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Abschiedsrede eines Dienstvorgesetzten

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Sehr verehrte Anwesende!

Nicht selten beginnt eine Rede damit, große Menschen zu zitieren, längst gedachte, wertvolle Gedanken in Erinnerung zu bringen und historische Personen und Gegebenheiten in die Gegenwart zu holen. Man tut dies, um dem insgesamt relativ bedeutungslosen Augenblick Glanz zu verleihen, aber auch, um frei interpretierbare Assoziationen anzuregen.

Lassen Sie mich angesichts des Abschieds aus einer langjährigen beruflichen Tätigkeit mit Höhen und Tiefen, mit Anerkennung meines Handelns und auch mit Kritik an meinem Tun von den vielen Geistesgrößen, die ich schätze, heute Hilfe suchend zwei der ganz großen einbeziehen: L.V. Beethoven und den Heiligen Benedikt.

Ludwig van Beethoven hatte in seinen letzten Lebensjahren nicht nur Zustimmung, sondern erlebte auch schwere Zeiten in Wien; seine Fachkollegen wollten ihn und seine Profession nicht tolerieren, sein Publikum geizte mit Anerkennung und seine nächste Umgebung reduzierte sein Schaffen und seine Person zum gewöhnlichen Durchschnitt.

Dennoch verstanden es die Wiener immer wieder, die Schande der Missachtung und Geringschätzung und auch das von sich zu wälzen, dass sie ihn darben haben lassen. Da das Faktum des Konflikts selbst sich aber nicht leugnen ließ, haben die Wiener die Garstigkeit, die Schwierigkeiten von Beethovens Person so hervorgehoben, dass alle Schuld des Missverhältnisses bei ihm zu suchen sei. Sein Wesen sollte also alleine schuld sein.

So sah Beethoven seine ganze Hoffnung in England. Wie jeder Mensch, spielte er mit dem Gedanken, dass woanders alles besser sein müsse und bedachte nicht, dass nicht nur die Wiener so waren, sondern dass Menschen so sein können und so sind.

In all den Fällen, die man als Konflikte bezeichnen kann, fühle ich mich aus heutiger Sicht behandelt, wie seinerzeit L.van Beethoven.

Doch sehe ich neben den vereinzelt aufgetretenen Dissonanzen im Rückblick – Gott sei Dank! - viel mehr Konsonanz und Harmonie.

Wie erklären sich der berufsbezogene Prozess von Dissonanz und die gewünschte Auflösung in einen harmonischen Wohlklang?

Auf diese Fragen gibt es eine ganz einfache und hilfreiche Antwort: Gegenseitige Achtung, Anerkennung, Toleranz und Lob müssen Kritik und Tadel überwinden.

1 Die Menge Lob, die jetzt zum Abschied formuliert wird, ist angenehm, doch es nützt Ihnen und mir nicht mehr so viel, wie es – zeitlich früher angebracht – bringen hätte können.

2 Lob sollte – in jeder Richtung eingesetzt - ein berufsbegleitendes Element sein. Nur dann wirkt es richtig. Und so hoffe ich, dass ich für andere stets anerkennende Worte gefunden habe für die Leistungen, die ich erleben durfte und Kritik nur da übte, wo es im Sinne der Aufgabenstellung erforderlich war.

3 Ich hoffe, dass ich insgesamt mehr gelobt als getadelt habe.

Mit diesem Satz bin ich schon bei den Ratschlägen des Hl. Benedikt für die neu ernannten Äbte angelegt. Und so schließt sich ein Kreis, weil ich aus diesen Ordensregeln bei meinem Dienstantritt als Behördenleiter zitiert habe.

Ich erinnere mich und mit mir diejenigen, die damals dabei waren:

Benedikt spricht davon, dass Führungskräfte mehr loben als tadeln sollen und stets bedenken müssen, dass sie gemessen werden, wie sie andere messen. Erinnern wir uns an das Bild, das die menschliche Schwäche – Bruchstelle – besser nicht beschreiben könnte: „Wenn man ein geknicktes Rohr aufrichte, dann bedenke man, dass es leichter denn je bricht...“

Ich zitierte bei meiner Amtseinführung auch das Bild des HL Jakob: „Eine Herde führe man so, dass nicht alle schon am ersten Tag auf der Strecke bleiben, sondern das gesteckte Ziel erreichen.“

Ich habe das versucht, auch wenn meine Möglichkeiten immer dann begrenzt waren, wenn einige aus der Herde eigene Wege gehen mussten oder gar mir nicht folgen wollten.

Schließlich habe ich selbst das respektiert – auch wenn diese Vorfälle auf dem Wege ihren Preis hatten.

So formuliere ich zu meinem Abschied einen Wunsch, der all denen gut tun wird, die künftig in dieser Behörde, in welcher Funktion auch immer - zu tun haben werden:

Achtet das Lob als Zaubermittel, lebt den gegenseitigen Respekt und realisiert die lebensnotwendige Toleranz.

Auch wenn Friedrich Nietzsche im Lob mehr Zudringlichkeit erkennt, als im Tadel (Jenseits von Gut und Böse), so folge ich doch Anselm Feuerbach, wenn er uns dies Vermächtnis hinterlässt:

„Nörgeln ist leicht; deshalb versuchen sich so viele darin. Mit Verstand loben ist schwer; darum tun es so wenige.“

In diesem Sinne: alles Gute für die Zukunft!

Du entrinnst nicht

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