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Die innere Stimme ruft

Nun waren schon vier Wochen ins Land gegangen und immer noch hingen Felleisen und Knotenstock am Haken auf der Diele. Der Ruhelose hatte auf dem Dalhof anscheinend eine zweite Heimat gefunden. Er war kein weltfremder, verträumter Dichter, nein, er stand mit beiden Füssen fest auf der Erde. Er verstand es, den Pflug zu führen, die Sense und Sichel zu handhaben; er wusste mit Pferden und Vieh umzugehen und sich in Haus und Hof nützlich zu machen. Ole Dal beobachtete ihn mit stiller Freude, wenn der Gast aber abends mit Astrid auf der Bank im Garten sass, so schlich der Alte sachte davon. Dann wurde der Dichter wieder zum Träumer. Stunde auf Stunde verbrachte er in andächtigem Schweigen.

Seine Blicke streiften von dem anmutigen Tal, in dem der nur aus wenigen Höfen bestehende Ort Kirkedal gelegen war, zur Anhöhe. Dort stand die Kapelle, vom Friedhof umgeben, eingebettet in Wiesen und Felder. Ringsum türmten sich kahle Felsen und mit Wald bestandene Gebirgszüge. Bratt Ullewolds Augen blieben schliesslich auf der Landstrasse haften, die sich vom Bergesgipfel heruntersenkte. Vor wenigen Wochen war er von dort herniedergekommen. Eine Wandlung ging seitdem in seinem Innern vor sich; ein Gefühl, über das er sich nicht Rechenschaft zu geben wagte — — glaubte er doch die Freiheit seiner Person über alles zu lieben.

Das junge Mädchen sass ihm zur Seite. Ihr genügte es, ihn um sich zu wissen. Nie riss sie ihn aus seinen stillen Betrachtungen heraus. Fast schien es, als führten beide wortlose Gespräche, als könne der eine die Gedanken des anderen lesen. Nur die Hände fanden sich. Ein Druck oder auch ein Blick sagte ihnen mehr, als viele Worte vermocht hätten.

In Astrids Herzen war die grosse Sehnsucht erwacht, aber zu ihr gesellte sich die Furcht, dass alles nur ein kurzer, schöner Traum sein möge, aus dem sie eines Tages erwache und von dem dann nur die Erinnerung bleiben würde. — —

Mit Bratt Ullewolds Einkehr auf dem Dalhof war ein Wunder geschehen. Die alte, menschenscheue Petra hatte zu ihm, dem Fremden, vom ersten Augenblick an, wo sie ihn sah, Vertrauen gefasst. Sie, von deren Lippen seit vielen Jahren kein überflüssiges Wort gekommen war, freute sich, wenn er zu ihr ins Zimmer trat. Ihre fahlen Wangen belebten sich, und ihr Mund formte Worte, langsam und schwerfällig, als würde sie von einer geheimnisvollen Macht getrieben, über das zu sprechen, was ihr müdes Herz seit vielen Jahren bedrückte.

Eines Tages sassen die beiden wieder beisammen. Petra sprach: „Nun bin ich 85 Jahre alt geworden und lebe seit mehr als einem halben Jahrhundert auf dem Dalhof. Es sind gute Menschen, und doch, es drückt mich schwer, auf meine alten Tage das Gnadenbrot essen zu müssen.“

„In Eurem Alter habt Ihr ein Anrecht auf Ruhe, und Eure Hände erzählen mir, dass Ihr ein arbeitsreiches Leben hinter Euch habt. Zudem, was macht es für den reichen Ole Dal aus, Euch das Wenige zu geben? Er und Astrid tun es frohen Herzens.“

„Und doch ist es eine fast unerträgliche Last für mich, nehmen zu müssen, statt geben zu können.“

„So habt Ihr in Eurer Jugend bessere Tage gesehen?“

Ein bitteres Lachen irrte über die Gesichtszüge der alten Frau: „Ja, aber ich denke nicht gern an meine Jugend zurück.“

„Und später?“

„Wurde ich Sörkes Frau und wohnte oben auf dem Berghof.“

„Ist Euer Mann gestorben?“

„Vor mehr als 50 Jahren.“ Leise, als spräche sie mit sich selbst, fügte sie hinzu: „All die Jahre habe ich um das Heil seiner unsterblichen Seele gebetet.“

„Was ist aus dem Hof geworden?“

„Er gehört mir noch heute.“

Erstaunt blickte Ullewold die Alte an.

„Ja, aber er heisst im Volksmunde nur der Genganger-Seater, der Gespensterhof.“

„Wo liegt er?“

„Irgendwo in den Bergen.“

„Ich möcht’ ihn sehen.“

„Nein. Niemand soll ihn wieder betreten. Er hat zwei Opfer und das Leben Sören Sörkes gefordert. Es ist genug. — — Ich bitt’ Euch, lasst mich jetzt allein.“ — —

In Gedanken versunken schritt Bratt Ullewold durch das Dorf. Irgend etwas war in ihm aufgerüttelt worden. Geheime Fäden schienen das Schicksal der alten Petra mit dem seinen zu verknüpfen.

Er ging über den Friedhof. Ein Grab wurde ausgegraben. Ein paar Überreste verfaulten Holzes, die einmal zu einem Sarg gehört hatten, und das Gerippe eines Mannes lagen darin. Der alte Asle stand in der Kuhle. Er hob den Totenschädel heraus und sprach: „Schaut ihn Euch an, sieht er nicht aus, als wolle er sich über uns lustig machen?“

„Weiss Gott, man könnte glauben, er grinse uns an“, erwiderte Ullewold.

Ein altes, zerbrochenes Holzkreuz ragte aus den aufgehäuften Erdmassen heraus. Die Schrift war verblichen, aber der Name noch schwach zu lesen. Er lautete: Birk Kollen.

Der Totengräber fuhr fort: „Ich war ein Bursche von zwanzig Jahren, als der hier zu Grabe getragen wurde. Ich habe ihn gut gekannt. Machte er den Mund auf, so kam etwas Witziges heraus, aber, Herr, es war kein Witz, der das Herz erfreut. Das Lachen ging auf Kosten anderer Leute. Ich erinnere mich manchen Mannes und manchen Mädchens, denen die Augen nass wurden, wenn die anderen lachten. Niemand war vor Birk Kollens Bosheiten sicher.“ Leiser fügte er hinzu: „Auch mir hat er mein Lebensglück zerstört. — Nun hat er fünf Jahrzehnte in der Erde gelegen und muss jetzt der Platz machen, die er damals von mir riss, um sie nach einem kurzen Rausch von sich zu stossen, wie unsereins ein ausgedientes Kleidungsstück von sich wirft.“

Hass leuchtete aus Asles Augen.

Der Dichter fragte: „Sein Tun scheint ihm keinen Segen gebracht zu haben, denn er muss jung gestorben sein.“

Der Alte schien die Frage zu überhören. „Bärenkräfte hatte der Birk. Niemand konnte sich mit ihm messen, bis er doch an einen geraten ist, der ihm überlegen war. Seht, Herr, selbst so ein dicker Schädel wie seiner konnte eingeschlagen werden!“

Asle blickte auf den Totenkopf nieder und hielt ihn wie abwägend in der Hand. Dann setzte er seine Erzählung fort, als spräche er jetzt aber zu dem Verstorbenen. „Ja, ja, Birk Kollen, hast es dir damals nicht träumen lassen, als du mich mit deinen groben Tatzen so unsanft zu Boden warfst, dass ich deinen grinsenden Totenschädel auf den Misthaufen werfen würde!“ Verächtlich schleuderte er den Kopf von sich, der in wilden Sprüngen bergab kollerte.

Bratt sagte: „Ihr müsst ihn sehr gehasst haben, dass Ihr nach fünfzig Jahren noch nicht vergessen und vergeben könnt.“

Ein heiseres Lachen antwortete ihm: „Damals lachten er und seine Saufgenossen über mich, warum sollte ich heute nicht einmal über ihn lachen? — Ich habe alle überlebt und keinem eine Träne nachgeweint, als ich ihren Sarg mit Erde bedeckte. Dieser hier musste als erster ins Gras beissen.“

„Und wie ist er gestorben?“

„Er glaubte, selbst der Toten spotten zu dürfen. Oben auf dem Genganger-Saeter hat er sein Ende gefunden.“

Bratt Ullewold ging langsam davon. Am anderen Morgen hing er sein Felleisen um, nahm den Knotenstock und reichte Dal und Astrid die Hand: „Habt Dank! — Ich muss jetzt gehen.“

„So plötzlich?“ fragte das Mädchen. „Warum?“

„Die Unrast hat mich befallen. — Die innere Stimme ruft. — Auf Wiedersehen!“ Ein kurzer Händedruck und, ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich zum Gehen.

Astrid sah ihm nach. Ein bläulicher Dunst lag über der Erde. Es schien, als werde Bratt Ullewolds Gestalt allmählich vom Morgennebel aufgesogen, als verschwinde sie in eine fremde, überirdische Welt.

Der geheimnisvolle Hof

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