da kommt der Generalprofoß. Wir werden gleich sehen, was er dazu sagt, dass ihm das Werk aus der Hand genommen worden, eh' es noch vollendet war.“
„Da kommen auch zufällig ein paar von meinen Kameraden!“, versetzte der Bogenschütze. Wirklich nahten, als der Profos Tristan mit seiner Patrouille auf der einen Seite des Hügels heraustritt, der der Schauplatz des Streits war, vier oder fünf Bogenschützen auf der andern mit Balafré an ihrer Spitze auf.
In dieser misslichen Lage zeigte Lesley sich nicht gleichgültig; denn kaum hatte er bemerkt, dass er sich in einer Notsituation befand, rief er: „Cunningham, ich danke Dir! Kameraden! Steht mir bei! Es ist ein junger schottischer Edelmann, mein Neffe. Lindesay! Guthrie! Tyrie! Zieht und haut zu!“ Die Aussicht zu einem ungleichen Kampf zwischen den beiden Parteien war nun gegeben. Die Anzahl der Kontrahenten auf beiden Seiten war nicht gleich. Die besseren Waffen der Schotten würden ihnen jedoch zum Sieg verhelfen. Der Generalprofos, entweder, weil er den Ausgang des Gefechts fürchtete, oder weil er sich sorgte, es möchte dem König unangenehm sein, dass es zwischen seinem Profos und seiner Leibgarde zu Blutvergießen kommt, gab seinem Gefolge ein Zeichen, keine Gewalt anzuwenden. Er stellte aber Balafré die Frage, was er, als ein Ritter von der königlichen Leibwache damit bezwecke, sich der Hinrichtung eines Verbrechers zu widersetzen?
„Ich bezweifel, dass dem so ist!“, versetzte Balafré. „Beim heiligen Martin! Es ist doch ein Unterschied zwischen der Hinrichtung eines Verbrechers und der Ermordung meines eigenen Neffen!“
„Euer Neffe kann ebenso gut ein Verbrecher sein, wie jeder andere“, sagte der Generalprofos „und jeder Fremde ist den Gesetzen Frankreichs ebenso unterworfen, wie jeder andere Bürger Frankreichs.“
„Ja, aber wir haben Privilegien, wir schottischen Bogenschützen“, sagte Balafré; „ist dem nicht so, Kameraden?“
„Allerdings, allerdings!“, riefen alle zugleich. „Privilegien – Privilegien! Lang lebe der König Ludwig! Und Tod allen, die uns unsere Vorrechte schmälern wollen!“
„Aber seid doch vernünftig, Ihr Herren“, sagte der Generalprofos; „und bedenkt meinen Auftrag!“
„Von Euch nehmen wir keine Vernunft an!“, entgegnete Cunningham, „unsere eigenen Offiziere sollen uns Vernunft lehren. Wir wollen von des Königs Gnaden gerichtet werden, oder durch unseren eigenen Kapitän, da jetzt der Großkonnetable nicht zugegen ist.“
„Und von niemand gehängt werden“, sagte Lindesay, „als von Sandie Wilson, dem alten Profos von unserm eigenen Korps.“
„Aber so hört doch nur“, sagte der Generalprofos, „der junge Mensch hat mit Euch nichts zu tun, und kann keine Ansprüche auf Eure Privilegien nehmen.“
„Er ist mein Neffe“, sagte Balafré mit triumphierender Miene.
„Aber soviel ich weiß, kein Bogenschütze von der Leibwache“, versetzte Tristan l'Hermite.
Die Bogenschützen sahen zweifelhaft einander an ... „Nur standhaft, Vetter“, flüsterte Cunningham Balafré zu, „sprich, er sei bei uns angeworben.“
„Beim heiligen Martin! Du hast recht, Vetter!“ entgegnete Lesley, und mit lauter Stimme schwur er nun, dass er diesen Tag seinen Verwandten als Gefolgsmann angenommen habe. Diese Erklärung war ein entscheidender Beweggrund, und Profos Tristan, der des Königs Besorgnis vor einem Zwist unter seiner Leibwache kannte, brach mit seinen Leuten auf, während die Bogenschützen zurückblieben und eilig beratschlagten, was als Nächstes zu tun sei. „Vor allen Dingen“, hieß es, „müssen wir die Sache unserm Kapitän Crawford berichten und dann den Namen des jungen Menschen in unsere Liste eintragen lassen.“
„Aber, werte Freunde und Retter“, sagte Quentin, „ich habe mich ja noch gar nicht entschieden, ob ich bei Euch in Dienste treten will oder nicht.“
„Dann musst Du darüber eins werden, ob Du's tun oder hängen willst“, versetzte sein Onkel; „denn sonst, lieber Neffe, bleibt Dir wohl kaum ein Ausweg aus dieser Klemme übrig.“
Das war ein unwiderleglicher Beweisgrund, der Quentin in die Notwendigkeit versetzte, sich in eine Verpflichtung zu fügen, in die er sonst nicht gern gewilligt hätte.
„Jetzt zum Schloss!“, sagte Balafré; „unterwegs soll uns mein Neffe erzählen, wie er sich den Generalprofos auf den Hals gehetzt hat, damit wir wissen, wie wir unseren Bericht an Crawford einreichen müssen.“