Читать книгу Der Gral des Pueblo Bonito - Werner-Wolf Turski - Страница 5
Das Gebiet der Chaco-Anasazi
ОглавлениеDer Lebensbereich der Anasazi (Abb. 1) in nördlichen Teil des nordamerikanischen Südwestens lag geographisch bis 1300 u.Z. im Wesentlichen auf dem flach schüsselförmigen Colorado Plateau, das Teil des Colorado Dränagegebietes ist und durch verschiedene geologische Aktivitäten spezifische Formen erhalten hat und eine Höhe von durchschnittlich 1.500 m NN (über dem Meeresspiegel/Normal Null) aufweist. Da das Gebiet über weite Bereiche eine höhere durchschnittliche Verdunstung aufweist als die dort auftreffende Niederschlagsmenge, ist dieses Gebiet arid, eine Wüste. Die bestehenden topographischen Differenzen gestalten jedoch das Klima lokal sehr unterschiedlich.
Innerhalb des Colorado Plateaus besteht die geologische Form des ca. 12.000 km² großen San Juan Beckens im östlichen Teil des 64.000 km² großen Dränagegebietes des San Juan River, einem der östlichen Nebenflüsse des Colorado River. Auch diese Region ist topographische durch Erhebungen, Täler und ebene Bereiche sehr unterschiedlich gestaltet und der Chaco Canyon und sein Umfeld im zentralen San Juan Becken (Abb. 1) sind darin ein sehr markantes Gebiet.
Abb. 1 Verbreitungsgebiet der Anasazi-Kultur und der Kulturbereich der Chaco-Anazasi im Mittleren San Juan Becken
Das geologisch profilierte zentrale San Juan Becken ist im Norden vom San Juan River, im Süden vom Dutton Plateau und der Lobo Mesa, im Osten vom Nacimiento Uplift und im Westen von den Chuska Mountains begrenzt. (Abb. 2) Es umfasst den Ober- und Mittellauf des Chaco River, die Chakra Mesa und den Chaco Canyon, das Gebiet südlich und westlich der Chakra Mesa (der sogenannte „Beckenboden“) und das Chaco Plateau südlich der Gallegos Mesa (südlich von Farmington). Dieses Gebiet, der sogenannte Chaco Kern, und der Beckenboden südlich des Canyon ist der Lebensraum der Chaco-Anasazi.
Abb. 2 Das Mittlere San Juan Becken mit dem Wasserlaufsystem des Chaco River mit dem Chaco Wash und der Lage des maßgeblichen Teils des Chaco Canyon; der Bereich des Chaco Canyon National Monuments (= engerer Chaco-Kern) ist dunkel hinterlegt.
Der im Zentrum des San Juan Beckens liegende Chaco Canyon erstreckt sich entsprechend der Länge des ihn durchfließenden Chaco Wash über ca. 40 km. Sein Talboden liegt 45 bis 150 m tiefer als die Oberflächen der umliegenden Sandstein-Tafelberge (Mesas). Das Gefälle des Canyonbodens beträgt 6 m/km. Seine größte Breite misst 600 bis 1000 m. Das Gebiet ist heute mit einem durchschnittlichen Niederschlag von 230 mm/a sehr trocken. Für Trockenbodenbau im nordamerikanischen Südwesten sind mindestens 305 m/a Niederschlag für die zu bewirtschaftenden Flächen erforderlich. Seine bedeutendste archäologische Stätte, das Pueblo Bonito, liegt auf einer Höhe von ca. 1.900 m NN.
Der Canyon mit seiner etwa nordwestlich-südöstlichen Streichrichtung und die ihn umgebenden und markierenden Flachmassive/Tafelberge/Mesas liegen innerhalb des sogenannten Chaco Kerns/„Chaco Core", der sich von dem breiteren Chaco Plateau, einer flachen Graslandregion mit heute seltenen Baum-Beständen und einer, auch in prähistorischen Zeiten geringen Besiedlung unterscheidet. Das Tiefland besteht aus Dünenfeldern, Rücken/Graten und Bergen. Die kontinentale Wasserscheide von Nordamerika liegt nur 25 km östlich des Canyons.
Das Kerngebiet der Anasazi-Kultur im Chaco Canyon (Abb. 3) erstreckt sich aber nur über einen 15 km langen Canyon-Teil, wo sich 12 der meist genannten Großhäuser und ca. 160 Kleinhäuser/Einheitspueblos befanden, die zwischen 850 und 1130 u.Z. erbaut wurden. In dem den Chaco Canyon umgebenden Gebiet von ca. 85 bis 90 km² sind weitere 3.000 Wohnstätten mit bis zu maximal 20 Räumen von den Archäologen registriert worden. (Für sogenannte Kleinhäuser gilt als ungefähre obere Grenze eine Anzahl von 50 Räumen, bei mehr als 50 Räumen werden die Bauwerke, mit großem Vorbehalt!, als Großhäuser bezeichnet.) Im Gesamtgebiet, das einmal von der Chaco-Kulturtradition beeinflusst worden war, gibt es ca. 150 sogenannte Chaco-Außenstellen (outliers) unterschiedlicher Größe, die bis zu 185 km vom Chaco-Zentrum entfernt liegen. Teilweise ist die Benennung einiger dieser Bauwerke bzw. Stätten als Chaco-Außenstelle oder auch als Großhaus umstritten, wie z.B. die von Wupatki als der möglicherweise westlichsten Chaco-Außenstelle, die ca. 320 km vom Chaco Canyon entfernt liegt.
Abb. 3 Der Unterlauf des Chaco Wash mit der Lage der maßgeblichen Großhäuser und den Wasserabflussgebieten von der Mesa in den Canyon
In anderen Quellen wird die Anzahl der Fundstellen (nicht Wohnstätten!) im Chaco Canyon und seiner näheren(?) Umgebung für die Zeit von 900 bis 980 u.Z. mit ca. 500 angegeben, von denen ca. 350 in die Kategorie Pueblo-Bauten/übertägige Mauerwerksbauten eingeordnet wurden. Die Stättenanzahl sagt nichts über die Anzahl der Pueblo-Räume, deren Funktion und Lebensdauer aus. Für die Zeit um 1050 u.Z. wurden nur 280 Pueblos angegeben, was wiederum nichts über die Anzahl der Räume, deren Funktion, Nutzungs- und Lebensdauer aussagt. Diese Zahl ist demographisch nicht zu interpretieren, sie zeugt nur von einer gewissen Dynamik im Niederlassungsmuster dieses Gebietes. Man vermutet, dass die Bevölkerungsanzahl in diesem Gebiet annähernd konstant geblieben ist.
Grundsätzlich ist für alle von den Anasazi errichteten Bauten festzustellen, dass sie unterschiedliche und vielfältige Funktionen hatten. Die Anzahl der rechteckigen übertägigen Raumzellen in den Anasazi-Bauten können nicht als Maßstab für eine Abschätzung der Bevölkerungsgröße der Niederlassung genutzt werden, denn die „Räume“ hatten von Struktur zu Struktur nicht immer die gleiche Bedeutung/Funktion und sogar innerhalb einer Struktur wechselte die Raumfunktion von Raum zu Raum und gegebenenfalls auch über die Zeit beim gleichen Raum (Umwidmung von Räumen!). Flachdachige rechteckige "Räume" sind keine direkte Widerspiegelung einer Bewohneranzahl der Stätte und je höher ein (mehretagiges) Bauwerk ist, desto vorsichtiger sollt man bei der Zuordnung einer Bewohneranzahl sein.
Der den Canyon durchfließende Chaco Wash ist ein intermittierend Wasser führender und über die Talebene/Flutebene mäandernder Wasserlauf, in den eine Anzahl charakterlich ähnlicher, aber kürzerer Neben“flüsse“ einmündet. Die Wasserführung wurde von der Schmelze der meist allmählich abfließenden winterlichen Niederschläge und von denen der heftigen Sommerniederschläge/Gewitterstürme bestimmt. Über dem Felsbett des Canyons lagern ca. 15 m (einige Quellen sprechen auch von 38 m) mächtige Schuttmassen und alluviale und äolische Erosionssedimente, die von den umliegenden Mesas im Laufe vieler Jahrtausende abgetragen wurden. Für die Nebencanyons und die Lücken (Gaps) zwischen den Mesas sind ähnliche Zustände anzunehmen. Dieser Sedimentboden gehört grundsätzlich in die Kategorie der sogenannten „leichten“/tonarmen Böden, die in ihre relativ großen Poren schnell Wasser aufnehmen und bei Trockenheit und Austrocknung keine nennenswerte Rissbildung aufweisen.
Bei oberflächlicher Austrocknung steigt durch Kapilarsogkraft aus dem Untergrund bzw. Grundwasser Wasser nach oben. Erst eine zu lange Trockenheit/Austrocknung führt zu einer solchen Absenkung des Grundwasserspiegels, dass die Kapilarkraft nicht mehr ausreicht, um (für die Pflanzen) Wasser ausreichend nah nach oben (bis zu deren Wurzeln) zu transportieren. Dann erst wird eine Dürre für die Pflanzen und die Pflanzennutzer akut.
Nicht der direkte Niederschlag beziehungsweise seine Menge und Dauer sind wesentlich, sondern der für Pflanzen maßgebliche Grundwasserstand, der natürlich auch im Rahmen der Niederschläge schwankt, aber mit zeitlicher Verzögerung im Rahmen seiner eigenen Kapilarregularien und Bodenschichtungen. Erst ein entsprechender Erosionseinschnitt (Arroyo) im Sedimentboden führt durch seine tiefe und schnelle Entwässerung der Sedimentschicht zu einer nachhaltigen Störung bis Zerstörung eines Grundwasserstandes und zu einer Versteppung bis Verwüstung der Landfläche, so wie sie heute im Chaco Canyon mit seinem erosiv bedingten 10 m tiefen und bis 30 m breiten Wash-Einschnitt/-Arroyo zu sehen ist. Zur Zeit der Chaco Kultur floss der Wash mit wechselndem Wasserstand mäandernd und relativ ruhig über die Flutebene des Canyons. Als Anschauungsbeispiel kann der Canyon de Chelly dienen, wo nachweislich in den letzten 2.000 Jahren ca. 2 m Sedimente abgelagert wurden, der jedoch keinen Arroyo wie der Chaco Canyon aufweist und durch seinen mäandernden Wasserlauf für ausreichend Feuchtigkeit für einen, nach heutigen Maßstäben bescheidenen Bodenbau sorgt. Er fiel aber durch große Dürren auch trocken und wurde deshalb von den Anasazi bis/um 1300 u.Z. verlassen.
Klimatische Bedingungen im Bereich des Chaco Canyon
Das Klima ist der durchschnittliche Verlauf oder Zustand des Wetters an einem Ort und meist über einen Zeitraum von Jahren. Es umfasst dem Komplex von Temperatur, Wind/Windgeschwindigkeit und Niederschlag. Diese Daten können für die Vergangenheit durch eine Reihe von Messungen und Untersuchungen, selbstverständlich mit Streuungen, Unsicherheiten und breiter Verallgemeinerung, einer Durchschnittsbildung, bestimmt werden.
Zyklisch auftretende Dürrezeiten sind eine klimatische Determinante des nordamerikanischen Südwestens seit frühen Zeiten bis zur Gegenwart. Schwankungen in den Niederschlägen im zentralen San Juan Becken sind mehr eine Regel als eine Ausnahmeerscheinung. Diese Schwankungen sind in zwei feste Determinaten eingebettet: (1) Sommerwärme und Winterkälte und (2) Aridität. Jede Kultur, die dort entstand, erlebte Dürreperioden und passte sich entsprechend der Zeitperiode und ihrem Kulturstand an diese mit unterschiedlichem Erfolg an, einschließlich der Abwanderung aus dem betroffenen Gebiet.
Durch pollenanalytische Untersuchungen aus dem Südwesten ist belegt, dass die Zeit vom 8. bis zum 12. Jahrhundert u.Z. eine Periode war, in der eine Verschiebung von einem winter-dominanten zu einem sommer-dominanten Niederschlagsregime stattfand. Dabei wurden die Winter etwas milder, die Frühjahrstrockenheit wurde länger und ein größerer Anteil des jährlichen Niederschlags kam in Form intensiver Sommergewitter. Die topographisch bedingten Niederschläge, die ihre Feuchtigkeit aus den Sturmsystemen erhalten, steigen an Bergketten auf und fallen in der Umgebung des Chaco Canyon und sind zumeist Sommer- und Winterniederschläge. Die Niederschlagsmenge steigt mit dem ansteigendem Höhenniveau des Gebietes. Gelegentliche anomale Nordströmungen der innertropischen Konvergenzzone können die Niederschläge in einigen Jahren erhöhen. Der Chaco Canyon liegt im Regenschatten der westlich von ihm aufsteigenden Chuska Mountains. Die Thermikdifferenzen zwischen Mesa-Hochflächen und den Canyons und Nebencanyons gestalten das Niederschlagsgeschehen lokal sehr differenziert.
Gemäß Baumringanalysen galt die Zeit vor 700/800 u.Z. wegen ihrer extremen Wetterwechselhaftigkeit als ungünstig für den Bodenbau; zwischen 800 und 900 u.Z. trat eine klimatische Verbesserung für Bodenbaubedingungen ein, trat der oben genannte Wechsel von winterdominanten zu sommendoninanten Niederschlägen ganz allmählich auf.
Klimaanalysen sind immer mit einer gewissen Zurückhaltung aufzunehmen, denn die Kenntnis über den tendenziellen Verlauf eines Parameters, der Niederschlagsmenge, ist zumindest mit dem zweiten Parameter Temperatur zu einem Komplex zu verbinden. Dazu kommt noch, dass die Datenerfassung über das Bauholz, die zum Bau genutzten Bäume, immer nur auf Proben von den ganz konkreten Wachstumsbedingungen am Baumstandort zurückgreifen kann. Die Wachstumsbedingungen auf der Mesa-Oberfläche, auf einem Schutthang oder auf der Canyonsohle sind für einen Baum sehr unterschiedlich. Man versucht, dies durch eine statistisch große Anzahl von Proben auszugleichen, trotzdem weiß man nicht, aus welchen Wachstumsbedingungen die Holzproben stammen – man kann weder eine gleichmäßige Mischung garantieren, noch eine Homogenität der Wachstumsbedingungen.
Dazu kommen weitere stark beeinflussende Differenzierungen. Die Niederschlagsmenge wird als Jahresdurchschnitt angegeben. Damit ist nichts über seine Verteilung über das Jahr gesagt, die mal günstig und mal ungünstig für den Bodenbau mit Ein-Jahres-Pflanzen gewesen sein kann. Das Gleiche gilt für die Temperatur: Der Chaco Canyon weist spürbare klimatische Extreme auf, die der Mensch für sich persönlich abfangen kann (Kleidung, Schutzraum u.ä.), die aber für Pflanzen und ihr Wachstum ungünstig bis vernichtend sind. Die Temperaturextreme liegen heute zwischen -39°C bis +39°C und können an einem einzigen Tag um 33°C schwanken. Die Region hat im Durchschnitt weniger als 150 frostfreie Tage pro Jahr (sehr wesentlich für den Bodenbau!) und die örtlichen Klimaschwankungen wechseln wild von Jahr zu Jahr zwischen reichlichen Niederschlägen und lang anhaltender Trockenheit. Der starke Einfluss der El-Niño-Southern Oscillation trägt maßgeblich zum schwankenden Klima des Canyons bei.
Zu allen diesen Einflussfaktoren kommen noch die topographischen Differenzen der Landschaft hinzu. Die Frostfreiheit wird auf der Mesa sicher später eintreten (und damit die potenzielle Wachstumszeit der Kulturpflanzen verkürzen) als auf dem Canyonboden oder in geschützten Nischen wie Nebencanyons (Rincons). Nicht die Niederschlagsmenge selbst spielt die maßgebliche Rolle sondern sie muss als Bodenfeuchtigkeit zur für den Bodenbauer „richtigen“ Zeit am „richtigen“ Ort sein; das gleiche gilt auch für die optimale Wachstums- und Reifetemperatur.
Der „Wert“ des Klimas (gutes oder schlechtes Wetter) wird nach seiner Wirkungsweise auf die Subsistenzbedingungen/Produktionsbedingungen konkreter Menschengruppen in ihrer konkreten Region und Lokalität bestimmt, nicht abstrakt von irgendeiner Temperatur oder von irgendeiner Niederschlagsmenge. Eine Wüste bleibt eine Wüste, selbst wenn dort wegen Unachtsamkeit alle paar Jahre Menschen in einem schon lange ausgetrockneten Wasserlauf – ob Canyon, Klamm oder Wadi – ertrinken, wenn nach einem Gewitterguss eine Flashflut herankommt.
Und ein weiter Faktor ist, wie der Mensch mit „seinem“ Wetter und seinen Schwankungen umgeht, um möglichst gute Subsistenz-/Produktionsbedingungen und damit eine hohe Lebensqualität zu erreichen. Letzteres drückt sich in seiner auch durch die Lokalität geprägten Kultur aus (siehe Flusstal-Oasen).