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IV. Die Geschichte der Auslegung der Apokalypse.
Оглавление1. Die ältesten griechischen Ausleger.
Der erste kirchliche Schriftsteller, der zusammenhängende Ausführungen über die Apk gibt, ist Irenäus. Er bringt dieselben im V. Buch seines Werkes[1], und seine Auslegung ist vielfach vorbildlich geworden. Ich habe im „Antichrist“ nachzuweisen gesucht, wie Irenäus (s. das Register) seine eschatologischen Ausführungen eigentlich nicht auf Grund der Apk gewinnt, sondern vielfach auf Grund einer alten ihm zugänglichen eschatologischen Tradition, die in die neutestamentliche Zeit zurückreicht, und die er in die Apk hineindeutet. Doch gewinnt er auch viele Einzelheiten durch gelehrte Kombination von Dan 2 u. 7, Apk 13 u. 17.
Nach I. werden in der Endzeit zehn Könige herrschen V 30,2. Von diesen wird der Antichrist drei töten und über die übrigen sieben selbst als achter herrschen V 26,1. Das zweite Tier in Apk 13 ist der Pseudoprophet V 28,2. Nach Jer 8,16 stammt der Antichrist aus dem Stamme Dan. Daher sei schon Apk 7,5—7 in der Aufzählung der Name Dans nicht genannt. V 30,2. Wahrscheinlich ist es, daß Irenäus Recht hat und die Abstammung des Antichrist aus Dan alte Tradition war[2]. Schon bei I. sind die historischen Beziehungen der Schrift gänzlich aus der Erinnerung geschwunden. Er gibt eine mühsame allegorisierende Ausdeutung der Zahl 666 (V 28,2f. 29,2) und verwirft eigentlich alle Ausrechnung eines bestimmten Namens, obwohl er, um zu zeigen, daß er auch hierzu imstande ist, als mögliche Auslegungen Euanthes, Lateinos, Teitan, wahrscheinlich doch von ihm schon vorgefundene Lösungen, nennt V 30,2f. Nachdrücklich bekämpft er die falsche Lesart der Zahl (616), namentlich diejenigen, welche auf Grund dieser Lesart falsche Deutungen empfohlen haben V 30,1. — Wesentlich näher als die späteren Exegeten steht I. der Apk in einem Punkt: er ist Chiliast. Nach der Besiegung des Antichrist werden die Frommen 1000 Jahre (den siebenten Wochentag der Weltdauer) mit Christus in Jerusalem herrschen V 30,4; V 32,1; V 35,1ff. Als Zweck dieses Zwischenreichs wird angegeben, daß es sei principium incorruptelae, per quod regnum, qui digni fuerint, paulatim assuescunt capere Deum. V 32,1 vgl. V 35. Alle Weissagungen von einem irdischen zukünftigen Zustand der Seligkeit beziehen sich auf dieses Zwischenreich. Auch das Wort des Presbyters von der Fruchtbarkeit des Weinstockes bezieht sich auf diese Zeit (V 33,3)[3]. Dann wird das allgemeine Gericht erfolgen, ein neuer Himmel und eine neue Erde. Jedoch tritt kein eigentlicher Weltuntergang, sondern nur eine Verwandlung ein[4]. Im Jenseits werde es verschiedene Wohnungen geben: im Himmel, im Paradiese, in der neuen Stadt (Tradition der Presbyter) V 36,1. Auch die einzelnen gelegentlichen Bemerkungen des I. sind von Einfluß auf die späteren Kommentatoren gewesen. Die vier Cherubim werden schon bei I. auf die Evangelisten gedeutet (Joh. der Löwe, Lk. der Ochse, Mt. Mensch, Mk. Adler)[5], zugleich auf die verschiedenen Charaktere und Attribute Christi III, 11,11 [11,8]. — Die Nicolaiten werden auf den Akt 6,5 genannten Diakon Nicolaus zurückgeführt I, 23 [26,3].
Nach Irenäus muß hier dessen Schüler Hippolyt genannt werden. Von Hippolyt kommen folgende Werke in Betracht[6]: 1) die ἀπόδειξις ἐκ τῶν ἁγίων γραφῶν περὶ τοῦ Χριστοῦ καὶ περὶ τοῦ Ἀντιχρίστου. Hier berücksichtigt H. namentlich die Kap. 11; 12; 13; 17; 18. 2) der Danielkommentar (nach Dan IV 7; 13 später als περὶ τοῦ Ἀντιχρίστου), in dem sich manche einzelne Stellen (Kap. 5) behandelt finden. 3) ein verloren gegangener Kommentar zur Apk. Fragmente desselben haben sich vielleicht in einem arabischen Kommentar erhalten, dessen Handschrift sich auf der Pariser Bibliothek befindet[7]. 4) eine verloren gegangene, nur noch in einzelnen Fragmenten vorhandene Schrift gegen den Bestreiter der Apk Cajus (κεφάλαια κατὰ Γαίου) (das genauere s. o. S. 25). 5) eine nicht mehr vorhandene Streitschrift gegen Widersprüche, die sich gegen das Johannesevangelium und die Apk erhoben hatten. Eine solche setzen die auf der Cathedra Hippolyts noch lesbaren Worte „ὑπὲρ τοῦ κατὰ Ἰωάννην εὐαγγελίου“ voraus (bei Ebed-Jesu: Apologie für die Offenbarung und das Evangelium des Johannes, des Apostels und Evangelisten)[8].
Hippolyt schließt sich in der Auslegung der Apk in manchen Einzelheiten an Irenäus an. So hat er z. B. zu der Zahl des Tieres dieselben Deutungen wie dieser[9]. Vor allem aber zeigt er noch deutlicher als Irenäus den Einschlag der alten Tradition vom Antichrist. Er zitiert zweimal (Antichr. 15. 54) einen unbekannten Propheten, offenbar eine Apk, die über den Antichrist handelt, wie aus den zitierten Fragmenten hervorgeht. — Dieser Tradition gemäß bezieht nun H. die beiden Zeugen (Apk 11) auf Elias und Henoch (Antichr. 43; Dan. IV 35 u. ö.). Diese Deutung wird von nun an die herrschende. Wie Christus eine doppelte Parusie hat, so hat er auch einen doppelten Vorläufer Kap. 44. H. weiß noch, daß die erste Hälfte von Kap. 13 der Apk auf das römische Reich zu deuten ist, aber da er der Tradition vom Antichrist folgt, derzufolge dieser nach dem Untergang des römischen Reiches kommen sollte, so gerät er auf den seltsamen Ausweg, das zweite Tier in Kap. 13 für den Antichrist zu nehmen (Antichr. 25. 33. 49; Dan. II 12; IV 5; IV 21)[10], und die Todeswunde des ersten Tiers auf den Zerfall des römischen Reiches in zehn Königreiche (Antichr. 49), die Herstellung desselben auf die scheinbare Wiederherstellung der Ordnung durch den Antichrist zu deuten (Antichr. 49)[11]. Wie bei Irenäus finden wir auch bei H. die von nun an herrschende Kombination von Dan 7, Apk 13 und 17 in der Auslegung der sieben Häupter und zehn Hörner[12] (s. o.). In Anlehnung an Dan 11,41-43, und wohl schon hier der bestimmten Tradition folgend, weiß H., daß die drei vom Antichrist erschlagenen Könige die von Lybien, Aethiopien und Aegypten sind (Antichr. 52; Dan. IV 12). Zu Kap. 12 findet sich bereits die in der Folgezeit herrschende Deutung; das Weib ist die fortwährend den Sohn Gottes gebärende Kirche[13]. Die zweite Hälfte von Kap. 12 deutet H. auf die Flucht der Gläubigen vor dem Antichrist, der dieselben zur Anbetung zu zwingen sucht (Antichr. 61). Die beiden Adlerflügel des Weibes sind Glaubensflügel[14].
Auch die Zeit des Antichrist berechnet H. in Anlehnung an Apk 17,10[15], die Welt wird nach ihm 6000 Jahre stehen, fünf Häupter (Weltalter) sind gefallen, das sechste besteht Dan. IV 23. Da Christi Geburt nach ihm in das Jahr 5500 fällt[16], so werden 500 Jahre von da an bis zum Kommen des Antichrist verstreichen. H. ist Chiliast Dan. IV 23: τὸ σάββατον τύπος ἐστὶ καὶ εἰκὼν τῆς μελλούσης βασιλείας τῶν ἁγίων, ἡνίκα συμβασιλεύσουσι τῶ Χριστῷ παραγινομένου αὐτοῦ ἀπ’ οὐρανῶν, ὡς Ἰωάννης ἐν τῇ ἀποκαλύψει αὐτοῦ διηγεῖται.
Ob Clemens die Apk ausgelegt hat, ist fraglich. Eusebius H. E. VI 14,1 versichert allerdings, daß er in seinen ὑποτυπώσεις alle Schriften ausgelegt habe, auch die Antilegomenen. Aber unter diesen, die er namentlich aufzählt, nennt er die Apk nicht. Origenes hat [vgl. das nur lateinisch erhaltene Stück des Matthäuskommentars zu Mtth 24, Nr. 49. Delarue 867] einen Kommentar zur Apk versprochen, jedoch ihn nicht geschrieben. In seinen Werken finden sich nur einige wenige zusammenhängende Ausführungen. Seine Logoschristologie hat er (in Evan. Ioann. Tom. II 4) an Apk 19,10ff. entwickelt, die asketische Stelle Apk 14,1ff. hat er ausführlich kommentiert (in Ev. Ioann. Tom. I 1ff). Origenes ist schon eigentlich kein Chiliast mehr, aber er denkt doch noch an ein geistiges Kommen des Herrn auf Erden in einem bestimmten Abschnitt der Geschichte und an eine neue Zeit auf Erden, das Reich der Vollendung im Gegensatz zu dem Reich fortschreitender Entwickelung (in Psalm 36, Hom. 5; de princ. II 11). Und auch Origenes zeigt sich noch abhängig von der Sage vom Antichrist (Contra celsum VI 45ff.).
Zusammenhängende Auslegungen einzelner Stücke finden sich auch bei Methodius im Symposion. Er hat besondere Aufmerksamkeit auf die Partieen in Apk 14 (und 7) gerichtet, in denen von den jungfräulichen 144 000 Auserwählten die Rede ist und deutet diese natürlich auf die Asketen[17], die ungezählte Schaar 7,9ff. sind die übrigen Heiligen. Einflußreich ist seine Deutung des 12. Kap.[18] Das Weib bedeutet die Kirche[19]: μέχριπερ ἂν εἰσέλθῃ τὸ πλήρωμα τῶν ἐθνῶν, ὠδίνουσα καὶ ἀναγεννῶσα τοὺς ψυχικοὺς εἰς πνευματικούς VIII 6. Der Drache ist der Teufel, der des Wiedergeborenen neues Wesen zu zerstören sucht, es gelingt ihm aber nicht, weil dieser mit seinem Geist im Himmel weilt. Die Sterne sind αἱ συστροφαὶ τῶν αἱρέσεων, die Irrlehrer, die sich selbst ein Wissen von himmlischen Dingen zuschreiben und vom Glauben gefallen sind VIII 10. Die sieben Häupter der Drachen sind die sieben Hauptsünden, die zehn Hörner die ἀντιθέσεις der zehn Gebote VIII 13. Methodius befolgt also eine ausschließliche spiritualisierende Methode.
Fußnoten:
1. Über den Irrtum des Hieronymus de viris illustribus 9 (und Chronik), daß Justin und Irenäus die Apk kommentiert hätten s. o. S. 20,2.
2. Bousset, Antichrist 112f.
3. Den Chiliasmus teilt auch Tertullian adv. Marcion III, 24: nam et confitemur in terra nobis regnum repromissum, sed ante coelum, sed alio statu, utpote post resurrectionem, in mille annos in civitate divini operis Hierusalem coelo delata.
4. V 36,1: οὐ γὰρ ἡ ὑπόστασις, οὐδὲ ἡ οὐσία τῆς κτίσεως ἐξαφανίζεται. - ἀλλὰ τὸ σχῆμα παράγει τοῦ κόσμου τούτου.
5. Die Deutung ist singulär. (Gewöhnlich wird Mk. der Löwe, Joh. der Adler beigelegt.) Sie ist zustande gekommen, indem mit der Reihenfolge der Tiere bei Ezechiel: Mensch, Löwe, Ochse, Adler die Reihenfolge der Evangelien: Matth., Joh., Luk., Mark. kombiniert wurde. Freilich muß Irenäus, der die Evangelien in der Reihenfolge Mt., Mk., Lk., Jo. aufzählt (III 1,1) und die Tiere in der Reihenfolge der Apk (III 11,11) die Erklärung bereits vorgefunden haben. Wie Irenäus zählt Victorin nach dem vor kurzen aufgefundenen ursprünglichen Text seines Kommentars.
6. Ausgabe von Bonwetsch und Achelis „die griech. christl. Schriftsteller d. ersten Drei-Jahrhunderte“ Hippolytus I. 1. 2. Dazu H. Achelis, Hippolytstudien. Leipzig 1897.
7. P. Lagardii Ad analecta sua syriaca Appendix. Berol. 1858. Übersetzt in Achelis’ Ausgabe 230-237. Hinzu kommt ein syrisches Fragment aus Jakob v. Edessa (ebenda 236f.) und ein altslavisches Fragment (ebenda 237f., vgl. Achelis Anm: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt Hippolytstudien 179-181). — Über die Echtheit der Fragmente wage ich nicht zu entscheiden. Einen archaistischen Charakter tragen sie an sich. Aber fast überall, wo wir vergleichen können, differieren die Auslegungen mit den nachweisbar echten des H. Diese durchgehende Verschiedenheit scheint mir ein Grund gegen die Echtheit zu sein. Ich kann mich auch nach Achelis’ (Hippolytstudien, S. 182ff.) Ausführungen nicht von dem Wert der arabischen Überlieferung überzeugen. A. meint, daß die Zitate des Andreas aus Hippolyt sich nur mit den arabischen Fragmenten deckten. Aber das Zitat IV aus Andreas (S. 183) gibt genau die Meinung Hippolyts im Danielkommentar IV 23 über Apk 17,10 wieder und nicht die der arabischen Fragmente. (Beziehung der sieben Könige auf die sieben Zeitalter,nicht auf wirkliche Herrscher). Die Angabe des Andreas (Zitat II), daß Hippolyt gerade nicht das zweite Tier, sondern das erste Tier in Kap. 13 auf den Antichrist bezogen, wird ein Irrtum des Andreas sein, denn die Deutung von Kap. 13 der Apk ist bei H. in den nachweislich echten Werken vollkommen stabil (s. o.). Über die Unechtheit des slavischen Fragments s. Bratke Th. Lt. Bl. 1892, 503-506. 519-522. — Die Existenz des Kommentars ist übrigens von Hieron. de viris illustr. 61 u. ö. (Achelis, Hippolytstudien, S. 14. 16. 18) bestimmt bezeugt.
8. Zahn II 982f.
9. In den arabischen Fragmenten (N. XV. Achelis 235) findet sich noch als vierte Auslegung das singuläre Δαντίαλος
10. Anders die Auslegung in den arabischen Fragmenten, doch ist die Auslegung hier undeutlich.
11. Wenn es heißt, daß das zweite Tier nach dem Willen des ersten tut, so bedeutet dies, daß der Antichrist κατὰ τὸν Αὐγούστου νόμον herrschen wird. — In den arabischen Fragmenten (in Achelis' Ausgabe Nr. XI) wird anders gedeutet.
12. In den arabischen Fragmenten XVII sind die zehn Hörner einfach Anhänger und Vertreter des Antichrist, die Kombination mit dem römischen Reich fehlt.
13. Kap. 61. Achelis S. 41, Z. 19: οὐ παύσεται ... γεννῶσα ἐκ καρδίας τὸν λόγον. — In dem arabischen Fragment ist Christus die das Weib (die Kirche) umhüllende Sonne.
14. In den arabischen Fragmenten (VIII) Hoffnung und Liebe. In interessanter Weise wird hier die Weissagung, daß die Erde das vom Drachen ausgespieene Wasser verschlingen soll, auf die in der Wüste umherirrenden Heere des Antichrist gedeutet.
15. Ganz anders deutet das arabische Fragment XXI Apk 17,10, nämlich die fünf Häupter auf die Reiche des Nebukadnezar, Cores, Darius, Alexander und der Diadochen, das siebente auf den Antichrist.
16. Die Berechnung gründet sich nicht auf chronologische, sondern auf allegorisierende Erwägungen. Dan. IV 24. (vgl. auch Dan IV 32.).
17. Symposion I 5; IV 5.
18. ib. VIII 4ff.
19. Charakteristisch ist die Abweisung der Deutung auf die Geburt Christi: ὁ δὲ Ἰωάννης περὶ παρόντων καὶ μελλόντων θεσμωδεῖ. ὁ δὲ Χριστὸς πάλαι κυηθεὶς οὐχ ἡρπάσθη, ὁπότε ἐτέχθη, πρὸς τὸν θρόνον τοῦ θεοῦ φόβῳ τοῦ μὴ λυμήνασθαι αὐτὸν τὸν ὄφιν (VIII 7).
2.Die ältesten Ausleger der lateinischen Kirche.
Der erste Schriftsteller der lateinischen Kirche, der einen Kommentar zur Apk schrieb, ist der ca. 303 als Märtyrer gestorbene Bischof Victorin v. Pettau[1]. Es gab bis jetzt zwei Rezensionen seines Werkes[2]: a) eine kürzere in „Theophylacti enarrationes in Pauli epistolas et in aliquot prophetas minores“ ed. Io. Lonicerus fol. 252-58[3], b) eine längere bei Gallandi Tom IV. Daß die erstere die relativ ursprüngliche sei, hat Haußleiter (241) bewiesen. Derselben steht ein Prologus des Hieronymus voran, in dem dieser angibt, daß er auf den Wunsch eines gewissen Anatolius den Kommentar des Victorin bearbeitet habe, was, da V. Chiliast sei, ein besonders gefahrvolles Unternehmen gewesen sei[4].
Es ist jetzt glücklicherweise eine Erörterung darüber, wie weit die Bearbeitung des Hieronymus in den Kommentar des Victorinus eingegriffen hat, überflüssig geworden, da aller Wahrscheinlichkeit nach nunmehr der echte Victorinkommentar gefunden ist. Haußleiter war so glücklich, denselben in dem Codex Ottobonianus lat. 3288 A. zu entdecken, und wird hoffentlich demnächst seine Ausgabe des Victorinkommentars folgen lassen. Vorläufig[5] hat Haußleiter den ursprünglichen chiliastischen Schluß des Kommentars veröffentlicht, der durch die Bearbeitung des Hieronymus verdrängt war[6]. Ehe der Kommentar nunmehr in seiner neuen Gestalt veröffentlicht ist, muß ich mich auf einige feststehende Hauptdaten beschränken[7].
V. vertritt bereits eine geschlossene Auslegungstheorie, die von allergrößtem Einfluß geworden ist: die Rekapitulationstheorie, d. h. die Anschauung, daß die Apk nicht eine Reihe auseinander folgender Ereignisse schildert, sondern in gewissen Partien das vorher bereits Gesagte rekapituliere. Nur bis zum sechsten Siegel (Apk 6) sieht er einen fortschreitenden geschichtlichen Verlauf, mit dem sechsten Siegel ist bereits seine Zeit, die Zeit der novissima persecutio erreicht[8]. Dann folgen in den sieben Posaunen die in letzter Zeit an den Ungläubigen vollzogenen Strafen. In den sieben Schalen aber wird der Inhalt der sieben Posaunen rekapituliert: et licet repetat per phialas non quasi bis factum dicitur: sed quoniam semel futurum est, quod est decretum a deo, ideo bis dicitur. quidquid igitur in tubis minus dixit, hic in phialis est. nec aspiciendus est ordo dictorum, quoniam saepe spiritus s., ubi ad novissimi temporis finem percucurrerit, rursus ad eadem tempora redit et supplet ea, quae minus dixit. nec requirendus est ordo in apocalypsi, sed intellectus. (de la Bigne 1256C cf. 1254D u. ö.). Es ist beachtenswert, daß gleich an der Schwelle der gesamten Auslegungsgeschichte der Apk dieser Grundsatz steht, die Theorie von der Recapitulatio, d. h. eigentlich der Verzicht, die Reihe der apokalyptischen Visionen in einem einheitlichen Verlauf zu begreifen. Bemerkenswert ist auch, daß gleich der erste Ausleger mit dem sechsten Siegel bis in die letzte Zeit hinunter geht.
Besonders interessant aber ist der Kommentar des V. für uns, weil sich in ihm die Deutung des Tieres auf Nero noch erhalten hat. Nach V.s Meinung ist der Kommentar unter Domitian[9] geschrieben, dem sechsten Herrscher von Galba an gerechnet. Der siebente, der nur kurze Zeit regieren wird, ist Nerva. Nach diesem, natürlich in der Anschauung V.s nicht mehr unmittelbar nach ihm, soll dann Nero der Selbstmörder als achter aus der Unterwelt wiederkehren. Außerdem verbindet V. in sehr interessanter Weise mit dieser Nerodeutung die auch ihm geläufige Tradition vom Antichrist. Nero redivivus wird nach ihm unter falschem Namen und mit heuchlerisch veränderten Sitten als König der Juden auftreten (hunc ergo suscitatum Deus mittet regem dignum dignis Iudaeis). Er wird das Gesetz pflegen und die Christen zur Beschneidung zwingen. Und das zweite Tier, der falsche Prophet, wird bewirken, daß die goldne Statue des Antichrist im Tempel von Jerusalem aufgestellt werde. Die beiden Zeugen deutet er entgegen aller Tradition nicht auf Elias und Henoch, sondern auf Elias und Jeremias. Die 144 000 Gläubigen sind die in der Endzeit bekehrten Juden, Elias ist der Prediger der Endzeit, der die Juden bekehrt. Die zweite Hälfte von Kap. 12 bezieht V. mit allen Einzelheiten auf die Flucht der Gläubigen in der Zeit des Antichrist (die Wasser auf die verfolgenden Heere, die Hülfe der Erde auf plötzliche wunderbare Errettung, die beiden Flügel des Weibes auf die beiden Propheten). Kap. 14,14-20 wird auf die Engelschlacht, in welcher der Antichrist mit seinen Führern besiegt wird, gedeutet. Von Einzelheiten[10] erwähne ich, daß sich in Apk 11,1 ein sehr interessantes Symbolum (des Victorin) findet. Eine Spur der bis jetzt verschollenen und neuerdings erst wieder entdeckten chiliastischen Deutungsweise zeigt sich in der Auslegung zu Apk 1,15: adoramus, ubi steterunt pedes eius, quoniam (l. statt dominum) primum ubi illi steterunt et ecclesiam confirmaverunt i. e. in Judaea, ibi (st. ubi) omnes sancti conventuri sunt et dominum suum adoraturi.
Der Kommentar des Victorin ist ein sehr interessantes Dokument in der Geschichte der Auslegung der Apk. Er zeigt noch reichliche Spuren einer alten Tradition und eines richtigen Verständnisses der Apk. Der die Apk beherrschenden Stimmung ist Victorin der Märtyrer noch kongenial, er lebte selbst noch in der Erwartung des ganz nahen Endes. Mit seiner Rekapitulationstheorie beherrscht er die Zukunft und macht auf ein in der Komposition der Apk vorliegendes Problem aufmerksam.
Lactanz’ eschatologisches Gemälde in den Instit. div. VII 14ff. ist kaum eine Auslegung der Apk. zu nennen, sondern eher eine aus allen möglichen Quellen zusammengewürfelte neue Apk[11]. Auch Lactanz ist Chiliast, er meint, daß die Welt 6000 Jahre bestehen werde und dann der Sabbath des tausendjährigen Reiches komme. Nach seiner Berechnung (VII 25) werden den höchstens noch 200 Jahre[12] bis dahin vergehen. Das Ende wird mit dem Verfall des Römerreiches beginnen. Zehn Könige werden am Ende herrschen. Ein König von Norden wird[13] sich erheben, der drei Könige in Asien besiegen wird[14], danach werden die Vorzeichen der letzten Dinge eintreten. Dann wird ein Prophet (VII 17) auftreten, der in Anlehnung an Apk XI geschildert wird. Danach wird ein zweiter Herrscher kommen — alter rex orietur ex Syria — und wird jenen ersten besiegen und vernichten, aber auch den Propheten töten. Dieser letztere tritt dann als Antichrist auf und beansprucht göttliche Ehre: jubet ignem descendere de coelo et solem a suis cursibus stare et imaginem loqui. Seltsam jüdisch klingt die weitere Schilderung: tum eruere templum Dei conabitur et iustum populum persequetur. Die Gläubigen werden auf die Berge flüchten und der König sie verfolgen, bis der von Gott gesandte Messias in vierfacher Schlacht den Antichrist besiegen wird. — Bei Lactanz kann man, wie gesagt, eigentlich nur von einer phantastischen Weiterbildung apokalyptischer Hoffnung und nicht mehr von einer Auslegung der Apk. reden. [Zum Verständnis der Lactanzweissagung vgl. Buttenwieser, d. hebräische Eliasapokalypse 1897, 80-82.]
Fußnoten:
1. Über ihn vgl. Hieronymus de vir. ill. c. 74, (vgl. c. 18), epistola ad Vigilantium 61,2 (75), in Ezechielem XI. c. 36. Vallarsi V 422; Cassiodorus, Instit. div. litt. 9.
2. Vgl. über den Kommentar Haußleiter: die Kommentare des Victorin etc. Ztschr. f. kirch. Wissensch. u. Leben, VII 239ff.
3. Nach Haußleiter. Die Ausgabe war auf der hiesigen Bibliothek nicht vorhanden, ich benutzte de la Bigne ed. 2. Paris 1589. Tom I, p. 1244-1262. Nach Haußleiter wäre eine Handschrift von Troyes bei einer neuen Ausgabe dieser Rezension zu Grunde zu legen. In den gedruckten Texten ist die Auslegung zu Apk 11,1-12,4 vor diejenige zu Apk 7-10 geraten.
4. Die wichtigste Stelle des Prologs lautet: sed ne spernerem precantem majorum statim libros revolvi, et quod in eorum commentariis reperi, Victorini opusculis sociavi. ab jota inde quae ipse secundum literam senserit; a principio libri usque ad signum crucis, quae ab imperitis erant vitiata scriptoribus, correximus, exinde usque ad finem voluminis addita esse cognosce (vgl. noch die Einleitung des Kommentars des Ambrosius Ansbertus [Hausleiter 243]).
5. Theolog. Literaturblatt 1895, 194ff.
6. Es stellt sich überhaupt, wie mir scheint, heraus, daß die Überlieferung des Victorin-Kommentars eine beständig fließende war. So haben wir in der ersten Rezension als Ersatz der chiliastischen Ausführungen V.s einige kurze Sätze des Hieronymus, in der zweiten Rezension finden wir längere Ausführungen, die nachweislich Anm: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt aus Augustin stammen, diese wiederum bald allein (so in dem Kopenhagener Apringiuscodex s. u. bei Apringius), bald mit denen des Hieronymus vermengt. Ebenso zeigt die Auslegung zu 13,18 mannigfache Stufen in der Überlieferung.
7. Sehr interessant ist die Mitteilung Haußleiters (a. a. O. Sp. 194), daß in dem ursprünglichen Text des V. die Deutung der vier Tiere, Apk 4,7, auf die vier Evangelisten noch dieselbe ist wie bei Irenäus (Joh. der Löwe, Mk. der Adler), vgl. ferner die interessante Berührung V.s mit Papias in seinen Angaben über das Markusevangelium (Haußleiter ebend.).
8. Dies ist zugleich ein Beweis für die Abstammung des Kommentars von Victorin. Ebenso verrät die überall sich findende Betonung der Einheit und Zusammengehörigkeit des alten und neuen Testaments einen Schriftsteller der älteren Periode (s. die Auslegung zu Apk 4,8; 10,1; 12,1 u. ö.), nicht am wenigsten auch die historische Deutung des Tieres (s. u.). Auch ist im Kommentar die Rede von den fortwährenden Dekreten des Senats contra verae fiaei praedicationem. Der Kommentar wurde also vor Konstantin geschrieben (Lücke 977). Hervorzuheben ist endlich, daß (in Apk 1,20) bei der Aufzählung der sieben Gemeinden, an die Paulus schreibt, die Annahme der paulinischen Abfassung des Briefes an die Hebräer ausgeschlossen ist.
9. In Apc. 10,11. Johannes schrieb nach V. den Kommentar auf Pathmos von Domitian dorthin verbannt; nach seiner Befreiung schrieb er dann auf Bitten seiner Gemeinden sein Evangelium gegen die damals entstandenen Sekten des Valentin, Cerinth und Ebion.
10. Haußleiter teilt mir mit, daß im echten Victorin-Kommentar sich die Berechnung der Zahl 666 überhaupt noch nicht findet. Die ältere Rezension, in der Victorins Werk vorliegt, bringt die Namen Αντεμος und Γενσηρικος (!), die jüngere daneben das Irenäische Τείταν und die Lösung mit lateinischen Ziffern Diclux. Das in den Text des Apringius (s. u.) aufgenommene Stück bringt nur Teitan und Diclux. Hiernach läßt sich auch die Zeit der Bearbeitungen festlegen.
11. L. benutzt die Sibyllinen, die Weissagungen des Hystaspes, den λόγος ἀληθτής des Hermes, vor allem eine sibyllenartige Apokalypse vom Antichrist, welche sich vielfach mit der in Commodians carmen apologeticum benutzten Quelle berührt.
12. Er nimmt also wie Hippolyt für die Geburt Jesu das Jahr 5500 an und rechnet von da 500 Jahre bis zum Weltende.
13. „Tum repente adversu eos hostis potentissimus ab extremis finibus plagae septentrionalis orietur“ (VII 16).
14. Auch von ihm wird, wie von dem Nero redivivus bei Victorin eine Namensänderung vorgenommen.
3. Der Kommentar des Ticonius. — Augustin und Hieronymus.
Eine ganz neue Wendung nimmt dann die Auslegung der Apk in der lateinischen Kirche durch die Arbeiten des Donatisten Ticonius[1]. Leider ist sein Kommentar uns verloren gegangen. Hauptquelle für denselben ist der Kommentar des spanischen Presbyters Beatus (s. u.), der den Ticonius, wie Haußleiter nachgewiesen hat, mit unschätzbarer Treue ausschreibt[2]. Dies Urteil bleibt auch bestehen, nachdem neuerdings im Spicilegium Casinense Band III 1 „Tyconii Afri fragmenta Commentarii in Apocalypsin ex codice Taurinensi“ veröffentlicht sind. Auch in diesen Fragmenten (zu Apk 2,18-4,1 und 7,16-12,6) liegt nicht der echte Ticonius vor. Sie sind zwar auf Grund der genuinen Werke des Tic. angefertigt und nur auf Grund des Tic. ohne Hinzuziehung andrer Quellen, haben also ebenfalls großen Wert für die Rekonstruktion des Tic.-Kommentars. Aber ein Redaktor hat in diesen Fragmenten den Tic. bearbeitet, ihn der Eigentümlichkeit seines Stiles beraubt und namentlich das afrikanisch donatistische Element beseitigt[3]. Als Hauptzeugen kommen ferner in Betracht der Kommentar des Primasius und die unter Augustins Werke geratenen Homiliae in Apocalyspsim B. Johannis (s. u.). Heranzuziehen sind außerdem die Kommentare des Beda, der uns besonders erwünschte ausdrückliche Zitate unter dem Namen des Ticonius bringt, und des Ambrosius Ansbertus, wenn freilich die Übereinstimmungen mit Ticonius bei dem ersteren zum Teil, bei dem letzteren fast ausschließlich durch Primasius vermittelt erscheinen, endlich auch das Werk des Cassiodor (s. u.). In dem Kommentar des Beatus findet sich p. 4ff. eine Summa, die, wie ich vermute, ursprünglich schon als solche dem Werk des Ticonius beigegeben war, und die, wenn sie auch ebenfalls überarbeitet ist, doch ein vorzügliches Hülfsmittel zur Rekonstruktion des Kommentars abgibt[4]. Dagegen stammt der im Kommentar des Beatus 84ff. sich findende Prologus nicht aus Ticonius, sondern größtenteils aus Isidors Etymologiae[5]. Bei der Rekonstruktion des Ticonius stehen wir natürlich überall da auf ganz sicherem Boden, wo zu Beatus sich Parallelen bei Primasius und Ps. Augustin finden. Nur ist eines dabei zu beobachten. Beatus, Primasius und Ps. Augustin sind zugleich auch von dem Kommentar des Victorin abhängig. Dieser, der ja glücklicherweise vorhanden ist, ist jedesmal erst von den gemeinsam in den drei Zeugen enthaltenen Stücken abzuziehen, erst dann bleibt Ticonius übrig. Ferner ist zu beachten, daß Primasius und Ps. Augustin sehr vieles von den spezifisch donatistischen Auslegungen beseitigen, während Beatus mit größter Harmlosigkeit abschreibt. Beatus hat daher sehr oft allein Partien erhalten, welche die beiden andern Zeugen gleicher Weise auslassen. Hier haben wir dann oft an den im Spicilegium Casinense veröffentlichten Fragmenten, die hier und da selbst der Beatusüberlieferung gegenüber als überlegen erscheinen, ein gutes Mittel der Kontrolle. Ticonius’ Auslegungen sind jedoch so charakteristisch und originell, daß sie mit leichter Mühe wiederzuerkennen sind.
Der Kommentar des Donatisten Ticonius[6] wurde geschrieben, nachdem eine große Verfolgung gegen die Donatisten stattgefunden hatte, in einer verhältnismäßig ruhigen Zeit. Da Tic. Die 3½ Jahre der beiden Zeugen, d. h. der ecclesia, Apk 11,3 auf 350 Jahre vom Tode des Herrn an gezählt berechnet, und da er das Ende der Welt sehr nahe erwartete, so kommen wir mit dem Zeitansatz für den Kommentar in die Zeit vor 380. Dieselbe Zeitbestimmung übrigens, die auch für die regulae[7] desselben Schriftstellers gilt.
Ticonius ist Donatist. Er findet in der Apk durchweg die Leiden und Hoffnungen seiner Kirche geweissagt[8]. Er sieht in den gegen die wahre Kirche verbündeten Tiermächten das den Donatisten feindliche weltliche Regiment und die verweltlichte katholische Kirche mit ihren falschen Führern (Bischöfen und Priestern). Wie es scheint bekämpft er auch eine Richtung innerhalb der eignen donatistischen Partei[9]. Denn während er für gewöhnlich nur eine Dreiteilung der Menschen in pagani, vera et falsa ecclesia kennt, erwähnt er gelegentlich als vierten Teil noch das Schisma und spielt dabei wohl auf Vorgänge in Afrika an[10]. Die Anhänger der katholischen Kirche sind ihm durchwegs die falsi fratres und hypocritae. Doch sind — und hier beginnt nun die charakteristische Eschatologie des Ticonius — keineswegs in jener Kirche der falschen Bischöfe alle Mitglieder der wahren Kirche verschwunden. In Afrika freilich ist in offenem Kampf die wahre Kirche offenbart worden. Aber daß nicht in Afrika allein das Wort Gottes bewahrt geblieben ist, beweist für Ticonius die Weissagung, die Philadelphia gegeben ist[11], daß eine Versuchung über die gesamte Erde kommen soll. Es wird die Zeit kommen, in der die wahre Kirche nach den Verfolgungen in Afrika in der ganzen Welt ihre Predigt hören lassen wird. Dann wird überall eine neue separatio eintreten[12]. Wer dann noch von der Kirche sich trennt, wird keine Zeit mehr haben zurückzukehren[13]. Die wahre Kirche und die falsche Kirche werden auf der ganzen Erde zur Erscheinung kommen[14]. Dann wird endlich die große Verfolgung beginnen, die dreieinhalbjährige Zeit[15] des Antichrist[16].
Die von Tic. sehr konsequent festgehaltene Methode der Auslegung der Apk ist eine streng spiritualistische[17], und die einheitliche geschlossene Durchführung dieser Methode ist es wohl gewesen, die dem Kommentar seinen ungeheuren Einfluß für die Folgezeit verschafft hat. Mit dem letzten Rest historisch-realistischer Deutung ist hier aufgeräumt. Ausdrücklich polemisiert Tic. gegen die Deutung der beiden Zeugen auf bestimmte Persönlichkeiten. Die beiden Zeugen sind die Kirche, die durch die beiden Testamente predigt. Die dreieinhalb Jahre sind die 350 Jahre, in welchen sie bereits Zeugnis ablegt, die Auferstehung der Zeugen die allgemeine Totenauferstehung. Das Tier ist das Symbol für die weltliche Macht, die sieben Häupter bedeuten alle Könige der Welt, die zehn Hörner alle Königreiche, das achte Haupt, das doch zu den sieben gehört, oder das zum Tode verwundete Haupt, ist das falsche, verweltlichte Priestertum, das zur Welt gehört, obwohl es nicht zu ihr zu gehören scheint, und das anstatt des gekreuzigten Christus seine eigne Ehre oder gar den Satan verkündigt (Apk 13,14). Die Zahl Apk 13,18 — T. liest 616 — deutet er in irgend einer nur dunkel überlieferten Weise als Monogramm des Antichrist. (Vermutungen darüber von Burkitt, Cambridge University Reporter 1896 p. 625, s. Zahn Einl. II 628.) Dieser selbst ist ihm an vielen Stellen jedenfalls keine Einzelpersönlichkeit mehr, sondern vielmehr die schon in der Gegenwart vorhandene Zusammenfassung der gesamten gottfeindlichen Macht. Auf der andern Seite redet auch Tic. von einer bestimmten Person, die vom Teufel als rex novissimus an die Spitze der in der letzten Zeit mit der wahren Kirche kämpfenden civitas diaboli gestellt wird. Ob er freilich diesem rex novissimus den Titel des Antichrist gegeben hat, steht dahin[18]. Besonders hat Tic. in einer Beziehung den größten Einfluß auf die Folgezeit errungen und zwar nicht bloß auf dem Gebiet der Exegese. Seine Auslegung ist von geradezu geschichtlicher Wichtigkeit geworden, insofern durch sie endgültig mit allen chiliastischen Neigungen und aller realistischen Eschatologie in der lateinischen Kirche gebrochen wurde. In klarer und bestimmter Weise wird bei Tic. zuerst die Idee vom tausendjährigen Reich, vom Binden des Satans durch den Engel (Apk. 20,1ff., nach Tic. die Besiegung des Starken Mt 12,29 durch die erste Erscheinung Christi), die tausendjährige Herrschaft der Heiligen (die Zeit der Kirche von der ersten Ankunft des Herrn bis zu seiner Wiederkunft) umgedeutet[19].
Eingeteilt war das Werk des Ticonius nach Beda[20] in drei Bücher. Nun hat Beatus als Überschrift seines zweiten Buches (das bei ihm nur die Auslegung zu Apk 2 und 3 enthält): liber hic continet quatuor animalia et quatuor equos et animas interfectorum et quatuor ventos et duodena millia. Diese zu seiner Einteilung nicht passende Inhaltsangabe hat er wie Haußleiter richtig gesehen hat, aus dem Kommentar des Ticonius abgeschrieben. Danach enthielt das zweite Buch des Ticonius die Kapitel 4-7[21] (genauer 8,1). Des Tic. Disposition der Apk beruht auf einer durchgeführten Rekapitulationstheorie. Über sein System spricht er ausführlich am Ende der Auslegung von der Apk (Beatus 314)[22]: Advertendum praeterea est et ante oculos cordis habendum narrationis genus, quod spiritus s. in isto libro in omni periocho servavit; usque[23] ad sextum enim numerum ordinem custodivit; et praetermisso septimo recapitulat et duas narrationes quasi ordinem secutus in septimo concludit; sed ipsa recapitulatio pro locis intelligenda est: aliquando enim ab origine passionis, aliquando a medio tempore, aliquando de sola ipsa novissima pressura aut non multo ante dicturus recapitulat. Tamen fixum servat, ut a sexto recapitulet. Andre Bemerkungen über die Rekapitulationstheorie finden sich noch: Beatus 358 (zu Apk 8,2: recapitulat ab origene); 383 (zum Ende von Apk 9, eine ziemlich verworrene Bemerkung[24], der eine zweite zu Apk 11,14 entspricht, Beatus 400); 451 (zu Apk 14,5: recapitulat a tempore persecutionum in Africa gestarum); 455 (zu Apk 14,13: a tempore pacis futurae)[25]; 480 (zu Apk 16,12: ab origine brevius); 485 (zu Apk 16,16: a persecutione novissima); 507f. (zum Ende von Apk 17: a tempore futurae pacis); 522 (19,11: a passione Christi brevius); 545 (20,11); 549 (21,1: a Christi passione, cf. 568)[26]. — Man sieht, Tic. hatte bereits ein vollständig ausgebildetes und sehr künstliches Rekapitulationssystem. In der Folgezeit hat dasselbe durchaus die Exegese beherrscht.
Augustin hat in civitate Dei XX, 7-17 Apk 20 und 21 ausgelegt. Bemerkenswert ist, daß er in der Deutung des tausendjährigen Reiches bereits von Tic. beeinflußt ist[27]. Sermo 259,19 ist er noch der Meinung: octavus ergo iste dies in fine saeculi novam vitam significat, septimus quietem futuram sanctorum, in hac regnabit enim Deus in terra (cod. Vatic.), cum sanctis suis, sicut dicunt scripturae. So sagt er auch noch (de civitate XX, 7,1 (Corpus script. eccles. lat. Bd. 40 p. 440): nam etiam nos hoc[28] opinati fuimus aliquando, und empfiehlt nunmehr eine doppelte Auslegung: donec finiantur mille anni, i. e. aut quod remanet de sexto die, qui constat ex mille annis, aut omnes anni, quibus deinceps hoc saeculum peragendum est (ib. 40, 443,10ff.). Nach der ersten Auslegung wäre Christus innerhalb des sechsten Jahrtausends geboren und das Ende käme also, wenn das, was noch übrig bleibt, vom sechsten Tage abgelaufen ist. Nach der zweiten, der Auslegung des Tic. (s. o. S. 59), umfassen die tausend Jahre wirklich die Zeit von der Geburt Christi bis zur Wiederkunft desselben. Doch ist die Zahl 1000 nicht wörtlich zu verstehen, sie ist gewählt, ut perfecto mumero notaretur ipsa temporis plenitudo (ib. 40, 441,16). Augustin verzichtet darauf die Endzeit zu berechnen[29].
Auch in seinen übrigen Ausführungen berührt Augustin sich vielfach teils zustimmend, teils polemisch, ohne ihn zu nennen, mit dem Kommentar des Tic. Namentlich ist er von der Methode des Tic. beeinflußt. Er spiritualisiert wie dieser. Nur an der Hoffnung der Wiederkehr des Elias XX 29 (40, 503), XX 30,5 (40, 511) hält er fest. Auch die Deutung des vierten Reiches in Dan 7 XX 23 (40, 487ff.) und des κατέχων in II Th 2 (XX 19 40, 473,9) auf das römische Reich hält er fest, erstere unter Berufung auf des Hieronymus’ Danielkommentar. Dagegen will er die Weissagung von zehn Königen, die am Ende der Welt herrschen sollen, nicht wörtlich verstanden haben. Die Nerodeutung kennt er, aber weist sie als Absurdität zurück XX 19,3 (40, 473,6). Ganz in den Bahnen des Tic. wandelt er, wenn er, das Tier XX 9,3 (40, 452,14ff.) auf die impia civitas deutend, fortfährt: imago vero eius simulatio eius mihi videtur in eis videlicet hominibus, qui velut fidem profitentur et infideliter vivunt. Mit Tic. endlich teilt er die Rekapitulationstheorie XX 17: „et in hoc quidem libro ... obscure multa dicuntur, ut mentem legentis exerceant, et pauca in eo sunt, ex quorum manifestatione indagentur cetera cum labore, maxime quia sic eadem multis modis repetit, ut alia atque alia dicere videatur, cum aliter atque aliter haec ipsa dicere vestigetur.
Weniger entschlossen als Ticonius und Augustin verfährt in der Methode Hieronymus. Er hat den Kommentar des Victorinus bearbeitet und das Ende desselben selbst geschrieben. Seine geschrobene und künstliche Auslegung von Apk 20,1ff.[30] beweist, daß H. den Ticonius nicht gelesen hat. In der Vorrede zum Kommentar des Victorin verspricht H., daß er einen eignen Kommentar schreiben wolle. Ob dieser Plan zur Ausführung gekommen ist, ist zweifelhaft. Jedenfalls liegt jener nicht in der Summa des Beatus-Kommentars vor, wie Haußleiter meinte. In einer Münchener Handschrift Cod. Lat. 14469 Saec. IX findet sich fol. 130 seq. ein kurzer Kommentar zur Apk[31] mit der Überschrift: Incipit commentarius sancti Hieronymi. Der Kommentar wird mit Hieronymus wenig zu tun haben. Wenn auch manche originelle und archaistische Auslegungen[32] (mannigfache Anklänge an die Antichrist-Tradition)[33], und Namenerklärungen, wie Hieronymus sie liebt, in demselben vorkommen, so finden sich entschiedene Anklänge an spätere Kommentare (Ansbertus, Haymo) in demselben[34]. Die Frage, ob Hieronymus einen Kommentar zur Apk geschrieben hat, wird also noch in dubio bleiben müssen.
Sehr interessant ist des Hieronymus prinzipielle Auslegung über die Methode der Auslegung der Apk in Isaiam Lib. XVIII Prooem. (Vallarsi IV 767f.): quam si juxta litteram accipimus, judaizandum est, si spiritualiter, ut scripta est, disserimus, multorum veterum videbimur opinionibus contraire Latinorum Tertulliani, Victorini, Lactantii, Graecorum ut ceteros praetermittam Irenaei tantum Lugdun. episcopi faciam mentionem, adversus quem vir eloquentissimus Dionysius Alexandrinae ecclesiae pontifex elegantem scribit librum irridens mille annorum fabulam et auream atque gemmatam in terris Jerusalem ... cui duobus voluminibus respondit Apollinaris, quem non solum suae sectae homines, sed et nostrorum in hac parte dumtaxat plurima sequitur multitudo, ut praesaga mente jam cernam, quantorum in me rabies concitanda sit[35]. — Hieronymus steht deutlich in der Übergangsperiode von einer in der lateinischen Kirche allgemein herrschenden realistischen Auslegungsmethode zu einer spiritualistischen. — H. selbst schwankt in der Auslegung sehr stark zwischen den beiden Methoden, er gab mit doch nur schwachen Änderungen den realistischen Kommentar des Victorin heraus. In dem hier in Betracht kommenden Danielkommentar ist er beeinflußt durch die echt historische Betrachtungsweise des Porphyrius, den er bekämpft. Daneben zeigt er ziemlich genaue Bekanntschaft mit der Tradition vom Antichrist[36]. Er (wie Augustin) kennt noch die Nerodeutung, aber er lehnt sie ab: (in Dan 11,30 Vallarsi V 715) unde multi nostrorum putant ob saevitiae et turpitudinis magnitudinem Domitium Neronem Antichristum fore. In der Auffassung der beiden Zeugen schwankt er zwischen der Elias-Henoch-Deutung und der andern, daß dieselben die beiden Testamente seien: in Sacharjam 4,11f. VI 814, in Am 9,2ff. VI 347, [in Mal 3,5f. VI 985]. Eine spiritualisierende Auslegung von Apk XI gibt er ep. 46,6 I 203; sein Wort (ep. 53,8 I 280): apocalypsis tot habet sacramenta quot verba, drückt seine Stimmung am besten aus und ist bei allen nachfolgenden Exegeten ein geflügeltes Wort geworden.
Fußnoten:
1. S. Haußleiter a. a. O. 239ff.
2. Beatus gibt uns (vgl. die sehr seltene Ausgabe von Florez, Madrid 1770 p. 1) glücklicherweise selbst seine Quellen an, die er ausschreibt (s. u.), unter diesen den Ticonius. Da Beatus sehr wenig Eigenes hinzugetan hat, so kommt es nur darauf an, alle Entlehnungen aus den übrigen Quellen, die uns sämtlich zugänglich sind, zu konstatieren und von Beatus abzuziehen. Der übrig bleibende Rest wäre dann der Kommentar des Ticonius. Eine von mir angefertigte Übersicht der Entlehnungen des Beatus aus andern Quellen findet sich bei T. Hahn, Tyconiusstudien 1900 (Stud. z. Gesch. d. Theol. u. Kirche von Bonwetsch und Seeberg VI 2) S. 10f. Ich bemerke, daß diese Übersicht keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Ein vortreffliches Verzeichnis der Beatusstellen, die mit Wahrscheinlichkeit auf Tic. zurückzuführen sind, gibt Hahn S. 11f.
3. Vgl. hierzu und zum folgenden T. Hahn <span title="in: Tyconiusstudien 1900 (Stud. z. Gesch. d. Theol. u. Kirche von Bonwetsch und Seeberg VI 2)" class="anno" style="color: #00AA00;;">S. 14ff. Was Hahn hier ausführt, hatte sich auch mir bereits aus einer Reihe von Stichproben ergeben. Das Resultat steht also m. E. fest.
4. Haußleiter a. a. O. glaubt in dieser Summa den Kommentar des Hieronymus entdeckt zu haben. Es lassen sich jedoch entscheidende Gründe dagegen geltend machen. Vgl. Hahn 13f.
5. Haußleiter findet gerade hier Ticoniusfragmente, doch glaube ich, daß was im Prologus steht, entweder von Isidor oder von Beatus stammt.
6. Über Tic. vgl. Gennadius de scriptor. ecclesiasticis 18, ferner Augustinus de doctrina Christiana III 30ff. (A. führt die Auslegung des Tic. über die Engel an (III 30), hat also den Kommentar gekannt.)
7. ed. Burkitt, Text and Studies III 1 Cambridge 1894.
8. Des Tic. Kommentars als Quelle für die Theologie des Ticonius und die Geschichte des Donatismus auszubeuten, hat Hahn in der genannten vortrefflichen Untersuchung begonnen. Es bleibt hier noch genug lohnende Arbeit. Denn es handelt sich hier um die Wiederentdeckung einer in der Überlieferung fast verschollenen, höchst charakteristischen und bedeutenden Persönlichkeit der Kirchengeschichte.
9. Tic. gehörte zu den Gemäßigten, er hält an der Einheit der Kirche in den Sakramenten fest, s. den interessanten Abschnitt Beatus p. 56: baptisma non iteramus.
10. Beatus 298.
11. Beatus 212.
12. In Apk 10,11, Beatus 390, vgl. auch die leider nur in einem verdorbenen Text erhaltene Auslegung zur 6. Posaune Beatus 378.
13. Beatus 215.
14. Vgl. die Auslegung des dreifach gespalteten Babylon Beatus 486f.
15. An dieser Zeitbestimmung für die Dauer der Zeit des Antichrist hält Tic. fest.
16. Ich kann hier jetzt für alles weitere Einzelne auf T. Hahns ausführliche Darstellung S. 57ff. verweisen.
17. S. die vorzügliche Charakteristik bei Gennadius a. a. O.: exposuit et apc. J. ex integro nihil in ea carnale sed totum intelligens spirituale ... mille quoque annorum regni in terra justorum post resurrectionem futuri suspicionem tulit.
18. Ich modifiziere meine in der ersten Auflage mit Reserve gegebenen Aufstellungen nach Hahn 95ff. Überzeugt hat mich, was H. für diese Frage aus der regula fidei S. 96 vorbringt. Danach kennt Tic. einen vom Satan gesandten novissimus rex. In den Fragmenten des Spicilegium Casinense ist weder von einem persönlichen Antichrist noch von einem novissimus rex die Rede. Mit Rücksicht hierauf spricht sich doch schließlich auch Hahn über die Frage, ob T. den rex novissimus mit dem Antichrist gleichgesetzt und ob B. nicht die Stellen, die vom persönlichen Antichrist handeln, stark retouchiert habe, skeptisch und zurückhaltend aus (S. 98).
19. Daß diese Auslegung in der lateinischen Kirche neu war, beweist die künstliche Auslegung von Kap. 20, die Hieronymus noch in der Bearbeitung des Victorinkommentars gibt. Denn H. hatte sich seiner Aussage im Prologus gemäß unter den Auslegern der Apk umgesehen. Augustin, ursprünglich Chiliast, ist in der Auslegung von Apk 20 bei Tic. in die Schule gegangen.
20. Beda hat den Tic. im Auge, wenn er im Prologus seines Kommentars sagt: quod opus memoratum in tres libellos relevandae mentis gratia findi placuisset. Haußleiter 248.
21. Nicht Kap. 2-7 wie Haußleiter will, denn der Satz „liber secundus de septem ecclesiis“ der dem „liber hic continet“ vorangeht, stammt nicht von Tic. Vgl. Hahn S. 19.
22. Dazu in Primasius eine vollständige Parallele.
23. Von hier an eine Parallele in Beda.
24. Dazu eine Parallele bei Primasius.
25. Das wird 456 erklärt: ecclesia praecipue post persecutionum flammas in resurrectione albescet.
26. Vgl. jetzt Hahn S. 19f.
27. Das läßt sich durch eine genaue, freilich recht mühsame Untersuchung beweisen. Durch eine Vergleichung von Beatus und Ps. Augustin läßt sich zunächst der Text des Tic. in den betreffenden Abschnitten fast genau herstellen und auf Grund desselben die Abhängigkeit des Augustin in vielen Einzelheiten erweisen. Die Untersuchung ist von mir bis ins Einzelne gemacht.
28. D. h. die chiliastische Ausdeutung der tausend Jahre.
29. Er gibt an, daß einige die Dauer der Kirche auf 400, 500 resp. 1000 Jahre berechnet haben ib. XVIII, 53,1. (40, 357,11ff.). — Augustin zeigt sich von allen Kirchenvätern, wenn man etwa von Origenes absieht, am skeptischsten gegen das ganze apokalyptische Getriebe. Bei ihm findet sich am wenigsten apokalyptisches Material.
30. Den Chiliasmus verwirft H. bestimmt, in Dan 7,17 Vallarsi V, 671: cesset ergo milia annorum fabula.
31. Vgl. Haußleiter a. a. O. 253.
32. So die Bemerkung, daß die Zahl 666 juxta hebraeam linguam zu deuten sei (doch vgl. den Kommentar des Haymo)
33. So wird vom Tier zu Apk 13,18 gesagt: quia fingebat se legem observare per septem dies.
34. So in der Auslegung der sieben Posaunen; - die singuläre Deutung des Schwanzes des Drachen auf den Antichrist finde ich bei Haymo.
35. Im Kommentar des Joachim von Floris (s. u.) finde ich unter des Hieronymus Namen (fol. 146b) folgende Ausführung: licet autem non contradixerit H. ei, qui se interrogavit, utrum Henoch et Elias secundum apocalypsim Joannis essent morituri, in spiritu tamen esse intelligendum, potius quam ad litteram asseruit dicens: de Enoch et Helya, quos venturos apocalypsis refert et esse morituros, non est huius temporis disputatio, cum omnis ille liber aut spiritualiter intelligendus sit, aut si carnalem interpretationem sequemur, judaicis fabulis acquiescendum sit. - Woher stammt dieser Satz? Ein echtes Wort des H. scheint es zu sein.
36. S. Bousset Antichrist im Register unter Hieronymus, vgl. noch Vallarsi V,468 in Ezech 40,5 (der Antichrist ein König der Juden).
4. Die späteren Ausleger der griechischen Kirche.
Für die unter dem Einfluß des Dionysius und Eusebius stehende Stimmung der griechischen Kirche ist es charakteristisch, daß wir in ihr nur sehr wenigen zusammenhängenden Auslegungen des Buches begegnen. Der Kommentar, den man bisher wenigstens als den ersten in griechischer Sprache ansah, ist der des Erzbischofs von Cäsarea in Kappadocien, Andreas[1]. Der Zeit des Andreas und seines Kommentars hat Diekamp, histor. Jahrbuch 1897, eine außerordentlich gründliche Untersuchung gewidmet. Danach hat A. jedenfalls (vgl. die Auslegung zu Apk 16,19) vor der Zeit der beginnenden Herrschaft des Islam (Eroberung Jerusalems 637) geschrieben. Auf der andern Seite zitiert er bereits die Schriften des Dionysius Areopagites (s. zu Apk 4,8; 10,3; 15,7; 22,4), die frühestens 482 entstanden sind (J. Stiglmayr, histor. Jahrbuch XVI 235ff. 720ff.; H. Koch, Philologus LIV 1895, 438-454). So bleiben für Andreas, wenn man die uns bekannten Regierungszeiten der B.B. von Cäsarea in Betracht zieht, die Jahre 482-510, 513-535, 562-637. Nach D. kommt der erst genannte Zeitraum schon wegen der Beziehungen zu Dionysius kaum in Betracht. Für den letzteren spricht, daß der Kommentar starke Kriegsunruhen voraussetzt (zu Apk 6,8; 8,7; 16,9), und daß in der Tat in der Gegend Kappadociens von 603 an zwanzig Jahre hindurch der Krieg mit den Persern wütete. Dagegen aber, daß die Perser — abgesehen von der gleichgültigen Aufzählung der Weltreiche — nirgends eine Rolle in der Auslegung spielen. Daher entscheidet sich D. für den Zeitraum 513-535. Im Jahre 515 erfolgte der auch sonst die apokalyptische Literatur stark beeinflussende Ausbruch wilder hunnischer Völkerschaften durch die sogenannten kaspischen Tore. Andreas aber deutet Gog und Magog 94,46f. auf die Hunnen: ἅπερ καλοῦμεν οὑννικὰ πάσης ἐπιγείου βασιλείας καὶ ἐθνῶν ὡς ὁρῶμεν πολυανθρωπότερά (τε) καὶ πολεμικώτερα. So kommt D. zu dem Schluß, daß der Kommentar bald nach 515 geschrieben sein könnte.
Der Hauptsache nach lehnt A. sich in seinen Deutungen an Irenäus und Hippolyt an, auch wo er nicht zitiert. Gregor v. Nazianz entlehnt er die dogmatischen Ausführungen, dem Epiphanius die Deutung der zwölf Steine Apk 21, dem Methodius folgt er in der Auslegung des 12. Kap.[2] Als seine Methode bezeichnet er selbst in der Einleitung die origenistische (des dreifachen Schriftsinnes).
Mit der Rekapitulationstheorie scheint Andreas im Prinzip unbekannt zu sein. Auf der andern Seite nähert er sich derselben in der Auslegung dennoch. Er deutet das erste Siegel auf die Predigt der Apostel, das zweite auf die Märtyrer und Lehrer, das dritte auf den Abfall vom Glauben, das vierte auf eine Hungersnot unter Maximianus, das fünfte auf die Klagen der Märtyrer, mit dem sechsten kommt er schon in die Zeiten der Verfolgungen des Antichrist. Die siebente Posaune bedeutet die Auflösung der γηίνης πολιτείας. Die sieben Posaunen sind die Plagen der letzten Tage, durch deren Erduldung den Verdammten die Höllenstrafen gelindert werden, die sieben Schalen werden ähnlich gedeutet. Die beiden Zeugen sind auch nach ihm Elias und Henoch, der Antichrist ein jüdischer Herrscher aus dem Stamm Dan (zu Apk 7,5ff. [31,39]; 16,12 [72,15ff.]), der sein Heerlager einst in Jerusalem aufschlagen wird[3]. Kap.13 und 17 werden durchweg nach Irenäus und Hippolyt erklärt. Doch wird Babylon nicht auf Rom, sondern auf die gesamte weltliche Macht gedeutet und die sieben Häupter — trotz Erwähnung der Deutung des Hippolyt — auf sieben Weltreiche, von denen das sechste, das zur Zeit des Johannes ist, auf Rom, das siebente auf Neu-Rom (Constantinopel) bezogen wird. Die Deutung, die Andreas von Apk 20 gibt, ist die von Ticonius-Augustin aufgestellte. Der Kommentar des Andreas hat keinen ausgeprägten Charakter. Die verschiedenen Methoden: Rekapitulation und fortlaufende Auslegung, spiritualistische und realistische Deutung wechseln, aber der Kommentar ist ein interessantes Repertoir älterer und jüngerer Anschauungen.
Während man bisher annahm, daß der nächste Nachfolger des Andreas in der Auslegung der Apk Arethas von Caesarea sei, hat sich neuerdings herausgestellt, daß ein anderer Kommentar, zum mindesten den zweiten, wenn nicht den ersten Platz, in dieser Reihe einnimmt, nämlich der des Oekumenius[4]. Nachdem man bis vor kurzem von diesem Kommentar nur den Titel kannte, war Diekamp so glücklich, zunächst ein Fragment und dann in dem Cod. Messinesis S. Salvatore 99 den vollständigen Kommentar (ἑρμηνεία τῆς ἀποκαλύψεως τοῦ θεσπεσίου καὶ εὐαγγελιστοῦ καὶ θεολόγου Ἰ. ἡ συγγραφεῖσα παρὰ Οἰκουμενίου) zu entdecken[5]. Dabei ergab es sich, daß der Kommentar, den man bisher viel später angesetzt, um 600 geschrieben sei. O. selbst bemerkt zu Apk 1,2: ἤδη πλείστου δεδραμηκότος χρόνου, ἐξ οὗ ταῦτα εἴρηται, ἐτῶν πλειόνων ἢ πεντακοσίων; und ein Zitat aus dem Kommentar findet sich bereits in einer syrischen Handschrift des 7. Jahrh. (Mus. Britannicum; syr. 855, fol. 72b). —
Ja es erhebt sich sogar die Frage, ob Oekumenius nicht überhaupt der erste in der Reihe der griechischen Kommentatoren sei. An mehreren Stellen nimmt der Kommentar des Andreas nämlich teils einfach referierend, teils polemisierend auf ältere Auslegungen Bezug (zu Apk 4,5; 9,5.15; 6,1ff.; 12,1ff. vgl. namentlich das oben S. 63,2 zu 6,1ff., Auslegung der Siegel, Vermerkte). Und diese Auslegungen finden sich im Oekumeniuskommentar! — 15,6 (λίνου - λίθου) und 1,5 (λύσαντι - λούσαντι) exegesiert Andreas eine Doppellesart, während Oekumenius nur eine Lesart hat. Es wäre also doch vielleicht die Frage zu überlegen, ob man trotz der entgegenstehenden Bedenken (s. o.) mit dem Andreaskommentar nicht bis 620 hinunterzugehen habe, während dann Oekumenius um 600 anzusetzen wäre. Die Herausgabe des Kommentars wird hoffentlich Licht in die Frage bringen.
Von Andreas und zu einem großen Teil, wie sich jetzt herausstellt, von Oekumenius abhängig ist endlich der dritte Kommentar in dieser Reihe, der des Erzbischofs Arethas von Caesarea (Kappadozien)[6]. Arethas, der vielleicht von 901-940 die erzbischöfliche Würde bekleidet, soll den Kommentar (nach einer Bemerkung des cod. Parisinus 219, vgl. Diekamp 1051) noch als Diakon geschrieben haben. Er wurde aber 895 Diakon in Patrae. Der Kommentar scheint in zwei Rezensionen einer kürzeren (als Anhang der Werke des Oekumenius Verona 1532, ¹ Paris 1631, ² übers. v. Joh. Hentenius, Paris 1547) und einer längeren bei J. A. Cramer, Caten. in epistolas catholicas, accesserunt Oecumenii et Arethae commentarii in Apokalypsim, vorzuliegen[7].
Fußnoten:
1. Eine kritische Ausgabe des Kommentars: Fred. Sylburg, Andreae archiepiscopi Caesarea ... in Joannis ... apoc. Commentarius [Theodoro Peltano interprete] e typogr. Hier. Commelini 1596.
2. Irrtümlich erwähnt A. (55,26) den Hippolyt als Vertreter der Auslegung, daß unter dem ersten Tier in Kap. 13 der Antichrist zu verstehen sei, neben Methodius. — Außerdem werden eine Reihe älterer namenloser Auslegungen (s. u.) erwähnt. Interessant ist die Bemerkung, daß einige das sechste Siegel auf die Belagerung Jerusalems durch Vespasian, die Versiegelung der 144000 auf die Errettung der Judenchristen aus Jerusalem bezogen. Nach einer andern Auslegung werden die sieben Siegel auf das Leben Jesu bezogen, das tausendjährige Reich auf die Zeit zwischen Taufe und Tod Anm: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt Christi. Eine Spur von der Nerosage findet sich zu Apk 13,3 (56,10ff.): εἴτε τινὰ τῶν ἀρχόντων αὐτοῦ τεθανατῶσθαι καὶ ὑπ’ αὐτοῦ [τοῦ Ἀντιχρίστου] διὰ γοητείας ἀπατηλῶς ἀνίστασθαι φαινόμενόν φασι.
3. Als Deutungen der Zahl 666 werden eine Reihe von Eigennamen (neben den schon bekannten sind Λαμπέτης, Βενέδικτος zu nennen) und von vermeintlichen Attributen des Antichrist aufgezählt (κακὸς ὁδηγός, παλαιβάσκανος, ἀληθὴς βλαβερός, ἄμνος ἄδικος).
4. Der Kommentar zu den Paulinen und Apostelgesch. Kath. Br., der unter dem Namen des Oekumenius geht, ist nach Diekamp unecht. Mit einiger Sicherheit sind nur die ihm ausdrücklich darin zugeschriebenen Stücke ihm zuzusprechen.
5. Mitteilungen über d. neuaufgefundenen Kommentar des Oekumenius z. Apok., Sitzungber. d. Berl. Akademie 1901, H. XI. Über Oecumeniuskommentare zur Apok. vgl. v. Soden, die Schriften des N. T. I 288.
6. Über die Zeit des Arethas s. Harnack, Die Überlieferung d. griech. Apologeten d. 2. Jahrh. Texte u. Unters. I. 1882. S. 36-46; A. Jülicher, Gött. Gel. Anz. 1899, S. 377-387. — Zu beachten ist, daß Arethas zu Apk 13,2 von der Herrschaft der Sarazenen in Babylon redet, also wahrscheinlich die Gründung von Bagdad unter Mahdi 775—785 bereits voraussetzt.
7. Nach von Sodens Angaben wäre der echte Arethaskommentar nur in sehr wenigen Handschriften enthalten. Die bekannte Minuskel 95 (Αρ²¹) enthalte ihn. Was bisher als Arethaskommentar gegolten, sei der [von Oekumenius (das kann nach Diekamps Untersuchungen nicht richtig sein)] bearbeitete Arethaskommentar.
5. Die Nachfolger des Ticonius.
Lud. Alcasar charakterisiert in seinem großen Kommentarwerk (s. u.) als die erste Gattung der Auslegungen zur Apk diejenigen, welche in der Apk ganz im allgemeinen ohne Beziehung auf bestimmte Ereignisse und ohne bestimmte Zeitfolge eine Weissagung des Kampfes der Kirche mit der Welt fänden. Und mit großem Scharfsinn hat er gesehen, wie diese von Ticonius stammende Auslegung die Exegese bis tief ins Mittelalter hinein beherrschte. Nur paßt die Charakteristik nicht ganz zu dem Kommentar des Tic., den ja Alcasar selbst nicht kannte. Denn dieser fand in der Apk den ganz bestimmten Kampf der wahren donatistischen Kirche mit der falschen Staatskirche und den übrigen Weltmächten. Aber indem man nun von dem Kommentar des Tic. alles echt Donatistische abstreifte, entstand eben jene abstrakte Art der Auslegung der Apk, die Alcasar beschreibt. Derjenige, welcher diese Entwickelung in der Auslegung der Apk herbeiführt, ist Primasius († nach 554, vgl. Diekamp, histor. Jahrb. 1897, S. 1.).
Er[1] hat nach seinem eigenen Zugeständnis den Tic. ausgeschrieben: exundantia reprimens, importuna resecans et impolita componens, catholico moderamine temperavi (Prooemium). Lieber noch ist er natürlich dem Augustin gefolgt, wo es anging: si quae tamen a sancto quoque Augustino testimonia exinde exposita forte repperi, indubitanter adjunxi[2]. Seine Auslegung von Apk 20 ist in der Tat von Augustin beherrscht. Daneben ist auch gelegentlich der Kommentar des Victorin benutzt. Neben manchen eignen Ausführungen gibt so Primasius den Kommentar des Tic. oft in extenso wieder. Selbst direkt donatistische Auslegungen vermeidet er nicht, obwohl der ursprüngliche Sinn derselben in der veränderten Umgebung kaum wieder zu erkennen ist. Besonders einflußreich für die Folgezeit ist es geworden, daß er die ganze Rekapitulationsmethode, ja die ganze Art, wie Tic. die Apk disponiert, an fast allen Stellen genau mit denselben Worten übernommen hat. Dagegen stellen sich bei Prim. schon wieder realistische Deutungen, welche Tic. gänzlich vermeidet, ein. Er bezieht (zu Apk 11,3) die beiden Zeugen wieder auf Elias und Henoch und weiß, daß Elias als Bußprediger unter den Juden auftreten wird. Er weiß wieder etwas von der Abstammung des Antichrist aus dem Stamm Dan (zu Apk 11,7). Das Geschwür 16,2 deutet er darauf, daß die Juden den Antichrist anstatt des Messias als ihren König aufnehmen. Ebenso bringt er in die Deutung von Kap. 13 und Kap. 17[3] wieder die Erwartung eines persönlichen Antichrist hinein und verwirrt dadurch die vorwiegend spiritualisierende Deutung des Tic. Die vier Engel 7,1 erklärt er für die Weltreiche der Assyrer, Meder, Perser, Römer. Beim zweiten Tier (Apk 13) findet er Beziehungen auf Simon Magus etc. Die wunderliche Ausführung endlich, die Prim. zu Apk 13,18 gibt, daß nämlich χριστει (= 1225) die Zahl der Tage angebe, welche der Antichrist herrsche, ist wohl aus einem Mißverstand der Deutung des Ticonius entstanden[4]. Gleichzeitig etwa mit Primasius schrieb Cassiodorus „complexiones in epistolas et acta apostolorum et apocalysin“[5]. Er verweist die Leser, die eine ausführliche Belehrung wünschen, auf des Ticonius Erklärung und produziert im großen und ganzen diese. Doch finden sich auch Erklärungen anderer Art, wie die Elias-Henoch-Deutung, die auf einen persönlichen Antichrist und die Babylons auf Rom.
In diesem Zusammenhang sind ferner die pseudoaugustinischen Homilien[6] zu erwähnen. Dieselben sind ein ziemlich getreuer Auszug aus Tic. unter teilweiser Beseitigung donatistischer Ketzereien. Hier und da ist Victorin benutzt. In der Auslegung von Kap. 20 (Hom. 17. 18) zeigt sich der Einfluß Augustins. Wo Ticonius von der falschen Bischofskirche redet, spricht der Auszug einfach von Häretikern.
Nach Isidorus Hispalensis de viris illustr. 30 schrieb der Bischof Apringius (eccl. Pacensis)[7] einen Kommentar zur Apk: subtili sensu atque illustri sermone melius pene, quam veteres ecclesiastici viri. Den Kommentar hat auch Beatus benutzt, er nennt den Apringius als seine Quelle (s. o. S. 56,1). Haußleiter machte (a. a. O. 257) auf Nachrichten über diesen Kommentar aufmerksam, welche aus der Bibliotheca vetus Hispana des Nicolaus Antonius stammen. Danach befanden sich Handschriften des Kommentars in spanischen Bibliotheken. Einer Notiz von Mosheim Bibliotheca Bremensis VI 749 folgend fand ich den Kommentar in dem Handschriften-Katalog des Arnamagnaeanske-Legat (III. Teil 1895) unter Nr. 1927 A M. 795. 4[8]. Neuerdings hat M. Férotin den Kommentar herausgegeben, nachdem er ihn bereits früher unabhängig von mir in Kopenhagen aufgefunden[9]. Der Kommentar ist nicht vollständig. Er liegt nur vor für Apk 1-5,7 und dann wieder zu Apk 18,6 bis zum Ende. Dazwischen steht mit der Überschrift „deinde explanatio Iheronimi“ der (von Hieronymus überarbeitete) Victorin-Kommentar, von dem auch zu 20,1-10 wieder ein Stück in den Text des Apringius eingesprengt ist. Die Verstümmelung des Kommentars, wenn dieser überhaupt einmal vollständig war, scheint uralt zu sein. Auch in spanischen Handschriften liegt sie bereits vor (Bibl. Hispana I, 277), und wie mir scheint, zeigt bereits Beatus in den mittleren Partieen keine Spur von einem neben dem Kommentar des Ticonius fortlaufenden anderen Kommentar. Der Kommentar selbst ist eine — wie es scheint, ziemlich selbständige — aber recht wertlose Arbeit. Wertvoll ist derselbe nur dadurch, daß er uns ein Mittel an die Hand gibt, den Kommentar des Ticonius aus dem Beatuskommentar zu rekonstruieren. Denn Apringius war bis jetzt unter den von Beatus benutzten Quellen die einzige unbekannte Größe. Bemerkenswert ist endlich die in diesem Kommentar sich findende Notiz, daß die Apk unter Kaiser Claudius geschrieben sei.
Beda (735 †)[10] bekennt in der Einleitung ebenfalls seine Abhängigkeit von dem von ihm sehr geschätzten Ticonius und stellt die sieben Regeln desselben seiner Ausslegung voran. Er zitiert ihn häufig ausdrücklich. Außerdem kennt er als belesener Gelehrter den Primasius (in Apk 13,17) Augustin, von dem er namentlich in Kap. 20 (vgl. auch die Deutung der vier Tiere auf die vier Evangelisten) beeinflußt ist, Hieronymus, Gregor, auch Cyprian. Im Ganzen folgt er in seiner Auslegung mehr dem Primasius als dem Ticonius. Er teilt mit jenem fast alle obengenannten Abweichungen von Ticonius. Er dürfte indessen die Erklärung des Tic. zum siebenten Siegel allein erhalten haben[11]. In seiner Vorrede teilt er die Apk in sieben Teile, eine Einteilung, die der späteren Auslegung weithin zum Muster gedient hat. In der Auffassung der Komposition der Apk folgt Beda noch ganz dem Ticonius resp. dem Primasius. Hier finden sich die Ausführungen des Tic. wörtlich wieder (vgl. zu Apk 6 Ende).Ambrosius Ansbertus[12] schickte seinem schon erschreckende Dimensionen annehmenden Kommentar einen Überblick über die Geschichte der Auslegung voran. Er kennt den Kommentar des Victorin in der Bearbeitung des Hieronymus, dann Ticonius, Primasius (und dessen Verhältnis zu Ticonius); als seine bevorzugten Gewährsmänner nennt er Augustin und Gregorius. Hier und da zitiert er auch Beda. Die Hauptquelle des Ambrosius ist Primasius. Es finden sich bei ihm freilich auch einige direkte Berührungen mit Ticonius, so daß auch dieser Kommentar hier und da zur Rekonstruktion des Tic. heranzuziehen ist. Dem Primasius folgt A. gewöhnlich dem ganzen Gedankenzusammenhang nach und durchsetzt diesen mit ausführlichen Exkursen, langen Erörterungen einzelner Worte und spitzfindigen Fragen, indem er sich dabei vielfach an Gregor anschließt. Auch den Victorin hat er gelesen und berücksichtigt ihn oft (in Apk 10,11). Die Auslegung des Zahlenrätsels (Apk 13,18) ist eine genaue Addition von Primasius und Victorin II. Auch bekämpft er die Deutungen Victorins, so die Deutung der beiden Zeugen (Elias-Jeremias), so die Nerodeutung (in Apk 17,9.10; 13,3), die er für eine Absurdität erklärt. Er akzeptiert (in Apk 13,1) die alte (Hippolyt-Hieronymus) Auslegung der sieben Häupter des Tieres. Die Rekapitulationstheorie behält er, immer noch unter wörtlicher Zitation des Ticonius, bei (vgl. die Auslegung am Ende von Apk 6). Die Anordnung des Kommentars in zehn Bücher ist zur weiteren Orientierung zu beachten.
Beatus, der durch den Streit mit Elipandus bekannte Mönch und Presbyter, schrieb im Jahre 776 einen Kommentar zur Apk, welchen er dem Etherius widmete[13]. Als seine Quellen nennt er Hieronymus, (Victorin?), Augustin, Ambrosius, Fulgentius, Gregorius, Ticonius, Irenäus Abringius, Isidorus. Das Werk beginnt mit der nuncupatio ad Etherium. Dann folgt ein Prologus des Hieronymus, darauf der uns bekannte Prologus desselben zu der Ausgabe des Victorin-Kommentars, dann p. 4-35 eine Summa, die Auslegung zum ersten Kapitel der Apk p. 36-83 (am Schluß der Kommentar des Victorin zu Apk 2 und 3). Dann ein Prologus de ecclesia et synagoga, größtenteils eine Kompilation aus Isidors etymologiae, p. 84-135, endlich der übrige Kommentar.
Der Kommentar ist eine unglaubliche Kompilationsarbeit. Beatus schreibt sinnlos aus den verschiedensten Schriftstellern ab und kombiniert entgegengesetzte Behauptung mit einer köstlichen und für uns ungemein wertvollen Naivität. Die Kommentare des Victorin, Apringius und Ticonius hat er fast ganz in sein Werk aufgenommen, er unterbricht ihre Ausführungen oft mit seitenlangen Plagiaten aus Gregors Homil. zu Ezechiel und Moralien. Den Luxus einer eigenen Meinung gestattet er sich fast nirgends mehr.
Beatus glaubt nach seinen Ausführungen zu 7,1ff. in den letzten Zeiten zu leben, er berechnet, daß nur noch 14 Jahre übrig bleiben sollen bis zum Ende des sechsten Jahrtausends (p. 322, Einleitung Nr. 65ff.), er hatte viel über falsche und heuchlerische Mönche zu klagen (Summa p. 27) und bezog auf diese, wie überhaupt auf alle Namenchristen des Ticonius Polemik gegen falsi fratres. Für uns ist das Werk eine unschätzbare Fundquelle einer alten, verloren gegangenen exegetischen Literatur[14].
Wir sahen bis jetzt, wie namentlich durch Primasius hindurch, aber auch direkt der Kommentar des Ticonius die Folgezeit mit wenigen Ausnahmen beherrschte, wie andrerseits gerade durch Primasius ein Bruchstück der älteren realistischen Deutung wieder in Umlauf kam. — Auch die folgenden Jahrhunderte bieten noch kein wesentlich anderes Bild.
Alcuins Werk Migne (P. L. 100) will zunächst nichts anderes sein als ein Auszug aus Ambrosius. Das ziemlich umfangreiche Werk Haymos von Halberstadt (843 † Migne P. L. 117) ist tatsächlich ebenfalls ein einfacher Auszug aus demselben Werk. Das zeigt sich schon darin, daß die Anfänge der sieben Bücher in Haymos Kommentar mit den Buchanfängen bei Ambrosius übereinstimmen[15]. Übrigens kennt Haymo auch Beda und zitiert ihn (971 A). So finden sich denn selbst bei Haymo noch jene altbekannten Ausführungen über die Rekapitulationsmethode, und so liegt hier eine lange, fast über fünfhundert Jahre reichende Traditionskette vor: Ticonius — Primasius — Ansbertus —— Haymo!
Wie Haymo ein Auszug aus Ambrosius, so ist Walafried Strabos Glossa ordinaria[16] (Migne P. L. 114) wieder ein Auszug aus Haymo. Eine direkte Berührung des Strabo mit Ansbertus habe ich nicht gefunden. Mit Beda teilt übrigens Strabo die Apk in sieben Teile. So findet man auch noch bei Strabo überall Anklänge an Primasius und Ticonius. Auf Grund der Ausführungen des Ticonius hat sich nun mittlerweile ein schon bei Ansbertus vorhandenes; aber mit der größeren Kürze der Kommentare immer klarer heraustretendes bestimmtes Schema der Auslegung gebildet, das dann sehr einflußreich geworden ist. Danach werden die Weissagungen der Siegel so verteilt, daß man in dem ersten die Predigt der Apostel, in dem zweiten die Verfolgungen und die Märtyrer, in dem dritten die Häretiker und doctores ecclesiae, in dem vierten die falsi fratres (Schismatiker, Scheinchristen s. o. Ticonius!), in dem fünften und sechsten die dem Ende vorhergehenden Begebenheiten geweissagt fand; genau analog erklärte man dann die sieben Posaunen[17]. Bei der fünften Posaune bemerkt Strabo: hic est enim damnatio eorum, quos diabolus immitit ad praeparandas vias ante faciem Antichristi. Dagegen werden dann die sieben Schalen auf die „destructionem illorum, qui tempore Antichristi erunt“ gedeutet. Zu Apk 11-13 finden wir dagegen die alte Deutung des Ticonius in der Umarbeitung des Primasius wieder. Bedeutsam ist noch, daß Strabo in den Apk 14 auftretenden Engeln christliche praedicatores fand, welche einer dem andern folgen.
Unter den Werken des Ambrosius von Mailand (Migne P. L. 17) findet sich das Werk eines Verfassers, der sich, wie aus dem von ihm selbst in der Einleitung aufgegebenen Zahlenrätsel mit ziemlicher Sicherheit zu erkennen ist, Berengaudus nannte (l. c. p. 843). Von Autoritäten zitiert er namentlich Gregorius und Prudentius, außerdem Ambrosius, Hilarius, Hieronymus, Augustin (967 C). Er schrieb nach der Zerstörung des Longobardenreiches[18], er geißelt in der Auslegung von Apk 18 namentlich die Ausschreitung gewisser Archidiakone und höherer kirchlicher Beamte[19], ihre Simonie und Bestechlichkeit. Die Herausgeber deuten diese Ausführungen auf die kirchlichen Verhältnisse in Gallien am Anfang des neunten Jahrhunderts. — Der Kommentar ist deshalb interessant, weil er in der ganzen Zeit der einzige einigermaßen selbständige ist. Vieles erinnert zwar noch in der Auslegung an Ticonius oder an andere Ausleger, aber die meisten Ausführungen sind selbständig und singulär. Wie der Kommentar sich an keinen Vorgänger anlehnt, scheint er übrigens auch keine Nachfolger zu haben. B. teilt sein Buch in sieben Abschnitte, die teils mit denen des Beda, teils mit denen des Ansbertus sich decken. Die sechs Siegel werden hier gedeutet auf die Zeit: 1) von Adam bis Noah, 2) bis zum Gesetz, 3) des Gesetzes, 4) der Propheten, 5) der Märtyrer, 6) der Verwerfung des Volkes und Berufung der Heiden. — Die Posaunenengel sind auch hier 1) ante legem, 2) Moses, 3) prophetae, 4) Christus, 5) apostoli, 6) defensores ecclesiae orthodoxae. B. kennt die buchstäbliche und die spirituelle Deutung der beiden Zeugen. Vom siebenten Engel heißt es: praedicatores sancti, qui temporibus Antichristi erunt. Von den drei aufeinander folgenden Engeln, Apk 14,6ff., ist der erste Christus und die Apostel, der zweite doctores ecclesiae, der dritte praedicatores ... qui temporibus Antichristi futuri sunt (vgl. Strabo). Die sieben Häupter des Tieres sind: omnes reprobi, der Antichrist das siebente Haupt. Die Hörner sind die Reiche, die einst Rom zerstört haben (Vandalen, Gothen, Longobarden etc.). Die Zahl des Tieres will B. nicht deuten, er meinte, daß es einem begegnen könne, beim Nachrechnen einmal seinen eignen Namen oder den seiner Verwandten zu finden.
Des Anselmus von Laon († ca. 1117, Migne P. L. 162) enarrationes in Apocalypsin sind in genauer Anlehnung an Walafried Strabos Glosse geschrieben. Bruno von Aste[20], einer der theologischen Gegner Berengars, lehnt sich in seinem Werk im wesentlichen an Haymo[21] an. Strabo mit seiner straffen Dispotion hat noch keinen Einfluß auf ihn gehabt. Er teilt seinen Kommentar in sieben Bücher, teils der Einteilung Bedas, teils der des Ansbertus folgend. Verhältnismäßig selbständig ist der Kommentar des Abts Rupertus v. Deutz[22]. Der Charakter der Auslegung verändert sich allerdings nicht. Wie überall herrscht die Allegorese, die Rekapitulationstheorie, das Vermeiden bestimmter kirchlicher Einzeldeutung. Viel Bekanntes klingt im einzelnen durch, doch findet sich noch mehr Singuläres[23].
Der Einfluß der Glossa ordinaria macht sich dann weiter geltend in dem Kommentar des Richard von St. Victor, (Migne P. L. 196, nach Alcasars Einl., S. 68 1140 geschrieben), der allerdings vorwiegend von dem Werk des Anselm abhängig zu sein scheint, vielleicht auch Haymo folgt. Das feststehende Schema der Auslegung wird befolgt, Eignes bringt er fast garnicht. Dasselbe ist zu sagen von dem Werk des Albertus magnus (Opera Lugdum. 1651. Tom XII. — Alcasar gibt in der Einleitung seines Kommentars das Jahr 1260 an). In diesem tritt schon der Charakter der scholastischen Gelehrsamkeit hervor: überall eine genaue Disposition, kleine Exkurse, zahlreiche Bibelstellen als Paralleltexte, Belege und Erläuterungen; im großen und ganzen auch hier in Anordnung und Einzelauslegung nur Bekanntes[24].
Ferner ist wegen seiner Anlage im großen und ganzen hierher ein Kommentar zu stellen, der früher dem Thomas von Aquin[25] zugeschrieben wurde, jetzt ihm jedoch allgemein abgesprochen wird. Er stammt frühestens aus dem 13. Jahrh. Glossa (Walafried oder Anselmus?), Bernhard v. Clairvaux (z. B. 402a) und sogar die Auslegung des Abt Joachim (s. u.) sind hier zitiert. Eine bestimmte Wendung gewinnt die Auslegung der sieben Posaunen, namentlich der vierten Posaune. Hier werden als Prediger gegen die Scheinchristen „pauperes praedicatores“ genannt (A 391a unten). — A 395b heißt es: paupertas jam omnino et fere ubique percussa est. Vom dritten Stand, dem der Armen, wird gesagt: omnes illam opprimunt et spoliant et nullus eam defendit. Von jenen praedicatores wird behauptet ordo praedicantium, qui modo sunt[26]. Einen besonderen Sinn hat es wohl auch, wenn der Verfasser (der Glossa folgend) von den beiden Tieren Kap. 13 das eine aus die principes das andere auf die falschen praedicatores deutet. Man beachte noch die Ausführungen (zu Apk 14,7) über den tertius ordo praedicatorum (praedicatores audacter dicentes veritatem). — Wir gehen nach den angeführten Beweisstellen kaum fehl, wenn wir annehmen, daß dieser Kommentar wenigstens in der Form von A [in B fehlen die charakteristischen Stellen] in reformerischen Kreisen, vielleicht in denen der spirituellen Franziskaner entstanden ist.
Im folgenden zähle ich vorgreifend die wenigen späteren Kommentare auf, die sich noch immer in demselben Geleise der Auslegung bewegen: 1) Hugo v. St. Caro[27] († 1263) beruft sich sehr oft auf die Glossa[28] (des Strabo ?), muß aber außer dieser noch andre Kommentare aus derselben Gruppe ausgeschrieben haben. 2) Interessanter ist das Werk des Dionysius Carthusius (v. Ryke)[29] (1402-1471). Dieser machte den Anfang eines gewissen wissenschaftlichen Kommentarbetriebs. Er kennt neben Augustin und Hieronymus: Beda, Haymo, Albertus Magnus, die Glossa, sogar Berengaudus. Er kennt auch den Nicolaus v. Lyra (s. u.) und sucht dessen andersartige Methode Schritt für Schritt zu widerlegen. Mit seinen eignen Auslegungen bleibt er ganz in dem alten Geleise. Selbst im 15. Jahrhundert wirkte die Auslegung eines Beda und Strabo noch nach. Der Kommentar des Pariser Theologen und Siegelbewahrers Gagnaeus[30] (16. Jahrh.) wandelt völlig in den alten Bahnen. Ebenso schließt sich der Menonit Zeger[31] aufs engste an die Auslegung Bedas an. Ebenso (nach Alcasar p. 11) der von Zeger bereits zitierte Titelmann.
So hat von Ticonius her bis tief ins Mittelalter hinein und darüber hinaus eine bestimmte Methode der Auslegung geherrscht, die in ihrer nüchternen, abstrakten Art seltsam absticht gegen den Charakter der Apk. Von nun aber wird das Bild ein andres. Es beginnt die eigentliche phantastische, apokalyptische Auslegung. Dieser Wandel hängt eng zusammen mit einem stärkeren Anschwellen der apokalyptisch-eschatologischen Stimmung in der späteren abendländischen Kirche. Als allmählich die tausend ersten Jahre der Kirche abliefen, da richtete sich auch der Blick der Christenheit mehr und mehr auf das Ende. Im X. und XI. Jahrhundert wird diese Stimmung eine herrschende, man wartete allgemein auf das Reich des Antichrist. Manch stolzer himmelragender Kirchenbau verdankt dieser überweltlichen Stimmung sein Dasein, die Kreuzzüge finden nicht zum wenigsten in dieser eschatologischen Stimmung ihren Untergrund (vgl. Lücke 1003). Die Bedrängnisse, welche die Christenheit vom Islam zu erleiden hatte, beförderte dieselbe. Da begann man auch die Apk in andrer Stimmung und mit andern Augen zu lesen.
Fußnoten:
1. Editio princeps seines Kommentars in einer Kölner Ausgabe von 1535. Selbständige Ausgabe: Basel 1544. Aus der ersteren stammt der Pariser Druck 1544, aus dieser wieder der Abdruck Bd. X d. Bibliotheca Maxima von Lyon, aus der Migne Patrol Graeca 68 geflossen ist. Haußleiter, Theol. Lt. Bl. 1904, Sp. 1-4. — Über Primasius s. Cassiodor, Inst. div. litt. 9: nostris quoque temporibus apoc. ... episc. Primasii ... studio minute ac diligenter quinque libris exposita est.
2. z. B. deutet er gegen die Autorität vieler Väter die vier Cherubim mit Augustin so, daß Mt, nicht Mk das Symbol des Löwen bekommt, vgl. S. 50,4. Diese Anordnung hängt damit zusammen, daß Apk 4 (im Gegensatz zu Ezechiel) der Löwe Symbol des ersten Tieres ist, der Ochse (das zweite Tier) aber für Lukas feststand.
3. Zu Apk 17,11: i. e. antichristus, qui se pro Christo vult suscipi, asserens se quasi mortuum resurrexisse.
4. Außerdem bringt Primasius die Deutungen Αντεμος und Αρνουμε (Itacismus statt αρνουμαι), die dann sich sehr oft in späteren Kommentaren wiederfinden.
5. ed. Scipio Maffey Florent. 1721.
6. Migne P. L. XXIV. Der Text scheint sehr in Unordnung zu sein, wie sich denn auch starke Textvarianten zeigen. Es finden sich fortlaufende Wiederholungen, als wenn die Homilien wirklich gehalten und zum Schluß die Quintessenz noch einmal zusammengefaßt wäre. Aber oft sind die Wiederholungen fast ebenso lang oder länger, als die erste Behandlung des Stoffes, und bringen überdies noch Ausführungen anderer Art. Es scheint fast so, als wenn hier doppelte Excerpte in einander geschoben sind. Eine bisher unbenutzte Handschr., auf die Haußleiter noch aufmerksam machte, findet sich in dem oben S. 61 erwähnten Münchener Cod. Lat. 14469 fol. 67. Die Handschr. scheint nach den bei Migne angegebenen Varianten mit dem Anm: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt Leydener Manuskript verwandt zu sein. In den besseren Handschr. fehlen große Partieen (s. Migne).
7. Florez in der Ausgabe des Beatus 44: claruit ab anno 530.
8. Genaueres siehe in den Nachrichten der Gesellsch. der Wissensch. zu Gött. Philologisch-historische Klasse 1895. II. Bousset, Nachrichten über eine Kopenhagener Handschr. etc.
9. Bibliothèque patrologique publiée par Chevalier I: Férotin, Aspringius de Béja, son commentaire de l’apocalypse. Paris 1900. F. hat keine weitere Handschr. des A. gefunden. Die Kopenhagener ist also bis jetzt die einzige, die uns das Werk des Apringius erhalten hat. Ich kann jetzt, was die Notizen über Handschr. des A. anbetrifft, einfach auf F. verweisen.
10. Explanatio apocalypsis; Migne P. L. 93.
11. Post interitum Antichristi requies aliquantula futura creditur in ecclesia.
12. Bibliotheca patrum. Colon. Agripp. 1618 IX. 2, p. 305-540. Ambrosii Anberti in S. Johannis .... Apocalypsim libri X. Das Werk ist dem Papst Stephanus III. (IV) gewidmet (768-772). Ansbertus sagt am Ende des Kommentars von sich: ex Gallorum provincia ortus, intra Samnii vero regionem apud monasterium martyris Christi Vincentii divinis rebus imbutus, temporibus Pauli pontificis Romani (757-767) nec non Desiderii regis Langobardorum .... hoc opus confeci atque complevi.
13. S. Beati Presbyteri in Apocalypsin ed. H. Florez. Matriti 1770. Über die Zeit des Beatus s. die Einleitung Nr. 65. 70. Über die sehr interessante Überlieferung des Beatus-Kommentars handelt Conrad Miller, Mappa Mundi, I. Heft: Die Weltkarte des Beatus, Stuttgart 1895. Miller zählt 30 Handschr. auf und sucht dieselben zu klassifizieren. Sehr wichtige Handschr. liegen in Paris. Ich habe eine Handschr. der Berliner Bibliothek Ms. Theol. Lat. Fol. 561 zum Teil kollationiert. Der Text bei Florez ist noch in außerordentlich verwildertem Zustand. Der Kommentar ist besonders auch wegen seiner Zutaten (Illustrationen, Weltkarte) interessant.
14. Hervorragend interessant ist auch die 498f. sich findende Nerodeutung mit ihrer ganz singulären (mit Caesar beginnenden) Zählung der Kaiser und ihren Nachrichten über das Leben Jesu. Eine bemerkenswerte Ähnlichkeit hat mit jener Liste die uns bei Tertullian adv. Iudaeos cap. 8 (vgl. Hieronymus in Danielem IX) überlieferte Kaiserliste. Hier ist Caligula, dort Claudius ausgelassen, die Zeit des Otho findet sich bei Tertullian (? Handschr.) auf 3 Monate 5 Tage, bei B. auf 3 Monate 6 Tage berechnet, die des Galba auf 7 Monate 6 Tage, während B. freilich 499 für Galba 3 Jahre 6 Monate angibt, aber ihn 500 septimo mense imperii sui sterben läßt. (Die Umstellung Galba-Nero ist wohl ein Versehen des B.) Das interessanteste bei alledem ist, daß also Beatus eine Deutung kannte, dergemäß die Apk unter Nero geschrieben ist und Nero der sechste Kaiser war (welcher ist). Alle die Angaben über die Abfassungszeit der Apk (Claudius-Nero-Domitian) finden wir in dem Werk des Beatus neben einander. Es wäre nicht ganz unmöglich, daß dieses Stück des Beatuskommentars aus dem Verloren gegangenen Teil des Apringiuskommentars stammte (s. o.).
15. Im Anfang des zweiten Buches stimmen sie nicht überein, aber Hm 3 ist = Ab. 5 (Apk 10), Hm. 4 = Ab. 6 (Apk 12,12), Hm. 5 = Ab. 7 (Apk. 14,14), Hm. 6 = Ab. 8 (Apk 17), Hm. 7 = Ab. 9 (Apk 19,1).
16. Das Verhältnis zwischen Ab., Hm. und Strabo dürfte durch folgende Zusammenstellung klar werden. In Apk 4 heißt es bei Ab.: ipse nimirum unigenitus filius veraciter factus est homo, ipse in sacrificio nostrae redemptionis dignatus est mori ut vitulus, ipse per virtutem suae fortitudinis resurrexit ut leo, ipse etiam post resurrectionem suam ascendens ad coelos in superioribus est elevatus ut aquila. - Haymo: significant quoque haec quattuor animalia ipsum dominum Iesum Christum, qui natus est ut homo, passus est ut vitulus, surrexit ut leo, ascendit super omnes caelos ut aquila. Strabo: haec bene repraesentant Christum, qui natus est, passus, resurgens, ascendens.
17. Man fand dann in den sieben Posaunen sieben Klassen von praedicatores (apostoli, martyres, confessores, virgines etc.).
18. Vgl. die Deutung der zehn Hörner zu Apk 17,1. Auch findet sich bereits ein Satz aus dem Symbolum Athanasianum 896 A.
19. Quamvis multi ex episcopis ab hoc scelere videantur immunes.
20. Expostitio in Apoc. Migne P. L. 165. Bruno ist (s. das Prooemium) in der Mitte des 11. Jahr. geboren, er war Bischof zu Signia in Campanien, er schrieb den Kommentar zur Apk in seinem Greisenalter.
21. Aus (Ansbertus und) Haymo bringt er zur Zahl 666 die Deutungen: Antemos, Arnume, Teitan, Genserikos, Diclux.
22. Ruppertus Abbas Tuitiensis 1135 †, Migne P. L. 169. — Der Kommentar ist nach Alcasars Einleitung 1120 geschrieben.
23. Wie Beregaudus deutet er die sieben Posaunen auf den Verlauf der alttestamentlichen Geschichte, die sieben Siegel deutet er auf die einzelnen Taten Christi (eine bei Andreas v. Caesarea erwähnte Auslegung). Die bekannten Deutungen der Zahl hat er nicht.
24. Zum sechsten Siegel heißt es bei Alb.: omnes sancti exibunt in medio impiorum. Da haben wir eine alte Auslegung des Ticonius, die auf langem Wege bis hierher verschlagen ist.
25. Er findet sich in doppelter Form (Rezension A und B) in der Gesamtausgabe des Thomas v. Aquin, Parma 1869, XXIII 324ff. 512ff.
26. Zu beachten ist, daß der Verfasser einen ordo praedicatorum weissagt, der nach der Besiegung des Antichrist predigen wird (vgl. unten die Auslegung Joachims).
27. Postilla in universa Biblia. In dessen gesammelten Werken Colon. Agripp. 1521. Bd. VII. H. schrieb den Kommentar nach Alcasars Einleitung S. 68 um 1240.
28. Einige Sätze finden sich wörtlich in Strabos Glossa (zu Apk 6,5ff. und 21,3), andre habe ich nicht identifizieren können (zu Apk 13,18 und 20,1). Meint Hugo hier die Glossa interlinearis (mir nicht zugänglich), oder besaß er die Glossa des Strabo in ausführlicherer Form?
29. Von mir benutzt: Enarrationes in epist. omnes canonicas, acta apostol., apocal. I. Colon. 1534. Nach Alcasars Einleitung 69 soll Dionysius den Kommentar zur Apk 1470 geschrieben haben.
30. Vgl. Biblia sacra, Venetiis 1757, Tom 28.
31. Scholia in omnes N. T. libros 1555, aufgenommen in den „Critici sacri Anglicani“.
6. Joachim von Floris
Eines der merkwürdigsten und für die Geschichte der Auslegung der Apk wichtigsten Werke ist das des Abtes Joachim von Floris († 1202)[1]. Die Echtheit seiner drei Hauptwerke hat Reuter gegen Preger siegreich erwiesen[2]. Es wird nötig sein, zum Verständnis seines Kommentars eine kurz andeutende Skizze seiner Gesamtanschauung vorauszuschicken[3]. Joachims Gesamtanschauung ist apokalyptisch-eschatologisch, d. h. er glaubte in den letzten Zeiten zu leben. Er berechnet die Dauer der Zeit des neuen Testaments auf 42 Generationen = 1260 Jahre. Dann wird auf die Zeit des Vaters im alten, des Sohnes im neuen Testament, die Zeit des heiligen Geistes folgen, eine Zeit der Ruhe und des Friedens auf Erden, zu der Christus persönlich wiedererscheinen wird. Bei Joachim taucht also, nachdem er lange Zeit verschollen ist, der Chiliasmus wieder auf, wenn Joachim sich auch dagegen verwahrt, als werde jene Zeit gerade tausend Jahre dauern. Die neue Zeit wird nun — das ist für J. charakteristisch — eine Zeit der Mönche sein. Ein neuer Mönchsorden wird dann blühen; war das alte Testament die Zeit der Ehelichen, das neue die Zeit des Klerus, so wird die künftige Zeit, die des heiligen Geistes, die der Mönche sein. Auf die Zeit des Petrus, die der vita activa, wird die des Johannes, die der vita contemplativa, folgen. Die Erde wird glücklich sein und gedeihen unter einem Mönchsorden von Eremiten, die sich dem beschaulichen Leben geweiht haben. Dann wird man auch altes und neues Testament nicht mehr buchstäblich nehmen, aus beiden vereint wird in der vollkommen geistigen Erfassung derselben (intellectus spiritualis, mysticus)[4] dann eine neue Offenbarung hervorgehen, wie der Geist aus Vater und Sohn hervorgegangen ist[5]. Daß seine Schriften dies neue evangelium aeternum enthalten, sagt Joachim nirgends, so weit ich sehe. — J. geht in seinen apokalyptischen Berechnungen von der Beobachtung eines genauen Parallelismus zwischen altem und neuem Testament aus. Die 42 Geschlechter, welche das neue Testament umfassen soll, sind z. B. erschlossen aus den 42 Geschlechtern des alten Testaments (Mt 1,1ff.; vgl. Apk 11,3). Zwischen den einzelnen Geschlechtern herrscht ein genauer Parallelismus. Es steht z. B. der Prophet Elias in genauer Parallele mit Benedictus, dem Gründer des abendländischen Mönchstums, und Abraham, Isaak, Jakob entsprechen Zacharia, Johannes, Jesus[6].
Uns interessiert vor allem seine Auslegung der Apk[7]. J. schrieb das Werk nach 1195. — Man ist nun von vornherein geneigt, sich von dem Werk die Vorstellung einer apokalyptischen Geheimschrift zu machen. Es ist aber in der Tat ein grundgelehrtes, ziemlich trockenes und pedantisches Werk, das in stark gekürztem Druck 450 Quartseiten einnimmt. J. setzt sich in demselben — es ist das in dieser Zeit ein seltener Fall — mit andern exegetischen Arbeiten auseinander, besonders ausführlich mit Augustin, Hieronymus, Gregor. Er sucht sogar oft eine Grenze zu gewinnen zwischen dem, was man sicher entscheiden könne und dem, was unsicher bleibe. Er betont oft, daß er, was er sage, nur vermutungsweise sage. Er bespricht sogar Textvarianten und rekurriert auf den griechischen Urtext. Er hat auch die jüngere exegetische Literatur gekannt, wenn er sie auch nicht zitiert. Er teilt sein Buch in acht Teile[8] und folgt dabei der Einteilung Bedas in sieben Bücher, nur läßt er das siebente Buch mit Apk 20,1 (statt 21,1) beginnen und kennt noch ein achtes (von Apk 20,11 an).
Die sechs ersten Bücher der Apk bringen sechs Leidenszeiten der Kirche, das siebente behandelt „den Sabbat“, das achte die ewige Ruhe. Zunächst kommen für ihn vier Zeiten in Betracht entsprechend den vier ordines der Kirche: die Zeiten der apostoli, martyres, doctores ecclesiae, virgines. Den vier ordines gegenüber stehen als Gegner die Iudaei (Herodes), Romani (von Nero bis Diocletian), Ariani[9], Saraceni[10]. Wer könnte in diesen Ausführungen das seit Haymo und Strabo geläufige Schema der Auslegung der Apk verkennen! Die fünfte Zeit ist die Zeit des Kampfes der ganzen Kirche gegen Babylon, die sechste die Zeit des Antichrist. Diesen einzelnen Zeiten weist J. nun je einen Teil der sechs ersten Partien der Apk zu. Aber bei den fünf ersten Teilen steht es nun wieder so, daß in ihnen der auf diesen Teil fallende Kampf nur besonders ausführlich und deutlich behandelt wird. Daneben enthält jeder der ersten fünf Teile wieder rekapitulationsweise die ganze Leidenszeit der Kirche, selbst bis zur siebenten Zeit (Ruhezeit der Kirche) erstreckt sich am Schluß fast jedes einzelnen Teiles die Weissagung. Das System Joachims besteht also in einer ganz künstlichen bis ins Einzelne durchgeführten Rekapitulationstheorie. Jeder einzelne Abschnitt enthält wieder sieben sich entsprechende parallele Unterabteilungen. Das kann für die Abschnitte Apk 2-3; 4-7; 8-11,18; 15-16 ja mit leichter Mühe durchgeführt werden, aber auch 11,19-14 wird künstlich in sieben Teile zerlegt. Das eigentlich Neue, das J. in die Auslegung der Apk hineinbringt, ist nun die Deutung des vierten Zeichens auf Muhamed und die „Saracenen“. Zu vergleichen ist hier namentlich der vierte Abschnitt des vierten Hauptteils (zu Apk 13). Das erste Tier ist der Muhamedanismus, die Todeswunde des Tieres sind die Kreuzzüge. Das Tier ist seitdem trotz wiederholter Bekämpfung immer wieder aufgelebt. Seine Wunde wird ganz geheilt, wenn der elfte König (nach Daniel) kommt, das kleine Horn (vielleicht Saladin), das „neulich“ Jerusalem genommen hat. Der Pseudoprophet aber bedeutet die Ketzerei, die neuerdings in der Kirche ihr Haupt erhebt, die Sekte der Patharener[11]. J. hat mit eignen Ohren erzählen hören, daß zwei Abgeordnete der Patharener zu Saladin gekommen seien, um mit ihm ein Bündnis abzuschließen. In dem sechsten Teil (dem der letzten Zeiten der Kirche) hat J. die Unterabteilung nicht mehr genau durchgeführt. Er kennt hier nur drei Teile. Babylon wird auf das römische Reich gedeutet, das in Weltlichkeit und Laster versunken ist. Das Tier ist der Teufel, dessen sieben Häupter die sieben oben erwähnten Reiche sind. Die sieben Fürsten sind etwas anders zu zählen. Fünf[12] sind gestorben. Der sechste „welcher ist“, ist vielleicht Saladin, vielleicht auch eine Reihe von zehn Herrschern (Deutung der zehn Hörner). Dieser Fürst, resp. dies Fürstengeschlecht wird Babylon, das römische Reich, vernichten; der Euphratfluß ist bereits ausgetrocknet, d. h. das schützende Heer Friedrichs I. ist vernichtet. Dann[13] werden jedoch die Heiligen, die in Babylon übrig gebliebene wahre Kirche, d. h. die Mönche, jenen Herrscher besiegen. Ein neuer Mönchsorden (oder auch zwei hinter einander; die betreffenden Stellen, zu Apk 14,14; 17,5ff., sind schwer zu deuten), der in begeisterten Worten von J. geschildert ist, wird erscheinen und wie ein strömender Regen die ganze Erde erquicken. Es wird ein Orden der seligen Geister sein, der vita contemplativa gewidmet. Darauf wird der siebente König, qui nondum venit, der Antichrist, erscheinen, aber von Christus, der nun persönlich erscheint (zu Apk 19,11ff.), besiegt werden. Dann folgt die Zeit der Sabbatruhe, der tausend Jahre. Die realistische Deutung von Apk 20 hält J. auch gegenüber Augustin fest. Dann folgt nach J. ein nochmaliges Ausbrechen der Scharen des Satans, die sich an die äußersten Enden der Erde zurückgezogen hatten, und dann das Endgericht und die Ewigkeit (im achten Teil des Werkes behandelt).
Seit Ticonius ist Joachim der erste Ausleger, der die Apk wieder als ein Buch betrachtete, das wesentlich für seine Gegenwart geschrieben ist. Anknüpfend an eine nunmehr vergangene Epoche der Auslegung macht er den Übergang zu der eigentlich zeitgeschichtlichen Erklärung des Buches. Das System der Rekapitulation behält er bei und führt es bis ins Einzelne aus. Mit ihm gewinnt die Auslegung der Apk neues Leben, sein Buch wurde ein beliebtes Lesebuch für alle, die nach den Zeichen der Zeit forschten.
Der Kommentar und die übrigen Schriften Joachims mit ihren Weissagungen entfalteten erst nach dem Tode Joachims ihren ganzen ungeheuren Einfluß. Der Mönchsorden, den Joachim geweissagt hatte, erstand wirklich in den Franziskanern (und Dominikanern). Und wiederum begannen die in die Opposition gedrängten spirituellen Franziskaner Joachim als ihren Propheten in Anspruch zu nehmen und seine Weissagungen von der Verderbnis der Kirche, von der kommenden neuen Zeit und dem reformatorischen Orden für sich auszunutzen.
In diesen Kreisen der Franziskaner scheint man die drei Hauptschriften des Joachim unter dem bedeutsamen Titel evangelium aeternum zusammengefaßt zu haben. Bei ihnen lief auch ein Liber introductorius in evangelium aeternum seu in libros abbatis Joachim um. Er ist aller Wahrscheinlichkeit nach von dem frater Gerardus, dem getreuen Anhänger Johann von Parmas, der seine Anhängerschaft mit ewigem Gefängnis büßen mußte, verfaßt. In dem Streit, der in Paris zwischen der Universität und den Bettelmönchen entbrannt war, benutzte man namentlich diese Schrift, um den Orden der Franziskaner als der Ketzerei verdächtig zu brandmarken. Als der Lärm darüber groß wurde, schickte der Bischof Reginald von Paris den liber introductorius an Innocenz IV. Dieser suchte die Sache hinauszuzögern und erst sein Nachfolger Alexander IV. setzte im Sommer 1255 eine Untersuchungskommission in Anagni ein, deren Mitglied auch der Kardinal Hugo v. St. Caro war. Auf den Bericht dieser Kommission hin wurde dann durch ein Breve des Papstes 23. Okt. 1255 die Vernichtung des liber introductorius (wie auch anderer verdächtiger Papiere, schedulae) angeordnet. Die Sätze, welche von der Kommission aus dem Introductorius ausgezogen sind, zeigen in der Tat, wie bei den Franziskanern die joachimitische Schwärmerei sich üppig entwickelt hatte. Der erste dieser Sätze lautete: „quod circa MCC annum incarnationis domini exivit spiritus vitae de duobus testamentis, ut fieret evangelium aeternum“ (d. h. die Schriften des Abt Joachim). Und wie man so den Joachim zu einem das alte und neue Testament überragenden Propheten machte, so war man gleicherweise überzeugt, daß der von ihm geweissagte Orden kein andrer als der Franziskaner-Orden sei: „quod evangelium aeternum traditum transmissum sit illi ordini specialiter, qui integratur et procedit aequaliter ex ordine laicorum et clericorum (quem ordinem appellant nudipedum)“.
Die Hauptquelle für die Beurteilung der schwierigen Frage nach dem evangelium aeternum bilden Auszüge aus dem Sitzungsprotokoll von Anagni, die in mehrfacher Überlieferung auf uns gekommen sind. Sie sind,enthalten a) im Cod. 1726 der Bibliothek zu Paris (teilweise bereits bei Quétif et Échard, Script. ord. praed. I 202 veröffentlicht). b) im Cod. 1706 ebenda; (daraus mit Kürzungen abgedruckt bei du Plèssis d’ Argentré, Collectio judiciorum I 163-164). c) in der zweiten Hälfte und hier vollständiger in Henricus de Herewordia, liber de rebus memorabilibus sive Chronicon ed. Potthast Gotting. 1859 p. 181ff. — Dazu sind, wenn man sich ein ungefähres Bild von dem Tatbestand machen will, Renans Bemerkungen (Revue des deux mondes T. 64 p. 108ff.) über jene Handschriften zu vergleichen. (R. kennt noch eine dritte Handschr. Cod. Mazarine No. 391.) — Am besten sind die sämtlichen Stücke im Cod. 1726 enthalten. Diese sind: 1) ein langer Auszug aus den Werken des Joachim von Florenz, der ohne irgend eine übelwollende Tendenz gemacht und mit einem wohlwollenden Vorwort eingeleitet ist, in welchem zwar zugestanden wird, daß nicht alles klar in jenen Schriften sei, aber zugleich betont wird, daß diese doch herrliche Weissagungen enthalten. 2) Ein Verzeichnis der Irrtümer, welche offenbar die damit beauftragte Kommission in dem liber „Introductorius in evangelium aeternum“ gefunden hat. 3) Ein aktenmäßiger Bericht darüber, daß der B. von Acco, Florentius, vor der Synode erschienen sei und ihr verdächtige Sätze aus den Schriften des Abbas Joachim übergeben habe. 4) Ein Verzeichnis von Irrtümern aus dem „Evangelium aeternum“ ausgezogen; als dessen erster Teil ein praeparatorium in evangelium aeternum, als dessen zweiter Teil die aus fünf Büchern bestehende Concordantia Novi et Veteris Testamenti bezeichnet wird. — Auf Grund der Untersuchung dieser Quelle ergeben sich mir folgende Resultate, die ich leider nur in Kürze mitteilen kann. 1) Die Kommission von Anagni hatte es wesentlich und in erster Linie mit dem „Introductorius“ in evangelium aeternum zu tun. 2) Ihr Urteil über diesen ist in Stück II erhalten. Der Introductorius wird schon in diesem Aktenstück sichtlich als ein Werk des frater Gerardus behandelt (vgl. die Nachträge aus den Handschriften: Renan 110. 111, auch die bestimmte Behauptung Salimbenes, Chronica, ed. Parmae 1857 p. 233: et Parisius fecit (Ghirardinus de Burgo St. Domini) istum libellum. Reuter 363). 3) Es wird hier ausdrücklich angegeben, daß nach dem Introductorius das Evangelium aeternum nichts anderes sei, als die drei echten Werke Joachims. 4) Die in Stück IV aufgezählten verdächtigen Sätze sind aller Wahrscheinlichkeit nach die von dem B. Florentius der Kommission (nach Stück III) vorgelegten. Als evangelium aeternum lagen dem Bischof der liber introductorius (erster Teil) und die concordia veteris et novi Testamenti des Joachim (zweiter Teil) vor. Die Sätze wollen also in ihrem zweiten Teil Auszüge aus dem echten Werk des Joachim, der Concordia (die beiden andern zum evangelium aeternum gehörigen Werke sind vielleicht als die weniger bedeutenden nicht erwähnt) sein. Sie sind allerdings von einem böswilligen und fanatischen Gegner J.s — ein solcher muß der Bischof gewesen sein — gemacht. Dennoch kann an ihrer Beziehung zur echten Concordia kein Zweifel sein. Es werden die einzelnen Teile der Schrift genannt und ihre Charakterisierung trifft genau zu (s. den Nachweis im einzelnen schon bei Engelhardt, Kirchengesch. Abhandlungen S. 68ff.). 5) Die Kommission hat dem fanatischen Gegner des Joachim nicht den Gefallen getan, den Abt Joachim und seine Werke zu verdammen. Schon in dem Bericht Stück III wird erzählt, wie man vorsichtig und genau geprüft, ob die beanstandeten Sätze in den Schriften Joachims sich fänden. In einer auf einem Konzil (1260 zu Arles) gehaltenen Predigt bedauerte Florentius, jetzt Erzbischof von Arles geworden, daß man damals zwar die von Joachim ausgegangene Lehre, aber nicht die Schriften Joachims selbst verdammt habe (Renan 115). 6) Aber die Excerpte des Florentius gerieten unter die Akten des Konzils und wurden von späteren Ketzerrichtern und Chronisten als authentisches Material benutzt (vgl. die Chronik Heinrichs von Herfords, von diesem wie es scheint abhängig: Chronicon des Hermann Cornerus, corpus historicorum medii aevi. ed. Eccard II 848-851; Nic. Eymerich, Directorium inquisitionis romanae P. II. qu. 9. §4). 7) In dem Schreiben des Papstes Alexander IV an den Bischof von Paris wird erwähnt, daß er (natürlich auf den Bericht der Kommission hin) neben der Verurteilung des liber introductorius auch das Urteil der Vernichtung verhängt habe: de schedulis quibusdam, in quarum nonnullis multa, quae in libello non continebantur eodem; (sc. dem Introductorius) nequiter adscripta fuisse dicuntur, penitus abolendis (s. du Plessis l. c. I 166). Was ist unter diesen Schedulae zu verstehen? Doch wohl kaum die verläumderischen Auszüge des B. Florentius, den man wohl nicht so desavouiert haben wird? Aber vielleicht irgend welche übertreibende Gegenschriften gegen das evangelium aeternum, die man ebenfalls verurteilte. Deutlich tritt heraus, daß man in der Kommission den Mittelweg innezuhalten suchte. Den Introductorius verdammte man. Aber wie man die allzu eifrigen Anhänger Joachims strafte, so traf man auch die allzu eifrigen Gegner. Und den Forderungen des B. Florentius gab man kein Gehör. — Das beste hierüber ist schon von Engelhardt, Kirchengesch. Abhandl. 1-95 gesagt. H. Reuter, Gesch. d. rel. Aufklärung, s. namentlich 354-366, hat die Frage kaum gefördert. Aber auch Renan (s. o.) geriet in seiner vorzüglichen, in der Hauptsache das Rechte treffenden Abhandlung schließlich auf die irrige Vermutung, daß das evangelium aeternum ein tendenziöser Auszug Gérards aus den Werken Joachims sei. J. M. Schneider, Dillinger Programm 1872/73 „Joachim von Floris“ behandelt diese Frage fast ohne Kenntnis seiner Vorgänger und unter Benutzung von sekundären Quellen in gänzlich ungenügender Weise. Und ihm ist H. Werner, die Flugschrift onus ecclesiae Gießen 1901, blindlings gefolgt.
Deutlich zeigt sich die Weiterentwickelung der von Joachim ausgehenden Anregung. Seine Schriften sind jetzt bereits evangelium aeternum, eine neue Offenbarung, und der Franziskanerorden ist Träger und Bewahrer dieser neuen heiligen Schriften. So beginnt das bescheidene apokalyptische Büchlein des stillen Mönchs Geschichte zu machen. Es war das Panier, um das sich die streng gesinnten Franziskaner wider den Papst scharten. Daß der Einfluß des Joachim immer weiter sich geltend machte, beweist die Tatsache, daß eine Reihe gefälschter Schriften unter dem Namen Joachims auftauchen. So wahrscheinlich noch unter der Regierung Friedrichs II. apokalyptische Kommentare zu Jeremias (um 1244) und Jesaias (nach Friedrichs II. Tod)[14]. Hier in diesen Kommentaren schon kommt eine feindliche Stimmung gegen den Papst zum Ausdruck, freilich wird auch Kaiser Friedrich als Genosse des Antichrist geschildert. Die Franziskaner und Dominikaner sind als Retter der Welt verherrlicht.
Unmittelbar an Joachim schließt sich dann des Peter Johann Oliva Postille zur Apk an[15]. Auch er redet von sechs verschiedenen Zeiten der Kirche, die drei ersten zählt er analog dem Joachim, in die vierte verlegt er das griechische Mönchstum, in die fünfte das Mönchstum unter Karl dem Großen, in die sechste die Reform unter Franciscus. In der Deutung der letzten Zeiten scheint er völlig von J. abhängig zu sein. Doch unterscheidet sich Oliva wiederum wesentlich von Joachim. Während Joachim alle seine Hoffnung auf das neue, durch Jesus selbst herbeizuführende Weltalter des Geistes richtet, bleibt Oliva mit seinen Gedanken bei der Erfüllung der von Joachim für den sechsten status verheißenen Reform der Kirche durch den Franziskanerorden stehen. So treten denn hier für den Bestand der katholischen Kirche gefährliche Konsequenzen heraus. In der Erscheinung des Franziskanerordens hat für O. eine neue Offenbarung, gleichsam ein zweites Erscheinen Jesu, stattgefunden. Hier findet sich dann sogar die Äußerung: status Christi evacuavit. Die Lehrer des sechsten status überragen alle andern an Größe, daher ist denn auch die Feind schaft der antichristlichen Mächte hier am erbittertsten. Der unmittelbare Vorläufer des Antichrist, der antichristus mysticus, ist das Papsttum, das sich für die spirituelle Auffassung der Regel des Franziskanerordens erklärt hat (Baluz. 241-44). Die Kirche wird in den Tagen des sechsten status zugrunde gehen, aber den Juden und Heiden wird das Evangelium gepredigt werden (217-219). Als antichristus magnus wird endlich der Kaiser Friedrich II (redivivus) mit einem Pseudopapst erscheinen (253). Das Kommen Jesu aber wird nicht mit dem siebenten status, sondern erst am Ende der Dinge erwartet. Bei Oliva kann man nun allerdings wirklich von der Idee einer von Franciscus ausgehenden, das neue Testament überbietenden Offenbarung reden.
Verwandt ist in seinen apokalyptischen Auffassungen Ubertino de Casale[16], ein Anhänger Johanns v. Parma, der die Anschauungen Joachims nach Süddeutschland an den Münchener Hof brachte. Mir ist von seinen Schriften der arbor vitae crucifixae zugänglich[17]. In dieser umfangreichen Schrift ist die Auslegung zur Apk namentlich im fünften Buch zu finden. Seine Autoritäten sind Augustin, Hieronymus, Richard von St. Victor, vor allem Joachim. — Auch für ihn steht die durch Franciscus geschehene Reform im Mittelpunkt seiner Ausführung, auch hier finden wir (wie bei Oliva) die scharfe antipäpstliche Stimmung (verbunden mit einer antikaiserlichen). Das erste Tier (Apk 13) ist ihm Bonifacius VIII. 1294-1303, das zweite Benedict XI. 1303-1304. Die Schilderung der beiden Päpste bietet ein interessantes Stimmungsbild. Daß die Franziskaner Benedict zu vergiften imstande waren, wie von ihnen das Gerücht geht, wird darnach nicht unwahrscheinlich. Selbst die Zahl 666 wird mit Berufung auf Justin (?) auf Βενεδίκτος (mit griechischen Buchstaben) gedeutet. — Weithin hat auch in späterer Zeit die phantastische joachimitische Auslegungsweise geherrscht. Ein Landsmann des Joachim, Telesphorus, schrieb im Jahre 1386 in Anlehnung an Joachims Ideen und andre Weissagungsbücher einen Traktat „de magnis tribulationibus et statu ecclesiae“. Telesphorus ist ein Parteigänger des französischen Königtums und weissagte den Sieg des französischen Königs und die Erhebung eines französischen Papa angelicus[18]. Die Beliebtheit dieser Schriften zeigt sich auch darin, daß z. B. Venedig 1516 ein Sammelband: „abbas Joachim magnus“ (enthaltend das Werk des Telesphorus, Johannis Parisiensis de antichristo[19], Ubertinus’ tractatus de septem statibus ecclesiae) erschien (vgl. Kampers 132). — Alcasar (Einleitung 12) erwähnt unter den chiliastisch gestimmten Nachfolgern des Joachim noch Seraphinus de Fermo (enarratio in Apocalypsin; Walch p. 782 gibt eine Ausgabe Antwerpen 1587 an); Coelius Pannonius; Bullengerus (s. Walch p. 782; Petri Bullengeri ecphrasis in apoc. Paris 1589, commentarius locupletissimus in apoc. Paris 1617)[20]. — Abhängig von Joachim scheint auch der von Alcasar erwähnte Joannes Annius Viterbiensis zu sein, der Kap. 13 auf die Türken deutete und das Weltende auf 1481 berechnete (Notizen aus ihm in den Kommentaren von Sebastian Meyer und Marloratus vgl. Abschn. 10). Über den Einfluß Joachims und seiner Periodenlehre auf spätere protestantische Ausleger bis Coccejus vergleiche man den Abschnitt 13.
Mit dem oben Ausgeführten ist zugleich deutlich geworden, daß der Einfluß der Schriften Joachims sich viel weiter erstreckte als auf Kommentatoren der Apk oder apokalyptische Traktatenschriftsteller. Ihnen kommt geradezu eine weltgeschichtliche Bedeutung zu, sie haben die Stimmung der Folgezeit mächtig beherrscht. Unter den Nachfolgern Joachims, namentlich in den Kreisen der oppositionellen Franziskaner kam die Meinung auf, die dann dreihundert Jahre lang Geschichte gemacht und die Gemüter beherrscht hat, daß das Papsttum und die Hierarchie der Vorläufer des Antichrist oder gar der Antichrist selbst sei. Ein Vergleich der Schriften von Johannes Oliva und Ubertino de Casale zeigt, wie schon in den Kreisen der Franziskaner diese Stimmung ständig an Schärfe gewann. Von ihr haben dann alle Reformer und Revolutionäre der nächsten Jahrhunderte bis tief in die Anfänge der Reformation gelebt. Zu ihr gesellte sich dann ein andrer mächtiger Glaube. In den joachimitischen Kreisen und weit darüber hinaus brach sich die Überzeugung Bahn, daß der große Umschwung der Zeiten nahe bevorstehe. Man lebt in den Zeiten des letzten entscheidenden Kampfes, in dem auf beiden Seiten die Kräfte bis aufs äußerste gespannt sind. Nach diesem Kampf aber soll hier auf Erden das neue goldne Zeitalter kommen. Diese Schlagworte und Utopien waren es, die weit über die Kreise der Franziskaner in Masse den gemeinen Mann ergriffen[21]. Hatten doch die oppositionellen Franziskaner durch ihre Angriffe gegen den Reichtum der Kirche und die Üppigkeit der Hierarchie den joachimitischen Gedanken eine soziale Wendung gegeben. So wurden die joachimitischen Schriften und was sich daran anlehnte die Hoffnungsbücher des einfachen gemeinen Mannes, der Laien, aller bedrückten Stände. — Von der Herrschsucht, Anmaßung, Geldgier und Bedrückung der Hierarchie, von der toten Gelehrsamkeit der Theologie, die in der Kirche herrschte, ja von aller sozialen Ungerechtigkeit und Bedrückung erwartete man Erlösung und Befreiung in dem kommenden siebenten Zeitalter. In dieser Hoffnung wurzelten dann aber auch reformatorische Bestrebungen verschiedenster Art, in ihnen fand man den Mut gegen die herrschenden Zustände Front zu machen[22]. Und diese Bewegung wuchs immer mächtiger und schwoll zu ungeahnten Dimensionen an, bis aus dem gärenden Chaos die Reformation Luthers geboren wurde, während dann freilich nach Konsolidierung der reformierten evangelischen Kirchen die Eschatologie in den Winkel gedrängt wurde und wieder ein bescheideneres Dasein weiterführte.
Fußnoten:
1. Das wenige was wir von seinem Leben wissen — und dies ist noch unsicher — hat Engelhardt (kirchengeschichtliche Abhandlungen Erlangen 1832 32ff.) zusammengestellt; vgl. im übrigen zum ganzen Abschnitt: H. Reuter, Gesch. d. Aufklärung II. 192ff. 356ff.; Döllinger, Weissagungsglaube und Prophetentum: Historisches Taschenbuch begr. v. Raumer V. Folge I 1871 319ff.; H. Werner, Onus ecclesiae 1901 70ff.; J. W. Schneider, Joachim v. Floris Dillinger Programm 1872/73; Kampers, die deutsche Kaiseridee in Prophetie und Sage 1896.
2. Concordia veteris et novi Testamenti; Expositio apocalypsis; Psalterium decem chordarum; s. Preger das evangelium aeternum und Joachim von Floris 1874, 21; Reuter, Geschichte der Aufklärung II 356. Die Auslegung der Apk wird Preger kaum gelesen haben. Dies Werk trägt überall den Stempel der Echtheit; kein Wort, das über die Zeit Joachims hinausführte. Auch die Schilderung des von J. erwarteten Mönchsordens paßt keineswegs zu dem Franziskanerorden. J. erwartete vielmehr einen der beschaulichen Ruhe geweihten Eremitenorden.
3. Ich schildere hauptsächlich nach der Auslegung zur Apk. Beweise kann man überall finden. cf. Engelhardt 43ff., Reuter II 192ff.; Döllinger, der Weissagungsglaube S. 319ff.; Schneider, Joachim v. Floris.
4. Expositio in Apk 95-97. Auf die Zusammenhänge Joachims mit der Theologie der Viktoriner macht Kampers l. c. 71 aufmerksam.
5. Man beachte den engen Zusammenhang der neuen Offenbarung mit der alten. Eine eigentlich neue Offenbarung ist es doch nicht, was J. erwartet, sondern nur eine vollkommen geistige Deutung des alten und neuen Testaments. Den Gesichtspunkt der Aufklärung darf man an Joachim gar nicht einmal heranbringen. Man beachte doch, daß J. die neue Zeit des Geistes mit der leiblichen Wiederkunft Christi beginnen läßt Anm: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt (in Apk 19,11ff.). Die schärfste Stelle, die Reuter zu gunsten seiner Auffassung zitiert, ist Neander entlehnt. Reuter bekennt aber selbst, daß er diese nicht nachweisen kann. II 74 Anm. 21.
6. Da man immer von einem dieser Drei aus den Beginn des alten, resp. neuen Bundes berechnen kann, so kommt ein gewisses Schwanken in die ganze Rechnung, derer aber J. in seinem System bedarf. Daher kann auch das Ende mit Sicherheit nur auf zwei bis drei Generationen berechnet werden. In der Zeit von 1200-1260 kann nach J. jeden Augenblick das Ende kommen. Diesem Schwanken in den Angaben entnimmt Preger Bedenken gegen die Echtheit der Schriften J.s, und auch Reuter kann dasselbe nicht enträtseln 357.
7. Expositio magni abbatis Ioachimi in Apoc., cui adjecta sunt eiusdem psalterium decem chordarum. Venetiis in Edibus Francisci Bindoni ac Maphei Pasini 1527 (vorhanden in der Berliner Bibliothek).
8. In der Überschrift sind nur sechs Bücher angegeben, aber irrtümlicher Weise.
9. Wieder vierfach geteilt in die arianischen reges Constantinopolitani, Vandali, Gothi, Langobardi, so daß auf diese Weise die sieben Häupter des Tieres herauskommen (Parallelen bei Rupert v. Deutz u. a.).
10. Die Muhamedaner treten in Ägypten als Gegner des Mönchstums auf. Die ganze muhamedanische Religion wird als Antimönchstum aufgefaßt.
11. Ich mache auf die außerordentlich interessante Schilderung aufmerksam, welche Joachim von diesen bei der Auslegung der fünften Posaune entwirft.
12. 1) Herodes cum successoribus. 2) Nero etc. 3) Constantius Arianus etc. 4) Chosroes-Muhamed. 5) Henricus (welcher Heinrich?). Hier kommt J.s übrigens sonst nicht stark hervortretende hierarchische Stellung zum Ausdruck. Das deutsche Kaiserreich ist ihm nicht der Antichrist, sondern nur ein Teil von Babylon.
13. Vgl. die Auslegung zu Apk 20,1ff. 210 B.
14. Die Titel bei Preger; Gesch. d. Mystik I 205; Auszug a. d. Jeremiaskommentar bei Engelhardt 47ff.; vgl. Schneider 27-34; Kampers 72. 90.
15. In den Prozeßakten des Oliva (Steph. Baluzius, Miscellanea I Paris 1678 p. 213) sind ausführliche Exzerpte des Werkes erhalten. Das Datum des Kommentars geht aus Baluzius 252 hervor, wo seit Pipin dem Frankenkönig 560 Jahre gerechnet werden. Oliva starb 1297 (Schneider l. c. 60). 1525 wurde der Kommentar von Johann XXII. verdammt. Döllinger veröffentlichte die häretisch befundenen Teile des Werkes, Beitr. zur Sektengesch. d. M. A. II 1890 517-588 (Holtzm.² 283); vgl. noch Schneider, Joachim v. Floris S. 58-60; Döllinger, Weissagungsgl. u. Prophetent. 332f.
16. Vgl. Döllinger, Weissagungsglaube und Prophetentum S. 332f. E. Knoth, Ubertino v. Casale 1903.
17. Nach Döllinger S. 333,1 im Jahre 1305 verfaßt. Der tractatus de septem ecclesiis ist nach E. Knoth eine unechte Kompilation aus dem arbor vitae. Über die engen Beziehungen des Arbor vitae zu Olivas Postille vgl. E. Knoth ebend.
18. Vgl. Döllinger 349; Kampers 124. Ein Antitelesphorus von deutschem Standpunkt wurde von einem, der sich Gamaleon nannte, und dem Papst Bonifacius IX. 1390 seine Blicke in die Zukunft überreichte, geschrieben. Döllinger 351, Kampers 127. Auch Heinrich v. Langenstein, Liber contra vaticinia Tel. (Döllinger 348 u. 369 Anm. 118, Kampers 126) ist hier zu nennen.
19. Johann von Paris (14. Jahrh.) stand in den Kämpfen der Imperialisten und Kuxialisten an der Spitze der Verfechter der Selbständigkeit des französischen Staatswesens.
20. Kampers 146 erwähnt noch eine Auslegung zur Apk von Bartholomäus Holzhauser (1613-1658), der in die joachimitische Literatur einzureihen sei.
21. Namentlich scheinen jene Ideen und Hoffnungen durch die Kreise der Begharder weiter unter die Masse des Volkes getragen zu sein. Vgl. Schneider, Joachim v. Floris 72f.
22. Döllinger macht überall auf die Beziehungen zwischen jener antipäpstlichen, apokalyptischen Stimmung und dem praktischen Vorgehen der Kirchenreformer aufmerksam. Über Segarelli und Fra Dolcino vgl. Engelhardt 89ff., Döllinger 318, Schneider 54-58; über Cola di Rienzi Döllinger S. 338-40; über die Weissagungen des Jean la Rochetaillade S. 341, Kampers 116; über den Mönch Theodor, den Clemens VII. einkerkern ließ, weil er sich für den geweissagten Papa angelico des neuen Zeitalters hielt 346; über Savonarola 346f.; über die eschatologischen Anschauungen der Katharer vgl. Gieseler, Kirchengesch. II 2 560 Anm. — Hierher gehört weiter die eschatologiche Sekte von Schwäbisch Hall, eine Bewegung, die vielleicht von dem Dominikaner Arnold ausging (vgl. dessen etwa 1246 verfaßte Schrift epist. de correctione ecclesiae ed. Winkelmann Berlin 1865; Kurtz, Lehrb. d. Kirchen-Gesch. I hrsg. v. Bonwetsch 1899 S. 270). Endlich wurzeln auch eine Reihe deutscher Schriften, Anm: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt die eine kirchliche Reform verlangten, ganz in joachimitischen Ideen, so die sogenannte Reformation des Kaisers Sigismund (s. Werner l. c. 79ff., Kampers 138ff.) und des Bischofs Berthold von Chiemsee „onus ecclesiae“, über die neuerdings eine den Stoff allerdings nicht erschöpfende Monographie von Werner, Onus ecclesiae (1901), vorliegt, vgl. Kampers 144. Auf der andern Seite zeigen sich auch Geister wie Nicolaus v. Cusa und Baco stark von jenen Ideen berührt (Lücke 1011). Interessant ist endlich die Vermählung joachimitischer Gedanken mit astrologischen Spekulationen in den Praktiken Lichtenbergers (15. Jahrh.), Döllinger S. 357, Werner S. 95, Kampers 140.
7. Die Apokalypse bei den Vorreformatoren.
Es wäre eine lohnende Aufgabe, den mannigfaltigen Einflüssen der Apk auf die sogenannten vorreformatorischen antikatholischen Gemeinden und Kirchenbildungen nachzugehen[1]. Besonderes Interesse verdienen hier die Vorläufer Hussens in Böhmen. Was Neander an Auszügen aus Miličs Schrift de antichristo und aus Matthias v. Janows Werk „de regulis veteris et novi testamentum“ mitteilt, berechtigt zu dem Schluß, daß auch diese Reformer mit ihren Grundgedanken in den mittelalterlichen eschatologischen Ideen und speziell in joachimitischen Gedanken wurzeln[2].
Wycliffe selbst schrieb seine erste Schrift über die letzten Zeiten der Kirche als eine Frucht seiner Studien der Weissagung des Abtes Joachims[3]. Seit den Verhandlungen von Brügge[4] scheint W. überzeugt gewesen zu sein, daß das Papsttum das Antichristentum sei. In dem Dialogus[5] führt er seine Deutung von Apk 20 aus. In dem zweiten Jahrtausend der Kirche (bei Beginn desselben) sei der Satan von neuem losgelassen, die Kirche sei damals von der Nachfolge Christi abgefallen. Daher seien die Bestrebungen frommer Männer Franciskus und Dominikus entstanden. Die ihnen folgenden entarteten Mönchsorden greift W. freilich aufs heftigste an. Aber der Zusammenhang mit Joachim ist deutlich.
Direkt von einem Schüler W.s stammt der commentarius in apocalypsin ante centum annos editus[6], den Luther (Wittenberg 1528) als ein Wahrheitszeugnis aus früherer Zeit herausgegeben hat. Der Kommentar wurde ihm zugeschickt: per optimos viros ab extremis finibus Germaniae nempe e Sarmaticis Livonicisque. — Der Kommentar ist im Jahre 1390[7]geschrieben. Er scheint aus der unmittelbaren Umgebung Wycliffes zu stammen. Die Überzeugung, daß tausend Jahre nach dem Leiden Christi der Antichrist in die Kirche eingebrochen sei, teilt auch der Verfasser. Die ganze Auslegung der Apk wird ihm zu einer Streitschrift wider den Papa antichristus. p. 60A findet sich eine scharfe Polemik gegen die Indulgenzen, p. 64A führt der Verfasser mit Wycliffe Polemik gegen die Bettelmönche. Er kennt (p. 60B) das Erdbeben von 1382, das in Wycliffes Leben eine große Rolle spielt. Er spricht 130B von „quilibet praedicator de corpore Christi mystico existens“. Der erste Posaunenengel ist der „qui primus omnium papam Romanum declarat Antichristum“ 78A. — Es gewinnt endlich nach den Ausführungen über die beiden Zeugen den Anschein als schreibe der Verfasser im Gefängnis[8]. Bengel vermutete daher vielleicht mit Recht, daß der Verfasser des Kommentars Joh. Purväus ein Schüler Wycliffes sei, der im Gefängnis (1390) nach seines Meisters Lektionen den Kommentar verfaßt habe.
Der Kommentar zeigt keine Beeinflussung von Seiten Joachims. Zitiert sind die glossa interlinearis (63B), Augustin (82B), Beda (83A), Haymo (75). Im Anfang findet sich das gebräuchliche Schema der Erklärung. Aber schon beim vierten Siegel sind die „hypocritae“ oder „falsi fratres“ der gewöhnlichen Auslegung die Anhänger des Papsttums geworden. Vom sechsten Siegel an ist alles auf die letzte Zeit bezogen und jedes Wort eine bittere, schneidende Polemik gegen das Papsttum. Im sechsten Siegel sieht der Verfasser das unheilvolle Schisma der römischen Kirche geweissagt, namentlich gegen Urban VI. (1378-89) richtet er seine Polemik. Die alte Einteilung der Apk in sieben Visionen behält er bei.
So verläuft also die Geschichte der Auslegung der Apk vom vierten bis ins dreizehnte und vierzehnte Jahrhundert hinein unter dem Einfluß hauptsächlich zweier Werke, der Kommentare des Ticonius und des Joachim von Floris. Es haben sich bis jetzt zwei Stilarten derselben herausgebildet; eine vollkommen nüchterne, abstrakte, fast jeder Anspielung auf Zeitverhältnisse des Auslegers ermangelnde und eine mehr phantastisch apokalyptische, welche die großen Ereignisse der jeweiligen Gegenwart in der Apk angedeutet findet und aus ihr auch die Zukunft zu berechnen unternimmt. Die letztere lehnt sich dabei an die erstere an. Eine eigentliche „weltgeschichtliche“ Ausdeutung der Apk bringen beide noch nicht. Man findet nur ganz allgemein die Hauptmomente der Entwickelung angedeutet. Beide Methoden basieren außerdem auf der Rekapitulationstheorie.
Fußnoten:
1. Lücke teilt 1011 mit, daß die Waldenser die dreieinhalb Zeiten der Herrschaft des Antichrist auf 350 Jahre berechnet. Lückes Notiz geht wahrscheinlich auf Bengel, erklärte Offenb. Joh. (3. Aufl. S. 1110) zurück. Bengel, der dazu die 350 Jahre des Ticonius vergleicht, verweist auf Vitringas Kommentar z. Apk p. 464. Vitringa aber trägt hier nur eine Vermutung Scaligers vor, der die 350 Jahre von den Waldensern bis zu Luthers Reformation rechnete. Daß die Rechnung auf die W. zurückführt, ist hier nicht gesagt. Über eventuelle Beziehung der „Nobla Leiczon“ der W. zur Weissagung Joachims vgl. Lehrb. d. Kirchen-Gesch. I hrsg. v. Bonwetsch 1899 S. 270.
2. Miličs Schrift ist in dem noch ungedruckten Werk Janows erhalten. Vgl. Neander VI 234f. (Milič), VI 255ff. (Matthias v. Janow).
3. Neander VI 176.
4. Ebenda 178.
5. Ebenda 224.
6. Ein Exemplar dieser seltenen Ausgabe befindet sich in der Göttinger Bibliothek 8. Theol. bibl. 236a.
7. 170 heißt es: per annos mille, scilicet a tempore passionis Christi usque ad antichristum. sed mille anni elapsi sunt a passione Christi et ultra trecenti quinquaginta septem, quia Christus passus est tricesimo tertio suae aetatis anno, qui additi numero faciunt trecentos nonaginta annos, quae est praesens data nostra, quia sumus in anno ab incarnatione (sollte heißen passione) Chr. milesimo trecentesimo quinquagesimo septimo, ergo trecenti septuaginta (sollte heißen quinquaginta) septem anni elapsi sunt, postquam antichristus primo regnavit. Der Text ist verderbt, werden die genannten Verbesserungen eingesetzt, so ist alles klar. Man darf sich durch die Fehler im Text nicht verleiten lassen 1357 als Zeit des Kommentars zu bestimmen. Im Kommentar selbst ist 61B das Jahr 1382, 122B gar 1389 erwähnt.
8. Vgl. 101ff. (104: et steterunt .... super pedes suos i. e. propriis doctrinis tam in carcere elaboratis incumbunt, qui prius minus instructi et nimis debiles contra antichristum fuerunt, tam propter defectum sanctitatis vitae, quam intellectus scripturarum, quibus longa vexatione virtutis et studii jam sufficienter imbuuntur).
8. Die weltgeschichtliche Deutung der Apk; Nicolaus von Lyra.
Eine neue Epoche, freilich keinen neuen Fortschritt in der Auslegung der Apk bezeichnet das Werk des Nicolaus von Lyra[1]. Geschrieben ist sein Kommentar zur Apk 1329[2]. Zum ersten Male ist hier von Anfang bis zu Ende eine fortlaufende weltgeschichtliche Deutung durchgeführt. Mit den Siegeln kommt Lyra bis in die Zeit Domitians, es folgt in den sieben Posaunen die Zeit der Ketzer von Arius bis zu dem Patriarchen Anthemus[3]. Apk 12 findet er den Kampf des Chosroes mit Heraclius, in dem ersten Tier (Apk 13) den Sohn der Chosroes, in dem zweiten Muhamed[4], Apk 14 Pipin und Karl den Großen. Mit den sieben Schalen beginnt die Geschichte der Kreuzzüge, 19,11ff. wird auf Balduin, den ersten König von Jerusalem, bezogen. Selbst über den Abschnitt Apk 20,1ff. geht Lyra mit seiner kirchengeschichtlichen Deutung hinweg. Er sieht dort den Streit zwischen Calixt und Heinrich V. geweissagt. Die Bindung des Satans wird auf die Begründung des Predigerordens bezogen. Mit dem nochmaligen Ausbruch des Satans soll dann das Ende kommen.
Eine Reihe von Auslegungen der Apk nach dem eigentlich weltgeschichtlichen Schema des Nicolaus v. Lyra nennt Alcasar in seiner Einleitung (S. 11 vgl. 68f.). Von diesen ist das Werk des Petrus Aureolus nach Alcasar 69 bereits im Jahre 1317 geschrieben, sodaß wir den Aureolus sogar als den Urheber dieser Auslegungsart anzusehen hätten. Von Aureolus abhängig sollen nach A. 69: Lizarus und Ederus (in „oeconomia“) sein, endlich Antonin (v. Florenz?) in seiner Historia (Summa historialis ?). — Mir sind die Werke sämtlich unzugänglich.
Fußnoten:
1. Lyras Postille wurde sehr oft aufgelegt. Erste (?) Edition Rom 1471; Paulus Burgensis schrieb mit starker Polemik gegen Lyra: additiones ad Nic. Lyrae postillas (Alcasar gibt in der Einleitung seines Kommentars für Paulus Burgensis das Jahr 1434 an); für Lyra trat Matthias Doring in seinen replicis adversus Paulum Burgensem auf. In der Nürnberger Ausgabe von 1493 finden sich sowohl die additiones des Paulus Burgensis und Dorings Replik (nach Walch Bibliotheca theologica selecta IV 396f.).
2. S. die Berechnungen der Zahl 666.
3. Wir finden hier, allerdings jetzt nicht mehr in wiederholter Rekapitulation, sondern in einfacher fortlaufender Deutung, die alte Reihenfolge: Verfolgungen, Ketzer, Sarazenen (vgl. Joachim).
4. Die Berechnung der Dauer der Herrschaft Muhameds auf 666 Jahre, die Innocens IV. einst feierlich verkündigte, wird abgelehnt. Sie paßte nicht mehr zu Lyras Zeit.
9. Luther und seine Nachfolger[1]