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Kapitel 2

Bei Sergeij I

„Ah, Sven, nur herein, - heut ist Hausfrauen-Tag!“ – Sergeij lachte sein übliches heiseres Sergeij-Lachen und strahlte ihn mit lustig funkelnden Augen an. Wie immer standen ein wunderbarer Rotwein und ein Stolichnaya-Vodka bereit. Sergeij stellte Gläser auf den Tisch und bot Sven eine von seinen russischen Zigaretten an. Er mochte diese Besuche und sein breites, fröhliches Gesicht war wie immer völlig entspannt, wenn sie sich unterhielten.

„Trinkst du, - guckst du zu. Heute ist dicke Hausfrau dran, - kriegt Besuch von Handwerker, - beide geil undsoweiter. Handwerker ist diese Mal kräftiger Ukrainer, leider schlechte Deutsch, - aber muss nicht viel reden!“ – Sergeij lachte erneut sein heiseres Sergeij-Lachen und schenkte beiden ein.

Durch das Fenster des Regieraums hatte man einen guten Blick auf das Szenario. Sergeij gab sich immer viel Mühe mit der Gestaltung, er beschäftigte mehrere Handwerker und war Stammkunde bei Stilbruch.

Die hatten eigentlich immer die benötigten Gebrauchtmöbel, die für die verschiedenen Szenarien gebraucht wurden. Manches wurde auch extra anfertigt, - zwei Bühnenbildner kleinerer Theater verdienten sich hier etwas dazu.

Sven wusste, dass es keinen Sinn hatte Fragen zu stellen, bis die wichtigsten Szenen im Kasten waren. Für jede der Kameras gab es einen mittelgroßen Monitor, - auf einem größeren waren dann die intuitiv geschnittenen Szenen zu sehen.

Vier Kameras wurden mit Festeinstellungen als Steady-Cams gefahren, für zwei waren Kameraleute zuständig und, - darauf war Sergeij besonders stolz, - zwei weitere konnten vom Regieraum aus in verschiedenste Positionen gebracht werden, sodass auch wirklich kein Muttermal ungefilmt blieb.

Die „Hausfrau“ sah mehr als ganz passabel aus, - ca. 45 Jahre, üppige Figur, ein breites, rotblond umrahmtes Gesicht mit großem Mund, ein nettes Lächeln und wunderschöne grüne Augen. Sie trug eine Kittelschürze, die selbstverständlich tiefe Einblicke gewährte. Sie blätterte in einem, offenbar anregenden, - Hochglanzmagazin.

„Da staunst du, was? – Aglaia kommt aus Polen, spricht perfekt Deutsch, ist Naturtalent!“

Sergeij grinste zufrieden. „Ich war in diesem polnischen Restaurant, - nur zum Essen, - sie hat an Nachbartisch gesessen, gegessen, getrunken und gelacht, - ah was für ein Lachen! – Wie Anita Ekberg, - kennst du?“

„Als ihr Macker zum Klo, ich unauffällig Geschäftskarte auf ihren Tisch und zwei Gläser gute Sekt, damit ihr Macker nix merkt, - zwei Tage später sie angerufen und dann Probeaufnahme, - jaja, ich weiß, das heißt jetzt Casting. Sie war sehr, sehr gut, - ich diesmal selbst getestet“. Wieder das typische Sergeij-Lachen und das zufriedene Grinsen. „Sie und ich machen gutes Geld in Zukunft“.

Das war das Besondere bei Sergeijs Unternehmungen: Hier wurde niemand über den Tisch gezogen. Er drehte zwar Pornos, aber mit Stil und Geschmack und er legte Wert darauf, dass alle Beteiligten zufrieden waren.

Er beschäftigte keine Drogen-Wracks und drehte keine lieblosen Schmuddel-Filmchen. Nichtsdestotrotz ging es in seinen Filmen ordentlich zur Sache und abgesehen von „Kaviar“, „Sekt“ und Gewalt waren alle gängigen sexuellen Varianten vertreten.

Er bediente zwar auch den üblichen Jugendlichkeits-Wahn, achtete aber streng darauf keine Pädophilen-Fantasien zu bedienen.

Mit Sadomaso hatte er auch nichts am Hut, obwohl er auf besonderen Wunsch auch schon Filme mit Peitschen und dergleichen gedreht hatte.

Das waren aber Auftragsfilme mit Leuten und für Leute, die genau diese Praktiken im realen Leben liebten und lebten und das nun endlich auch mal professionell gefilmt haben wollten.

„War gutes Geld, - aber ich mag nicht diese Zeug“. – Sergeij hatte bei dieser Erzählung damals nicht gelächelt. Sven hatte zwei von den Filmen gesehen und wusste, was Sergeij meinte, - echte Striemen, echte Tränen, Erniedrigung. Nicht schön, nicht scharf, - einfach nur dumpf-fies.

Sergeij war jetzt professionell-konzentriert: „Achtung Kamera 2, - Nahaufnahme auf Gesicht, - Aglaia verträumt gucken, Kamera 1, - auf Hand in Kittel, draufbleiben, Aglaia Knopf auf, Kamera will gleich Muschi sehn!“ Eine Regie-Kamera fuhr in Position zu Aglaias Ausschnitt.

Nachdem Aglaia sich lange genug mit sich selbst beschäftigt hatte, kam die Außenszene, - Handwerker steht mit Werkzeugkoffer vor der Tür, klingelt. Aglaia lässt ihn rein und er macht sich daran irgendwas an der Spüle zu reparieren.

Aglaia betrachtet fasziniert den muskelbepackten Ukrainer und dessen großen, aber knackigen Hintern, lässt mal was sehen- es entspinnt sich ein „Dialog“ und wenig später geht es zur Sache. Blasen, Lecken, Sex von hinten, Sex von vorn, auf dem Geschirrspüler, später dann im Bett und in der Dusche, - immer wieder Closeups von teilrasierter Muschi und ukrainischem Riesenschwanz und am Ende dann wie üblich Cumshots.

Die Aufnahmen endeten, zumindest in Sergeijs intuitivem Rohschnitt mit den verklärten Gesichtsausdrücken der beiden Akteure, - wobei der Ukrainer doch sehr dümmlich rüberkam.

Sergeij grinst. „Naja, - wird viel Arbeit beim Schneiden, aber gut genug für Klientel. Er drückt nochmal die Sprechtaste: „Kamera 2, ich brauche noch ein paar Closeups mit Aglaias Nippeln, - zum reinschneiden.“ – Kameramann 2 kennt das wohl schon und nähert sich der Darstellerin mit einem Eiswürfel. „Ja, sehr schön, - das will die Spießer sehn!“.

„So mein Freund, was ist deine Problem?“

Treffen mit Korthals

Sie hatten sich in der Nähe von dem Hafencity-Büro verabredet. Ein Schicki-Restaurant. Korthals war nicht begeistert gewesen, als er ihn angerufen hatte. „Ich bezahle nicht dafür, dass Sie mit mir reden, - sehen Sie zu, dass der Koffer an Land kommt.“ – „Könnte es sein, dass es da um Schwarzgeld geht?“ – Korthals hatte eine beredte Schweigepause eingelegt. – „Nicht am Telefon!“

So, - und nun saßen Sie sich bei Vitello Tonnato gegenüber.

„Marlowe, - natürlich geht es um Geld, - ob schwarz oder nicht geht Sie nichts an, - wichtig ist, dass es zurückkommt“.

„Na schön, aber wieso sind Sie denn davon überzeugt, dass „Arschloch“ Dallmann hinter der Sache steckt?“

„Nur der und ein anderer konnten davon wissen. Es gab zwei Optionen, - wer das Geld abholen würde“.

„Aber woher sollte Dallmann denn von der Übergabe wissen?“

"Was weiß ich?!“

„Waren Sie denn selbst bei der Übergabe?“

„Natürlich nicht, Sie Superhirn“

„Kennen Sie jemanden mit einer hohen, heiseren Stimme, der statt „Knifflig“ „knieflig“ sagt?“

„Na sicher, - das war der Bote!“

„Wissen Sie, Sie machen es mir aber nicht gerade leicht, wenn Sie alle wichtigen Punkte für sich behalten, - wie heißt der Kerl?“

„Anatoli, - Nachname so ähnlich wie der teure Vodka“

„Und, - weitere Informationen, Kontaktdaten, Aussehen?“

„Mein Gott, - der Mann arbeitet für einen anderen von meinen Betrieben, - offiziell kenne ich den gar nicht“

„Herrje, ohne weitere Infos komme ich nicht weiter. Die Verdächtigen verhalten sich nun mal unauffällig bis konspirativ, - wenn Sie Ihr Geld wirklich wiedersehen wollen, brauche ich mehr!“

Korthals legte ein gefaltetes Din a 4-Blatt auf den Tisch. „So, hier sind die Seriennummern der Scheine, habe ich mal ausgedruckt, - es sind Schweizer Franken“.

„Dieser Anatoli ist also Osteuropäer?“

„Ach was, der heißt nur so, - kommt aus MeckPom“

„Mann, Mann, Mann, Sie sind mir ja ein schwieriger Kunde!“

„Reicht das als Antwort?“. – Er knallte einen Umschlag auf den Tisch. „Das sind nochmal 3.000, zum Abschluss gibt es nochmal fünf, - dann haben Sie 10.“

„Noch etwas, dass ich wissen müsste?“

„Nicht, dass ich wüsste“

„Und was ist mit Ihrer jugendlichen Freundin?“

„Das geht Sie einen Scheißdreck…“, - er unterbrach sich. „Was soll die Frage?“

„Hat Ihre Freundin einen Bruder oder Cousin?“

„Ich weiß zwar nicht, was Sie das angeht, - aber ja, sie hat einen Bruder, - außerdem ist sie nicht jugendlich, sondern 26 Jahre alt“

„Wie heißt er, bzw. welchen Nachnamen haben die beiden?“

„Collucci ist der Nachname, - der Bruder heißt Franco“

„Gut, danke, das sollte erstmal ausreichen“

„Was hat denn ihre Familie damit zu tun?“

„Das weiß ich nicht, - vielleicht gar nichts, aber je mehr ich weiß, desto größer die Chancen“.

Der Abschied fiel eher frostig aus.

Er beschloss, „Verfolger“-Holger auf die Freundin anzusetzen. Er würde ihm wohl ein paar Scheine geben müssen, falls es zu Taxifahrten kam.

Problem war aber, dass Holger auch bei seinem Job auftauchen musste. Also doch: Zwei Leute. Er selbst oder Mehmet?

Mehmet sagte sofort ab: „Nun ist aber gut, - ich lauf doch nicht den ganzen Tag hinter irgendeiner Tussi her. Außerdem kenn ich die von der Schule!“

Na super. Er musste die Sache erstmal auf Eis legen.

„Bunte Kuh“, Ein typischer Freitag

Jan-Hein war von Haus aus nicht besonders redselig. An einem seiner redseligeren Tage hatte er es den anderen erklärt. „Leute, ich hab zwanzig Jahre versucht den Deppen auf der Seefahrtsschule etwas beizubringen. Reden, reden und nochmal reden. Erklären, erklären und nochmal erklären. Nachhilfestunden für die Doofen.

Und dann fällt doch jeder 4. bei der Prüfung durch. Und für das „soziale Feeling“ dann noch Treffs in Kneipen, Saufgelage, dummbatziges Gelaber und die üblichen, immer gleichen Erzählungen, von dem, was sie, angeblich, bisher auf See erlebt hatten. Mann, ich hör es noch wie heute „…und dann sagt der Alte zu mir, - und ich dann zu ihm“, - blablabla, - nix mit Seemannsgarn, - einfach nur blödes Gelaber und sofort wusste man Bescheid, dass der Dummbeutel überhaupt noch nix erlebt hat. Einzige Highlights waren dann die gelegentlichen Auftritte von echten, ehemaligen Seeleuten, meistens bei HHLA oder Eurokai beschäftigt, die dann mehr oder weniger wahre Geschichten aus ihrem Leben auf großer Fahrt erzählt haben“.

Einsatz Bernie: „Da kenn ich auch welche von, - aber ist ja ne aussterbende Rasse“.

Kalle wollte es genauer wissen. „Na denn, - berichte doch mal, was haben die denn so erzählt?“.

Jan-Hein: „Ich geh mal pissen“.

Bernie begann begeistert Stories aus 23ter Hand zu erzählen. Jan-Hein hatte das wohl schon kommen sehen und steuerte auf den Tresen zu, wo gerade Qualli aufgetaucht war. Jan-Hein hatte Qualli, die eigentlich Nina hieß, - von Anfang an gemocht.

Sie hatte ein sehr hübsches, eher ovales, als breites Gesicht. Ein umwerfender Doppel-Moppel mit großem Herz und leerem Bett. Immer leicht überschminkt, was sie gar nicht nötig hatte und meistens guter Laune, war Qualli eine Stammgästin, die eigentlich alle mochten. Wenn sie in der entsprechenden Laune war, hatte sie schon mal einen Gast im Anschluss an den Kneipenbesuch abgeschleppt.

Sie hatte, körperlich gesehen, - von allem etwas Zuviel, - wusste das auch und machte das Beste daraus. Sie war keineswegs „leicht zu haben“, sondern sortierte sehr bewusst aus. Wenn sie scharf war, hatte noch längst nicht jeder eine Chance. Im Gegenteil, - mancher Stammgast erinnerte sich noch gut an den Tag, als ein neuer Gast sein „Glück“ bei ihr versucht hatte und ziemlich zudringlich geworden war.

Sie hatte dem Typ den Ellenbogen genau auf den Solarplexus verpasst und laut in den Raum gefragt „Seit wann haben wir denn hier solche Chauvi-Arschgeigen?“ Das hatte dann sofort Bert, den „Bären“ vom Dart-Team und Jan-Hein auf den Plan gerufen, die den Vogel direkt zur Tür und vor dieselbe eskortiert hatten, nicht ohne ihm vorher „Ein Pfund“ für die Zeche abgenommen zu haben.

Jan-Hein und Qualli begrüßten sich mit einer langen Umarmung und Küsschen. Jan-Hein verschwand wie angekündigt zum Klo.

Holger, der inzwischen die Nase von Bernies „Seemannsgarn“ voll hatte machte einen kleinen Abstecher in Halle C, - den Dartsraum. Er hatte aus dem Augenwinkel gesehen, dass „Korn-Wolle“ aufgetaucht war. Korn-Wolle war eine ziemlich dubiose, oft auch furchteinflößende Figur. Er war ein Riesenschrank, ähnlich wie der „Bär“ und agierte in verschiedenen Zusammenhängen als „der Mann fürs Grobe“.

Sein Motto war „Vertrauen ist gut, Wolle ist besser“ und das musste man leider ernst nehmen. Es hatte noch nie geschadet sich mit Wolle gut zu stellen. Schließlich war bekannt „Fuffi langt“, - und schwupp hatte man ein massives Problem. Wolle hatte dementsprechend keine Freunde, aber viele gute Bekannte.

Auch Marlowe setzte ihn bei den etwas böseren Aufträgen gelegentlich ein, - daher auch Holgers Kontakt zu Wolle. Die beiden verstanden sich prächtig, da auch Holger „Skrupel“ eher aus dem Kreuzworträtsel kannte.

Wolle war bester Laune „Na Holger, heut schon wen verfolgt?“ und haute seine Pranke auf Holgers Rücken. „Nee, geht aber wieder los“. – Sach Bescheid, wenn ihr Unterstützung braucht, - gibt auch was Rabatt“.

Holger ging zurück zum Tisch. Inzwischen war auch Jan-Hein wieder zurück, neue Biere standen auf dem Tisch und Olympiakos hatte den freien Stuhl belegt Olympiakos war so etwas wie „der sechste Mann“ der Freitags-Runde, hieß eigentlich Dimitrios und war ein gern gesehenes, sozusagen assoziiertes Mitglied. Seinen Spitznamen hatte er von seiner ehemaligen Tätigkeit beim alten „Olympischen Feuer“, einem vielbesuchten griechischen Lokal in der Schanze. Blitzgescheit und immer für einen dummen Spruch gut, kam er häufig freitags vorbei.

Er hatte gute Kontakte in der Film- und Theaterszene der Stadt, kannte Gott und die Welt, spielte gelegentlich bei verschiedenen Bands, - nirgends fest, aber immer wieder gern genommen, - weil er einfach gut war und kannte sich auch bestens in der Gastro-Szene aus.

„Na Holger, hast du das Lager auch schön ordentlich hinterlassen?“. Das war nun genau Holgers schwacher Punkt. Er selbst verstand sich als „Multitalent“, - seine Chefs sahen das etwas anders. Jeder am Tisch wusste, dass Holger schon diverse Abmahnungen kassiert hatte und eigentlich immer kurz vor dem Rausschmiss stand.

Sven musste eingreifen. „Hey, Dimitri, lass mal gut sein, - Holger hat schon seit einem Jahr kein Schreiben mehr gekriegt“.

„Na, im Hafen würdest du aber keinen Stich sehen“. Das war wieder der typische Bernie. Etwas eindimensional, hatte er immer seinen Hafenbetrieb vor Augen. Alles, was seinen kleinen Erfahrungshorizont überstieg, - überforderte ihn. In Holgers Job konnte er sich reindenken, - nicht aber in dessen Disziplinlosigkeit.

Kalle mochte solche Situationen nicht. Er hatte einen 08/15-Bürojob als Sachbearbeiter Export und hatte es gern harmonisch. Sicherlich war er nicht die hellste Kerze auf der Torte, aber gut darin, Situationen zu entschärfen. „Leute, was ist denn nun mit dem Ausflug? – Ostern steht vor der Tür und wieweit ist denn nun die Planung?“.

Olympiakos: „Wenn das Ziel Norderney ist, bin ich dabei, - da war ich noch nie“.

„Wieso plötzlich Norderney? – Ich denk wir wollten nach Kopenhagen?“ – Holger wirkte verwirrt.

„Da gibt es aber ein Problem“, grätschte Sven rein. „Wir haben dafür nicht genug Kohle zusammen“.

„Lass mich raten, an wem das liegt“. – Das war Jan-Hein.

Holger, Bernie und Sven: „Moment mal!“.

„Ich hab die Kasse, - nun ratet mal, wer schon länger nicht bezahlt hat?“

„Jan-Hein, ich hab doch gesagt …“

„Ach ja, - das Kassenbuch lügt nicht: Bezahlt haben Olympiakos, Kalle und Jan-Hein. Mit zwei Raten im Rückstand: Sven, mit drei Raten im Rückstand: Holger und Bernie“.

Bernie: „Und was heißt das jetzt?“

„Das heißt, dass du nicht bezahlt hast, du Flachpfeife“.

Holger: „Ich kann erst zahlen, wenn ich die Kohle von Sven hab“.

Aller Augen auf Sven. „Äh, ja, die Auftragslage ist grad schwierig, - zwei faule Kunden und so“.

„Der faule Kunde sitzt hier ja wohl als Trio am Tisch!“

Bernie: „Moment mal, - hier ist schon mal ein Fuffi, - ich hatte das nur vergessen“.

Jan-Hein zückte grimmig das Kassenbuch. „Also, wann kommt der Rest, vorher können wir alles vergessen!? – Und kommt mir jetzt nicht mit ‘nem Zwanni, ihr Pfeifen“.

„Schon gut, - ich hab einen Vorschuss für den neuen Auftrag erhalten, aber ich kann das Geld doch jetzt nicht raushauen, was mir dann fehlt um das alles durchzuziehen“.

„Also, - wann?“ – Holger und Jan-Hein sprachen gleichzeitig und starrten sich verblüfft an.

„Äh, - Ende April?“ – Jan-Hein machte daraufhin einen Vermerk im Kassenbuch. – „So, das bedeutet, - wenn Ausflug, dann um Pfingsten rum“.

Kalle: „Na siehste, - nächste Runde auf mich.“

„Mann, Mann, Mann“. – Jan-Hein beschloss, an diesem Abend nichts mehr zu sagen.

Büro, Hinterzimmer, Archiv, Überlegen

Er sortierte mal wieder sein großes, - aber leider recht unvollständiges „Schwarzes Archiv“.

Klar, - Hammett, Chandler, Woolrich, Gardner, Ross Macdonald, Spillane, Paretsky, Turèll hatte er natürlich komplett, Carroll John Daly war da schon um einiges schwieriger, - einzige Bestellquelle: Müde 65 Euro. Frederick Nebel, und Dale Clark fehlten immer noch, von Stewart Sterling fehlte noch einiges.

Er hatte aber gerade „Es stand nicht in der Zeitung“ ergattert. Merle Constiner hatte er grad versucht zu bestellen, Resultat: 0. Es war zum Verzweifeln, - zwar stand er im Mail-Kontakt mit allen, ihm bekannten Krimi-Buchhandlungen, aber sein Ehrgeiz, - nämlich alles zu besitzen, was im weitesten Sinne zur schwarzen Serie Richtung „Hardboiled“,“Pulp“ gehörte, - lief zu oft ins Leere.

Jedes Mal, wenn er „Zauberspiegel“ aufrief sank seine Laune rapide. Von vielen, der dort aufgeführten Autoren hatte er noch nie etwas gehört, geschweige denn gelesen. Wie so oft hielt er wieder mal „The Encyclopedia of Murder and Mystery“ in der Hand und ärgerte sich, dass er nicht schon früher mit der Sammelei angefangen hatte.

Viele der alten Übersetzungen waren natürlich erbärmlich, - zum Beispiel Stieg Trenter: „Was geschah in Gustafsberg?“, aber welcher deutsche Übersetzer konnte in der großen Zeit der schwarzen Krimis schon vernünftig Englisch, Schwedisch etc.

Ganz zu schweigen von den Übersetzungen für spezielle Genre-Slangs?

Zahllose Autoren hatten das Genre über Jahrzehnte weiterentwickelt, das Böse hatte bis hin zu „Splatterpunk“ offenbar unendlich viele Varianten.

Mittlerweile hatten sich auch allerhand Genre-Filme angesammelt, - mit zu den besten gehörte zweifellos „L.A. Confidential“ nach James Ellroy.

Das Archiv hatte er in dem großen Hinterzimmer des Büros eingerichtet, - im ehemaligen Stofflager der Schneiderei, die jetzt sein Büro war. Etwa die Hälfte des Raums war nun Archiv, der Rest wurde von einem schmalen Bett, einer kombinierten Audio- und Videoanlage und einer Wasch- und Duschecke eingenommen.

Dazwischen führte ein Gang auf die Hinterhof-Terrasse, die er oftmals nutzte um in seinen Schätzen zu lesen oder über einem Fall zu grübeln. Ein dritter, winziger Raum beherbergte eine Kochnische und das Klo. Die ehemalige Änderungsschneiderei war ihm mittlerweile ans Herz gewachsen, - so musste das Büro eines Privatdetektivs aussehen.

Eigentlich wohnte er ja ganz in der Nähe im dritten Stock, hatte dort einen wunderbaren Balkon, den er leider mit der frühreifen Tochter des Nachbarn teilen musste, die alle naslang spärlich bekleidet dort herumhüpfte oder herumlag und liebend gern ihre Reize präsentierte. Die, nicht einmal einen Meter hohe Trennwand hinderte das Biest jedenfalls nicht ihm ständig Avancen zu machen. Aber einen tollen Körper hatte sie schon.

Wie alt mochte sie sein, - 15?

Er sollte endlich mal wieder „Der Tod sitzt im Zahnarztstuhl“ lesen. Woolrich war schon eine Nummer für sich. Darauf einen Seagram´s VO! Er lehnte sich im teuren Marlowe-Bogart-Bürostuhl zurück und grübelte, wie es weitergehen sollte.

Ha, - die Erleuchtung! – Schnell zum Telefon. „Dimitri, hast du die Tage schon was vor?“

Mann! – Das hätte ihm auch viel früher einfallen können.

Beim Beobachten der Freizeit-Aktivitäten einer jungen Italienerin würde ein gutaussehender Grieche vielleicht, - aber nicht unangenehm, - auffallen!

Er musste wissen, was Kressin und Arschloch Dallmann trieben, - das würde Verfolger-Holger schon irgendwie hinkriegen.

Er grübelte mit Hilfe des Internets über der Frage, wie ein Anatoli mit Vodka-Nachnamen heißen könnte. Absolut, Finlandia, Stolichnaya, Smirnoff schieden aus. Smirnoff hieß eine gute Wedeler Hardrock-Band, aber kein Mensch in Hamburg.

Keine Sau hieß Beluga oder Moskovskaya. Blieben diverse Präsidenten und Machthaber. Die meisten Vodkas mit solchen Namen waren Billigprodukte, wie Puschkin, Gorbatschow, Jelzin. Grasovka hieß auch kein Schwein.

Ha, - „Titos Handmade“! – Der Luxus-Vodka aus Texas, - das war es. Warum sollte Anatoli nicht Tito mit Nachnamen heißen? – Wieso war Korthals der Vodka eingefallen, aber nicht der jugoslawische Präsident?

Telefonbuch. Fehlanzeige, - aber wer stand heute schon noch im Telefonbuch.

Einwohnermeldeamt: „Tito? - Sie machen wohl Witze! – Dürfte ich Ihnen sowieso nicht sagen!“

„Ich will doch nur wissen, ob er immer noch in Billstedt wohnt, - er hat seinen Laptop bei mir gelassen, - so einen teuren von Apple“.

„Der einzige Anatoli Tito wohnt in der Gründgensstraße 12, - das wird er ja wohl kaum sein.“

„Tja, da haben Sie wohl Recht, - vielleicht finde ich ja was auf dem Laptop, - trotzdem vielen Dank“.

Man konnte auch mal Glück haben. Steilshoop also. Besprechung mit den Jungs war angesagt. Ein paar Telefonate später stand der Treff.

„Bunte Kuh“, Lagebesprechung

Holger, Mehmet und Olympiakos waren pünktlich. Man saß in Halle C, heute war kein Darts, also keine Zeugen. Marlowe hatte keine großen Erwartungen an die Berichte.

Holger: „Die beiden Typen machen eigentlich immer das gleiche, - rumkurven, saufen etc., - treffen aber sonst keine Bekannten“.

Mehmet war zwischenzeitlich, wenn auch murrend ab und an hinter dem Italiener hergefahren: „Der macht nix Auffälliges, - kein Kontakt zu Bekannten, außer seiner Schwester“.

Olympiakos: „Die Kleine ist viel unterwegs, Stavros Restaurant, - Kontakt mit Bruder, - Stelldichein in teurer Bar mit Wanst Korthals, später dann in seine Villa in Blankenese. Am nächsten Tag ist sie mit dem Bus nach Steilshoop, - da im Parkhaus verschwunden und nicht wieder raus“.

„Nummer 12, Gründgensstraße?“

„Ja, genau, - da ist sonst nicht viel, - Autowerkstatt und so“.

Mehmet: „Autowerkstatt ist sauber, - kenn ich“.

„Ok, - dann hat sie sich wohl mit diesem Anatoli getroffen“. Sven berichtete von seinen Recherchen und setzte Olympiakos ins Bild, worum es überhaupt ging.

„Tito, Tito? – Das kommt mir bekannt vor!“ – Holger schaute ratlos.

„Ex-Präsident Rumänien! – oder so, nee, - Jugoslawien“ – Das war Mehmet.

„Neenee, - da war doch mal was, - stand in der Zeitung, - ist schon ne Weile her“.

Sven warf den neuen Tablet an. Zeitungsmeldungen.

„Hier, 2005, - Verdächtiger A. Gustav T., - hier: A.G. Tito als Zeuge gesucht, - und hier: Kinderschänderring aufgeflogen, befragt wurde Anatoli G. T., der bereits früher ins Visier der Polizei geraten war, - aber nix genaues“.

Holger: „Jetzt weiß ich´s wieder: Damals haben zwei Typen vor den Schulen irgendwelche Mädels abgefangen, oder irgendwie überredet und für Kinderpornos irgendwohin verschleppt, - und der Typ war dabei, - ist aber damals, glaub ich, - nicht überführt worden“.

„Na toll, der Fall wird ja immer undurchsichtiger, - was hat so ein Eierdieb wie Franco mit Schwarzgeld zu tun, was soll denn jetzt ein Pädophiler in der ganzen Sache?“.

Sven war genervt, - in seinem Hirn bildete sich ein Knoten.

Holger: „Keine Ahnung, - aber der zweite Typ hat dafür gesessen“.

Mehmet: „Wie heißt Arschloch eigentlich richtig?“

Sven: „Arschloch heißt Ferdinand Dallmann“.

„Dallmann von der Reederei?“

„Neenee, das sind zwei Schwestern, da gibt es keine Verbindung, - wartet mal“. - Sven tippte ins Tablet.

„Also, - Dallmann war damals verwickelt, war aber nicht der zweite Mann. Hier steht: Im Zuge der Untersuchungen wurde auch der Hamburger Kaufmann F.D. zu den finanziellen Zusammenhängen vernommen, Indizien ließen sich jedoch nicht erhärten. Und hier: Verurteilt wurde nur der Handlanger Klaus B.-D.“

„Wer ist das denn nun wieder?“ – Holger war verwirrt.

Olympiakos: „Pressearchiv, Sven, Pressearchiv!“

Sven nickte erschöpft. „Ok, dann lasst uns mal ne Runde bestellen, - Korthals bezahlt.“ Er würde mal mit Sergeij reden. Sergeij liebte solche Verwicklungen zwar gar nicht, er war immer sehr um seinen guten Ruf besorgt, aber vielleicht wusste er ja etwas über diesen alten Fall.

Den schweigsamen Korthals zu fragen, machte wenig Sinn, - der Auftrag war ja schließlich ein anderer, die anderen Akteure in diesem Verwirrspiel wussten wahrscheinlich alle irgendwas, aber wieviel und was? Außerdem war glasklar, dass der Fall sofort platzen würde, wenn Kressin und Dallmann befragt würden. Nachdem Mehmet und Olympiakos gegangen waren, saßen Holger und Sven noch drei Stunden bei Bier, Schnaps und Korthals und ließen sich alles gründlich durch den Kopf gehen.

Zuhause 2

10 Uhr. Telefon. Sergeij. Bevor Sven sich mit Holger diesen fürchterlichen Brummschädel angesoffen hatte, hatte er telefonisch noch kurz Sergeij wegen der alten Sache und Tito gefragt. Der war ganz und gar nicht begeistert gewesen. Verwicklung in Sachen, die ihn aus seiner Sicht nichts angingen, hasste er besonders.

„Kommst du besser mal vorbei, mein Freund“.

Eine extra lange Dusche, eine Kanne Tee und eine Fischkonserve später machte Marlowe sich auf den Weg.

Bei Sergeij II

Sergeij war miserabler Laune, - er hatte sogar den heutigen Drehtermin abgesagt.

Marlowe schwante Böses.

„Setzt du dich, trinkst du, hörst du zu!“

Sergeij hatte haarklein die ganze alte Geschichte recherchiert, eine ganze Reihe von Leuten angerufen, sogar einen Polizeireporter der MoPo im Ruhestand kontaktiert.

„Das war eine ganz große, ganz miese Geschichte damals. Viele wichtige Menschen waren verwickelt, aber niemand Wichtiges wurde verurteilt. Nur dieser Klaus Boedecker-Dinse, - und der war kleines Licht, eher trübe Laterne. Archiv und Studio wurden nicht gefunden. Nur Keller, wo Mädchen gewartet. Finanzen waren klar, - war Dallmann, aber kein Beweis außer Kontobewegungen, - Abgänge nach Seychellen, - Zugänge von Caymans.

Selbst Kinderfänger Tito war nichts nachzuweisen, - bekam drei Jahre auf Bewährung. Jetzt bei privatem „Hausmeister“-Dienst, - auch für deine Freund Korthals“.

Es gab noch eine Fülle von Details, aber keine erkennbaren Verbindungen, verwertbaren Fakten zu Korthals oder Kressin. Die Mädchen, damals zwischen 12 und 15 Jahren, waren durch die Bank schwer traumatisiert, zwei von den etwas Älteren waren in die Prostitution abgeglitten, mehrere in langjährige psychologische und zwei auch in psychiatrische Behandlung geraten.

Ihre Namen, Fotos und Filme waren bei der Staatsanwaltschaft unter Verschluss.

„Ich bekomme einige Namen und paar von die Filme in ein paar Tagen, - ist nicht einfach, aber habe ich Kontakte, - auch wenn das nicht meine Welt“.

Marlowe - das Grauen

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