Читать книгу Mörderisches Bamberg - Werner Rosenzweig - Страница 11

Überfordert

Оглавление

Dienstag, 29. August

„So eine Scheiße!“ Harald Hagenkötter fluchte wie ein Rohrspatz und zupfte unentwegt an seinem Schnauzbart. Eine typische Geste, wenn er nervös oder verärgert war.

Da war noch nicht einmal die Identität des toten Mädchens in der Regnitz geklärt und schon bescherte ihm der heutige Dienstag ein weiteres Mordopfer. Noch dazu einen römischen Kurienbischof aus dem Vatikan. Prost Mahlzeit, das konnte noch heiter werden.

Der Bamberger Oberbürgermeister war der erste, der am frühen Morgen angerufen hatte, gleich darauf ein Vertreter des Erzbistums und beide waren nicht erfreut gewesen. Gerade hatte er noch den Polizeipräsidenten für Oberfranken aus Bayreuth an der Strippe gehabt. Sie alle hatten ihn mit Fragen gelöchert, die er noch nicht beantworten konnte. Und er ärgerte sich: Für das tote Mädchen interessierte sich plötzlich kein Schwein mehr. Alles drehte sich nur um den römischen Bischof.

Jetzt war Hagenkötter auf dem Weg zum großen Besprechungszimmer. Dort hatte er sein Ermittlerteam zusammengerufen. Aufgaben mussten neu verteilt werden. Leider fehlte Professor Stich, auf dessen Erfahrung und Urteilsvermögen er so gerne baute. Die Obduktion der Leiche war schon in vollem Gange und Stich somit gut beschäftigt.

Im Besprechungsraum herrschte Hektik. Seine Leute waren von den Ereignissen genauso überrascht worden wie er. Der Hund eines frühen Spaziergängers hatte den toten Bischof gegen fünf Uhr morgens gefunden. Sein Herrchen, ein 80-jähriger Rentner, war völlig überfordert gewesen. Was tun? Ein Mobiltelefon hatte der Mann nicht dabei. Am nächsten Wohnhaus klingeln? Jetzt, um diese Uhrzeit? Gott sei Dank war ein Zeitungsausträger vorbeigekommen, der dann die Polizei angerufen hatte.

Hagenkötter warf die Tür des Besprechungszimmers hinter sich zu. „Guten Morgen!“

„Guten Morgen“, tönte es zurück, dann wurde es mucksmäuschenstill.

„Jetzt haben wir die Kacke am dampfen. Ich weiß nicht, was momentan in dieser Stadt los ist. Alle Schaltjahre haben wir mal einen Mord aufzuklären und jetzt, innerhalb von zwei Tagen, liegen gleich zwei Fälle auf dem Tisch. Wenn das so weitergeht … Wer von der Spusi war heute früh am Tatort? Gibt es irgendetwas Auffälliges, wo wir ansetzen können?“

Gerhard Frank von der Spurensicherung meldete sich als Erster: „Hautschuppen haben wir genug gefunden, aber im Moment sind wir erst bei der Auswertung. Das Opfer wurde erdrosselt. Vermutlich mit einer Würgeschlinge oder einem ähnlichen Instrument. Ich soll Ihnen von Professor Stich ausrichten, dass er noch vor Ort Blutaustritte durch Mund und Nase festgestellt hat. Das passiert, wenn die Luftröhre durch Druck so stark komprimiert wird, dass sie reißt. Die Male und der Druck auf das Halsgewebe waren auffallend gleichmäßig verteilt: tief, scharf abgegrenzt und in ähnlicher Ausprägung rund um den Hals feststellbar. Als Mordwerkzeug wurde also wahrscheinlich ein Drahtseil benutzt – da würde ich aber noch die genaue Obduktion abwarten, um sicher zu sein. Das Auffälligste an der Leiche steckte aber in seiner linken Anzugtasche: Der Täter hat eine Nachricht hinterlassen. Einen Zettel, etwa DIN A 6-Format, handbeschrieben. Die Schrift ist sehr gut lesbar: Papa era cattivo. Der Zettel ist gerade im Labor. Die KTU kümmert sich darum.“

„Mein Italienisch ist jetzt nicht das beste. Könnte mich mal jemand aufklären?“ Hagenkötter zupfte wie wild an seinem Schnauzbart herum.

Papà era cattivo – zu Deutsch: Papa war böse, wenn ich mich nicht irre. Aber ich hab den Zettel noch nicht selbst gesehen …“, kommentierte Tina Meisel.

Papa war böse? Sind wir hier im Kindergarten oder in der Klapsmühle?“, schnaufte Hagenkötter. „Ist das alles?“

„Sein Bischofsring ist auch weg“, schaltete sich Gerhard Frank noch einmal ein. „Ansonsten fehlt offenbar nichts. Geldbörse, persönliche Dokumente, Hotelschlüssel – alles noch vorhanden.“

„Wer bringt denn einen Bischof um, nur um seinen Ring zu klauen?“ Der Hauptkommissar sprach mehr zu sich selbst als zu seinen Mitarbeitern. „Und was hat dieses Papa-Getue damit zu tun?“

„Der Bischofsring ist sicher nicht der Grund seines Todes“, meinte Tina. „Der Geistliche trug keine Amtskleidung, sondern einen ganz normalen, schlichten schwarzen Anzug. Von hinten hätte der Mörder unmöglich erkennen können, dass er es mit einem hohen Würdenträger der römisch-katholischen Kirche zu tun hatte – und Eposito wurde ja wohl von hinten erdrosselt?“ Sie legte die Stirn in Falten. „Von vorn allerdings hätte man den weißen Kragen seines Kollarhemds sehen können, das ist dieser typische Priesterkragen. Aber bedenken wir: Es war mitten in der Nacht und der Angriff ging sicherlich ganz schnell vonstatten. Und überfällt jemand gezielt einen Geistlichen? Nur wegen seines Rings? Unwahrscheinlich.“

„Außer der Mörder kannte sein Opfer“, überlegte Hagenkötter. „Worauf diese seltsame Botschaft Papa war böse hindeuten könnte.“

„Aber wer bringt denn wohlwissend einen friedlichen Bischof um?“, zweifelte Tina noch immer.

„Auch Bischöfe sind keine Engel. Auch die haben manchmal Dreck am Stecken. Die Leiche ist noch bei Professor Stich am Institut für Rechtsmedizin in Erlangen, nehme ich an?“

„Genau. Er und ein Kollege müssten gerade bei der Autopsie sein. Um die Mittagszeit hole ich seinen schriftlichen Bericht persönlich ab, den zum Mädchen aus der Regnitz bringe ich auch gleich mit.“

„Gut, Frau Meisel. Apropos, was gibt es Neues im Fall unserer kleinen Wasserleiche? Irgendwelche Hinweise zu ihrer Identität?“ Hagenkötter blickte in die Runde.

Nun meldete sich zum ersten Mal Tinas Kollege Franz Schmuck. Der Mann war ein echter Ehrgeizling, der keinen Hehl daraus machte, auf der Karriereleiter so schnell wie möglich nach oben kommen zu wollen. Natürlich hatte er längst registriert, dass Tina zu Hagenkötter einen speziellen Draht hatte. Doch eines musste man ihm zugutehalten: Schmuck war kein Intrigant. Niemals wäre es ihm eingefallen, sich Tina gegenüber in unfairer Weise zu positionieren oder sie gar bloßzustellen. Er wollte durch eigene Leistungen überzeugen. Außerdem schätzte er seine Kollegin.

„Wir tappen immer noch weitgehend im Dunkeln“, begann Schmuck jetzt, „es ist zum Verrücktwerden. Aber gestern Abend hat sich bei mir ein Dr. Sieber gemeldet und erklärt, dass er der Leiter der Santi-Figli-di-Dio-Schule sei. Ich hatte noch nie von dieser Schule in Bamberg gehört, aber gut … Kurzum, er kam schnell zum Punkt und hat vermeldet, dass eine Schülerin abgängig sei und dass ihre Eltern ihm im Nacken säßen. Wenn ich ganz ehrlich sein soll: Seine Geschichte klang sehr verwirrend. Ich habe ihn für morgen neun Uhr ins Kommissariat einbestellt.“

„Sehr gut, Schmuck“, lobte Hagenkötter, „den Mann hören wir uns an. Gut möglich, dass seine abgängige Schülerin unsere Wasserleiche ist. Frau Meisel, sind Sie mit dabei? Und erkundigen Sie sich doch mal, was es mit dieser komischen Schule auf sich hat. Im Moment müssen wir uns noch an das halten, was wir sicher wissen. Gab es sonstige verwertbare Spuren oder Auffälligkeiten an der Leiche des Mädchens, die wir gestern noch nicht auf dem Schirm hatten?“

Ludwig Zahn von der Kriminaltechnischen Untersuchungsabteilung meldete sich zu Wort: „Wir haben bei dem toten Mädchen unter den Fingernägeln Fremd-DNA feststellen können und mit der bundesweiten Datei abgeglichen. Leider ohne Erfolg. Aber wir können davon ausgehen, dass sie sich heftig gegen ihren Mörder gewehrt hat.“

„Hmm. Frau Meisel, ich will den Obduktionsbericht, sobald Sie von Professor Stich zurück sind. Kommen Sie damit sofort zu mir. Das hat absoluten Vorrang.“ Zeigefinger und Daumen von Hagenkötters rechter Hand zogen wie wild an seinem Schnurrbart. Leicht nervös sah er sich in der Runde um. „Wie schaut’s aus, können wir uns so, wie wir hier sitzen, heute Abend nochmal treffen? Sagen wir um 19 Uhr? Ordentlich spät, aber ich würde gern mit Ihnen die Ergebnisse beider Obduktionsberichte durchgehen, Mädchen und Bischof. Ich weiß, was ich Ihnen damit zumute, aber die Angelegenheit ist verdammt wichtig.“

Hagenkötter erntete heftiges Kopfnicken.

„Ich danke Ihnen, Kollegen. Und Frau Meisel, bitte rufen Sie gleich Dr. Stich an und fragen Sie ihn, ob er bereit wäre, sich telefonisch zuzuschalten. Wer weiß, ob Sie ihn in seinem Institut überhaupt persönlich erwischen.“

„Mach ich, Chef“, antwortete Tina. „Sobald ich aus Erlangen zurück bin, verteile ich Kopien der Obduktionsberichte an die Kollegen, damit sie die Chance haben, sich vor unserem Abendtreffen einzulesen.“

„Prima. Herr Schmuck, Sie konzentrieren sich zwischenzeitlich auf die zweite Leiche. Dieser römische Bischof ist mit einem Chauffeur nach Bamberg gekommen, ein Italiener namens Bertone. Nehmen Sie sich den Fahrer bitte vor. Fühlen Sie ihm auf den Zahn. Ich möchte lückenlos wissen, wo sich das Mordopfer wann in Bamberg aufgehalten hat.“

Mörderisches Bamberg

Подняться наверх