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Alzheimer-Demenz

Wo liegt der Unterschied?

Demenz lässt sich übersetzen mit der Geist geht weg oder ohne Geist, und bedeutet, dass der Mensch nicht mehr abstrakt denken kann.

Jeder von uns kennt die Redewendung „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ und weiß, was damit gemeint ist. Ein Mensch mit Demenz versteht zwar, was er hört, kann aber den Sinn dieser Aussage nicht erkennen, er kann nicht mehr abstrakt denken. Das Gehörte bedeutet für ihn: Der Apfel ist vom Baum gefallen und liegt nun neben dem Stamm.

Im weiteren Verlauf von Demenz kann er sogar sein Selbstbild verlieren. Er weiß dann nicht mehr, wer er ist, und erkennt sein eigenes Spiegelbild nicht mehr.

Alzheimer und Demenz beziehen sich aufeinander wie ein Apfel zum Obst (ein Apfel ist Obst, aber nicht alles Obst ist ein Apfel). Demenz ist der Überbegriff für verschiedene Arten von Demenz wie Alzheimer, vaskuläre Demenz, Multiinfarktdemenz, Lewy-Body-Demenz und viele mehr.


Gliederung der Demenz, selbst erstellt

2.1 Definition aus medizinischer Sicht

Unter Demenz versteht man eine erworbene Hirnleistungsschwäche. Es kommt zu fortschreitenden Ausfällen von

 Gedächtnis und Merkfähigkeit,

 Orientierung und

 Kritik- und Urteilsfähigkeit.

Dabei verändert sich auch die Persönlichkeit und das führt zu Störungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen, so dass eine Demenz immer auch als Erkrankung der Angehörigen zu sehen ist.

Nach längerem Krankheitsverlauf

 zerfallen praktische Fähigkeiten wie Ankleiden, Gehen, Essen, Lesen, Sprechen,

 kommt es zum Verlust der Autonomie,

 folgt eine völlige Abhängigkeit von Betreuungs- und Pflegepersonen,

 tritt der Tod ein.

Im letzten Stadium der Erkrankung

 liegt der Patient reglos im Bett,

 ist er unfähig zu verbalen Äußerungen,

 ist er inkontinent,

 ist er völlig auf fremde Hilfe angewiesen.

Der Verlauf einer Demenz ist

 chronisch fortschreitend,

 kann durch medizinische Maßnahmen nicht rückgängig gemacht werden

 und endet meist innerhalb von fünf bis zehn Jahren tödlich.

 Todesursachen sind häufig Pneumonien (Lungenentzündungen) nach Aspiration (Verschlucken) und Kachexie (Abmagerung, Auszehrung) bei Nahrungs- und Flüssigkeitsverweigerung oder Herz-Kreislaufversagen.

Die Betreuung Dementierender ist aufgrund der Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen oft sehr nervenaufreibend und schwierig. Das Fortschreiten ist trotz intensiver pflegerischer und therapeutischer Bemühungen seelisch sehr belastend und führt gerade bei pflegenden Angehörigen nicht selten zur Dekompensation. (Vgl. Bellinger 2002, S. 54ff.)

Während der Körper im Laufe des Lebens mehr oder weniger abgenutzt, sklerotisch und gebrechlich wird und der Geist langsam schwindet, bleibt die Seele, die Kindheitspsyche, in der Demenz erhalten. So knüpfen wir in der Validation an die unversehrt gebliebenen seelischen Kräfte an und kümmern uns darum, möglichst lange mit ihnen in Beziehung – in Verbindung – zu bleiben.


Körper, Geist und Seele, E. Feurstein

2.2 Vier Dimensionen der Desorientierung

2.2.1 Räumliche Desorientierung

Der Dementierende

 kann seinen Geburtsort nicht benennen,

 kann keine zutreffenden Aussagen über seinen derzeitigen Aufenthaltsort oder Wohnort machen,

 kann die Postanschrift seiner Wohnung nicht nennen,

 weiß nicht, wo sich seine Arbeitsstelle befindet,

 kann auch keine Wegbeschreibungen zu ihm bekannten Orten angeben,

 nimmt seine Umgebung als fremd wahr,

 findet Gegenstände nicht, versteckt sie, fühlt sich bestohlen (glaubt, man stehle ihm das Denken),

 verfehlt angegebene Richtungen und verläuft sich,

 fragt ständig, wo er sich und wo sich etwas befindet,

 zeigt sich verängstigt, irrt herum, sucht etwas ihm Vertrautes oder sitzt ruhig da, um sich nicht zu verirren. (Vgl. Pflegewiki, Orientierung 2012)

2.2.2 Zeitliche Desorientierung

Der Dementierende

 kann keine Angaben über die aktuelle Tageszeit, den bestehenden Tagesabschnitt oder das aktuelle Datum machen,

 kann nicht bestimmen, wie lange er sich in einer Situation oder an einem Ort befindet,

 kann keine Aussagen über den Verlauf und die Dauer von Ereignissen treffen,

 kann den derzeitigen Monat oder die jeweilige Jahreszeit nicht bestimmen,

 weiß über bevorstehende Ereignisse und ihre Bedeutung nicht Bescheid,

 verwechselt Daten und Termine,

 zeigt sich verunsichert,

 zeigt einen veränderten Tag-Nacht-Rhythmus

 und verwechselt lebende und verstorbene Personen. (Vgl. Pflegewiki, Orientierung 2012)

 Ständig wiederkehrende Rituale geben Sicherheit:Alltagskleidung, SonntagskleidungFeiertage, TrauertageWechsel der Jahreszeiten oder wiederkehrende Ereignisse im Jahresablauf dekorieren (Advent, Ostern und Ähnliches)Essrituale (freitags fleischlos, Sonntagsfrühstück)Morgen- oder Abendgebete usw. (Vgl. Scharb 1996)

2.2.3 Personelle Desorientierung

Der Dementierende

 kann seinen Familiennamen, Vor- und/oder Geburtsnamen nicht benennen,

 weiß seinen Familienstand nicht,

 weiß sein Geburtsdatum und/oder sein Alter nicht,

 kann keine Auskunft über seinen erlernten Beruf geben,

 kann keine Angaben darüber geben, ob und wie viele Personen im Haushalt leben,

 weiß nicht, ob und wie viele eigene Kinder existieren,

 zeigt sich verstört und sucht das Gefühl der Mutter (Liebe).

Die Logik unserer Denk- und Wahrnehmungsmuster ist in der Demenz ähnlich der eines Kindes. Beispielsweise suchen Dementierende die Mutter, wenn sie sich nicht geliebt und geborgen fühlen, obwohl diese schon vor langer Zeit gestorben ist. In diesem Fall ist es die Sehnsucht nach der Mutter, die die zeitlich verschobene Wahrnehmung bestimmt. Wenn sie sich durch Menschen in ihrer Umgebung überfordert fühlen, kann es passieren, dass sie selbst mit ihren nahen Angehörigen in einem sehr unpersönlichen Ton sprechen: „Was machen Sie in meinem Zimmer? Verlassen Sie sofort diesen Raum!“ Hilfreich für diese Menschen ist der Aufbau einer vertrauensvollen, fürsorglichen Interaktion. (Vgl. Scharb 1996)

2.2.4 Situative Desorientierung

Der Dementierende

 kann Gründe für derzeitigen Aufenthalt oder für die gegenwärtige Situation nicht benennen,

 kann keine Auskunft über die Art und Weise seiner Her- und Ankunft geben,

 kann Eigenschaften von Dingen nicht beschreiben,

 kann Funktionen und Positionen von Menschen nicht zuordnen,

 kann Gebrauchsgegenstände nicht bestimmen und unterscheiden

 oder zeigt sich ratlos.

Die Dementierenden erleben ihre Situation, sind aber nicht fähig, ihre Lage zu begreifen, was wiederum als stark existenzbedrohend erlebt wird.

Länger dauernde zeitliche Orientierungslosigkeit führt zum Verlust der ICH-Identität. (Vgl. Scharb 1996)

2.3 Demenz-Merksätze

„Demenz – Für viele ist es das schlimmstmögliche Ende: das Leben zu verlieren, lange vor dem Tod. … Vom Menschen bleibt nur mehr eine Hülle, der man den Tod wünscht, um dem langsam schleichenden Sterben ein Ende zu geben.“

„Kaum ein Schicksal wird so gefürchtet wie jahrelang im Siechtum der demenziellen Veränderung in einem Pflegeheimbett zu liegen.“

„Lieber lahm, blind oder besser gleich tot – nur kein Versinken im ewigen Vergessen.“

„So werden demenziell veränderte Menschen als dumpf dahindämmernde Hülle beschrieben. Das Leben wird ihnen abgesprochen und man redet vom lebenden Toten.“

„Die Medien erzeugen Angst und Abwehr, wenn sie die Demenz als bösartige Krankheit beschreiben, die den Menschen als Person auslöscht. Diese Meinung entsolidarisiert und grenzt demenziell veränderte Menschen aus und lässt die Frage zu, ob dieses vegetierende, menschenunwürdige Leben erhaltenswert sei.“ (Wißmann/Gronemeyer 2008, S. 20ff.)2

Was weiß die Medizin über Demenz?

„Es sind keine eindeutigen Ursachen oder Entstehungsgeschichten der Demenz bekannt.“

„Wo keine gesicherten Kenntnisse zu Ursachen und Entstehung vorliegen, kann es auch keine kausale Therapie und Heilung geben.“

„Der einzige gesicherte Risikofaktor ist das Alter.“

Wobei die Menschen mit der Diagnose „Demenz“ immer jünger werden

„Medikamentöse Behandlung der demenziellen Veränderung wird immer mehr in Frage gestellt.“

„In jüngster Zeit wurden vermehrt wissenschaftliche Untersuchungen und Positionen veröffentlicht, in denen die Wirksamkeit der Medikamente in Zweifel gezogen und auf die mangelhafte Qualität bisheriger Studien verwiesen wird.“

„Meist werden Medikamente zur Therapie von psychischen Begleiterscheinungen der Demenz verschrieben (Neuroleptika, Antidepressiva, Hypnotika und Tranquilizer). Diese Medikamente sind nicht demenzspezifisch, sondern wirken gegen die Verhaltensweisen, die von der Umwelt als störend und gefährdend eingeschätzt werden. Die Haupt- und die Nebenwirkungen können gravierend sein, deshalb muss sorgfältig damit umgegangen werden.“ (Wißmann/Gronemeyer 2008, S. 24ff.)2

2.3.1 Ist Demenz eine Krankheit?

Udo Baer sieht die Demenz als einen Erlebensprozess an: Auch in der Neurowissenschaft werde der Blick von der Denkstörung immer mehr auf die sozialen, emotionalen und anderen Aspekte des Erlebens und Verhaltens erweitert. (Vgl. Baer 2007, S. 33) Für Naomi Feil ist der Rückzug hochbetagter Menschen in ihre Vergangenheit keine Geisteskrankheit und kein Gebrechen, sondern eine Form des Überlebens. (Vgl. Naomi Feil, 1990, zitiert nach Scharb 1999, S. 1)

2.3.2 Ist Alzheimer ein normaler Alterungsprozess?

In der Literatur wie in Berichten und Geschichten tauchen immer wieder senile und sinnesgeschwächte Greise auf, deren Verhalten niemand mit einer Krankheit identifiziert hat. (Vgl. Wißmann/Gronemeyer 2008, S. 35)

Die Choctaw-Indianer begegnen Menschen, die ihr Verhalten im Alter verändern, mit mystischer Ehrfurcht. (Vgl. Wißmann/Gronemeyer 2008, S. 37)

Auch Amerikaner asiatischer oder pazifischer Abstammung sehen Demenz als nicht behandelbaren, natürlichen Alterungsprozess und afroamerikanische Pflegende weisen im Vergleich mit einer weißen Untersuchungsgruppe ein geringeres Belastungserleben auf.

Dem herausfordernden Verhalten von dementierenden Menschen wird in Entwicklungsländern eine sehr hohe Toleranz entgegengebracht. (Vgl. Wißmann/Gronemeyer 2008, S. 37f.)

Verschiedene alte Kulturen ehren demenziell veränderte Menschen. Die Inuit glauben, dass bei Menschen mit Demenz der Geist den Körper verlasse, in eine heilige Sphäre eintrete und neu wirke.

Es stellt sich die Frage, was ein Phänomen wie die Demenz einer Gesellschaft wie der unsrigen zu sagen hat und wie wir den Umgang mit dieser Bevölkerungsgruppe würdig gestalten können. (Vgl. Wißmann/Gronemeyer 2008, S. 22)

Vielleicht müssen wir trotz des enormen wissenschaftlich-technischen Fortschritts anerkennen, niemals vollständig über das Leben verfügen zu können. Diese Situation anzunehmen, statt die unter Demenz leidenden Personen auszugrenzen oder ihre Existenz zu verleugnen, könnte eine tragfähige Grundlage für einen würdigen Umgang mit Menschen, die die Fähigkeit und den Wunsch, Selbstverantwortung zu übernehmen, verloren haben, sein.

„Wir sehen die Dinge nicht wie sie sind

sondern so wie wir sind.“

Anais Nin3

2.3.3 Ein Gedanke zur Vorsorge


Ein Gedanke zur Vorsorge

Das Yin-Yang-Symbol zeigt die Ausgeglichenheit der Plus- und Minussymptomatik, nach der wir streben.

Yin Yang-Zeichen E. Feurstein


In Wirklichkeit leben wir in einer Unausgeglichenheit der Minussymptomatik. Aus Zeitungen sowie aus dem Radio, Fernsehen und Internet erfahren wir viele Negativnachrichten.

Yin Yang-Zeichen E. Feurstein


Mit den positiven Lebensaspekten beschäftigt sich nur der, der sie direkt sucht.

„Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist;

weiß ich, womit du dich beschäftigst, so weiß ich,

was aus dir werden kann.“

Johann Wolfgang von Goethe4

Die angeführte Plussymptomatik dementierender Menschen entspricht in den letzten Jahren immer mehr den Sehnsüchten stressgeplagter Menschen. Und trotzdem versuchen wir, diese Menschen mit verschiedenen Betreuungsmethoden auf unser Denkniveau zurückzuholen. Sind Dementierende unsere Lehrmeister, die wir nicht als solche erkennen?

Geschichte

Der Affe und der Fisch – eine Rettung in letzter Sekunde

Pflegepersonen verhalten sich manchmal wie dieser Affe, der auf dem Baum sitzt. Er sieht einen Fisch im Wasser schwimmen und denkt: „Hilfe, er ertrinkt, wenn ich ihn da nicht heraushole.“

Der Affe und der Fisch 1, E. Feurstein


So hüpft er vom Baum, springt ins Wasser und rettet den armen Fisch vor dem Ertrinken.


Der Affe und der Fisch 2, E. Feurstein

Wieder auf dem Baum sitzend gibt er ihm ein Stück seiner Banane zur Stärkung und wundert sich, dass sich der Fisch nicht darüber freut.


Der Affe und der Fisch 3, E. Feurstein

Dementierende Menschen sind wie die Fische in der kleinen Erzählung – sie leben in einer anderen Wirklichkeit. Sie wollen und können nicht in unsere Realität gerettet werden, weil sie aufgrund ihres verloren gegangenen Denkvermögens an den Überreizungen der Gesellschaft ersticken würden.

Wenn der Affe dem Fisch etwas Gutes tun will, sollte er zu ihm ins Wasser eintauchen, eine Zeit lang mit ihm verbringen und früh genug das Wasser wieder verlassen, wenn er spürt, dass ihm die Luft ausgeht. Er kann sich dann ans Ufer setzen und die Beine ins Wasser halten, damit sich der Fisch mit den Wellen, die seine Zehen schlagen, vergnügen kann. Will oder muss der Affe aber längere Zeit im Wasser bleiben, sollte er sich einen Schwimmreifen oder ein Schlauchboot zulegen, um sich länger in der Nähe des Fisches aufhalten zu können.

In der Begleitung von demenziell veränderten Menschen ist das genauso. Wenn eine Betreuungsperson Dementierende aus ihrer Welt herausholen will, sind diese Menschen völlig überfordert. Sie wehren sich, schreien oder schimpfen. Die Betreuer wiederum können das nicht verstehen und deuten das Verhalten als Undankbarkeit für ihre Unterstützung.

Dieses Eintauchen in die Welt der Demenz ist eine große und anstrengende Herausforderung, die wir als Pflegende nur kurze Zeit gut aushalten. So brauchen auch wir Rettungsboote oder Schwimmreifen, wenn wir uns längere Zeit mit Dementierenden beschäftigen.

Erich Schützendorf beschreibt in seinem Buch „Wer pflegt, muss sich pflegen“ Maßnahmen, die Pflegende treffen können:

Belobigungsecken, Zuhörecken, Entschleunigungs-Parcours, Entspannungsnischen, Atmungsstationen, Meditation, Belobigungsspiegel, Rückzugsräume, Lachräume, Windspiele, Bälle balancieren, Sandkisten, Wassersäulen, Hängematten, Kuscheltiere, Kumquats-Sprechpuppen, Sanduhren, Orff-Instrumente, Zaubervorhänge, Paradox-Spiegel und Ähnliches (Vgl. Schützendorf 2006, S. 69ff.)

Validation als Lebensphilosophie

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