Читать книгу Gewalt des Glaubens Teil 1 - Werner Diefenthal - Страница 11
ОглавлениеProlog
Gutshof von Matthias und Marie, August 1536
Marie stand in der Küche ihres Hauses und knetete den Teig für die Brote, die sie noch backen wollte. Die kleine Leonore, ein hübsches blondes Mädel von sieben Jahren, das ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war, half ihr. Sie sah aus wie ein Geist, war von Kopf bis Fuß mit Mehl bestäubt. Die zweijährige Barbara, ihr jüngstes Kind, saß unter dem Tisch und spielte.
Eckhard, ihr Erstgeborener, war mit Matthias im Wald und half seinem Vater bei der Arbeit. Er war mit neun Jahren schon fast so groß wie Marie, kam allerdings eindeutig nach dem ehemaligen Henker von Rothenburg. Die beiden Wölfe, ausgewachsen und wachsam, ließen die Kinder keinen Augenblick aus den Augen. Auf einmal legte Donner die Ohren an und knurrte. Kurz darauf auch Luna.
»Was ist denn mit euch?«, fragte Marie argwöhnisch.
Doch da hörte auch sie den Hufschlag, der im Hof hallte. Luna sprang auf, als habe man sie gestochen, und fing an, aufgeregt zu bellen. Auch Donner war völlig außer sich, sprang immer wieder an der Eingangstür hoch. Marie verstand nicht, was los war. Die Wölfe reagierten sonst nie auf Besucher. Da klopfte es. Marie zuckte zusammen; sie erwartete niemanden. Diese Tatsache zusammen mit dem merkwürdigen Verhalten der Wölfe mahnte zur Vorsicht. Die blonde Frau griff beherzt nach einem Schürhaken und öffnete einen Spalt breit die Tür. Vor ihr stand ein stattlicher Bursche in glänzendem Harnisch und grinste sie an.
»Marie, du bist noch schöner als damals«, lachte er.
Sie wollte gerade eine barsche Antwort geben, als Luna und Donner an ihr vorbeisausten. Verdutzt sah sie hinter ihnen her und erblickte einen zweiten Mann, groß und breit wie ein Berg und mit dem fettesten Grinsen, das sie je gesehen hatte. Und neben dem Mann einen dritten Wolf, den ihre beiden freudig begrüßten.
»MAX!«, rief Marie, den sie natürlich sofort erkannte. Er hatte sich kaum verändert! Dann musterte sie den jüngeren Mann eindringlich und runzelte die Stirn. »Markus?«, fragte sie unsicher.
Sie konnte es wirklich nicht sagen - als sie den früheren Lehrjungen ihres Mannes das letzte Mal gesehen hatte, war er keine fünfzehn gewesen, hager, schlaksig und meistens schmutzig - kein Vergleich mit dem hochgewachsenen, starken Soldaten, der nun vor ihr stand. Der Angesprochene nickte nur, und noch, bevor er etwas sagen konnte, wurde er von Max beiseitegeschoben. Er hob Marie hoch und wirbelte sie durch die Luft.
»Vogtschwester! Max froh, dich zu sehen.«
Marie rang nach Luft. Unwillkürlich kamen ihr die Tränen. Es war so lange her, und doch schien es ihr in diesem Moment, als ob die Zeit angehalten worden wäre. Sie trommelte mit den Fäusten gegen seinen Brustkorb, lachte und weinte gleichzeitig. Die Wölfe rannten quer über den Hof, als ob Donner und Luna ihrem vermissten Bruder alles zeigen wollten. Barbara war inzwischen an der Hand ihrer Schwester zur Tür gekommen und starrte mit großen Augen auf das, was sie sah. Sie verstand nicht, warum der Bär, als solchen sah sie Max an, ihre Mutter durch die Luft wirbelte, als ob er sie fressen wollte, und diese dabei lachte. Ein Wimmern entstieg ihrer Kehle. Als sich der andere Fremde dann zu ihr beugte und sie ansah, fing sie laut an zu weinen. Markus zuckte zurück.
»Hoppla, die junge Dame ist aber sehr schreckhaft. Dabei seh ich doch gar nicht so grausig aus«, lachte er.
Sein Lachen sorgte bei Barbara dafür, dass sie sich beruhigte und ihm ein zaghaftes Lächeln schenkte. Jemand, der lacht, konnte nicht böse sein, so suggerierte ihr das kindliche Bewusstsein.
Max hatte Marie inzwischen losgelassen und ließ sich auf alle Viere nieder, krabbelte zu dem kleinen Mädchen.
»Oh, Vogtschwesterkind, hübscher als ihre Mama«, brabbelte er und zog dabei eine alberne Grimasse, sodass das kleine Mädchen sofort lachen musste. Der Bär war komisch, fand sie.
Markus hatte endlich die Gelegenheit genutzt, Marie in die Arme zu nehmen.
»Gott, Marie, ich hab euch alle so vermisst«, flüsterte er und Marie spürte, wie seine Tränen ihre Haut benetzten.
Sie drückte ihn fest an sich. Es war so lange her, seit er damals mit den Soldaten Rothenburg verlassen hatte, und aus dem linkischen Burschen war ein stattlicher Mann geworden, der sie um einen Kopf überragte. Plötzlich hörte sie Schritte und dann die dröhnende Stimme ihres Mannes.
»Hol mich der Teufel. Was für ein Kerl vergreift sich da an meiner Frau?«
Matthias hatte das Bellen der Wölfe gehört und war sofort zurück zum Haus gerannt. Obwohl es mittlerweile schon lange zurücklag, dass er und Marie sich in ständiger Lebensgefahr befunden hatten, war er immer noch bereit, sie mit allen Mitteln zu verteidigen, wenn es sein musste. Als er sah, dass ein Mann sie umarmte und sie ihn auch noch festhielt, stach es ihm im ersten Moment ins Herz. Doch er wusste, Marie würde sich niemals von einem Fremden umarmen lassen, und es sah nicht so aus, als ob es gegen ihren Willen geschah. Als er dann Max auf dem Boden liegen sah, während Barbara und Leonore bereits auf seinem stattlichen Bauch herumhüpften, wurde ihm einiges klar. Aber er würde sich trotzdem einen Scherz erlauben.
»Lass sie besser los, du Halunke, ansonsten hast du nichts mehr, was du einer Frau bieten kannst.«
Er machte eine Pause, sah, wie Markus, der ihm den Rücken zuwandte, sich leicht versteifte, während Marie ihn ansah, und begriff, was er vorhatte. Ihre Augen blitzten vergnügt.
»Vielleicht hätte ich dich doch damals schon von dem Elend erlösen sollen, das dich des Nachts nicht schlafen lässt.«
Die Drohung in Matthias' Stimme war nicht echt. Markus ließ Marie los, drehte sich um und grinste breit.
»Meister Matthias, ich freue mich, dass Ihr Euren Humor nicht verloren habt.«
Er wusste, worauf sein früherer Meister anspielte. Als er damals von ihm als Henkersgehilfe aufgenommen worden war, hatte er einmal Marie beim Baden beobachtet. Dummerweise hatte Matthias ihn erwischt.
Was dann folgte, würde Markus sein Lebtag nicht vergessen. Er war auf den Tisch geworfen worden und sein Meister hatte so getan, als ob er ihn kastrieren würde, doch in Wahrheit hatte er das Messer nur in ein Stück Schinkenspeck, dass sich zwischen seinen Beinen befunden hatte, gespießt. Es war ihm jedenfalls eine Lehre gewesen, und er hatte Marie nie wieder heimlich beobachtet! Matthias grinste ihn an, trat zu ihm und umarmte ihn.
»Markus! Ich bin froh, dass du gesund und wohlbehalten bist. Wie lange ist das her? Zehn Jahre?« Er rückte ihn auf Armeslänge von sich. »Und lass den Meister weg. Ich bin keiner mehr. Nur ein Holzfäller und Bauer.«
Markus musterte seinen ehemaligen Meister. Er war Zeuge gewesen, wie Matthias nach der Hinrichtung an der Frau des Vogtes, die Marie nach dem Leben getrachtet hatte, sein Richtschwert zerbrochen und seinen Beruf als Henker aufgegeben hatte.
Es war dem jungen Burschen damals schwergefallen, das als endgültig zu betrachten, aber Matthias hatte scheinbar Wort gehalten. Er war nie gern Henker gewesen.
»Und, seid Ihr glücklich, Meister«, fragte er und erntete dafür eine Kopfnuss.
»Wenn du noch einmal Meister sagst, dann überlege ich es mir am Ende doch noch anders«, flachste Matthias und wandte sich jetzt dem gewaltigen Kerl zu, der immer noch auf dem Boden lag und sich von Barbara bearbeiten ließ. »Ich sehe, Max hat sich kein bisschen verändert.«
»Oh, das stimmt nicht. Er ist schon ein wenig erwachsener geworden, zumindest manchmal«, warf Markus ein. »Und er kann sogar schon bis zehn zählen.«
»Ernsthaft?«
»Ja, Max zählt. Eins, zwei, drei, Bier, fünnef, sechse, siebene, achte, nein, Zähne.«
»Interessante Zähleweise«, lachte Marie. »Aber ich denke, ihr kommt alle rein. Ich mache uns etwas zu essen. Ihr bleibt doch, oder, Markus?«
»Wie könnte ich dir etwas abschlagen, Marie.« Schon als er es sagte, bedauerte er die Ausdrucksweise. »Ich meine, wie könnte ich dir eine Bitte verweigern.«
Marie lächelte ihn an, während Matthias ihm eine Hand auf die Schulter legte.
»Schon gut, Markus. Abschlagen war vielleicht nicht das richtige Wort. Aber in dem Punkt sind wir uns einig. So wie bereits damals könnte ich es heute genau so wenig. Und um auf deine Frage zurückzukommen: Ja, Markus. Ich bin glücklich. Und nun kommt. Wir waschen uns und dann lassen wir uns von Marie bekochen und erzählen.« Er sah sich um. »Wo ist denn nur Eckhard?«
»Meinst du den großen Burschen, der da hinter der Hauswand steht und uns nicht aus den Augen lässt? Der sich überlegt, ob er uns begrüßen oder angreifen soll?«
Der Beobachter war Markus keineswegs entgangen.
»Eckhard«, rief Matthias. »Komm her.«
Der junge Bursche kam zögernd hinter der Hauswand hervor. Markus betrachtete ihn. Er hatte Maries Nase und ihr blondes Haar, aber die Statur und die dunklen Augen seines Vaters. Er würde ihm an Körpergröße und auch Kraft in ein paar Jahren an nichts nachstehen, erkannte Markus. Er ging zu ihm und reichte Eckhard die Hand.
»Ich freue mich, dich nach all den Jahren endlich kennenzulernen«, sagte er freundlich. »Als ich deinen Vater und deine Mutter das letzte Mal gesehen habe, da warst du noch nicht geboren.« Er sah zu den beiden Mädchen. »Und dass du mittlerweile noch zwei Schwestern hast, das wusste ich auch nicht.«
Eckhard drückte Markus zaghaft die Hand. Doch dann spürte der Soldat, wie der Griff fester wurde und versuchte, dagegenzuhalten. Sie sahen sich dabei tief in die Augen, es war ein Spiel, bei dem jeder den anderen testete, wie viel er aushielt. Es dauerte einige Augenblicke, da ließ Eckhard ihn los. Markus rieb sich die schmerzende Hand.
»Mein lieber Schwan, Marie, was gibst du dem Burschen zu essen? Dagegen ist ja der Händedruck von Max das reinste Streicheln.«
Jetzt brachen bei Eckhard die Dämme und er lachte.
»Mama sagt immer, ich fress ihr noch die Haare vom Kopf.«
»Den Verdacht habe ich auch«, grinste Markus und hieb dem Burschen mit aller Kraft auf die Schulter, der nicht einmal zuckte.
Matthias legte seinem Sohn eine Hand auf dessen rechte Schulter.
»Eckhard ist Fremden gegenüber sehr vorsichtig. Ich glaube, er ist der Meinung, dass ich alleine es nicht schaffe, die Frauen hier im Haus zu beschützen.«
Sein Sohn wurde rot, sagte aber nichts, sondern sah seinen Vater mit einem Blick an, der Markus verriet, dass er ihn über alles liebte, ja fast verehrte.
»So, wollt ihr hier weiter rumstehen und Maulaffen feilhalten? Was sind das für Manieren? Leonore, du kümmerst dich um Barbara, Eckhard, sieh zu, dass das Feuer brennt, Matthias, du gehst in die Speisekammer, unsere Gäste werden hungrig und durstig sein.«
»Jawohl!«, grinste Matthias und stand scherzhaft stramm, zwinkerte dann Markus zu. »Weißt du jetzt, wer hier das Sagen hat?«
Markus nickte grinsend.
»Das erinnert mich an meine Ausbildung. Da wurde ich auch so gescheucht.«
Gemeinsam betraten sie das Haus. Max noch immer auf allen vieren, während die beiden Mädchen auf ihm wie auf einem Pferd ritten. Markus ließ es sich nicht nehmen, mit den Tisch zu decken.
Nachdem sie gegessen hatten und der Abend hereingebrochen war, sah Marie Markus an.
»Wollt ihr wieder weg oder bleibt ihr eine Weile? Wir haben genug Platz.«
»Wenn es euch nichts ausmacht, dann würden wir gerne ein oder zwei Tage bleiben. Es gibt viel zu erzählen«, sagte Markus leise.
Matthias stutzte. Etwas an dem Tonfall gefiel ihm nicht. Es klang ein gewisser Schmerz durch.
»Ihr könnt bleiben, so lange ihr wollt oder es eure Pflicht euch gestattet«, sagte er bestimmt. »Marie, ich glaube, die Mädchen müssen ins Bett.«
»Und ich?«, fragte sein Sohn. »Ich bin kein kleiner Junge mehr.«
Matthias tauschte einen kurzen Blick mit Markus, der nur nickte.
»Du kannst noch aufbleiben, wenn deine Mutter es erlaubt.«
»Aber nur, wenn Markus nichts erzählt, was für Kinderohren nicht geeignet ist!«, grinste Marie.
»Ich werde versuchen, mich zu benehmen.«
Eine Stunde später saßen Matthias, Marie, Markus, Max und Eckhard im Hof um ein Feuer. Es war eine milde Sommernacht, zu schön, um im Haus zu bleiben. Markus sah gedankenverloren zu den Sternen. Wie so oft in den letzten Jahren stellte er sich die Frage, wie alles, was geschehen war, zusammenpasste. Und wie er das alles dem Mann erzählen sollte, dem er verdankte, dass er nicht als Dieb bestraft worden war, sondern ein ehrbares Leben führen konnte, auch wenn es bei Weitem nicht so verlaufen war, wie er gehofft hatte.
Langsam, stockend, dann immer flüssiger erzählte er, was sich, seit er aus Rothenburg fortgegangen war, ereignet hatte.