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II

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Das Residenzschloß des Grafen Ibstein lag unweit des gräflichen Landstädtchens Ibstein, dicht am sogen. Ibsteiner See. Zuweilen ward das große im 15. Jahrhundert erneuerte und im Jahre 1685 nochmals umgebaute Renaissanceschloß von einigen Fremden seiner Rüstkammer halber besucht; auch ein Museum, eine Hirschgallerie, eine Grabkapelle und ein Rittersaal bildeten zuweilen Anziehungspunkte für Vorüberreisende. Rechts und links vor dem Portal stand je ein eiserner Hirsch; prächtige Eichen umrauschten seine reichornamentirten, rötlichen Facaden, und der wohlgepflegte Garten, der sich rings um seine altersgrauen Türme hinzog, verlor sich nach beiden Seiten in den wildromantischen Park, während er nach der nördlichen Seite eine Terrasse bildete, die senkrecht aus dem See emporstieg. Man bewahrte außer verschiedenen griechischen Altertümern, die der verstorbene Graf Leopold aus Italien, man darf wohl sagen entwendet hatte, den Sarg einer deutschen Kaiserin in der Grabkapelle auf. Das Museum, dessen Schätze ebenfalls dem Kunstsinn und dem Aneignungstalente des Grafen Leopold ihre Aufspeicherung verdankten, enthielt nebst einer ägyptischen Mumie, deren Byssusbinden eine neugierige Hand teilweise entfernt hatte, das Schweißtuch des Grafen August und den hohlen Zahn der Gräfin Leontine, welchen ihr, wie das Gerücht geht, einer ihrer Kavaliere nächtlicher Weile auf eine rätselhafte Weise ausgezogen haben soll. Eine prächtige Urne bewahrte die Nasenspitze des jungen Grafen Ulrich, die derselbe im Duell mit dem General X . . . . verloren hatte. In der Hirschgallerie war selbstverständlich das ganze Mobiliar aus Hirschgeweihen verfertigt, das hierdurch völlig unbrauchbar, ja geradezu häßlich wurde; der Kronleuchter z. B. bestand aus einem Zweiunddreißig-Ender, den der regierende Fürst erlegt hatte, nachdem sein ihn begleitender Förster mit ihm zugleich geschossen. Es war bereits gegen fünf Uhr abends, als Isabella, nachdem sie sich umgekleidet, durch die verschiedenen Gemächer des Schlosses eilte, getrieben von der Neugier, die Orte, an welchen sie ihre Jugend verlebt, wiederzusehen. Nichts schien sich hier verändert zu haben während ihrer Abwesenheit; den alten Möbeln, den Sammlungen, den langen, nachhallenden Korridoren waren hundert Jahre wie ein Tag. Wie ihr der kühle Hauch der lang verschlossenen Räume die Stirne streifte, war es Isabella, als empfinge sie den Kuß einer Fee, so plötzlich sah sich ihr Geist in verklungene Zeiten entrückt, mit so seltsam, verblaßten Bildern füllte sich die schwere, modrige Luft um sie her an. Und doch fühlte sie sich nicht glücklich, wenn sie das Vergangene mit der Gegenwart verglich. Etwas, das sie auf der Reise vergessen hatte, Gedanken, Befürchtungen, die sie in der Residenz bereits gequält, traten nun an diesem Orte der Ruhe, der Erholung wieder vor sie hin. Wirklich? Hier sollte es sich friedlich leben lassen? Mit dieser Aussicht in die Zukunft? Sie öffnete rasch den Laden, um das beklemmende Gefühl, das sie beschleichen wollte, durch das noch immer kräftige Licht des scheidenden Tages zu verscheuchen und stand dann sinnend am Fenster, den stillen Spiegel des Sees in seinen waldigen Ufern betrachtend, während vom Hofe herüber die Stimmen der Diener ertönten, die unter Anleitung der Frau von Pork die Koffer behutsam die Treppe hinauftrugen. Die alten Rokokomöbel schienen vergnügt den frischen Windhauch einzuatmen, der jetzt die Tapeten leise streifte, die Vorhänge rauschen ließ. Das lang entbehrte Licht fiel auf die vergoldeten Tapeten, die leise knisternd alte Märchen von Festen oder Jagden zu erzählen schienen. Das sonst so heitre Mädchen lehnte das Haupt an das reichverzierte Fenstersims und zog die Brauen finster zusammen, was ihrem Gesichtchen einen knabenhaft trotzigen Ausdruck verlieh. Manchmal verriet eine zuckende Bewegung ihrer Hand, das verächtliche Kräuseln ihrer Lippen, daß sie unwillig über jene ernste Angelegenheit nachgrübelte, bis sie endlich mit raschem Entschluß das Fenster schloß. Sie wollte sich gewaltsam zerstreuen, dies kündigte ihr unstäter Blick an, der nach einem einer längeren Betrachtung würdigen Gegenstand suchte, das verkündigte die Unsicherheit ihres Schrittes, der den Widerhall der dunklen Corridore wachrief. Endlich nach langem Wandern war sie, ohne es zu wollen, vor der unterirdischen Grabkapelle, die im linken Flügel des Schlosses lag, ihr Licht von einem dicht am Erdboden befindlichen Fenster empfangend, angekommen. Ein Druck öffnete die eisenbeschlagene Thüre: sie war überrascht, sich hier zu sehen. Die Feierlichkeit des Ortes, sein gedämpftes, graues Licht, der altertümliche Altar mit dem bald undeutlichen Ölgemälde darüber, die schweren, goldenen Leuchter, diese ganze abgestorbene Pracht wirkte wohl auf ihr ästhetisches, nicht auf ihr religiöses Gefühl. Links an der Wand stand der verwitterte Steinsarg der deutschen Kaiserin, einem großen Troge ähnlich. Das Mädchen betrachtete ihn mit der Empfindung, als sei dieser Sarg für sie bestimmt. Sie verfiel einen Augenblick hindurch in eine seltsame Geistesabwesenheit. Wie groß mein Sarg ist, dachte sie, bin ich denn von solcher Länge, solcher Breite? Und warum fehlen die Kissen? Sie trat näher heran und befühlte das kalte, ausgezackte Gestein. Wir wollen uns ein feierliches Begräbnis versinnbildlichen, sagte sie zu sich. Dann bedauerte sie, daß sie kein Feuerzeug zur Hand hatte, um die beiden thränenden Wachskerzen auf dem Altare anzuzünden, und fühlte auf einmal den unwiderstehlichen Drang, sich in den Sarg der Kaiserin zu legen. Sie faßte ihr Kleid, stieg über den Rand des Steines, konnte sich aber einer ans Gruseln streifenden Heiterkeit nicht erwehren, als durch die gemalten Fenster ein roter Strahl der untergehenden Sonne über die Goldleuchter des Altars glitt, um den mageren Christus des alten Gemäldes mit Blut zu übergießen. So, halb sitzend, halb liegend, wartete sie fröstelnd, bis der Purpur des Abends die graue Steinwand der Kapelle verlassen; kaum sichtbar mehr wurde das Ölbild; wie zwei unheimliche Augen blinkten die Goldleuchter aus der Nacht herüber. Wie stille es ringsum war! Wollten sie vielleicht die Geister Derjenigen besuchen, die sich über diesem Altare einst die Hand gereicht. Das Mädchen überließ sich mit schaudernder Wonne allerlei Fantasieen und belebte sich auf diese Art die Einsamkeit dieses Raums. »Hier unten müßte an heißen Sommertagen, Lenauʼs Gedichte in der Hand, gut weilen sein,« lachte sie auf, daß es dumpf von der Decke zurückdröhnte, als hätten unsichtbare Geister nur auf dieses Signal gewartet, um ihrem Hohngelächter den Lauf zu lassen. Erschrocken sprang sie empor und eilte, sich ihrer Beklemmung schämend, aus der Kapelle. Kaum hatte sie die Thüre geschlossen, als sie stehen blieb, dann, gleichsam um sich zu strafen, dieselbe Thüre noch einmal öffnete, langsam, den Blick starr auf den abschreckend häßlichen Christus des Gemäldes gerichtet, an den Sarg herantrat, sich einen Augenblick auf dessen Einfassung niederließ und ebenso langsam, wie um ihre Seelenkraft zu prüfen, wieder aus der Kapelle hinausschritt. Warum sich fürchten, dachte sie bei sich, man muß seine Fantasie bändigen und dabei fühlte sie das behagliche Schaudern, das sie schon in frühester Jugend sich gerne zu erwecken suchte. Als Kind besaß sie ein Märchenbuch, vor dessen einer Seite, die eine gemalte Kröte zeigte, sie sich von jeher gefürchtet. Jetzt erinnerte sie sich wieder an jenes Bild und dachte mit Lächeln an die Angst, mit der sie damals die Blätter umwendete, bis das gefürchtete Krötenportrait auftauchte. Alsdann hatte sie das Buch schreiend zu Boden fallen lassen und war schutzsuchend an die Brust Frau von Porkʼs geflüchtet. Dies Spiel hatte sie jeden Tag getrieben, bis man ihr das Buch wegnahm. Und jetzt suchte sie mit ähnlicher kindischer Abenteurerlust das Angsteinflößende auf. So weilte sie bis zum Abend allein in dem einsamsten Teile des weitläufigen Gebäudes, ließ sich dann durch den Diener bei Frau von Pork entschuldigen und eilte auf ihr Zimmer, das die Fürsorge der Gesellschafterin bereits wohnlich hergerichtet hatte. Wie müde sie sich fühlte, wie wohlthuend die Dunkelheit des Gemaches sie umfing. Sie legte sich angekleidet auf das Bett und ließ den Nachtwind, der einen feuchten Waldgeruch in das Zimmer brachte, mit ihren Haaren spielen. Sonderbar, dieser Waldgeruch weckte plötzlich ihre Erinnerung an jenen Maler, den Sohn des Försters Enger. Sie lächelte, ärgerte sich über ein Erröten, das sie wie einen brennenden Hauch über die Stirne ziehen fühlte und fragte sich selbst, ob sie etwa vor den Wänden ihres Zimmers in Verlegenheit zu kommen nötig habe, oder was denn dies Erröten bedeuten solle. Nun! er möge nur zusehen, der stolze Mensch, sie werde ihm die Kränkung zurückgeben, meinte sie, unwillkürlich mit dem Kopfe nickend. Auf welche Art man ihn wohl am besten in Verlegenheit setzen könnte, denn gedemütigt mußte er werden. Freilich war es rachsüchtig, sie fühlte es und schämte sich dieses unweiblichen Zugs. Was hatte sie vor ihm voraus? Daß sein Vater der Untergebene ihres Vaters war, sollte sie das nicht eher zum Mitleid bewegen? Und schien er nicht unglücklich zu sein? Vielleicht waren seine Antworten nur die Ausflüsse einer tief gereizten, unglücklichen Seele. Vielleicht waren diese Leute sehr arm. Arm sein! Isabella hatte nur sehr unvollkommene Vorstellungen von diesem Zustand. Jeden, von dem sie hörte, er sei arm, bemitleidete sie, mehrmals schon hatte ihr der Anblick eines Bettlers für einen ganzen Tag die Lebensfreude geraubt. Nicht nur, daß sie in solchen Fällen gern Alles hingab, sondern sie machte sich dann meist Vorwürfe über ihren Reichtum, verachtete ihr Wohlleben und umgab das Leben des Bedürftigen mit einer Glorie. Als nun die Dienerin Licht in das Zimmer brachte, erhob sich die Gräfin, um sich beim Auskleiden Hülfe leisten zu lassen. Sie sei müde, möge man Frau von Pork sagen, sei deshalb früher zu Bette gegangen. Ob sie nicht den Thee wünsche, frug die Zofe. Nein, sie wünsche nicht zu Abend zu speisen. Als die Zofe den jugendlichen Körper von den engen Kleidungsstücken befreite, fiel der Blick Isabellaʼs auf ihren eignen, einen Moment hindurch entblößten Arm. Wunderlicherweise mußte sie, was ihr noch niemals begegnet war, über diesen Anblick erröten. Ja, es fuhr ihr plötzlich der Einfall durch den Kopf: Du hast doch schöne Arme. Welche Thorheit! Emma, die Zofe, konnte sich anfangs nicht erklären, warum ihre Herrin heute mit so auffallender Hast in das Nachtkleid schlüpfte, sagte jedoch mit jener instinktiven Dienerschlauheit, die jede kleine Schwäche der Herrin zu ihrem Vorteil zu benutzen weiß:

»Gnädiges Fräulein sehen heute reizend aus in dem Nachtkleid.«

»Dummes Ding,« erwiderte die Gräfin, »lösche die Lampe und gehe.« Emma hing die Kleider vorsichtig in den Schrank, stieß ein entschuldigendes: »Oh!« heraus und that, wie ihr geheißen wurde. Isabella drückte ihre Wange in die Kissen und sah nach dem Fenster, das sie im Sommer des Nachts nie zu schließen gewohnt war. Wie behaglich sich vom Bette aus der kühl über die Waldung heraufdämmernde Mond beschauen ließ, wie angenehm es war, in weichen Kissen zu versinken, während der frische Nachthauch die Schläfen streifte, als wolle der Geist der Nacht uns seine Traumgestalten senden. Es dauerte nicht allzulang, so schloß Isabella die Augen, um sich dem erfrischenden Lufthauch hinzugeben. Schon fühlte sie den süßen Schauer eines erquickenden Schlummers auf sich niederschweben, als sie noch einmal die Augen öffnete, von dem heftigeren Rauschen des Vorhangs aufgeschreckt. Sie gehörte zu den Menschen, die überhaupt schwerer einschlafen. Als nun ein bleicher, vom Monde ausgehender Lichtschimmer durch den schweren Vorhang zitterte, um den altertümlichen Marmorkamin in Glanz zu baden, fiel dem Mädchen auf, daß sich von der leuchtenden Scheibe des Spiegels der dunkle Rahmen eines Bildes abhob. Sie glaubte zu träumen, schloß zum zweiten Mal die Augen und ward plötzlich von jenem seltsamen Schrecken durchzittert, der leicht erregbare Personen vor dem Augenblick des Einschlafens zu überfallen pflegt. »Und er ist es doch,« hauchte sie vor sich hin. Rasch machte sie Licht und schaute düster in die bläuliche Flamme, die ihren Schein bis zu jenem Bilde auf dem Kamin hinübersendete. »Ich will wetten, er istʼs,« fügte sie leise hinzu, schwieg dann wieder und sagte dann fast laut: »Das hat mir Frau von Pork gethan.« Nach der auf dem Kaminsims stehenden Photographie hinüberschielend, saß sie einige Zeit in Brüten verloren, lächelte dann ein bitteres, herbes Lächeln und stahl sich, den Bronzeleuchter ergreifend, aus dem Bette, vor den Kamin. Der weiche Teppich schützte ihre Fußsohlen vor Kälte, aber kühl, gleichsam neugierig spielte der Hauch der Herbstnacht mit ihrer dünnen Bekleidung. So stand die feine, nervöse Gestalt fröstelnd vor dem Spiegel des Kamins, die flackernde Kerze warf unruhige, blaue Lichter über jene Photographie, aber das Auge des Mädchens ruhte sehr fest auf dem männlichen Kopf, der aus dem reichen Ebenholzrahmen herauslächelte. Es war kein übler Kopf, jedoch entstellte ihn ein Zug von Affektirtheit, der sich besonders über den vornehm zusammengepreßten Mund ausdehnte. Isabella hatte ihn sogleich erkannt; es waren die blasirten Züge des Herrn von Brunau, des Generalintendanten der herzoglichen Schauspiele, deren getreue photographische Wiedergabe Frau von Pork, im Glauben, einen überaus klugen Streich auszuführen, heimlicherweise auf das Kamingesims hatte stellen lassen. Es waren die Züge eines Mannes, den der alte Graf Ibstein gern als den Gatten seiner Tochter begrüßt hätte, eines Mannes, der sich die größte Mühe gegeben, Isabellaʼs Herz zu gewinnen, dem dies jedoch bis zu diesem Augenblick noch nicht gelungen war. Isabella, eine große Freundin des Schauspiels, hatte sich zuweilen ganz gern mit dem Intendanten unterhalten, seine Theateranekdoten ergötzten sie, seine Bonmots schienen anfänglich neu, bald jedoch kam sie dahinter, wie kläglich es um die litterarische, ja, die allgemeine Bildung dieses Intendanten bestellt war. Herr von Brunau, der es in der Armee bis zum Lieutenant gebracht, zeichnete sich als solcher einst in einem Lustspiel, das die hohe Aristokratie zu Ehren Se. Hoheit aufführte, als flotter, d. h. ungenierter Schauspieler aus; die höhere Gesellschaft war von dem Dilettanten entzückt, was sonst noch mitwirkte, das Entzücken des kunstsinnigen, hohen Publikums zu erregen, als Adel der Geburt, schöne Gestalt, Schnurrbart u. s. w. lassen wir dahingestellt. Als nun der alte Intendant der herzoglichen Schauspiele starb, erzählte man sich, der jagdliebende Herzog habe lachend das Dokument unterschrieben, welches den Herrn von Brunau zum Nachfolger des Verstorbenen machte. Herr von Brunau konnte diese einträgliche Stelle brauchen; seine Jagden, seine Liebesabenteuer hatten seine Geldmittel bereits völlig erschöpft; der Herzog mochte wohl einsehen, daß man einem so eifrigen Jagdliebhaber, einem so flotten Gesellschafter ein wenig unter die Arme greifen mußte. Isabella betrachtete noch einmal die vornehm rohen Züge dieses Mannes, der sie durch seine beharrliche Werbung so weit gebracht hatte, daß sie gezwungen gewesen, ihrem Vater gegenüber heftig abweisende Worte zu gebrauchen. Der gute, schwache Vater, er war Wachs in der Hand des Intendanten, die Günstlingsstellung, die der Intendant infolge einer gewissen Schauspielerin am Hofe einnahm, hatte den alten Vater, dem Hofgunst Alles galt, bestochen.

In Isabella erwachte, als sie dies Bild längere Zeit betrachtet und dasselbe mit dem gegenüber hängenden Portrait ihres Vaters verglichen hatte, ein wahrer Ingrimm gegen Denjenigen, der eine solche Macht auf das Herz ihres Vaters besaß, daß der schwache, alte Mann, der sich früher allen Launen seiner Tochter lächelnd gefügt, in diesem Falle sich unerbittlich, ja beinahe hart gezeigt hatte.

Sie wußte wohl, daß man auch von Oben herab die Verheiratung des Barons von Brunau mit der reichen Erbin von Ibstein wünschte, aber durfte das den Vater so sehr verblenden, daß er sich dem Willen seines Kindes entgegensetzte? Sie nahm das Bild des Barons und war im Begriff, es zornig bei Seite zu werfen, ließ es dann aber verächtlich lächelnd stehen und begab sich in ihr Bett zurück. Die Zofe Emma, die im Nebenzimmer schlief, war erwacht und hatte gerufen, ob man sie nötig habe. Isabella biß die Lippen zusammen und schwieg. Sie war ärgerlich darüber, daß das Mädchen gerufen, wäre aber ebenso ärgerlich gewesen, wenn sie nicht gerufen. Warum kommt sie nicht zu mir, dachte sie und würde, im Falle sich Emma im Schlafgemach gezeigt hätte, sie weggeschickt haben. Welcher Reiz liegt doch darin, bemitleidet zu werden, aber sie wollte nicht bemitleidet sein. Warum sie auch bemitleiden? War sie denn bemitleidenswert? Vergebens suchte ihr Geist den entfliehenden Schlaf herbeizuzwingen. Wie sie sich auch abmühen mochte, immer kehrten ihre Gedanken zu dem Bild zurück; ein unleidliches Herzklopfen verscheuchte jede Ruhe.

Vor Allem bedrückte sie ihr unkindliches Benehmen, das sie dem Vater beim Abschied gezeigt. Ja, sie war unkindlich gewesen, herb und trotzig war sie in den Wagen gestiegen, ohne dem alten Manne Lebewohl zu sagen. Sie fühlte sich jetzt so zu Thränen geneigt, könnte sie doch ihr Unrecht wieder gut machen, es war ihr, als solle sie den Vater nie wiedersehen. Warum es ihr nur heute so weich ums Herz war, sie mußte sich in der That mit dem Taschentuch über die Augen fahren und sie wußte gar nicht, warum sie so plötzlich wünschte, irgend Jemand sähe sie hier weinend liegen. Sie war auf dies Schloß geflohen, um den Bitten ihres Vaters, dem Andrängen Brunauʼs zu entgehen – jetzt verfolgten diese Beiden sie bis in ihr Schlafgemach. Sie hörte im Geiste das scharfklingende Gelächter des Barons, sie sah die kleinen vorsichtigen Schritte ihres Vaters, die auf dem Parket hinglitten. Schwer und träge zog die Nacht vorüber, die Uhr auf der Toilette kündigte mit dünner, zirpender Metallstimme an, wenn eine Stunde vorbei war; sonderbar hallte der Schall der größeren Wanduhr im unteren Teil des Schlosses durch die Corridore, als ob er die kleine Uhr im Zimmer zurechtweisen wollte; manchmal knackte es in den altersschwachen Möbeln, sonst finstre Stille. Allmählig kam sie in jenen Zustand der Ermattung, in welchem die quälenden Gedanken ihre nagende Kraft verlieren. Endlich schlief sie gegen Morgen ein, bis es ihr schien, als vernehme sie jenes aristokratische Räuspern, mit dem Papa immer nach drei Worten seine Sätze zu unterbrechen pflegte – hem! hm! schlug es an ihr Ohr, dann glaubte sie das höfliche, lachende Gesicht des Barons vor sich zu sehen, seine theatralische Art sich zu verbeugen; sie fuhr aus dem Schlafe empor. Wie lange hatte sie wohl geschlafen? Eine Stunde oder eine Minute? Wie müde sie noch war, wie schwer es auf ihren Augenlidern lag. Sie gähnte und starrte dem öden Grauen des Tags ins schläfrige Antlitz. Was sie für das Räuspern Papaʼs gehalten, war entferntes Hundegebell gewesen. Nochmals gähnend und mit schmerzendem Augenlid durch das offene Fenster blickend, gewahrte sie das rötliche Dach des gräflichen Forsthauses, wie es aus dem Blättermeere des Parks auftauchte, wie die schlanke, weiße Rauchsäule seines Schornsteins sich so graziös abhob von dem blauen Duft des dahinterliegenden Eichwalds. Von dort herüber erscholl das Hundegebell. Die scharfe, keusche Morgenluft wirkte seltsam berauschend auf ihr Nervensystem, es war ihr, als badete sie im reinsten Äther einer höheren Welt. Sie wußte nicht, warum sie lächeln mußte, reckte sich behaglich in den Polstern und schlief noch einmal ein.

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Seelenrätsel

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