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Die Landstraße herab, die von der Residenz D. nach dem Odenwald führt, rollte um das Jahr 18.. ein schwerbepackter Reisewagen, der auf seinem Schlage das gräfliche Wappen derer von Ibstein zeigte. In den Polstern des Wagens lehnte schlummernd die alte Erzieherin, jetzt Gesellschafterin der jungen Gräfin Isabella, während diese Letztere ihr aristokratisches Näschen, das eine kleine Neigung nach oben zur Schau trug, vergnügt zum Kutschenfenster hinausstreckte. Frau von Pork, die Gesellschafterin, begann gelinde zu schnarchen; das Schwanken des gut gefederten Wagens brachte den altmodischen Kopfputz der Dame zuweilen in feindlichen Zusammenstoß mit den Wänden, die Räder warfen den Staub auf die Sitze, die Stöße, die einige, allzu große Chausseesteine den Insassen versetzten, grenzten manchmal anʼs Unbehagliche und die junge Morgensonne verbreitete in dem geschlossenen Raum eine keineswegs angenehme Temperatur. Dies Alles verhinderte jedoch die Gräfin nicht, sich an der Schönheit der Landschaft zu weiden.

Fern herüber glänzte ja bereits das Ziel ihrer Reise, das Schloß zu Ibstein, auf welchem sie diesen Herbst zubringen sollte, auf Wunsch des Vaters. Dieser stolze Wald, dessen Dunkel der Wagen jetzt aufnahm, die Wiese, auf der ein buntes Gewebe von Dolden, Blumen und Schmetterlingen zitterte, der See, in dem sich die finsteren Föhren so stumm beschauten, dieser ganze Park, diese reiche Landschaft mit ihren fernen Dörfchen, getaucht in das warme Gold eines duftigen Herbstmorgens, gehörte zum Besitzthum des Grafen Ibstein. Wie rief der Anblick dieses Schlosses, dieser Hügel längst verklungene Jugenderinnerungen in der Brust Isabellaʼs wach. Sie zählte neunzehn Jahre; vor zwölf Jahren hatte sie diese Stätte zum letzten Mal an der Hand ihrer früh verstorbenen Mutter besucht und es war ihr nun, als habe dieser herrliche Park sie in treuem Angedenken behalten. Das Rauschen seiner Baumwipfel tönte ihr wie ein Gruß der verlorenen Kindheit, wie ein Mahnen an die hohe, schlanke Frau, die sie damals aus dem Wagen gehoben, leidenschaftlich an die Brust gedrückt hatte und die so strahlende, fast milde Augen hatte, immer mit dem Vater auf die Jagd ritt, immer so silberhell lachen konnte und die nun unter der Erde ruhte. Die Kutsche mäßigte jetzt ihre Schnelligkeit, man bog um eine Waldecke, und Isabellaʼs Augen zuckten, als sie rechts vom Weg, versteckt im Dunkel der Cypressen, ein der damaligen Zeit entsprechend, freilich recht unschönes Denkmal erblickten. Der sandsteinerne Engel auf der epheubewachsenen Säule schien auf der Erde die Tanzstunde besucht zu haben, er drückte die Fackel mit liebenswürdiger Grazie zu Boden, seine Waden überschritten alle schicklichen Dimensionen, der Schmerz seiner Züge grenzte gelinde an den Ausdruck des Blödsinns, auch glich der Schmetterling, der da auf dem Sockel eingemeiselt schwebte, allzusehr einer Omlette. Zwei halbrunde Steinbänke umschlossen den ovalen Platz, regelrecht geschnittene Taxushecken bildeten seine düstre Wand, über welcher obeliskenartig mehrere Pappeln emporragten, im Verein mit dem Grabmal dem Ort eine sanfte Melancholie verleihend. Hoch oben lachte der Himmel hell auf die dunklen Büsche herab. Isabellaʼs Züge wurden ernster, sie erinnerte sich der Mutter, die unter diesem Steine ruhte, wenig mehr. Diese Stelle, über der jetzt der Schleier einer conventionellen, langweiligen Trauer ruhte, sollte Gräfin Elgaʼs Lieblingsplatz gewesen sein, auf welchem sie die französischen Tragiker und die englischen Humoristen las und auf welchem sie begraben zu werden wünschte. Wäre es vielleicht schicklich, hier auszusteigen? dachte das Mädchen. Aber was bot ihr dieser schlechte Stein? Und sollte sie vor den Lakaien ihr Inneres zeigen? Es widerte sie an, für gefühlvoll gehalten zu werden. Nein! was geht es die Anderen an, was ich denke, sie mögen mich für herzlos halten! Weiter! an dem Grabmal vorüber, dessen goldne Inschrift verblaßt war, wie die Erinnerung Desjenigen, der sie mit Prunk einst setzen ließ. Ja! Der Vater hatte die Mutter, obgleich er sie liebte, vergessen. Er war so sehr in Anspruch genommen, der gute Vater; der Herzog bedurfte seiner so häufig und der Graf, der gutmüthige Lebemann, hatte von jeher an einem etwas unsicheren Gedächtnis gelitten. Isabella nahm sich vor, dem Vater zu schreiben, daß das Denkmal einer Restauration dringend bedürfe. Der gute Vater würde darüber in große Verlegenheit geraten, einige aufrichtig geweinte Thränen vergießen, sich selbst anklagen, sogleich versprechen, die nöthigen Schritte zu thun und dann die Sache auf sich beruhen lassen. Das Mädchen lehnte sich in die Kissen zurück, während Frau von Pork behaglich weiter schnarchte. Nun lichtete sich der Wald, ein Teich ward sichtbar, in dessen fast schwarzem Wasserspiegel sich eine baufällige Hütte beschaute. Unbeweglich glänzend wie Quecksilber lag der Teich in seinem Hügelbecken und als sich nun der Wagen langsam näherte, gewahrte Isabellaʼs Auge einen hellgrünen, übermäßig großen Sonnenschirm, der wie ein riesiger, schief gewachsener Giftpilz aus dem Schilfgestrüpp hervorragte. Noch einige Schritte hatte sich der Wagen weiterbewegt; nun löste sich das Rätsel dieses Schirmes, in seinem Schatten saß auf einem Feldstuhl ein hemdärmeliger, junger Mann, der mit eifriger Hand die vor ihm aufragende Leinwand bepinselte, zuweilen hastig dem Teich nebst dem baufälligen Häuschen Blicke zuwerfend. Also ein Maler! Isabellaʼs weiße Stirne bildete eine ganz kleine Falte über dem reizenden Näschen. Wer wagte es, ohne Erlaubnis in das Besitztum des Grafen Ibstein zu dringen? Die Falte vergrößerte sich. Und dieser Mensch schien so sehr in seine Arbeit vertieft, daß er nicht einmal das Rollen des näherkommenden Wagens bemerkte. Nun hob er zwar flüchtig den Kopf, da der Kutscher mit der Peitsche klatschte, wandte sich jedoch wieder gleichgültig der Leinwand zu. Isabella hatte gute Lust, den kecken Eindringling zur Rede zu stellen, vielleicht auch erregte seine Arbeit ihre Neugier und dann war es doch schmeichelhaft, wenn man Partieen aus dem Park des Grafen Ibstein für malerisch hielt – der Schelm erwachte in dem kleinen Trotzkopf, der mit so zierlichem Stumpfnäschen versehen war, die alte, kindliche Abenteurersucht, das Bedürfnis, etwas zu erleben, machte sich ebenfalls geltend, kurzum, Isabellaʼs zarte, behandschuhte Hand klopfte leise an das Glasfenster, und der Kutscher, dies Zeichen aus langer Erfahrung kennend, hielt die Pferde an.

Frau von Pork schlief noch immer: sie hatte sich heute Morgen, als man die Residenz verlassen, mit gewohnter, übertriebener Emsigkeit den Vorbereitungen der Abreise gewidmet, sie hatte darauf geachtet, daß die Kleider unzerknittert in die Koffer gelangten, hatte eigenhändig unter tausend Aengsten das kostbare Meißner Theeservice eingepackt und während der Fahrt unaufhörliche Befürchtungen gehegt, einer der aufgeschnallten Koffer könne heruntergefallen sein, warum sollte man ihr die Ruhe nicht gönnen! Isabella warf einen schlauen Blick auf die Schlummernde, drückte lächelnd einen Kuß auf ihre runzelige, treue Stirn, öffnete die Thüre und huschte rauschend ins Freie. Kaum hatte sie die Wiese betreten und schritt nun, das lange Kleid mit der Rechten hebend, auf dem Kiesweg, als der Maler, von seiner Arbeit aufsehend, sie gewahrte. Obgleich sie sich vorgenommen, keinerlei Gewissensbissen Raum zu geben, erwachten dieselben nun doch, ja, es fuhr ihr ein gelinder Schrecken in die Glieder, als der Maler plötzlich, seinen Pinsel ihr entgegenstreckend, mit lauter Stimme rief: »Halten Sie, bleiben Sie so stehen, welchʼ treffliche Beleuchtung.«

Isabella blieb erschrocken stehen und betrachtete ihre Umgebung, die aus einer Felsenpartie, nebst einigen zartweißen, moosbewachsenen, vom Sonnenlichte wie durchgeistigten Birkenstämmen bestand.

»Prächtiges, altes Gerümpel dahinten,« fuhr der Maler, auf die Chaise deutend, fort, während Isabella errötend weiterschritt, noch nicht ganz einig mit sich selbst, ob sie wieder umkehren oder dem Maler seine Art, mit ihr zu verkehren, vorwerfen sollte. Nun hatte sie die Staffelei erreicht; der junge Mann zog seine Hemdärmel über den Arm herunter, machte jedoch in anderer Hinsicht dem Schicklichkeitsgefühl einer Dame weiter keine Concessionen. Die lange Weste hatte er aufgeknöpft, sein Hut lag im Grase, die Halsbinde flatterte im Winde, seine Arbeit zu unterbrechen, fiel ihm nicht ein, ja, seine nun dicht hinter ihm stehende Zuschauerin auch nur eines Blickes oder gar eines Wortes zu würdigen, schien er zur größten Verwirrung derselben für durchaus unnötig zu halten. Isabellaʼs Blick fiel auf die Leinwand, welche eine düstere Waldlandschaft, morsche, gebrochene Stämme, herabdräuende Regenwolken zeigte. Im feuchten Grase saß ein auf einer Rohrflöte spielender Faun, um ihn her lagen, kichernd herbeischleichend, schüchterne Nymphen, die sein Spiel anzulocken schien. Das Mädchen war mit diesem Stoff nicht ganz einverstanden, jedoch fesselte sie die Behandlung des Waldhintergrunds sehr; einen Augenblick hindurch in Betrachtung versunken, vergaß sie, wo sie sich befand, übersah sie die Unhöflichkeit des Künstlers und bemerkte nicht, daß sie mit dem einen ihrer weißseidenen Stiefel in den auf dem Boden liegenden blauen Ölfarbentopf geraten war. Die peinliche Verlegenheit, die sich des Mädchens bemächtigt, machte, daß sie die Umgebung, Wald und Flur allmählig wie durch einen heißen, roten Schleier wahrnahm. Das ihr so neue Gefühl der Demütigung, welches sie vergebens nach Worten ringen ließ, hielt ihr das vielleicht Unschickliche ihrer That vor das Gewissen. Sie wollte sich zurückziehen, doch das trotzige Bewußtsein, thun zu können, was ihr beliebe, der Ärger, den sie darüber empfand, daß dieser Mensch es nicht für der Mühe wert hielt, eine junge, hübsche Aristokratin in ein Gespräch zu ziehen, fesselte ihren Fuß. Nun tönte vom Walde herüber eine helle Knabenstimme. Rasch über die Wiese laufend, schwang der Bursche sein Schmetterlingsnetz und stand bald neben dem Maler.

»Siehʼ, Eduard, ich habe ihn,« rief er keuchend, sich ebenso wenig um Isabella bekümmernd, als sein Freund, sie aber unaufhörlich anstarrend. Er breitete sein Netz aus und zeigte, immer die verwunderten Augen auf die Fremde gerichtet, einen darin flatternden Schmetterling.

»Nun, Ludwig,« sagte der Maler, »was beginnen wir mit dem Schmetterling.«

»Ich meinte, Du wolltest ihn mir malen,« entgegnete der Knabe, dessen von schön geschwungenen Brauen umgebenen Augen immer noch neugierig an den Zügen des Mädchens hingen.

»Gut,« erwiderte ihm der Maler, »dann müssen wir ihn zuvor töten!«

»Töten? Ja, das wollen wir,« sagte Ludwig nach dem Netze greifend, und man konnte sehen, wie seine sonst so sanften Züge neugierig leuchteten.

»Also es bereitet Dir Freude,« entgegnete ihm der Maler, »ein Tier sterben zu sehen?«

Der Knabe hob verdutzt den Kopf, während ihm der Künstler mit der Hand über seine schwarzen, krausen Haare strich, die, da sie sehr dicht in die weiße Stirne hereingewachsen waren, ganz italienisch anmuteten.

Der Künstler wandte sich dann ruhig zu Isabella und sagte: »Auffallend bleibt er doch immer, dieser unbewußte Zug zur Grausamkeit, der erst allmählig unserem Geschlechte durch Bildung ausgetrieben werden kann«

Darauf begann er, weiter malend, in gemütvoller Weise dem Knaben das Leben eines Schmetterlings zu beschreiben, wie er die Seele einer verblichenen Blume sei, wie er sich der Sonne freute, wie er vergnügt von Blume zu Blume gaukelte, denen Allen er zu erzählen hat, wie schön das Leben sei. Allmählig gestaltete sich seine Schilderung zum Märchen, er ließ Freunde, Eltern und Kinder des Schmetterlings auftreten, setzte seine Gefangenschaft in Contrast mit seiner Freiheit, malte seine Sehnsucht nach den Seinigen und ließ endlich als wirkungsvollen Abschluß des Dramas den langsamen Todeskampf des Tieres folgen, den er mit allerlei melodramatischem Nachtigallengeflöte, Abendröten und weinenden Rosen ausstaffirte. Die Erzählung erreichte denn auch die gehoffte Absicht; Ludwig, der im Anfang derselben aufmerksam gelauscht, brach am Schlusse in einen kaum zu stillenden Strom von Thränen aus, sodaß der Maler Mühe hatte, ihn zu trösten.

»Sehen Sie, gnädiges Fräulein,« wandte er sich lächelnd zu Isabella, »hier haben Sie den Beweis, daß Grausamkeit, überhaupt alle Schlechtigkeit, mehr das Ergebnis einer gewissen Dumpfheit des Geistes ist und sich leicht durch Aufklärung heben läßt. Wenn ein Verbrecher fähig wäre, vor der That alle Einzelumstände, alle Folgen derselben sich vorzustellen, würde er in den seltensten Fällen so weit kommen, sie durchzuführen. Der Mangel an Fantasie macht Verbrecher und freilich – auch die Tapferen!!«

Isabella, deren weibliches Gemüt von der Biographie des armen Schmetterlings kaum weniger bewegt war, als dasjenige des immer noch schluchzenden Knaben, fühlte, daß sie unter allen Umständen irgend etwas sagen mußte, da sie jedoch sich ihrer Rührung schämte, verfiel sie, um dieselbe zu verbergen, in den ihr entgegengesetzten Ton. Mit viel rauherer Stimme, als ihr selbst lieb war, sagte sie:

»Darf ich mir die Frage erlauben, mein Herr, auf welche Art Sie eigentlich hierhergekommen?«

Der junge Mann stutzte. Dann huschte ein sarkastischer Zug über seine blassen Lippen, den die Fragerin nicht bemerkte.

»Wenn ich mich nun,« sagte er, »diebischer Weise in diesen Park geschlichen hätte, würden Sie die Grausamkeit besitzen, mich hinausweisen zu lassen?«

Die Gräfin, welcher der ironische Ton dieser Entgegnung nicht entging, errötete. Mit einer Betonung, die eine Anklage enthalten sollte, versetzte sie: »Dieser Park ist Eigentum des Grafen Ibstein.«

»Dann müssen sich allerdings die Bäume sehr geschmeichelt fühlen,« entgegnete er ruhig, »ich dachte nämlich, dieser Park gehöre zu dem Besitztum des lieben Gottes.«

Isabella, die, über alle Standesvorurteile erhaben, jeden Menschen, ja jeden Bettler als mit sich gleichberechtigt betrachtete, konnte es doch nicht ertragen, wenn sich ein Bürgerlicher erlaubte, spöttisch über alle Schranken wegzusetzen. Das Rot wollte gar nicht von den Wangen des Mädchens weichen, sie warf einen verwunderten Blick auf den Sprecher und sagte dann:

»Verzeihen Sie mir, mein Herr, ich selbst habe gar nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie Studien in unsrem Park entwerfen, durchaus nichts, jedoch nehmen Sie sich vor Herrn Enger, unserem Förster, in Acht, er soll ein sehr gewissenhafter, beinahe harter Mann sein. Ertappte er Sie, er wäre im Stande, Sie für einen verkappten Wilddieb zu halten und —«

»Mich zu erschießen,« lachte der Maler, während Isabella, die fühlte, daß sie zu weit gegangen war, erschrocken innehielt. Dem Maler kam es hart an, einen Witz zu unterdrücken, dessen Pointe in einer Verwechslung von Rehen und anderen jagdbaren Tieren mit schönen Damen bestand, er begnügte sich, zu entgegnen:

»Sie haben Recht, ich habe wirklich einige Ähnlichkeit mit einem Wilddieb; mein Haarwuchs, meine Kleidung, vielleicht auch mein Blick lassen darauf schließen, daß ich gern in Heuhaufen oder hinter Schloß und Riegel übernachte. Etwas vom Vagabunden haben wir Künstler ja Alle und nicht bloß in der einen Beziehung, daß es uns meistens an Geld fehlt.«

Dem Knaben, der seinem Schmetterling die Freiheit geschenkt, schien diese Bemerkung einzuleuchten, er griff lachend nach seines Freundes keineswegs sehr neuem Hut, um eifrigst die verschiedenen defekten Stellen an demselben zu zählen und mit ihm Ball zu spielen, wodurch er die Verlegenheit des Mädchens nicht wenig steigerte. Sie ging mit sich zu Rate, was sie thun sollte, während der junge Mann dem Knaben sehr besorgt den Hut entriß, dem das Ballspiel augenscheinlich gar nicht zuträglich war.

»Machen Sie sich keine Sorge, betreffs des Försters,« sagte sie endlich mit einer mitleidigen Protektorstimme, »ich werde mit dem alten Manne reden und —« sie zerbrach sich den Kopf, wie sie am besten zu verstehen geben könne, daß sie beabsichtige, ihm eine kleine Unterstützung zu gewähren. Während sie noch einige unbeholfene Worte stammelte, aus denen man mit Aufwand einigen Scharfsinns ihre edle Absicht vielleicht heraushören konnte, fiel ihr der Maler in die Rede.

»Ich fürchte den alten Förster nicht,« sagte er barsch, »wir stehen auf ganz gutem Fuß. Ich bin sein Sohn.«

Nun war es mit Isabellaʼs Fassung zu Ende. »O, ich bitte, ich bitte,« stammelte sie entschuldigend, entfernte mit hastiger Hand ein Schlinggewächs, das sich an die Spitzen ihres Kleides geklammert, warf einen fast furchtsamen Blick auf den Maler und schritt an die Chaise heran. Am liebsten hätte sie jetzt ihrer Verwirrung durch Thränen Luft gemacht; sie wußte gar nicht, wie ihr war, ärgerte sie sich eigentlich oder schämte sie sich? Doch warum sollte sie sich ärgern oder schämen; Frau von Pork schnarchte so überaus komisch im Wagen und sie beschloß, sich einen Scherz zu bereiten. Sie wollte dem Kutscher etwas zurufen, die Stimme versagte ihr. Wie verwundert der Lakai von dem Kutschersitze auf sie herabsah, das respektvoll-neugierige Gesicht des Menschen war wirklich unerträglich. Nun suchte sie langsam wie im Halbschlaf einen Strohhalm; als sie einen gefunden, trat sie dicht an die schlafende Frau von Pork heran; es war ein Lächeln, das nun über ihr brennendes Gesicht huschte, wie sie es noch nie gelächelt, ein verdrossenes, mißmuthiges Lächeln, und als sie nun der schlafenden Dame mit dem Strohhalm leise über die Nase fuhr, die dem ehrwürdigen Gesicht eine anʼs burleske streifende Majestät gab, hätte sie sich selbst ohrfeigen mögen, so kindisch kam ihr der triviale Spaß auf einmal vor. Freilich als nun die Gesellschafterin so heftig nieste, daß ihr alterthümlicher Kopfputz in Konvulsionen zu verfallen begann und als sie, die Augen aufschlagend, mit einer unheilvoraussehenden Miene, die Versicherung aussprach, der große Koffer, der das Meißener Kaffeeservice enthielt, sei heruntergefallen, nahm das Lächeln auf Isabellaʼs Zügen mehr und mehr seine natürliche Form an. Nachdem die alte Dame sich davon überzeugt hatte, daß der große Koffer noch seinen Platz auf dem Dach der Kutsche inne hatte, begann sie allerlei mysteriöse Befürchtungen zu hegen, sie habe ihren Sonnenschirm, ihr Schnupftuch, ihr Kopfkissen, ihre Handschuhe, ihr Portemonaie und noch einige andere Gegenstände verloren, welche Ansicht sie mit der größten Hartnäckigkeit nicht eher preisgab, als bis man sie von dem Gegenteil überzeugt. Schließlich fehlte allerdings der Sonnenschirm, welchen zu suchen der Lakai sogleich ausgesandt ward. Dann machte sich das Herz der Dame in verschiedenen Anklagen Luft. Warum man sie denn habe einschlafen lassen, sobald sie ein Auge zuthue, passiere ein Unglück, man solle doch nie mehr (wie sie es heute gethan) sein Geschick preisen, ohne das Wort: »unberufen« dazuzufügen. Und warum habe Isabella, da sie ausgestiegen, nicht ihren Mantel angezogen, die Luft fange an kühl zu werden und wie sie etwa ein Fieber ihrer Schutzbefohlenen vor Gott und dem Grafen verantworten solle. Isabella behandelte Frau von Porks Sonderbarkeiten mit der größten Geduld und hatte nur ein nachsichtiges Lächeln für dieselben. Was diese Frau für das früh verwaiste Kind gethan hatte, würde die Weltgeschichte längst aufgezeichnet haben, wenn diese hohe Schriftstellerin es nicht vorzöge, die Grausamkeiten eines Tiberius lieber als die Fürsorglichkeit einer armen Erzieherin zu schildern. Rasch entschloß sich Frau von Pork trotz dem ihr unbegreiflichen Widerstreben Isabellaʼs den Wagen, so lange nach dem Schirme gesucht wurde, zu verlassen. Nun verband diese starkknochige Frau mit der Trockenheit und Nüchternheit ihrer Lebensanschauung ein ganz klein wenig Schwärmerei und als sie am Arm ihres Kindes unter den Ästen breitstämmiger Eichen dahinwandelte, konnte sie nicht umhin, einige französische Verse zu recitiren, unterbrach jedoch z. B. Kloppstocks Ode: »Schön ist Mutter Natur Deiner Erfindung Pracht,« mit der trockenen Frage, wie sich das Milchgeschäft der gräflichen Meierei wohl in diesem Jahr rentieren würde. Sodann freute sie sich über ihre Zimmerblumen, die in diesem Jahre herrlich zu gedeihen versprachen und mit welchen sie sich von jeher die liebevollste Mühe gegeben. Sie warf hierauf, wie sie es schon oft gethan, Isabella ihre Gleichgültigkeit diesen schönen Pflanzen gegenüber vor, es sei doch so befriedigend, dieselben wachsen zu sehen, sie zu waschen, zu pflegen. Isabella erwiderte nichts, doch als man sich dem Standorte des Malers näherte, ward sie sichtlich unruhig und ersuchte ihre Begleiterin, die lebhaftes Interesse an dem Kunstwerk zu nehmen schien, dasselbe lieber ungesehen zu lassen, hier führe ja ein schöner Weg abseits an dem Maler vorüber. Frau von Pork sah gar nicht ein, warum sie an dem Maler vorübergehen sollte; sie drückte ihr Erstaunen über die Teilnahmlosigkeit ihrer Pflegetochter aus, die doch selbst zuweilen den Pinsel führe, und schritt mit gutmüthigem Lächeln auf dem ehrwürdigen Gesicht dem Maler entgegen. Es lag ein Trieb in dieser Frau, jedem Menschen etwas Angenehmes zu sagen, sich stets ein Ideal von allen noch unbekannten Menschen zu bilden, und wenn sie dadurch zuweilen auch zudringlich erschien, oder diese Sucht das Leben zu idealisieren einen Hauch von Affektation erhielt, so verzieh man ihr das gern, denn sie verband mit allen ihren Handlungen eine Naivität, von der man hätte sagen können, sie wandle diese sechzigjährige Matrone in ein achtzehnjähriges Mädchen um. So sprach sie denn auch sofort den Maler mit einer Freundlichkeit an, die denselben nötigte, mit derselben Freundlichkeit zu antworten. Isabella aber hielt sich im Hintergrunde auf, wagte sich nicht herbei, hörte jedoch, indem sie that, als pflücke sie Blumen, den größten Theil der Unterhaltung mit an. Der alten Frau gegenüber benahm sich der Künstler auffallend ernst, sein Lächeln glich eher einer andern Art von Schmerzausbruch und Isabella hörte mit Erstaunen, daß er, als die gutmütige Frau sein Bild loben wollte, sich mit sehr entschiedener Betonung einen Stümper nannte. Frau von Porks Augen leuchteten, sie sah sogleich ein Ideal von Bescheidenheit in dem jungen Manne und ihr menschenfreundliches Herz legte ihr die schönsten Worte des Trostes auf die Zunge, die indeß der Maler mit Kopfschütteln begleitete.

»Ich spreche mich Ihnen gegenüber offener aus,« sagte er, »weil Sie eine ältere Frau sind, weil ich sehe, daß Sie mir mit nicht gewöhnlicher Herzlichkeit entgegengekommen. Ich wollte, ich könnte die ganze Malerei an den Nagel hängen, so sehr ich sie liebe. Was ich kann, können Hunderte auch. Architekt hätte ich werden sollen, doch dazu istʼs nun zu spät. Wir müssen weiter pinseln.«

Frau von Pork erfuhr nun, daß sie den Sohn des gräflichen Försters Enger vor sich habe, was sie sehr erfreute.

»Wie?« sagte sie, »so sind Sie mir ja gar nicht fremd? Habe ich doch, als Sie ein kleiner Knabe waren, das Vergnügen gehabt, Sie, der Sie in den Mühlbach gefallen, mit einem neuen Kleide zu versehen. O, welchʼ ergötzliche Scene das war, und welchen Schrecken die Gräfin damals hatte.«

Auch Eduard erinnerte sich jener Scene.

»Ja,« sagte er lachend, »mir blieben von diesem Vorfall einige dunkle Spuren im Gedächtnis, vornehmlich die Schläge, die mir mein Vater dabei applicirte vermochte kein Lethe vergessen zu machen.«

»Wie groß und stattlich Sie geworden sind,« fuhr die Dame fort, »d. h. eigentlich mehr schlank, denn den zarten Knaben von damals erkennt man noch in Ihnen wieder. Sehen Sie dort? Das ist Isabella, die Tochter des Grafen. Sie haben der Familie manches zu verdanken, ich hoffe, Sie zeigen sich dadurch erkenntlich, daß Sie uns bisweilen durch Ihren Besuch, Ihre Unterhaltung in dieser Einsamkeit von Ibstein eine vergnügte Stunde bereiten. Besuchen Sie uns zuweilen,« setzte sie hinzu, »die Sammlungen des Schlosses stehen Ihnen zu Diensten, sie enthalten manches, was Sie vielleicht bei Ihrer Arbeit benutzen können.«

Den Maler interessirte hauptsächlich ein altes Ölgemälde, das die Grabkapelle des Schlosses barg, das Werk eines altdeutschen Meisters; er bat um die Erlaubnis, es sich nochmals ansehen zu dürfen. Gern ward ihm diese Erlaubnis zu teil, und da Frau von Pork den Knaben gewahrte, rief sie ihn herbei und schenkte dem verlegen Dreinschauenden eine Tafel Chokolade, die sie für unvorhergesehene Fälle auf die Reise mitgenommen. Erst auf die Aufforderung des Malers hin dankte der Knabe unbehülflich genug.

»Ist dies Ihr Bruder?« frug die Gesellschafterin.

»Nein,« entgegnete der Künstler, »er ist der Sohn eines mir befreundet gewesenen Malers. Sein Vater starb, ich nahm das Kind zu mir.«

Eduard Enger hatte mit so einfacher Betonung gesprochen, daß Frau von Pork, dieser That des Edelmuts nicht einmal mit Worten Beifall zu zollen wagte. Sie schwieg gerührt und betrachtete mit Teilnahme den jungen Menschen, der, nachdem er dem Knaben einen Augenblick die Hand auf das Haupt gelegt, ruhig weiter malte.

Als Frau von Pork wieder mit der schweigsamen Isabella zusammentraf, wußte sie viel von der breiten Stirn, dem offenen Blick, dem bescheidenen Benehmen des jungen Mannes zu berichten und als sie bereits auf ganz andere Gesprächsgegenstände gekommen war, unterbrach sie sich manchmal mit den Worten, der junge Mann thäte ihr leid, ob sich sein Los nicht vielleicht verbessern ließe.

»Kennst Du ihn denn nicht mehr,« frug sie dann das Mädchen, »er ist ja der Sohn des Försters, der kleine Junge, der Dich, als Du, 7 Jahre alt, Schloß Ibstein besuchtest, über den Mühlbach tragen wollte?«

Die Gräfin schüttelte den Kopf, obgleich sie sich jener Scene wieder dunkel zu erinnern begann. »Du mußt es doch noch wissen,« fuhr die alte Dame fast ärgerlich fort, »erinnere Dich doch! Mama stand in der Nähe der Mühle; Du wolltest ihr in die Arme eilen, doch der reißende Bach trennte euch. Als dies der kleine Eduard gewahrte, lief er herzu, Dir die Hand zu bieten. Erinnerst Du Dich jetzt? Der Kleine stand auf einem Stein mitten im Wasser, als er Dich fassen wollte, schlug der Stein um, Du und er, ihr lagt beide im Bache, ehe man zu Hilfe eilen konnte.«

»Mag sein,« entgegnete Isabella trocken.

»Schade, daß er ein Jude ist,« meinte sie dann. Erst bei dieser Bemerkung erwachte Isabella aus ihrem Hinbrüten und sagte, unwillig lachend: »Zerstöre mir doch meine Illusionen nicht. Ein Jude, das wäre ja abscheulich.«

»Soviel ich mich erinnere, stammt er mütterlicherseits aus jüdischer Familie,« entgegnete Frau von Pork.

»Das werde ich nie glauben,« sagte Isabella fast heftig. Man hatte den Wagen erreicht und während man nun dem Schlosse entgegenfuhr, setzte Frau von Pork dem ungläubigen, aber dennoch neugierigfragenden Mädchen die Familienverhältnisse des Förstersohns auseinander, die sie ziemlich genau kannte, da der alte Förster ungefähr um dieselbe Zeit in den Dienst des Grafen eingetreten war, wie sie selbst. »Eigentlich solle man solche Geschichten nicht erzählen,« meinte Frau von Pork, doch konnte sie ihrem Mitteilungsdrange nicht länger widerstehen und so berichtete sie denn, was ihr der Förster selbst einst ausführlich erzählt hatte, nachdem sie dem sonst schweigsamen Mann durch ihren menschenfreundlichen Zuspruch das Herz weichgemacht. Förster Enger hatte einen verkommenen Juden, den er mehrmals bei Wilddiebereien ertappt, ernstlich gewarnt. Da dies nichts fruchtete, der verwegene Mensch nur immer verwegener wurde, betrat der Förster eines Abends die Wohnung des Juden, eine ärmliche, am Ende des Dorfes gelegene Hütte. Draußen lag der Schnee, durch die Fenster pfiff der Nordsturm; der junge Mann schauerte zusammen, als er die düstre Kammer betrat, aus deren finsterstem Winkel eine schwache Stimme frug wer hier sei! Die untergehende Sonne gab jetzt mit ihrem letzten Strahl, der durch die papierverklebten Scheiben glomm, jenem Winkel eine graue Helle. Dort kauerte, die Hände unter der Schürze verborgen, ein junges Mädchen, das, als sie den Förster erblickte, ihre halberstarrten Glieder erhob und mit zitternder, frostblauer Lippe noch einmal frug, was man hier suche. Der junge Mann drängte das Mitleid gewaltsam zurück, das ihn ergreifen wollte und frug barsch, ob sie die Tochter des Ephraim sei. Wie im Halbschlafe, mit geschlossenen Augenlidern, nickte das Mädchen vor sich hin, die zitternden Arme fest um den Leib gepreßt.

»Nehmt Euch in acht,« fuhr der Förster fort und gab nun in drohendem Tone zu verstehen, daß er, wenn er den Ephraim noch ein einziges Mal im Walde ertappe, kein Erbarmen mehr haben dürfe. Die Jüdin hob langsam ihre Augenlider und flüsterte, sie habe den Vater schon mehrmals gewarnt.

»Nun,« sagte Enger mit möglichst heiterer Stimme, »wenn ich an Deinem Vater so handle, wie es mir das Gesetz vorschreibt, – rechnet Euch die Schuld bei, wenn es ein Unglück giebt. Du verstehst mich.«

Er drückte seinen Hut ins Gesicht und wollte gehen, doch als ihn der ängstlich fragende Blick des Mädchens streifte, glaubte er sich vielleicht nicht deutlich genug ausgedrückt zu haben, er blieb stehen, murmelte noch einmal eine Warnung hervor und ging hierauf in seltsamer Stimmung, ärgerlich darüber, daß er es für nöthig gefunden, den heruntergekommenen Menschen, dem man eine Wohlthat erzeigte, wenn man ihn möglichst bald aus der Welt beförderte, zu warnen. »Was nütztʼs,« kaute er zwischen den Zähnen, »ich habe mir nur die Hand unsicher gemacht.«

Wenige Tage später begegnete er richtig dem Ephraim im beschneiten Walde; er legte sein Gewehr an, ließ es jedoch wieder sinken: der andere aber im Glauben, er hätte die Absicht, zu schießen, sprang hinter einen Baumstamm und drückte ab. Des Försters Hund, den er an der Leine hielt, versetzte, indem er sich losreißen wollte, seinem Herrn einen Ruck; der Förster taumelte und der Wilddieb, wähnend, er habe seinen Feind verwundet, eilte aus seinem Versteck. Ohne sich zu besinnen, riß Enger das Gewehr an die Wange und gleich darauf lag der Jude stöhnend am Boden. Ephraim war nicht tötlich verwundet. Da man ihn am frühen Morgen in die Hütte seiner Tochter brachte, erhob diese ein kurzes Klagegeschrei, verstummte jedoch sogleich, als der Vater dem Förster zu fluchen begann. Ephraim mußte seine That mit einer langjährigen Gefängnisstrafe büßen, indeß seine Tochter auf die Mildthätigkeit ihrer Nachbarn angewiesen war. Eines Tages traf sie, da sie im Walde Holz las, mit dem Förster zusammen, der, als er sie gewahrte, sich rasch hinter einen Holzstoß zurückziehen wollte. Plötzlich kam er jedoch hastig auf die Dirne zugeschritten. Es war ein stürmischer Herbsttag, das Laub wirbelte am Boden, die Äste krachten, der Wind drang feuchtkalt durch die Kleider und das Mädchen stand mit nackten Füßen, wehendem Halstuche, in das sich ihre flatternden Haare verwickelt, vor dem starken Manne, dessen Auge scheu auf sie gerichtet war.

»Hast Du Nachricht vom Vater,« frug er mit sehr lauter Stimme, als müsse er den rauschenden Wald übertönen. Dabei hielt er sich mit der Hand den Hut, als ob er ihm fortzufliegen drohe.

»Ja,« sagte das Mädchen, nach einer anderen Richtung blickend.

»Nun?« frug der Förster, und man wußte nicht, ob er vor Frost zitterte oder ob nur sein Mantel im Winde flatterte.

»Er ist tot,« sagte das Mädchen ausdruckslos.

Der Förster that, als schlucke er einen im Halse festsitzenden Gegenstand hinunter, der Wind riß ihm nun wirklich den Hut vom Kopf, er stand da, als wolle er sich sogleich entfernen.

»Im Gefängnis gestorben?« frug er.

Die Dirne nickte, ihr Holz zusammenlesend. Der Mann im grünen Kleide sah ihr schweigend zu. Sie war schlank gebaut, ihr Gesicht hatte einen orientalischen Schnitt, und wie sie sich so niederbückte, fielen ihr etliche sturmverwehte Blätter auf den feingebauten Hals, in den weißen Rücken hinab. Nun richtete sie sich auf und wollte gehen.

»Fluchst Du dem, der Schuld an Deinem Elend trägt?« flüsterte der Mann wie verloren vor sich hin, den Blick an den Boden geheftet. Sie sah ihn mit großen, ahnungslosen Augen an, dann, als er nach einiger Zeit zu ihr aufblickte, schüttelte sie den Kopf, und die großen, regungslosen Augen füllten sich mit Thränen. Einen neuen Anlauf nahm der Sturm gegen die ächzenden Waldriesen, es begann zu regnen, ein kalter, nasser Schauer rauschte herab und der Jäger sah, wie das Mädchen sein Tuch fester um den fröstelnden Hals schlang.

»Du hattest ihn gewarnt,« sagte sie und wollte gehen.

»Gehe nicht,« bat er mit milderer Stimme, »folge mir. Willst Du?« Er reckte die Hand aus; die sie nicht erfaßte, aber sie nickte träumerisch vor sich hin, faßte ihr Holzbündel fester und folgte ihm.

So weit hatte Frau von Pork die Familienchronik des gräflichen Försters erzählt, als sich der Wagen dem Schlosse näherte, wodurch die Aufmerksamkeit der Frau von Pork sehr durch den sie erwartenden Inspektor in Anspruch genommen wurde, welcher bereits lächelnd am Portale stand. Isabellas Neugierde war jedoch so heftig erregt, daß sie verlangte, nun in Kürze noch den Schluß der Erzählung zu hören und Frau von Pork in ihren Gedanken schon mit der Auspackung des Kaffeeservices, der Einrichtung mehrerer Gemächer, der Auswahl der Schlaf- und Wohnzimmer beschäftigt, berichtete, sich selbst oft unterbrechend, daß die Jüdin ein Jahr im Hause des Försters als Magd gedient habe und zwar mit solcher Gewissenhaftigkeit, daß der Förster nicht anstand, ihr nach Ablauf dieses Jahres die Hand vor dem Altare zu reichen, trotz aller Schwierigkeiten, die ein solches Verhältnis zwischen Christ und Jüdin dem ehrlichen Manne bereitet habe. Der Wagen fuhr bereits in die Thorhalle ein, als Isabella noch etliche Fragen in Bezug auf den Sohn des Försters zu stellen wagte, Frau von Pork jedoch erteilte, diese Fragen überhörend, ganz in ihre Pflichten vertieft, den Dienern bereits Aufträge. Erst am folgenden Tag erfuhr Isabella, daß Eduard, der Sohn des Försters, bis zu seinem 13. Jahre als Christ erzogen worden sei; als jedoch in Ungarn und anderen Orten Judenverfolgungen ausbrachen, empörte dies den Mann dergestalt, daß er, von seinem ersten Entschluß zurückkommend, den Christen zum Trotz, den Sohn in die jüdische Schule schickte, ihn vollständig israelitisch erziehen ließ. Frau von Pork tadelte diese Starrköpfigkeit des Försters sehr. Isabella jedoch meinte, gerade dieser Charakterzug gefiele ihr an dem Alten ausnehmend, übrigens könne man nicht wissen, ob Eduard in der That ein Jude sei, ob er nicht in späteren Jahren aus freien Stücken wieder den alten, christlichen Glauben angenommen.

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Seelenrätsel

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