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1. Die Bedeutung der humanistischen Tradition für die Geisteswissenschaften

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Die vermeintliche Unterlegenheit der Geisteswissenschaften angesichts des stetigen Erkenntnisfortschritts der Naturwissenschaften wird von dem hermeneutischen Ansatz Gadamers gleichsam unterlaufen. Man muss den Akzent auf den Ansatz dieses Unternehmens setzen. Es erinnert zunächst an die Bedeutung der humanistischen Tradition für die Geisteswissenschaften und reflektiert auf das mit der deutschen Klassik verbundene Ideal der Humanität. Das mag auf den ersten Blick diejenigen befremden, die nicht mehr davon überzeugt sind, dass Lessing, Herder und Goethe über einen kleinen Kreis von Gebildeten hinaus noch für das Bewusstsein unserer Zeit Bedeutung haben. Auch der Begriff der Humanität ist dem Wandel unterworfen. In der Periode der Weimarer Klassik ist er an einen humanistischen Begriff von Bildung gebunden, der in den gesellschaftlichen Formen seiner Anwendung auf die Lebenspraxis sich der Diktatur der Zwecke entzieht. Dass die Bildungsgesellschaft der Weimarer Klassik heute vergangen ist, hat Gadamer nie geleugnet. Gleichwohl besteht er gegenüber der modernen Informationsgesellschaft auf einen von ihr missachteten Begriff der Bildung.

Zumal heute, da wir vom Geschwätz der Politiker über ‚Bildung‘ genug haben, ist es geboten, darauf aufmerksam zu machen, was Gadamer unter Bildung als einem kommunikativen Lebenselement des Geistes versteht, das in der griechischen Philosophie in dem Gedanken der paideia seine erste Ausdrucksform gefunden hat und von Cicero bis Petrarca und Erasmus seine eigenständige Weiterentwicklung erfährt. Nicht zuletzt ist es Herders Bestimmung der Bildung als einer ‚Emporbildung zur Humanität‘, die in der Bildungsreligion des 19. Jahrhunderts nachwirkt und unseren Begriff von Bildung, wenn auch nur mehr schwach, bestimmt. Was Bildung sein kann, die sich durch einen Konsens über die Tradierung von Werten definiert, erörtert Gadamer anhand ‚humanistischer Leitbegriffe‘. Sie widersetzen sich einem falschen Verständnis, sie stünden im Dienst einer „technischen Abzweckung“ (GW 1, 17). In seinem begriffsgeschichtlichen Abriss des Wortes ‚Bildung‘ orientiert sich Gadamer an Hegel, für den das Tätigsein des Geistes mit der Idee der Bildung als ‚arbeitendem Bewusstsein‘ verbunden ist. Bildung ist bei Hegel als ein Element des Geistes immer schon praktische Bildung. In welcher Weise sie im Rahmen der humanistischen Tradition bestimmte Elemente wie den sensus communis, Urteilskraft und Geschmack integriert, wird in breit angelegten geistesgeschichtlichen Exkursen zu Vico, Gracián, Shaftesbury und Kant dargelegt.

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