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PROLOG

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›Das Blut ist viel dunkler als im Kino.‹ Das ist mein erster Gedanke. Ich sehe unscharf meinen Nasenrücken, davor etwas Nasses. Im Nassen, überdeutlich zu sehen, in Großaufnahme, einen kleinen Stein. Der Stein ist schwarz, um den Stein ist eine dunkelrote Flüssigkeit. Ich habe keinen Zweifel, dass es Blut ist, keine Ahnung, warum ich so sicher bin. Undeutlich erkenne ich, dass sich auf meinem Nasenrücken etwas bewegt, etwas Rotes kriecht langsam in Richtung Stein. ›Meine Nase blutet‹, grüble ich, langsam, wie in Zeitlupe. ›Nein, das Blut rinnt nicht aus der Nase, es rinnt über die Nase‹, denke ich überrascht ein paar Sekunden später. ›Irgendetwas stimmt nicht‹, sinniere ich und mache die Augen zu, ich bin so müde.

»Nau, servas, des wor a Klescha«, höre ich im breitesten Ottakringer Dialekt.

»Lebt er?« fragt eine zweite Stimme.

»Ka Aunung, bewegen tuat er sie net.«

Ich realisiere, dass die Beiden über mich sprechen. Mühsam öffne ich wieder die Augen.

»Jetzt hot ah die Augn aufgmocht.«

»Gott sei Dank.«

Der Fleck vor meiner Nasenspitze ist noch immer da. ›Warum ist das Blut so dunkel?‹ geht es mir durch den Kopf. ›Asphalt‹, schießt es mir ein. ›Ich liege auf der Straße. Nur warum? Was mach ich mit dem Gesicht auf einer Straße?‹ überlege ich schwerfällig. Die ersten Gedanken, völlig ruhig, ohne Panik. Ich liege auf dem Bauch, auf rauem, dunkelgrauen Asphalt und vor mir ist eine Blutlache, langsam wird sie größer, interessant, aber was soll´s. Ich liege eben auf der Straße, was kümmert es mich.

Ich versuche, mir mit der Hand das Blut von der Nase zu wischen. Ich merke, dass ich meinen Arm nicht bewegen kann, sehe aber nicht, was mich hindert, ihn zu bewegen. ›Ist auch nicht sooo wichtig‹, denke ich, ›so viel Blut ist es auch nicht.‹ Plötzlich, eine Idee. Ich mache das linke Auge zu, gut, wenigstens das funktioniert. Linkes Auge wieder auf, rechtes Auge zu. Die Nase springt auf dem Asphalt herum, der linke Nasenflügel hat einen tiefen Kratzer, von dem eine rote Spur zur Nasenspitze führt. Rechtes Auge auf, linkes zu. Die Nase hüpft einen Sprung nach links, der rechte Nasenflügel ist unverletzt, kein Blut auf dieser Seite der Nase. Der kleine Stein vor der Nasenspitze hüpft mit. Das ist lustig, rechtes Auge zu, Blut, linkes Auge zu, kein Blut, ein Stein. Ich lasse die Nase ein paar Mal hin und her springen. Nur langsam realisiere ich, dass ich den Nasenbügel meiner Brille nicht sehe. Ich sehe so weit wie möglich nach unten. Ich kann den Rand der Brille nicht sehen, ich bewege meine Augäpfel nach oben, wieder ist kein Rand zu sehen. ›Meine Brille ist weg. MEINE BRILLE IST WEG!‹ Das macht mir jetzt wirklich Kopfzerbrechen, ohne die Augengläser bin ich halb blind. Ich suche die Brille, versuche, den Kopf zu drehen. Es geht nicht, ich habe keine Kraft. ›Was soll´s, ist die Brille eben weg, wird schon irgendwo auftauchen. Ich bin so müde.‹ Ich will nur noch liegen und mich erholen, schlafen.

»Wir müssen ihn da wegziehen.«

»Na, los eam liegn, waun er wos mitm Kreiz hot, moch mas nur schlimma.«

»Wir können ihn da nicht liegen lassen.«

»Oida, greif eam net au. I hob an erste Hülfe Kurs gmocht, I sog, los eam liegn.«

Eine dritte Stimme: »Ich habe schon angerufen, sie kommen jeden Moment.«

›Wer kommt? Wen hat er angerufen? Was soll das Ganze? Ich gehe jetzt nach Hause, warum liege ich da überhaupt? Wenn das mein Blut wäre, müsste ich ja Schmerzen haben, habe ich aber nicht. Es tut nichts weh, ich spüre nichts, na also, wo ist das Problem? Ich spüre nichts. ICH SPÜRE NICHTS, ich spüre überhaupt nichts. Irgendetwas stimmt nicht‹, schießt mir ein.

Alles ist angenehm warm. Das Stimmengewirr wird leiser, blendet weg, auch die Geräusche der Autos werden leiser, es wird still.

›ICH MUSS MUNTERBLEIBEN. In jedem Buch, in jedem Film heißt es: Schlaf nicht ein, bleib wach, rede mit mir!‹ Nur, da ist niemand mit dem ich reden kann. Ich bin so unendlich müde. ›Ich muss MUNTERBLEIBEN!!! Mach irgendetwas, schlaf nicht ein. Die Stimmen! Konzentriere dich auf die Stimmen!‹

Langsam blenden sie wieder ein. Ich kann sie hören, aber nicht unterscheiden, ich höre nur Gebrabbel.

›Warum redet keiner mit mir? Die reden über mich, nicht mit mir. Bitte redet mit mir, ich muss wach bleiben, bitte!‹

Ich warte, ich hoffe, nichts. Ich versuche mich zu zwicken, irgendetwas zu tun, um wach zu bleiben. Ich kann mich nicht zwicken, ich spüre meine Finger nicht, ich kann sie nicht bewegen. Ich werde immer ruhiger, eigentlich sollte ich ja in Panik kommen. Nur, da ist keine Panik, keine Aufregung, kein erhöhter Puls, da ist nichts. Ich spüre, wie ich immer müder werde, langsam ist es mir egal, ob ich mich bewegen kann oder nicht, ich will nur schlafen.

›NEIN, bleib wach, bewege irgendetwas, du kannst doch die Augen bewegen, such die verdammte Brille.‹

Ich sehe keine Brille, ich sehe nur das Blut, im Blut, jetzt wo ich die Augen etwas mehr bewege, mehrere kleine Steine. Ich sehe nicht, ob die Lache größer wird, in meinem Blickfeld ist nur Blut, ich kann nur die Lacke sehen, ihren Rand nicht. Die Stimmen werden wieder leiser. Ich bin so müde.

›Bleib wach! BLEIB WACH!!! Ich brauche etwas auf das ich mich konzentrieren kann. Jetzt weiß ich, was ich tue. Ich müsste längst sagen wo bin ich? Das sagen doch alle.‹ Ich sage also: »Wo bin ich?« Ich höre mich nicht einmal selbst, ich räuspere mich. »Wo bin ich?« Jetzt höre mich ganz leise, aber niemand reagiert. ›Sind die nur zu weit weg, ist der Verkehr zu laut oder war ich wieder zu leise, die müssen doch auch die Filme gesehen haben.‹ Nächster Versuch, ich schreie: »WO BIN ICH?«

Endlich eine Reaktion: »Bleiben Sie ganz ruhig liegen, es kommt gleich die Rettung.«

›Welche Rettung? Wovon redet der, ich will wissen, wo ich bin. Aber eigentlich ist es mir egal, wo ich bin, ich liege da vor all den Leuten blöd auf dem Bauch, ich muss endlich aufstehen. Warum liege ich überhaupt da, warum bin ich noch nicht längst aufgestanden, und wo zur Hölle ist meine Brille? Ich muss jetzt aufstehen.‹ Ich versuche mich aufzurichten, kann mich aber keinen Zentimeter bewegen. Ich kann mich nicht aufstützen, ich spüre meine Hände nicht. ›Ich spüre überhaupt nichts und wie liege ich da eigentlich? Hmmm ... Völlig flach, nur die Beine stehen in die Höhe. Ich liege auf dem Bauch und die Beine sind bei den Knien angewinkelt. Die Unterschenkel stehen im rechten Winkel nach oben. Das muss ja ziemlich blöd ausschauen, streck die Beine aus, dann liegst du wenigstens flach … Nur, warum soll ich mich flach legen? Ich MUSS endlich aufstehen und meine Brille suchen.‹

Ich versuche mich zu bewegen, die Beine anzuziehen, irgendwo anzuhalten, irgendwo abzustützen, irgendetwas zu tun. Nichts! Ich liege da, kann nicht einmal einen Finger bewegen.

›Das gibt´s doch nicht, alles noch einmal von vorne.‹

Ich versuche nochmal, irgendeinen Körperteil zu bewegen. Linker Arm, keine Reaktion, rechter Arm, nichts. Rechter Fuß, die Zehen nach unten, nichts bewegt sich, linker Fuß, wieder nichts, jeder Fuß ist und bleibt beim Knie abgebogen, der Unterschenkel steht im rechten Winkel nach oben. Heute weiß ich, dass das ein Fehlimpuls der Nerven war, in Wirklichkeit liege ich völlig flach auf der Straße.

›ICH MUSS MUNTERBLEIBEN!!!‹

Dann kommt plötzlich ein Gedanke, oft in der Vergangenheit aus Spass gesagt, niemals ernst gemeint: ›Ich sollte langsam in aller Ruhe in Panik kommen.‹ Fast muss ich lachen, der Satz ist in der jetzigen Situation zu absurd, aber völlig richtig. ›Sicher nicht, keine Panik, es tut ja nichts weh, ich bin eben nur so müde, dass ich mich nicht bewegen kann. Also nochmal von vorne, mit Ruhe und analytisch, wie mein Steuerberater immer sagt: Ich denke, also bin ich. Ha, der war gut, mein berühmter schlechter Humor funktioniert noch. Also mit Ruhe und analytisch noch einmal von vorne. Ich sehe mein Leben nicht vor mir vorbeiziehen, bin also nicht kurz vorm Sterben. Gut. Ich sehe Blut über meine Nase auf den Asphalt rinnen und den Asphalt direkt vor mir. Ich liege also auf dem Bauch. Nicht so gut. Es tut nichts weh. Gut. Ich spüre meine Hände nicht. Nicht so gut. Ich spüre meine Beine. Gut. Ich liege auf dem Bauch und beide Beine sind bei den Knien angewinkelt und stehen nach oben. Das muss ziemlich blöd ausschauen, ich muss jetzt wirklich aufstehen. Das kann ja nicht so schwer sein. Ich muss sie ausstrecken, dann kann ich die Knie anziehen und aufstehen. Und meine Brille brauche ich auch noch.‹

»Er bewegt sich nicht, wir ziehen ihn da jetzt raus.«

Eine sehr laute Stimme: »Oida, du mochst mi fertig. Zum letztn moi. Los eam liegn.«

Wer immer das auch gewesen ist, heute weiß ich, ich muss ihm mein Leben lang dankbar sein.

»Dann gib wenigstens das Rad weg.«

»Lassen Sie alles liegen, so wie es ist, lassen Sie das die Rettung machen.«

Sirenen.

›Welches Rad? Bin ich mit einem Rad gefahren? Egal, wichtiger ist, dass ich endlich aufstehe. Also noch einmal, das kann ja jedes Kleinkind. Beine ausstrecken. Streck sie aus! Sie stehen in die Höhe. Na und, streck sie aus! ICH KANN SIE NICHT AUSSTRECKEN! ICH SPÜR SIE, ABER ICH KANN SIE NICHT BEWEGEN!‹

»Können Sie mich hören?« Eine neue Stimme, eine weibliche. »Können Sie mich hören?«

Ich realisiere, sie meint mich.

»Ja, klar.«

»Können Sie mich hören? Reden Sie mit mir.«

»Ich habe ja gerade gesagt, dass ich Sie hören kann.«

»Bitte reden Sie mit mir.«

Ich räuspere mich, schreie: »ICH KANN SIE HÖREN!!!«

»Gut, ich höre Sie ganz leise. Wie geht es Ihnen, haben Sie Schmerzen?«

›Soll ich oder soll ich nicht?‹ Es liegt mir auf der Zunge: nur wenn ich lache. Dann traue ich mich doch nicht, ich sage: »Keine Ahnung, ich spüre nichts.«

»Ich bin die Notärztin.«

›Eine Notärztin? Oh, mein Gott, ich habe ich einen Unfall gehabt! Gott sei Dank habe ich mich vor dem Wegfahren geduscht. Die Unterwäsche ist auch frisch, Mutter sei Dank, jahrelang habe ich als Kind gehört, zieh jeden Tag eine neue Unterhose an, wenn dir einmal was passiert, was sollen die Leute sagen.‹

«Können Sie mich sehen?«

›Warum denke ich gerade jetzt an meine Mutter? Das macht man doch normalerweise, wenn man Angst vorm Sterben hat. Scheiße! Die Blutlache. Muss ich doch sterben?‹

«Hallo. Können Sie mich sehen?«

»Bitte?«

»Können Sie mich sehen?«

Ich versuche den Kopf etwas zur Seite zu drehen, nein, ich drehe ihn nicht, ich kann ihn nicht drehen, kann nur die Augen etwas nach hinten bewegen. Langsam bekomme ich es mit der Angst zu tun.

›Was ist da los? Ich spüre meine Hände nicht, ich liege auf dem Bauch und meine Beine stehen in die Luft. Schlimm genug. Und jetzt kann ich den Kopf auch nicht mehr bewegen?‹

»Nein, ich habe meine Augengläser verloren. Sie müssen schon etwas näher kommen.«

Die Stimme kommt näher, ist direkt neben meinem Kopf.

»Sehen Sie mich jetzt?«

»Ja, blonde Haare und ein Rossschwanz und hübsch sind Sie auch, glaube ich.«

›Pfau, was bin ich für ein cooler Typ, liege da auf dem Bauch und blödle trotzdem.‹

»Rossschwanz stimmt, bleiben Sie ganz ruhig liegen. Wissen Sie, wie sie heißen?«

Ich sage ihr meinen Namen und dann: »Sehen Sie hier irgendwo meine Brille?«

»Wir werden sie schon finden, ich suche sie gleich, vorher müssen wir noch ein paar andere Sachen klären. Haben Sie Angehörige? Können wir jemanden erreichen, haben Sie eine Frau?«

»Ja, ich habe eine Frau, Julia, heute ist mein fünundzwanzigster Hochzeitstag.«

›Oh, Scheiße, HEUTE IST MEIN FÜNFUNDZWANZIGSTER HOCHZEITSTAG!‹

»Wie können wir Ihre Frau erreichen?«

›Warum will sie meine Frau erreichen, ich habe ja nichts, ich kann nur nicht aufstehen.‹

Die Stimme wird drängend: »Telefon, hat Sie ein Handy?«

Ich sage ihr die Handynummer.

»Adresse?«

Ich sage ihr die Adresse.

»Spüren Sie das?«

»Was soll ich spüren, ich spüre nichts.«

»Spüren Sie das?«

»Nein, was machen Sie, ich spüre nichts! Ich brauche meine Augengläser.«

»Keine Sorge, wir finden sie sicher. Versuchen Sie ruhig zu bleiben und bewegen Sie sich nicht.«

Fast muss ich lachen, ich kann mich nicht bewegen, nicht den Kopf, nicht die Arme, nicht die Beine, nur die Augen drehe ich wieder Richtung Blutlache. Beruhigend redet die Ärztin weiter auf mich ein, ich höre zwar die Stimme, kann aber nicht begreifen, was sie sagt.

›Konzentrier dich, sie redet über dich, hör zu!‹

Dann höre ich, wie sie sagt: »Ruft die Rettung. Zuerst ins Wilheminen und dann weiter ins UKH mit dem Hubschrauber, Verdacht auf Querschnitt.«

›Meine Brille, sie sollen meine Augengläser suchen‹, kann ich noch denken, dann wird es schwarz.

ASIA B-C

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