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Einleitung

Die Erlebnispädagogik ist für viele Pädagoginnen und Psychologen ein Königsweg des Lernens, für Politik und Presse manchmal eine teure und überschätzte Methode. Ausgewogene Einschätzungen sind selten. Blickt man zurück auf die Wurzeln der Erziehung und des Lernens, dann findet man jedoch zuhauf Hinweise auf die Wirksamkeit des handlungs- und erlebnisorientierten Lernens. Zudem werden die Lernprinzipien der Erlebnispädagogik derzeit durch die Ergebnisse der Lernforschung, des Konstruktivismus und der Neurobiologie (vgl. dazu Kapitel 4) bestätigt. Dieses Buch bietet einen Einstieg in die Erlebnispädagogik, geht – freilich stark verkürzt – auf die Geschichte des handlungsorientierten Lernens von Platon bis Kurt Hahn ein, will Thesen, Trends und Daten zur Erlebnispädagogik vorstellen und somit einen ersten Einblick in diese wirksame Methode des Helfens, Heilens und Lernens geben. Natürlich wurde schon Vieles zum Thema Erlebnispädagogik veröffentlicht. Sozusagen als Entschuldigung für diese mangelnde Innovation sei eine Anmerkung von Kurt Hahn, dem Begründer der Erlebnispädagogik, zitiert:

„Es ist in der Erziehung wie in der Medizin. Man muß die Weisheit der tausend Jahre ernten. Wenn Sie je zu einem Chirurgen kommen, und der will Ihnen den Blinddarm in einer möglichst originellen Weise herausnehmen, so rate ich Ihnen dringend, gehen Sie zu einem anderen Chirurgen“ (Hahn 1998, 292).

Über den Tellerrand blicken, Grenzen überschreiten, Herausforderungen annehmen, Hindernisse überwinden, Risiken abwägen und annehmen, Entscheidungen fällen und dazu stehen, einen eingeschlagenen Weg durchhalten, kreative Lösungen finden – das alles sind Kompetenzen, die heute gefordert werden und mit deren Vermittlung sich Schulen und Hochschulen schwer tun. Vermutlich deshalb, weil es hier nicht um Wissen geht, sondern um Haltungen, Einstellungen, um persönliches Wachstum, um – nehmen wir einfach ein altbackenes Wort – Charaktererziehung. Immer mehr setzt sich nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Theorie die Einsicht durch, dass handlungs und erlebnisorientiertes Lernen viel zu den oben genannten Kompetenzen beitragen kann.

Wer heute Soziale Arbeit, Heilpädagogik oder Erziehungswissenschaft studiert, wird mit großer Wahrscheinlichkeit während seines Studiums auf den Begriff Erlebnispädagogik stoßen. Diese pädagogische Methode, die mit Abenteuer und tiefen, prägenden Eindrücken verbunden wird, war lange Zeit umstritten. Sie hat sich jedoch in der Jugendarbeit, der Heimerziehung, der beruflichen Bildung, der Arbeit mit Menschen mit einer Behinderung, eigentlich in nahezu allen (sozial-)pädagogischen Praxisfeldern, durchgesetzt und über viele Umwege nun auch die Hochschulen erreicht. Der Weg ging also von der Praxis zur Theorie. War es 1990 nur eine Handvoll Bücher, so füllt die Fachliteratur zur Erlebnispädagogik heute mehrere Regale. Dieses kleine Buch will erste Einblicke geben für Studierende und interessierte Praktiker, die schnell zur Sache kommen wollen, es will einen Überblick vermitteln, einige Seitenblicke ermöglichen und schließlich einen Blick in die Zukunft werfen.

Erlebnis, Reflexion, Erziehung. Aus einem Schattendasein hat sich die Erlebnispädagogik zu einer mächtigen Methode entwickelt, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Praxis der Jugendarbeit und Heimerziehung erste Schritte getan und dann einen Siegeszug in allen Feldern der praktischen Pädagogik angetreten hat. Sie ist heute aus dem Spektrum der pädagogischen Möglichkeiten nicht mehr wegzudenken und etabliert sich zunehmend als Disziplin an den Hochschulen und Universitäten, an denen Diplom- und Bachelorarbeiten, Dissertationen und Forschungsprojekte zu diesem Themenkomplex stetig zunehmen.

Erlebnispädagogik „leidet“ unter einer mehrfachen Sprachlosigkeit; Erlebnisse sind erstens oft so prägend, so beeindruckend, dass die Sprache versagt. Und oft erscheint, zweitens, die Reflexion eines Erlebnisses als etwas Künstliches, Aufgedrängtes, etwas, durch das Erlebtes zerredet und zerstört wird. So drängt sich die Frage auf: War das Erlebnis nur dazu da, um vorgefertigten pädagogischen Zielen zu dienen? Drittens sind viele Praktiker der Erlebnispädagogik manchmal mund- und öfter schreibfaul. Wer oft mit den Gewalten der Natur konfrontiert wird, beschränkt sich eher auf das Wesentliche. Und schließlich: Je mehr man sich um eine Definition bemüht, umso mehr fließen die Gewissheiten wie Sand durch das Sieb der Erkenntnis.

Dazu kommt, dass Erleben eine sehr subjektive Kategorie ist. Franz Kafka schreibt in seinem Brief an den Vater (1995, 48): „... was mich packt, muss dich noch kaum berühren und umgekehrt, was bei dir Unschuld ist, kann bei mir Schuld sein, und umgekehrt, was bei dir folgenlos bleibt, kann mein Sargdeckel sein“. An anderer Stelle schreibt Kafka Folgendes: „Einmal brach ich mir das Bein. Das war mein schönstes Erlebnis“. Beide Aussagen zeigen, dass Erleben etwas ganz Persönliches ist, und es lässt sich nur genauer beschreiben, wenn man darüber spricht. Sprachlosigkeit und die Notwendigkeit der Kommunikation stehen hier in einem gewissen Spannungsverhältnis.

Erleben und Erziehen stellt eine noch schwierigere Verknüpfung dar. Wie könnte man sich diesem Verhältnis annähern? Dazu dient zunächst eine Spirale aus den drei Tätigkeiten Erleben, Erinnern, Erzählen. Nur Erleben ist blinder Aktionismus, nur Erinnern ist ein Gefängnis, in dem viele alte Menschen sich befinden, nur Erzählen wird zum leeren Geschwätz. Erst wenn ein Erlebnis erinnert und erzählt, und damit neu durchlebt und verarbeitet wurde, kann sich diese Spirale zu einer neuen Schleife aufschwingen. Diese Spirale ist sozusagen der Weg vom Ist zum Soll und beschreibt damit Möglichkeiten der Persönlichkeitsbildung und Kräfteentwicklung.

Das Bild von der „Waage der Erlebnispädagogik“ kann das Verhältnis zwischen Ereignis, Erlebnis und Transfer verdeutlichen (Abb. 1). In der linken Waagschale befinden sich die Ereignisse, die Erlebnispädagoginnen und -pädagogen anbieten. Vom Individuum werden die Ereignisse zu einem Erlebnis verarbeitet. Jedes äußere Ereignis wird unterschiedlich interpretiert und eingeordnet, je nach Biografie, Stimmung, Einstellung und Lebensalter. Dann wieder sind wir Pädagogen am Zuge, um aus diesem Erlebnis einen Lerneffekt zu machen. Das symbolisiert die rechte Waagschale. Was erlebt wurde, was sich auf der seelischen Leinwand eingedrückt hat, muss wieder zum Ausdruck gebracht werden. Daher sind die Reflexionsmethoden in der Erlebnispädagogik so wichtig. Und da es oft beeindruckende Erlebnisse gibt, brauchen wir auch kreative Methoden, um das Erlebte zum Ausdruck bringen zu können – da in diesem Zusammenhang, wie erwähnt, die Sprache oft versagt. Nach der Reflexion muss die Prüfung des Transfers erfolgen: Was habe ich gelernt, was kann ich in meinem Lebensalltag gebrauchen, was nehme ich mit in mein alltägliches Leben? Auch hier gilt: Werden nur Ereignisse angeboten, dann senkt sich die linke Waagschale, und wir befinden uns im breiten Feld der Freizeitpädagogik. Befassen wir uns hauptsächlich mit der Auswertung von Erlebnissen, senkt sich die Waagschale auf der rechten Seite, so haben wir es eher mit dem Bereich der Selbsterfahrung zu tun. Bei der Erlebnispädagogik befinden sich beide Waagschalen in einem Gleichgewicht.


Abb. 1: Waage der Erlebnispädagogik

Aus Ereignissen werden Erlebnisse, Erlebnisse bündeln sich zu Erfahrungen, aus Erfahrungen werden Erkenntnisse gezogen (Abb. 2). Der Satz des Schriftstellers Peter Handke gilt nicht nur für die Literatur, sondern auch für die Pädagogik, insbesondere für die Erlebnispädagogik: „Gute Literatur kommt aus dem Erleben der Dinge und der Gerechtigkeit diesem Erlebnis gegenüber“ – gute Pädagogik ebenfalls.

Merksatz

Wir sprechen erst dann von Erlebnispädagogik, wenn nachhaltig versucht wird, die Erlebnisse durch Reflexion und Transfer pädagogisch nutzbar zu machen. Klettern, Schlauchbootfahren oder Segeln sind Natursportarten, die viel Freude und Sinn vermitteln. Sie bleiben aber lediglich eine Freizeitbeschäftigung, wenn sie um ihrer selbst willen durchgeführt werden.

Der Begriff „Erlebnispädagogik“. Es wäre ein Leichtes gewesen, zu Beginn der Theoriediskussion um 1990, Erlebnispädagogik zu definieren. Man hätte damals ohne Weiteres sagen können, dass Erlebnispädagogik durch Natursport etwas zur Persönlichkeitsbildung beitragen will. Heute, nachdem sich die erlebnispädagogische Bewegung in allen pädagogischen Praxisfeldern und mit einer zunehmenden Vielfalt von Methoden ausgebreitet hat, kann diese Definition die


Abb. 2: Die E-Kette

Bandbreite nicht mehr abdecken. Bernd Heckmair und ich haben in der sechsten Auflage des Buches „Erleben und Lernen. Einführung in die Erlebnispädagogik“ folgende Definition von Erlebnispädagogik formuliert (2008, 115):

Definition

„Erlebnispädagogik ist eine handlungsorientierte Methode und will durch exemplarische Lernprozesse, in denen junge Menschen vor physische, psychische und soziale Herausforderungen gestellt werden, diese jungen Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und sie dazu befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten“.

Manche Autoren haben auf eine Definition verzichtet und versucht, Erlebnispädagogik durch folgende Eigenschaften zu beschreiben (vgl. dazu Schad / Michl 2004, 23):

Sie findet in der Regel unter freiem Himmel statt.

Sie verwendet häufig die Natur als Lernfeld.

Sie hat eine hohe physische Handlungskomponente.

Sie setzt auf direkte Handlungskonsequenzen der verwendeten Aktivitäten.

Sie arbeitet mit Herausforderungen und subjektiven Grenzerfahrungen.

Sie benutzt als Medien eine Mixtur von klassischen Natursportarten, speziellen künstlichen Anlagen sowie eine Palette von Vertrauensübungen und Problemlösungsaufgaben.

Die Gruppe ist ein wichtiger Katalysator der Veränderung.

Das Erlebte wird reflektiert: Was wurde gelernt und wie wirkt es sich auf den persönlichen und beruflichen Alltag aus? Auf die Reflexion folgt der Transfer in den persönlichen und / oder schulischen und / oder beruflichen Alltag.

Erst wenn alle oder die meisten dieser Kriterien erfüllt sind, kann man von Erlebnispädagogik sprechen.

Inzwischen hat sich dieses Verständnis von Erlebnispädagogik auch durchgesetzt. Wenngleich es nicht zufrieden stellt, weil es nicht das Ziel, sondern nur den Weg in den Mittelpunkt stellt, so ist es doch das Bestmögliche. Relativ unverfänglich, aber letztlich zu allgemein sind die Bezeichnungen „Erfahrungslernen“ oder „handlungsorientierte Methoden“. Das Gleiche meinen die amerikanischen Experten, wenn sie von „Experiential Education“ reden. Dieses erlebnis- und handlungsorientierte Lernen dringt auch in Schule und Hochschule vor, in der Erwachse nenbildung ist es nicht mehr wegzudenken. Action Learning, Open Space, Problemorientiertes Lernen, Projektlernen, Zukunftswerkstatt, Rollenspiel und Improvisationstheater sind einige Zauberwörter dieses Ansatzes.

Ein Abenteuer ist ein Ereignis mit offenem Ausgang und wenig planbaren Hindernissen. Soweit als irgendwie möglich muss in der Erlebnispädagogik aber alles planbar bleiben, daher führt der Begriff „Abenteuerpädagogik“ auf eine falsche Fährte. Wir wissen aus der Praxis, dass zu oft Unplanbares eintritt, aber das darf man dann als Restrisiko der Erlebnispädagogik bezeichnen. „Nature never gets boring“, schrieb der Ethnologe Melvin Konner, als er die San („Buschleute“) Südafrikas erforschte. Natur und Wildnis werden nie beherrschbar sein, daher verzichten wir auf Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Wer sich zum ersten Mal von einem hohen Felsen abseilt, verspürt sicherlich Herzklopfen, Unsicherheit, mitunter lebensbedrohliche Ängste. Unter der fachlichen Leitung eines erfahrenen (und zertifizierten) Erlebnispädagogen kann diese Aktion aber sicherer als eine Fahrradtour durch eine Großstadt sein.

„Aktionspädagogik“, ein Begriff, der gelegentlich in der Fachliteratur auftauchte, fokussiert auf „Action“, auf Thrill, Risiko, Sport, Überwindung, Survival. Davon ist die Erlebnispädagogik meilenweit entfernt. Blickt man die letzten zwei Jahrzehnte zurück, so kann man zusammenfassen, dass die Entdeckung der Langsamkeit, der Einsamkeit, des Schweigens und Fastens, der Dunkelheit und Nacht, der schöpferischen Pause, des gemeinsamen Schweigens in der Höhle oder am Berggipfel ein wesentlicher Aspekt dieser handlungsorientierten Methode war. Die Aktion ist nur das sichtbare, spektakuläre Moment. Sie gehört zwar zur pädagogischen Dramaturgie, ist aber nicht höher zu bewerten als diese stillen, ruhigen, beschaulichen, nachdenklichen Phasen.


Abb. 3: Vektorenmodell der Erlebnispädagogik (in Anlehnung an Ebner, www.erlebnispaed­agogik.at)

Also nehmen wir Erlebnispädagogik als gültigen und gängigen Begriff, denn es sollte immer darum gehen, dass wir Kinder und Jugendliche durch Erlebnisse innerlich bewegen. Und diese Erlebnisse, die emotionalen Ungleichgewichte, welche durch herausfordernde Situationen ausgelöst werden, sind dann Ausgangspunkte eines nachhaltigen Lernens. Die deutsche Sprache ist in diesem Punkt der englischen überlegen, denn es gibt keine überzeugende Übersetzung des Begriffes Erlebnis. Experience ist die Erfahrung, Adventure das Abenteuer. Wir sprechen von Erlebnispädagogik, die englischen und amerikanischen Wissenschaftler von „Adventure Education“ oder „Adventure Programming“. Werner Ebner, einer der Begründer der Erlebnispädagogik in Österreich, hat in einem „Vektorenmodell“ die Dimensionen der Erlebnispädagogik veranschaulicht (Abb. 3, S. 13).


Abb. 4: Erlebnis- und handlungsorientiertes Lernen – eine Übersicht

Die Modifikationen des erlebnis- und handlungsorientierten Lernens kann man bildlich als vierblättriges Kleeblatt darstellen (Abb. 4). Es setzt sich zusammen aus pädagogischen Disziplinen (erstes Blatt), von der klassischen Erlebnispädagogik über Ferien- und Freizeitpädagogik und Naturpädagogik, die Elemente des Survival enthält (Bach / Bach 2008), bis hin zur Sportpädagogik. Das zweite Blatt ist mit Selbsterfahrung und Therapie überschrieben. Dazu zählen das Solo (vgl. dazu Thoreau 1971), die Erlebnistherapie (Gilsdorf 2004), die Arbeit mit Ritualen und spirituelle Ansätze (Schödlbauer 2004; Muff / Engelhardt 2007) sowie die Visionssuche – die therapeutische Variante des Solo (Koch-Weser / v. Lüpke 2005): Aus der ein- bis dreitägigen Einsamkeit in der Natur, dem Solo, entwickelte sich seit dem Jahr 2000 die Visionssuche, die der Selbsterfahrung und therapeutischen Zwecken dienen soll. Auf dem dritten Blatt werden Weiterbildung und Firmentrainings gewürdigt, vom Outdoor-Training und Outdoor-Development-Training, das sich durch intensive und langfristige Trainingsarbeit auszeichnet, bis zum Event oder Incentive. Im weiten Feld der Weiterbildung sind handlungsorientierte Methoden inzwischen ein fester Bestandteil. Auf dem vierten Blatt wird ein Ausschnitt der Vielfalt gängiger erlebnis- und handlungsorientierter Methoden genannt: Kooperative Abenteuerspiele (Gilsdorf / Kistner 2001 und 2003) und Lernprojekte (Heckmair 2008), City Bound (Deubzer / Feige 2004; Crowther 2005) und Land-Art (Güthler / Lacher 2005, Häfele 2011).

Standards der Erlebnispädagogik. An mindestens zwei Kriterien muss sich die Erlebnispädagogik messen lassen: Sicherheit und Ökologie. Nach vielen Irrungen und leichtsinnigen Aktionen ist heute bei den allermeisten Trägern der Erlebnispädagogik ein hoher Sicherheitsstandard vorhanden. Er basiert auf zehn bis zwanzig Jahren Erfahrung – aus Unfällen, Beinaheunfällen und Zwischenfällen hat man gelernt (vgl. dazu Dewald et al. 2003) – und einer Strategie der kontinuierlichen Verbesserung. Kein Träger der Erlebnispädagogik kann sich einen Unfall leisten. Zwischen subjektiv gefühltem Risiko und objektiver Gefahr besteht ein großer Unterschied. Teilnehmer, die sich erstmals aktiv von einem Felsen abseilen – natürlich durch den Trainer gesichert –, fühlen sich dabei wesentlich sicherer, als wenn sie vom Trainer passiv abgelassen werden. Dabei enthält das aktive Abseilen eindeutig mehr Fehler und Unfallquellen als das passive Ablassen. „Erlebnistage“ – mit mehr als 25000 Schülern und Schülerinnen pro Jahr der größte erlebnispädagogische Anbieter im deutschsprachigen Raum – berichtet z. B. von einem Knöchelbruch, zugezogen beim Versuch, nächtens von einem Etagenbett ins andere zu springen oder von einer Prellung am Arm, weil jemand bei der Verfolgungsjagd im Treppenhaus ausgerutscht ist. Es handelt sich hier ausnahmslos um Unfälle, die außerhalb der offiziellen erlebnispädagogischen Angebote stattfanden. Bei erlebnispädagogischen Aktionen wird penibel auf Sicherheit geachtet, Standards werden ständig überdacht und verbessert. Lediglich die kooperativen Abenteuerspiele, die zum Methodenspektrum des erlebnisorientierten Lernens gehören, werden von jungen Trainern als Unfallursache oft unterschätzt. Bei glitschigem Rasen und leichtsinnigen Gruppen passieren hier weit mehr Unfälle als in natursportlichen Situationen. Für ausnahmslos alle erlebnispädagogischen Aktionen, sei es im Seil- oder Klettergarten, bei der Höhlen- oder Kanutour, beim Bau einer Seilbrücke, gilt jedoch, dass gegen Ende der Spannungsbogen fällt und dann Unfälle wahrscheinlicher werden. Nicht selten taucht aber als einziger Schadensfall ein beschädigter Wagen auf – weil das Kanu schlecht am Autodach verknotet war.

Zahlreiche Publikationen, viele kreative Ideen und Experimente haben mittlerweile für höchsten Standard gesorgt. Walter Siebert und Stefan Gatt (1998) haben mit „Zero Accident“ ein erstes Sicherheitskonzept veröffentlicht, und Stefan Gatt und andere haben 2006 Standards bei Outdoor-Trainings definiert. Die „Missgeschicke. Eine Sammlung erlebnispädagogischer Praxisfälle“ von Wilfried Dewald, Lydia Kraus und Martin Schwiersch (2003) sind aus der Praxis für die Praxis zusammengestellt.

In nahezu allen Praxisbüchern der Erlebnispädagogik werden ökologische Grundsatzfragen gestellt und mehr oder weniger zufriedenstellend geklärt. „Natur, Erlebnis, Ferien: Handbuch für die Gestaltung ökopädagogischer Kinder- und Jugendfreizeiten“ von Anke Schlehufer und Steffi Kreuzinger (1997), das im Schnittpunkt von Erlebnis- und Ferienpädagogik zu verorten ist, bietet ein breites Spektrum ökologischer Einsichten, Tipps und Aktionen. Eine systematische Analyse, auch der konfliktreichen Überschneidungen zwischen Erlebnispädagogik und Naturschutz, stellt die Dissertation von Albin Muff (1997) dar.

Weiterbildung, Qualifikation und Berufsbild. Seit mehr als acht Jahren sind im deutschsprachigen Raum tief greifende Bemühungen im Bereich der Aus- und Weiterbildung sichtbar. Dies war unbedingt notwendig, da der Markt für Außenstehende nur schwer durchschaubar war und die Qualität zwischen den Angeboten beträchtlich schwankte. 2008 begann ein Qualitätsprozess für Aus- und Weiterbildungen in der Erlebnispädagogik, der durch den Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik e.V. (be) in die Wege geleitet wurde. Das erste greifbare Ergebnis waren die Qualitätsgrundlagen für erlebnispädagogische Ausbildungen, die 2011 verabschiedet wurden. Direkt im Anschluss begann eine Arbeitsgruppe, ein Zertifizierungsverfahren für Ausbildungsanbieter zu erarbeiten. Seit 2015 gibt es die ersten zwei zertifizierten Anbieter (Zwerger & Raab und GFE erlebnistage). Im Frühjahr 2015 wurde vom „Hochschulforum Erlebnispädagogik“ und dem be („Fachgruppe Aus- und Weiterbildung“) nach langjähriger Diskussion das „Berufsbild Erlebnispädagog_in“ beschlossen. Dabei wirkten Hochschulvertreter, Praxisanbieter und Einzelpersonen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden mit. Weiterführende Informationen sind beim Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik e.V. zu beziehen.

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