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III

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Als sie, einer plötzlichen übermütigen Laune folgend, in einem vornehmen Restaurant der Avenue des Ternes déjeunierten17, fragte Bichette, das Weinglas an den Lippen: »Warum hast du mir eigentlich diese Kappe gekauft?«

Fec fluchte innerlich darüber, dass er errötete. »Ich ... Das kam so ganz von selber ... Vielleicht auch, weil ich ... Nein, ich weiß es wirklich nicht.«

Bichettes Augen verdunkelten sich genießend. »Ich glaub es dir. Ich glaub es dir, weil du rot geworden bist.«

Die Zähne Fecs begannen zu mahlen, während er langsam den Blick hob. »Hör, Bichette, ich habe das Geldn ... Ich habe Geld von dir genommen, noch bevor ich wusste, was du vor der ... was du nach der Bijouterie ... was du eben dort gesagt hast. Als ob ich das schon gewusst hätte ... dass du so denkst. Das hat mir nämlich sehr gefallen. Ja, das Leerlaufen ist blödsinnig. Wenn man nichts mehr haben will, wenn man nichts mehr machen will, geht man besser um die Ecke, in den Duft. Aber bei mir war das anders. Das ist schon seit zwei Jahren so. Vorher habe ich sehr viel gemacht. Bis ich eben alles satt hatte. Alles. Alles. Alles. Da war dann das Leerlaufen geradezu Wollust für mich. In den letzten Wochen aber hatte ich auch das satt bekommen. Freilich, ohne es mir einzugestehen. Was dein Weinkrampf heute war, das weiß ich. Eh ben, wenn du es wissen willst: dass ich dir die Wollkappe kaufte, das war für mich genau dasselbe wie für dich der Weinkrampf. Damit, mit solchen Selbstüberraschungen warnt man sich. Davor nämlich, dass es nicht mehr so weitergeht. Ich habe jetzt die Wahl – in den Duft ... oder – wieder etwas zu wollen, wieder etwas zu machen.«

Bichette bekam mit einem Mal ein ganz verstörtes Gesicht. »Ja, Fec, ja, Fec, machen wir doch etwas! Etwas Neues! Etwas ganz Neues! ... Machen wir doch – uns!«

»Uns – machen?« Fec erstaunte bis in die Lippen.

Bichettes Hände fingerten wie irr den Rock hinab. Ihre Augen flackerten.

*

Sie hatten ohnehin ein wenig Aufsehen erregt. Man ist zwar in Paris an sehr vieles, das andernorts Zusammenrottungen verursachen würde, schlechtweg gewöhnt; ein höchst nachlässig gekleidetes Paar aber fällt in einem erstklassigen Mode-Restaurant auch in Paris auf. Ihre Gesichter, die in diesem Milieu sofort sozusagen dominierten, und das sichere Auftreten Fecs hatten den Maître d’Hôtel jedoch schnell entwaffnet; die Lebhaftigkeit ihrer Unterhaltung, welche durchaus gegen die Lokalusancen verstieß, besonders das überaus kräftige Mienenspiel Bichettes hatten dann aber neuerdings unliebsame Aufmerksamkeit hervorgerufen.

Der Tischkellner pirschte sich geschickt heran und schob, ein sehr deutlicher Wink, den kleinen Teller mit der zusammengefalteten Note auf den Tisch.

Als er sich, etwa drei Schritte entfernt, aufgestellt hatte, rief ihn Fec. »Wenn der Maître d’Hôtel sich nicht augenblicklich entschuldigt, werde ich dem Direktor meine Karte schicken.«

Der kleine Teller verschwand im Nu.

Der Maître d’Hôtel kam eiligst und entschuldigte sich devot. Fec würdigte ihn keines Blickes.

Sämtliche Anwesende gaben sichtlich ihre feindselige Haltung auf.

Bichettes Lippen bewegten sich fest auf einander. Ihre Augen waren halb geschlossen, während sie leise sagte: »Fec, wir machen uns.«

Fec lachte ungeniert aus vollem Hals.

Dieses scheinbar pöbelhafte Triumphieren missfiel einem Herrn, dessen Spezialität es vermutlich war, Saloncourage zu zeigen. Er schritt, sich selbstgefällig in den Knien wiegend, auf Fec zu und fragte ihn sehr laut, wann der Rapide nach Angoulème, das französische Posemuckl, abgehe.

Fec erblasste. Seine Finger erzitterten. Aber er fühlte penetrant, dass es komisch wäre, diesen Laffen zu ohrfeigen. Sein Gehirn tobte.

Plötzlich erhob er sich und seine Stimme war überall zu hören, als er in korrektem Französisch und mit liebenswürdigster Betonung antwortete: »Gehen Sie durch diese Tür dort und dann quer über die Straße in jenes Reisebureau, wo man Ihnen sicherlich so höflich Bescheid sagen wird wie einem gebürtigen Angoulèmer.«

An allen Tischen beschäftigte man sich miteins heftig mit den Speisen.

Ein sehr alter Herr näherte sich Fec, ein Glas Wein in der Hand, und stieß mit ihm an. Und eine junge hübsche Dame rief aus dem Hintergrund des Saales: »Bravo!«

Bichette atmete nicht.

Fec verlangte jetzt die Note.

*

Sie fuhren im Taxi, die Zungen in einander verwühlt, auf den Montmartre zurück. Vor das Aëro-Hotel. Bis sieben Uhr abends lagen sie im Bett.

In der Liberty’s Bar auf der Place Blanche nahmen sie, viel bemerkt und deshalb vergnügt schweigend, den Apéritif; aßen dann aber in einem kleinen Bouillon der Rue Lépic.

Gegen elf Uhr erschienen sie auf dem Tanzboden der Moulin de la Galette. Sie ließen keinen Tanz aus. Sie tanzten bis vier Uhr morgens. Mit einander.

*

Bei ›Léon‹ war es ›grün‹, als sie eintraten. Nur hinten in einer Ecke saßen zwei alte Weiber.

Jean kam, verschlafen und grunzend, einhergeschwenkt. Als er Fec erkannte, lächelte er wissend. »Aber gebt acht! Die Gaby ist wütend.«

»Weißt du etwas?« fragte Bichette verdrossen.

»Wieso. Ich würds euch doch sagen.«

Bichette war müde. Fec angetrunken.

Sie lehnten, gegen einander gesunken, auf der Bank und lächelten unbestimmt. Bichettes Lächeln zerfiel langsam und blieb nur noch um die Augen liegen. Das Fecs zog sich ruckartig über das ganze Gesicht und wurde schließlich hässlich und steif.

Dann räusperte er sich mehrmals, wobei die Finger seiner rechten Hand wirr in die Luft stachen. »Ha, nur eine Frau, die am offenen Fenster wäscht, wird nie hineinfallen ... vorausgesetzt, dass das nicht ihr Truc18 ist. Aber auch wenn es nicht ihr Truc ist, kann sie hineinfallen, denn es ist kein übler Truc, keinen zu haben. Du verstehst mich, Bichette ... Ich habe übrigens bemerkt, dass die Langeweile die Leute schärft und dass ein Beefsteak verblödet. Es steckt immer etwas dahinter. Um zu reüssieren, mache man also die Leute vorerst scharf. Sie verblöden hierauf und vollgefressen erwischt man sie. Worauf man sie hat. Indem man sich hinter sie steckt. Denn es steckt nichts dahinter. Oder sollte man sich darüber wundern, dass alle Damen fette süße Speisen lieben und ... und ... Konfekt ...?«

Bichette spitzte bösartig die Lippen, setzte sich knurrend auf und riss ihre Hand aus der Fecs. »Schnock!«

»Eh ben.« Fec warf sich auf ihre Hand und zerrte sie zu sich heran.

»Lass mich los!« Bichette stieß mit den Füßen nach ihm.

»Dageblieben!«

Bichette versuchte, in seine Hände zu beißen, und spuckte, als es misslang, ihm mitten ins Gesicht.

»Crotte!«

»Lass mich los!« Bichette machte eine letzte rasende Anstrengung, um sich zu befreien.

Aber Fec ließ nicht locker. »Aus einem papierenen Lichtschirm ...«

»So lass mich doch los«, wimmerte Bichette zusammensinkend.

»Aus einem papierenen Lichtschirm, der an drei Seiten angebrannt war, machte sie sich mit sechzehn Jahren einen Hut, der ihr den ersten reichen Freund verschaffte. Ja, so ist das Verkehrsleben ... Hör, Bichette, das war aber nicht meine süße Wäscherin aus der Rue Nollet. Die hab ich ganz furchtbar geliebt. Wenn ich sage – geliebt, so heißt das ... Sie hatte etwas in den Augen wie du. Crotte alors!19 Anders. Aber vor ihr ging es mir gut. Ich konnte reden. Reden. Reden. Reden. Fast so wie jetzt. Und wenn ich mit ihr Arm in Arm im Bois spazieren ging, war mir wohl. Crotte! Selbstverständlich war mir nicht wohl. Aber bei ihr fühlte ich wenigstens schon irgendwie, warum mir nicht wohl war und nie wohl sein würde ... Hör, Bichette, ich liebe auch dich nicht. Ich habe nie, nie, nie in meinem ganzen Leben jemanden wirklich geliebt. Warum? Das ist ganz außerordentlich leicht zu begreifen: weil ich sonst ein entsetzliches Rhinozeros gewesen wäre ... Aber du hast recht, Bichette, auch ich halte es einfach nicht mehr so aus. Es muss etwas geschehen. Es muss etwas gemacht werden ... Eh ben, Bichette, ich weiß, was zuerst geschehen muss, was zu allererst gemacht werden muss. Errätst du es? Ja, wir werden uns machen. Du warst ingeni ... ingeniös. Hör, Bichette, wir müssen uns – lieben! Das muss – gemacht werden. Das ist ganz außerordentlich einfach, wenn man so genau und sicher weiß wie wir, dass es durchaus unmöglich ist, einander zu lieben ... Du verstehst mich, Bichette ... du ...«

Bichette wischte ihm die Lippen mit der Hand trocken. »Fec, ich bitte dich, komm! Gehn wir doch schon!«

Fec stieß sie unwirsch von sich. Plötzlich packte er ihre Ellbogen, presste sie nach hinten und fauchte ihr ins Gesicht: »Bichette, hörst du, ich liebe dich ... Und du liebst mich ... Abgemacht?« Speichel rann ihm aus den Mundwinkeln.

Bichettes Kopf fiel müde auf seine Schulter.

Da schrie Fec ganz leise auf ihren Mund: »Sag mir sofort, dass du mich liebst! Dass du mich immer lieben wirst! Dass du es wollen wirst!«

Bichettes Kopf sank noch tiefer. Dabei sagte sie langsam und laut: »Ja, Fec, ja, Fec, ich ...« Und mit einem Mal brüllte sie auf: »Abgemacht!«

Fec grölte, ließ sie fahren und soff.

*

Der kleine Pimpi, von dem man nicht wusste, wie er in Wirklichkeit hieß, lehnte bereits seit einiger Zeit beobachtend an der Bar und setzte sich nun neben Fec, in der Absicht, beruhigend zu wirken. Er war der einzige gewesen, der Fec weder für harmlos gehalten hatte noch für einen Trottel.

»Kinder, seht ihr aus wie gesogen aus den Pfoten, jo. Wo hat ihm stattgefunden?« Pimpi lachte in einer überaus angenehmen Art.

Fec riss eine Grimasse. »Trink! Und tu etwas für deinen Namen!«

»Warst du in England. Habe ich gezweifelt nicht sehr, verehrtem Meister.«

»Aber ich.« Fec gurgelte mit Wein. »Man soll nie genau wissen, was einmal los war.«

»Jo. Bin ich sehr für schlechtem Gedächtnis aus Berufs wegen.«

»Pimpi, großer Pimpi, wo ist dein Büchsenfleisch ... wo ist ...«

Bichette legte sich über den Tisch und beide Hände auf Pimpis Arm. »Hilf mir, ihn fortzubringen.«

Pimpi, dessen Ohren sich leise bewegten, blickte teilnehmend sachlich. »Wo wohnt ihm?«

»Kaum zwei Zigaretten weit«, sagte Fec so ruhig, dass beide verwundert schwiegen.

Da stand mit einem Mal der herkulische Körper des Japaners breitspurig vor dem Tisch. Seine Fäuste waren in den Hüften aufgestemmt, die grünlich schillernden Äuglein unverwandt auf Fec gerichtet.

Bichette suchte ihr Messer. Sie grinste wütend, als ihr einfiel, dass Fec es eingesteckt hatte.

Pimpi, der nicht orientiert war, begrüßte den Japaner, den er für besoffen hielt.

Der versetzte ihm mit gesteifter Hand einen wuchtigen Swing unterhalb des Ohrs auf den Hals, so dass Pimpi ohnmächtig zu Boden sank.

Bichette fuhr mit einem kleinen durchdringenden Schrei empor und blieb, am ganzen Körper zitternd, stehen.

Fecs Augäpfel traten weit hervor. Sein Kinn zuckte merkwürdig, während er schnell mit der Linken auf den Tisch wies.

Als der Japaner, den Kopf ein wenig vorneigend, hinsah, ergriff Fec sein volles Weinglas und goss ihm den Inhalt in die Augen. Fast gleichzeitig warf er den Tisch um, legte sich an die Wand zurück und stieß seinen rechten Fuß mit solcher Gewalt auf den Magen des Japaners, dass dieser stöhnend nach hinten taumelte und besinnungslos über einen Stuhl fiel.

Fec, der durch die Wucht seines Stoßes zu Boden gestürzt war, sprang auf, rief dem feixend herbeieilenden Jean zu, Pimpi wegzuschaffen, bevor der Japaner zu sich käme, und rannte mit Bichette hinaus.

*

Fec hatte die feuchte Morgenluft fast nüchtern gemacht; Bichette, die sich sogleich von ihm losgerissen hatte, eigenartig verbissen. Auf ihre Füße blickend, folgte sie ihm in einem Abstand von drei Schritten.

Fec nahm ein Zimmer in dem schräg dem Aëro-Hotel gegenüber liegenden Hotel Puget, da er befürchtete, der Japaner würde nicht lange auf sich warten lassen.

Bichette warf sich todmüde über das Bett.

Fec lehnte sich an den Schrank und streichelte schmatzend seine Wangen. ›Wie angenehm es wäre, wenn jetzt das Haus zusammenstürzte,‹ dachte er flüchtig und lächelte darüber.

Die Straße herauf zog das Rumpeln eines schweren Karren. Das ganze Zimmer begann zu zittern.

Fec presste, gequält atmend, die Hände auf die Ohren.

»Hältst dir die Ohren zu, wenn ich mit dir rede?« schrie plötzlich Bichette und setzte sich zornsprühend auf.

Fec ließ, matt grinsend, die Hände sinken. »Nein. Das tat ich wegen ...« Er wies mit dem Kopf kurz nach dem Fenster. »Aber, was hattest du mir denn gesagt?«

Bichette blickte mit stolzer Ausdruckslosigkeit an ihm vorbei auf die Wand. Dann bewegte sie höhnisch eine Achsel und ließ den Kopf auf die Kissen fallen.

Fec war es, als hätte er ein paar Sekunden lang gefühlt, was sie ihm nicht hatte wiederholen wollen. Aber es gelang ihm nicht, sich dieses Gefühls zu erinnern. Dennoch versuchte er es immer wieder. Er stand so lange am Schrank, bis ihm die Augen brannten.

Die Tigerin – Eine absonderliche Liebesgeschichte

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