Читать книгу Gadamers "Wahrheit und Methode" - Wiebrecht Ries - Страница 8
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Teil I
Die Freilegung der Wahrheitsfrage an der Erfahrung der Kunst. Zum Erkenntnisanspruch der Geisteswissenschaften
Für eine philosophische Neubestimmung der Geisteswissenschaften ist die Erfahrung mit der Kunst und die Frage, wie wir diese Erfahrung in unserem Leben zu verstehen haben, eine grundlegende Aufgabe der Hermeneutik.
Am Beginn des Abschnitts Das Methodenproblem steht eine Darlegung und Erörterung der für die neuzeitliche Philosophie und Wissenschaft entscheidenden Orientierung an der Methode. Wie das Hauptwerk von J. Stuart Mill, A System of Logic, ratiocinative and inductive (1843) im Rahmen einer ‚Philosophie der Erfahrung‘ betont, ist die Methode der wissenschaftlichen Forschung die Induktion. Ihr Hauptziel ist, die Geltung des Prinzips der Kontinuität in Natur und Gesellschaft im Sinne einer Gesetzmäßigkeit ihrer Erscheinungen nachzuweisen. Ihr gegenüber argumentiert Gadamer, dass die Methode der Induktion nicht auf die perspektivische Erfahrung der Welt der Geschichte übertragen werden kann. Geschichtliche Erfahrung durchkreuzt den ehrgeizigen Anspruch einer wissenschaftstheoretischen Grundlegung der Geschichte.
Im Blick auf den Unterschied zwischen Geistes- und Naturwissenschaft hat für ihn die 1862 gehaltene Rede Über das Verhältnis der Naturwissenschaften zur Gesamtheit der Wissenschaften von H. Helmholtz eine heuristische Funktion. In ihr unterscheidet der große Naturforscher zwischen der logischen und der künstlerisch-instinktiven Induktion. Letztere beruht auf der intuitiven Kraft des Erfassens von Zusammenhängen in der Erscheinungswelt, der jedoch kein wissenschaftlicher Wahrheitsgehalt zukommt. Gadamer hebt an der Rede von Helmholtz deren Akzentsetzung auf das psychologische Vermögen des ‚Takts‘ hervor. Das Taktgefühl in den Geisteswissenschaften beruht auf der Fähigkeit, Analogien zwischen den uns hinterlassenen Zeugnissen der Geschichte zu entdecken, an denen die Ausbildung von ‚Sinn‘ zu beobachten ist, und durch diese Art von fortschreitenden Entdeckungen unseren Erkenntnishorizont zu erweitern.
Beruht auf dem Verfahren der Induktion der Objektivitätsanspruch der Methode, so geht es in der Wissenschaft immer um bestimmte Verfahrensweisen der Objektivierung von Forschungsproblemen. Gegenüber dem von Descartes betonten Primat der Methode als Voraussetzung neuzeitlicher Wissenschaft geht Gadamer auf das griechische Wort methodos zurück, das sich auf das Ganze und den Umgang mit dem weiten Bereich der Dinge bezieht, mit denen wir befasst sind. In den 1988 in Neapel gehaltenen Vorlesungen zur griechischen Philosophie, veröffentlicht unter dem Titel Der Anfang der Philosophie (1996), sagt er: „Diese Bedeutung von ,Methode‘ als Mitgehen setzt voraus, dass wir uns schon mitten im Spiel befinden und keinen neutralen Blickpunkt einnehmen – auch wenn wir uns noch so sehr um Objektivität bemühen und unsere Vorurteile aufs Spiel setzen.“