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Vorwort des Herausgebers

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Wharton Hoods (1833 – 1916) bemerkenswerte Abhandlung über das Knocheneinrenken gilt als erstes ernstzunehmendes literarisches Werk über diese seit Jahrtausenden bekannte medizinische Kunstfertigkeit. Was das Büchlein aber neben dieser historischen Bedeutung so außergewöhnlich macht, sind Hoods brillante funktionelle Deutungen seiner Beobachtungen und die daraus resultierenden klinischen Schlüsse. Hervorzuheben ist dabei vor allem sein Plädoyer für eine frühzeitige Mobilisierung betroffener Gelenke im Zuge der Heilbehandlung. Bedenkt man, dass die Frühmobilisation in der Rehabilitation erst ab den 1960ern, also etwa 100 Jahre nach Erscheinen von Hoods Artikeln im Lancet, durch den Einfluss der Physiotherapie Goldstandard wurde, erscheinen seine Beobachtungen aus heutiger Sicht geradezu visionär.

Hier gilt es zu jedoch bedenken, dass der Autor besagtes Wissen lediglich als erster beschreibt, den Knocheinrenkern die Zusammenhänge – wenn auch in Unkenntnis der anatomischen und physiologischen Terminologie – wahrscheinlich schon Jahrhunderte, wenn nicht sogar schon Jahrtausende zuvor sozusagen intuitiv bekannt waren. Ein gutes Beispiel dafür, dass medizinisches Wissen seine Quellen häufig nicht innerhalb der »etablierten« Medizin selbst hat, sondern »adaptiertes« Wissen zuvor oftmals vehement abgelehnter Methoden darstellt. Bedauerlich aus historischer Sicht ist dabei, dass selbst im Fall einer Adaption keine entsprechende Würdigung der eigentlichen Gründerväter, wie in unserem Fall der Knocheneinrenker, aber auch ihrem Erstbeschreiber Wharton Hood, zuteil wird.

Auch muss kritisch erwähnt werden, dass die Adaption keineswegs aus Einsicht erfolgte. Erst als die vom amerikanischen Landarzt A. T. Stills (1828 – 1917) bereits 1874 der Öffentlichkeit vorgestellte osteopathische Philosophie und D. D. Palmers (1845 – 1917), nach einem Besuch der Familie Still im Jahr 1895, daraus abgeleitete Chiropraktik – beide basierend auf den Techniken der Knocheneinrenker – im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten fulminante Erfolge verzeichnete, begannen sich die Mediziner ernsthafter damit auseinanderzusetzen. Es sollte aber noch Jahrzehnte dauern, bis zumindest kleine Teile von Stills und vor allem Palmers Konzepte fester Bestandteil medizinsicher Curricula werden sollten. Dies ist vor allem Cramer, Döring und Gutman zu verdanken, die in den 1950ern aus Beobachtungen stark strukturell orientierter Osteopathie, wie sie seinerzeit in England gelehrt wurde, vorrangig jedoch aus dem Konzept und den Techniken der amerikanischer Chiorpraktiker, die sogenannte »Manuelle Medizin« entwickelten. Anders als von ihnen dargestellt, handelt es sich dabei jedoch keineswegs um ein neues oder eigenständiges Konzept. Sämtliche Techniken der Manuellen Medizin/​Therapie gehörten sowohl in der Osteopathie, wie auch in der Chiropraktik bereits ein halbes Jahrhundert zuvor zum Grundwissen. Wer dies nicht glaubt, sollte insbesondere die Literatur von J. M. Littlejohn (1866 – 1947) studieren. Dort finden sich physiologsiche und pathophysiologische Zusammenhänge wesentlich ausführlicher beschrieben, als in jeder anderen bekannten Literatur über manuelle Medizin.

Bei aller Kritik aus historischer Sicht, gebührt den Gründern der Manualmedizin, so wie sie im deutschsprachigen Raum von Ärzten und Physiotherapeuten gegenwärtig praktiziert wird, aber unzweifelhaft der nicht hoch genug einzuschätzende Verdienst, Hoods folgende Ermahnung fast ein Jahrhundert nach deren Veröffentlichung endlich umgesetzt zu haben:

»Der Schaden, der durch Knocheneinrenker – oder mehr noch durch die Einstellung einiger Mitglieder der Profession gegenüber deren Methoden – angerichtet wird, besteht darin, dass von ihnen Patienten geheilt werden, bei denen zugelassene Chirurgen versagt oder Unheilbarkeit festgestellt haben, und deshalb das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Chirurgie unnötigerweise stark erschüttert ist. Würden Chirurgen zeigen, dass sie sehr wohl wissen, was Knocheneinrenker an Gutem vollbringen können, dann wäre die Öffentlichkeit auch bereit, auf vernünftige Warnungen vor möglichen Schädigungen zu hören. Und sie wäre ebenso bereit, sich allen Vorsichtsmaßnahmen zu unterwerfen, die solche Schädigungen auf ein Minimum reduzieren.« 1

Somit stellt die Manualmedizin eine gelungene Teilintegration der alten von sogenannten »Quacksalbern« praktizierten und von Still bzw. Palmer substanziell weiterentwickelten manuellen Methoden in die Medizin dar. Und da es offensichtlich ein Jahrhundert benötigt, bis die kategorische Abwehrhaltung der Schulmediziner gegenüber besagten Quacksalbern nachhaltig schmilzt, bleibt zu hoffen, dass auch die erstmals in den 1890ern beschriebenen ganzheitlichen Aspekte insbesondere der Osteopathie bald Einzug in die etablierte Medizin finden werden. Selbstverständlich sollte dies nicht unkritisch und ohne eingehende Studien erfolgen; diese sollten jedoch in ihrem Design nicht darauf ausgelegt sein, die Osteopathie oder Chirotherapie rundweg zu diskreditieren, um Reputation, Einkommen oder persönliche Überzeugungen zu sichern, sondern offen und vorurteilsfrei die Grundlage der Erfolge jener Konzepte zum Vorteil der gesamten Medizin und damit letztlich zum Wohle der Menschheit erforschen.

In diesem Sinn hoffe ich, dass die Lektüre des vorliegenden Buches sie entsprechend inspiriert.

Viel Vergnügen beim Lesen!

Christian Hartmann

Pähl, 10. November 2008

Über das (sogenannte) Knocheneinrenken - On Bonesetting

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