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Vorwort

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Angst ist, so schreibt Wilhelm Rotthaus gleich zu Beginn seines Textes, „das vielleicht wichtigste Gefühl, das wir haben“. Gleichzeitig wird die Angst aber, wenn sie übermäßig ist, quälend und lähmend. Viele Kinder und Jugendliche leiden in hohem Maße unter dieser übermäßigen Angst, sodass sie psychotherapeutische Hilfe benötigen. Nun bin ich selber Verhaltenstherapeut, und wir Verhaltenstherapeuten sind ja durchaus zu Recht stolz darauf, bei der Behandlung von Ängsten beachtliche Erfolge erzielen zu können. Zum Glück führt aber das Vorhandensein von Therapiekonzepten, die nachgewiesenermaßen bei einer relevanten Anzahl von Patienten helfen, nicht dazu, dass nicht weitere Bemühungen unternommen werden, noch mehr Patienten noch besser helfen zu können.

Der in dem vorliegenden Buch weit geöffnete Blick auf den Menschen in seinem System hilft dabei zu erkennen, dass die symptomorientierte Behandlung der Angst nur ein Teilaspekt des Vorgehens sein kann; denn in vielen Fällen hat die Angst auch beziehungsregulierende Funktion. Immer ist sie eingebettet in eine spezifische Konstellation von Ressourcen und Problemen des Indexpatienten und aller im System relevanten Personen sowie deren Beziehungen und Interaktionen untereinander. Die Bewältigung der Angst ist eben auch eine Entwicklungsaufgabe für das System, worauf Wilhelm Rotthaus ausführlich hinweist.

Wie bei anderen Störungen auch, so darf bei den Angststörungen nicht vergessen werden, dass die Unterschiede zwischen den Patienten in ihren Systemen mindestens genauso wichtig sind wie die Gemeinsamkeiten. Diese Unterschiedlichkeit führt dazu, dass es eben nicht das eine Vorgehen gibt, welches allen Patienten gleichermaßen hilft. Vielmehr ist es wichtig, ein breites Methodenrepertoire anwenden zu können, um den einzelnen Patienten und ihren Familien bestmöglich zu helfen. Und dabei ist es aus Patientensicht letztlich völlig unerheblich, unter welchem Label (Systemische Therapie, Verhaltenstherapie …) diese Hilfen angeboten werden. Auch wenn sich diese Einstellung im Rahmen unseres Gesundheitssystems noch lange nicht wird durchsetzen können: Gerade aus diesem Grund schreibe ich als ausgebildeter Verhaltenstherapeut besonders gern ein Vorwort für dieses Buch eines renommierten systemisch orientierten Kollegen. Noch sind wir nicht bei einer allgemeinen, schulenübergreifenden Psychotherapie angekommen, aber Bücher wie dieses können ein wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin sein.

Auf der einen Seite übernimmt Wilhelm Rotthaus ohne jede Berührungsangst zentrale Aspekte der Verhaltenstherapie (vor allem Exposition; ebenso werden aber auch Gedankenstopp und Selbstverbalisation – originär verhaltenstherapeutische Methoden – erwähnt) in sein Therapiekonzept, weil sie eben auch im Rahmen einer systemisch orientierten Therapie sinnvoll eingesetzt werden können. Andererseits wird eine Fülle von Methoden dargestellt, die systemischen Ursprung haben und systemisch begründet werden, die aber auch im Rahmen verhaltenstherapeutisch orientierter Therapiekonzepte eingesetzt werden können – erwähnt seien hier Reframing, die Einführung von rituellen Handlungen und imaginierten Helfern, Musterunterbrechung, paradoxe Handlungsanleitungen sowie die Techniken der Externalisierung und der Teilearbeit.

Und dann gibt es da noch die Handlungsideen, bei denen systemischer Ansatz und Verhaltenstherapie sich nur graduell zu unterscheiden scheinen. Viele systemische Methoden können auch als kognitive Umstrukturierung verstanden werden und werden auch vom Autor so deklariert. Wilhelm Rotthaus arbeitet an dieser Stelle den Unterschied zur kognitiven Umstrukturierung in der Verhaltenstherapie dahin gehend heraus, dass in seinem Konzept der Therapeut bzw. die Therapeutin nicht mit dem Anspruch arbeite zu wissen, welche Kognitionen für den Patienten die besseren seien, sondern auf viel grundlegendere Art zu selbstbestimmten kognitiven Veränderungen anregen will. Hier könnte man konstruktiv darüber streiten, ob das tatsächlich ein substanzieller Unterschied zwischen den Verfahren ist.

Und schließlich gibt es noch diejenigen Konzepte, die der Autor hier einbaut, die weder der einen noch der anderen Therapieschule zuzuordnen, aber in einer fachgerechten Psychotherapie sicher von besonderer Bedeutung sind. Psychotherapeutische Hilfe – und eben auch das wird in dem vorliegenden Buch deutlich – muss grundbedürfnisorientiert sein. Stets ist nicht nur nach der Funktion des Verhaltens für das System zu fragen, sondern auch nach den Auswirkungen auf die psychischen Grundbedürfnisse (Bindung, Selbstwert, Orientierung/Kontrolle, Lustgewinn/Unlustvermeidung) der Patienten.

Ist also jetzt alles sowieso irgendwie dasselbe? Benötigen wir gar keine schulenspezifischen Therapiekonzepte mehr, und ist das vorliegende Buch ein Beispiel für eine neue, schulenüberwindende Psychotherapie? Nein, soweit sind wir (noch?) nicht, weder im Bereich der Forschung noch im Bereich der Theoriebildung. Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen, unterschiedliche Arten, die jeweilige Problemkonstellation erfassen zu wollen, unterschiedliche Schwerpunkte in der Behandlung. Aber es gibt keine Notwendigkeit für rituelle Abgrenzungen voneinander, keine Notwendigkeit, vermeintlich grundsätzliche Unterschiede zu strapazieren. Stattdessen wird hier ein klar systemisch orientiertes Buch vorgelegt, in das aber völlig unaufgeregt Ideen und Konzepte aus anderen Schulen integriert wurden. An der einen oder anderen Stelle scheint die Distanz zwischen den Verfahren so gering zu sein, dass sie fast zu vernachlässigen ist. An anderen Stellen aber gibt es diese Unterschiede, und sie können und müssen auch noch weiterhin Ausgangspunkt für fruchtbare Auseinandersetzungen mit dem Thema der Integration oder gar der Überwindung von Psychotherapieschulen zum Wohle der Patienten sein.

Besonders erhellend sind in dem vorliegenden Buch die Abschnitte zum systemischen Störungsverständnis. Hier wird der Blick – unter anderem – als Erweiterung einer symptomzentrierten Sichtweise sowohl auf beziehungsorientierte Hypothesen als auch auf die Entwicklungsaufgaben gelegt, die Kinder und Jugendliche im Zusammenspiel mit ihren Eltern zu bewältigen haben. Dass Ängste – egal welcher Art – als Signal für anstehende Entwicklungs- und Entscheidungsschritte angesehen werden können, ist plausibel und erweitert das Verständnis für diese Störungen.

Methodisch stellt Wilhelm Rotthaus ein breites Spektrum vor, sodass einzelfallorientiert die hilfreichsten Methoden ausgewählt werden können. Insofern ist dieses Buch kein „Manual“, das für die verschiedenen Patienten die gleiche Vorgehensweise empfiehlt. Das Gegenteil ist der Fall: Die Therapeuten werden nicht aus der Verantwortung entlassen, auf die Besonderheiten des Einzelfalls zu achten und angemessene Therapiemethoden auszuwählen. Hier ist nichts besonders hervorzuheben; denn alles passt – nur eben auf unterschiedliche Patienten.

Ich hoffe, dass dieses Buch eine breite Leserschaft erreicht; denn die hier differenziert unter Berücksichtigung allgemeinpsychologischer Erkenntnisse herausgearbeitete systemische Perspektive kann – wie im ersten Absatz dieses Vorwortes gefordert – dazu beitragen, tatsächlich noch mehr Betroffenen noch besser zu helfen.

Prof. Dr. Michael Borg-Laufs Mönchengladbach, im Januar 2015

Ängste von Kindern und Jugendlichen

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