Читать книгу Die Sprache des Traumes – Eine Darstellung der Symbolik und Deutung des Traumes – Teil 3 – bei Jürgen Ruszkowski - Wilhelm Stekel - Страница 8
Das Verbrechen im Traume
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Das Verbrechen im Traume
Ich fand oft ein Vergnügen daran, Mittel auszudenken,
wie ich diesen oder jenen Menschen ums Leben bringen
oder Feuer anlegen könnte, ohne, dass es bemerkt würde,
ob ich gleich nie den festen Entschluss gefasst habe,
so etwas zu tun. Noch auch nur die geringste Neigung
dazu in mir verspürt und bin sehr oft mit solchen
Gedanken eingeschlafen.“ Lichtenberg
Wir haben gesehen, wie verdrängte Todeswünsche durch die meisten Träume ziehen. Unsere Symbolik des Todes ist sicherlich lückenhaft. Sie ist nur ein bescheidener Anfang und soll zu weiterem Forschen anregen. Vom Wunsch bis zur Tat dehnt sich eine ungeheure Strecke. Allein wir haben auch Taten im Traume analysieren können. Wir legten verschiedene verbrecherische Pläne bloß: Brandstiftung, Mord und Vergiftung. Der Mensch scheint im Traume alle seine Urinstinkte auszutoben. Wie lange ist es her, da das, was heute Verbrechen ist, Notwehr und Kampf um das Dasein war? Sagte doch Seneca, der weise, milde Seneca: „Homo homini lupus.“ „Seltenere, wenn auch schwere Zufälle sind es, Schiffbruch zu leiden, mit dem Wagen umzuwerfen; von dem Menschen aber droht dem Menschen tägliche Gefahr. Ein Unwetter droht, ehe es heraufzieht; die Häuser krachen, ehe sie zusammenstürzen; der Rauch verkündet einen Brand voraus; aber plötzlich kommt das vom Menschen ausgehende Verderben und verbirgt sich umso sorgfältiger, je näher es herantritt. Du irrst, wenn du den Gesichtern derer traust, die dir begegnen. Sie haben die Gestalt von Menschen, aber die Seele von wilden Tieren. Nur dem Menschen macht es Freude, den Menschen zu verderben.“
Unsere Psychoanalysen können diese Ausführungen des berühmten Stoikers nur bestätigen. Schon bei den Träumen der Kinder habe ich auf die Wichtigkeit des Kriminellen im Menschen hingewiesen. Der Neurotiker bleibt aber ewig ein Kind. Die Neurose ist nur eine Form des „psychischen Infantilismus“. Deshalb muss das Kriminelle im Neurotiker eine überwertige Bedeutung annehmen. Der Neurotiker ist ein Verbrecher ohne den Mut zum Verbrechen. Er pendelt zwischen seinen Begierden, Trieben, Impulsen und den moralischen und religiösen Hemmungen hin und her. Seine Symptome sind die Folge eines schweren Schuldbewusstseins. Seine aus der Reaktion gegen das Böse entstandene „moralische Überempfindlichkeit“ (Bipolarität aller Erscheinungen!) lässt ihn dann vieles als Böse empfinden, das „jenseits von Gut und Böse“ liegt. Durch die „Angst“ wird dann ein Schutzwall um die kriminellen Triebe errichtet. (Sicherungstendenzen Adlers.) So erweist sich die Angst als derjenige soziale Faktor, der die Ordnung der bestehenden Einrichtungen garantiert, und wir werden den tiefsinnigen Ausspruch Lichtenbergs verstehen: „Ich möchte wissen, was geschehen würde, wenn man in London die zehn Gebote so lange aufhöbe, als es zwölf schlägt.“
Die ethischen Imperative beherrschen das Bewusstsein des Menschen. Im Unbewussten kommen sie in Form von Angst zum Vorschein. Sie ist ja, wie ich schon betont habe, die Angst vor sich selber...
Aus der großen Menge von Verbrecherträumen, die mir zur Verfügung stehen, will ich nur eine kleine Auswahl veröffentlichen. Sie mögen die Todessymbolik im Sinne des Überganges vom Wunsch, der „kriminellen Passivität“, zur Tat, der „kriminellen Aktivität“ (Aggression) ergänzen.
Ich beginne mit einem Traume des Herrn J. Z.:
(445) „Ich träume, dass das Gas ausgeströmt ist. Meine Frau und mein Sohn liegen bewusstlos, blass und blau, in ihren Betten. Ich erwache mit Schrecken und sehe nach, ob sie noch leben. Zu meiner Beruhigung atmen beide ruhig. Ich kann lange nicht einschlafen.“
Die Tragödie einer unglücklichen Ehe. Seine kriminellen Gedanken gehen dahin, Frau und Kind mit Leuchtgas zu vergiften. Kein Mensch soll das Verbrechen erfahren. Es soll nur ein unglücklicher Zufall sein. Er will frei sein, um sich sexuell auszuleben. Noch ein zweites geheimes Motiv: Seine Schwester ist Witwe geworden und hat eine schöne Pension. Er möchte den Haushalt mit ihr gemeinsam führen.
Das ist das Resultat einer mehrwöchentlichen Analyse, die dem arbeitsunfähigen, vollkommen schlaflosen, mit Selbstmordgedanken kämpfenden Mann die volle Genesung brachte. Die Diagnose mehrerer Nervenärzte lautete: Neurasthenie (Neurasthenie ist eine in der ICD-10 enthaltene psychische Störung. Sie wird nur noch selten diagnostiziert und spielt in der psychotherapeutischen sowie psychiatrischen Praxis kaum noch eine Rolle, da inzwischen andere Krankheitsbilder beschrieben wurden, welche die Symptome der Neurasthenie umfassen.). So sehen die meisten Neurasthenien bei näherer psychoanalytischer Untersuchung aus. Immer wird man hinter den Symptomen Schlaflosigkeit, Unfähigkeit zu arbeiten, Rückenschmerzen, Dyspepsie (Verdauungsstörung), Verstopfung usw. einen schweren „psychischen Konflikt“ (Diese Formel wurde zuerst von mir in „Die Ursachen der Nervosität“ ausgesprochen.) finden. Mit der Aufdeckung der dem Patienten unbewussten Phantasien trat eine solche eminente Veränderung im Wesen des Genesenen ein, dass aus ihm wirklich ein „anderer Mensch“ wurde (Das Leuchtgas spielt in den Phantasien der Neurotiker eine große Rolle. Alle Zweifel, Zwangsvorstellungen und Angstzustände, die sich auf das Ausströmen von Gas und das Offenlassen des Gashahnes beziehen, haben außer den bekannten Determinationen eine kriminelle Wurzel.).
Es folgen nun zwei Träume eines an „epileptischen Anfällen“ leidenden Mannes, den wir schon aus dem „Roman Reissigertraum“ (220; auch 285 und 286) kennen.
Der Traum von den Wassertropfen
(446) „Ich lag im Bette, als ich durch einen Wassertropfen, der mir aufs Gesicht fiel, erwachte. Ich sah zur Decke, bemerkte aber nichts, und schlief wieder ein. Kurze Zeit danach wachte ich durch dieselbe Ursache wieder auf; ich betrachtete nun den Plafond (Geschossdecke) genau und sah, dass durch eine große Anzahl von kleinen Löchern Wasser durchdrang.
Ich ging zum Hausbesorger und sagte ihm diesen Vorfall und nannte das Haus eine Spelunke. Er wurde darüber aufgebracht und sagte, er wisse ohnehin schon die Ursache; in einem oberen Stockwerke sei ein Wasserreservoir schadhaft, und deshalb dringe das Wasser durch, aber deshalb sei ich noch nicht berechtigt, das Haus eine Spelunke zu nennen. Wir stritten dann noch eine Weile, dann wachte ich auf.“
Der Träumer leidet an einer quälenden Eifersucht auf seinen Schwager, die ihm jedoch kaum bewusst ist. Der Traum ist eine typische Mutterleibsphantasie. Doch hinter der Bedeutung Wasser = Urin, Hausbesorger = Vater verbirgt sich eine viel wichtigere: Wasser = Blut; Hausbesorger— Schwager.
Seine Ruhe wird durch den Schwager gestört. Diesen will er ermorden. Im oberen Stockwerke des Träumers ist etwas nicht richtig. Seine Mordphantasien verfolgen ihn und sind die Ursache der hysterischen Absenzen geworden, die irrtümlicherweise für epileptische (Dieser Traum erfüllt auch seinen Wunsch zu „schlafen.“ Die Anfälle sind auch eine Wunscherfüllung in diesem Sinne: Ewiger Schlaf. Wiederholt „schläft“ er in seinen Träumen und erwacht. Auch das ist eine Wunscherfüllung. Sein Leben erscheint ihm wegen der Übermächtigkeit des Unbewussten wie ein böser Traum. Er möchte aus diesem bösen Traume erwachen. Dieser Wunsch wird ihm in diesem Traume wiederholt erfüllt. Auch aus seinen Anfällen wird er durch Bespritzen mit Wasser geweckt.) gehalten wurden. Seine Assoziationen waren: drei Blutstropfen im Schnee, Schneewittchen und die Bartholomäusnacht. Der Schwager ist Protestant (Hugenotten). Er las bei einer Schilderung von der Bluthochzeit, dass das Blut durch den Plafond durchgesickert sei. Er kann infolge seines bösen Gewissens nicht den Schlaf des Gerechten schlafen. Seine bösen Gedanken wecken ihn. Sie lassen ihn nicht schlafen.
Noch versteckter sind seine Mordphantasien im nächsten Traume:
Der Traum von der böhmischen Köchin
(447) „Wir hatten eine große Gesellschaft; Kollege X. samt Frau und zwei Schwestern, dann ein Hauptmann und ein Major. Ich konnte nicht genug staunen ob dieses ungewöhnlichen Besuches und rief unsere Wirtschafterin, Anna mit Namen, herein, um ihr Weisungen bezüglich der Bewirtung des Besuches zu geben. Da sie nicht erschien, ging ich in die Küche, um sie zu holen. Sie sagte, wegen des Nichterscheinens zur Rede gestellt, sie finde ihre Schuhe nicht. Ich wurde ärgerlich und meinte: „Es ist merkwürdig, immer finden Sie die Schuhe, gerade heute, wo ich Sie brauche, haben Sie diese Ausrede; spielen Sie sich nicht!“
Sie wurde auch böse und ließ ihre Augen rollen, so dass ich dieselben jetzt noch im Geiste sehe. Ich ärgerte mich furchtbar und wachte mit einem wüsten Kopfe auf.“
Aus der hochinteressanten Analyse will ich nur einige Streiflichter mitteilen. Die böhmische Köchin entpuppt sich als ein anderer „Böhm“: Sein tschechischer Schwager. Der Schwager hat einen „stechenden“ Blick und „rollende Augen“. Er möchte aber gerne selber einen bösen (stechenden) Blick haben und den Schwager mit bösen Gedanken töten. Sein Schwager ist jetzt avanciert und ist schon Rat (Majorsrang) — er selbst ist noch Oberoffizial und hat Hauptmannsrang. Der Schwager ist auch physisch stärker und größer (major!). Die Schuhe haben hier die Bedeutung eines Todessymbols. Der Schwager soll bald sterben. Er soll sich auf die Reise machen. Der Schwager soll nicht mit ihm „spielen“. Denn er hegt finstere Rachegedanken gegen den Mann, der ihm seine Schwester geraubt hat. Zweite Bedeutung des Schuhes: Seine Schwester. Kollege X. hat einen Schwager durch den Tod verloren. Deshalb ist er hier im Traume erschienen.
Die Bewirtung dieser Gäste soll unangenehme Folgen haben. Er will den Schwager vergiften! Er will ihm Gift in die Speisen mischen. Er will die Köchin sein, die ihm die Schuhe zum letzten Marsche zur Verfügung stellt. Er hat eine ihn seit Jahren verfolgende Angstvorstellung: Der Schwager könnte noch ein drittes Kind erhalten. Der Gedanke macht ihn rasend. Allerdings, er motiviert diese Angst mit Geschwisterliebe. Das würde seine Schwester nicht aushalten. Der verhasste Schwager soll nicht mit der Schwester „spielen“; er soll sein Haus in Ordnung halten, dass sie keine Amme wird. (Zwei Schwestern = der Busen; die Wassertropfen im Gesichte = Milch.) Deshalb will er ihn aus der Welt schaffen (Der Träumer erinnert sich nur einer sexuellen Aggression auf die Schwester, sonst keiner Phantasien. Damals war er 17 Jahre alt.).
Diese Mordszene geht immer in einem hysterischen Anfalle vor sich. Die meisten Epileptiker sind Hysteriker mit verdrängten kriminellen Impulsen. Im Anfall geht das Verbrechen vor sich.
Der Träumer gibt diese Rachephantasien zu. Mit der Analyse dieses Traumes setzte die Besserung ein, die zu einer vollständigen Heilung der Anfälle führte…
Am Abend vor dem Traume kamen ihm alle Speisen bitter vor. Das Bier erschien ihm ekelhaft. Er erbrach das Abendbrot und dachte, in den Speisen sei irgendein Gift gewesen. So meldete sich sein böses Gewissen. Dieser Kranke trug schon, seit er die Anfälle hatte, keine Uniform. Angeblich, weil es eine Schande wäre, in Uniform umzufallen. Die Analyse ergab, dass er sich vor sich selber fürchtete. Er wollte nicht mit einem Degen zum Schwager gehen. Er ist der Kollege X., der einen Schwager verloren hat, der Hauptmann, der den Feind niedersticht, der Major, der sich als der stärkere und höhere erweist; denn er triumphiert über seinen Gegner. Er ist auch die Köchin, die Gift in die Speisen mischt. Er spielt alle Personen seines Traumes.
Sein Neid gegen den Schwager entspricht einer verdrängten Bewunderung und Liebe für den Mann. Ihm gegenüber fühlt er sich als „Waschlappen“ (Köchin!). So bringt auch dieser Traum den „psychischen Hermaphroditismus“ des Träumers zum Ausdruck. Eine Aggression mit dem Degen wagt er nicht. Er wählt im Traume ein weibliches Verbrechen: die Vergiftung. Er triumphiert mit weiblichen Mitteln.
Herr Hammer träumt:
(448) „In einem roten Zimmer liegen viele Leichen, vertrocknet, gelb und fahl, wie Zündhölzchen in einer Schachtel. Auch zwei altmodische Strohhüte, einer rot, der andere blau, hängen an den Wänden. Ich habe die Empfindung, die werden ihren Trägerinnen Unglück bringen.“
Herr Hammer ist ein Philanthrop und beschäftigt sich mit Erlösungs- und Rettungsphantasien. In diesem Traume ist er Brandstifter. Er will das Haus in Brand stecken (rotes Zimmer — Zündhölzchen), damit alle Geschwister und die Mutter verbrennen und er der alleinige Erbe des großen Vermögens bleibe. Er dachte immer bewusst darüber nach, ob nicht eine Seuche oder ein Eisenbahnunglück dem älteren Bruder und der ganzen Familie den Tod bringen könnte. (Pest, Cholera, Entgleisung, Zusammenstoß.) Die Strohhüte sind Leichen. Stroh ist eine trockene, tote Blume. Er kann keine Blume pflücken. Blumen leben ja. Er kann die Blumen nicht „töten“.
Rot ist Digitalis (Der rote Fingerhut Digitalis purpurea ist eine Heil- und Giftpflanze). Blau ist die Zyane, also Zyankali. Er hatte einmal einen Hund mit giftigen Samen von „Datura stramonium“ (giftiger Stechapfel) umgebracht. Er ist derselbe Patient, der einen Kupferkreuzer in die Milchkanne warf, um die Geschwister umzubringen. (Vgl. „die Träume der Kinder“.
Der Traum spricht von Brandstiftung und Vergiftung. Die bewussten kriminellen Phantasien werden vom Kranken zugegeben. Seine Rettungs-, Erlösungs- und Christusphantasien sind die Reaktion auf seine hypertrophische Kriminalität. Sein Altruismus das Gegenspiel seines grenzenlosen Egoismus (In der „Jüdin von Toledo“ lässt Grillparzer den König Alphons die Verse sprechen:
Obgleich der Mensch, der wirklich ohne Fehler,
auch ohne Vorzug wäre, fürcht‘ ich fast;
denn wie der Baum mit lichtentfernten Wurzeln
die etwa trübe Nahrung saugt tief aus dem Boden,
so scheint der Stamm, der Weisheit wird genannt,
und der dem Himmel eignet mit den Ästen,
Kraft und Besteh‘n aus trübem Irdischen,
dem Fehler nah Verwandten aufzusaugen.
War einer je gerecht, der niemals hart?
Und der da mild, ist selten ohne Schwäche,
der Tapfre wird zum Waghals in der Schlacht.
Besiegter Fehl ist all‘ des Menschen Tugend,
und wo kein Kampf, da ist auch keine Macht.).
Durch die Psychoanalyse werden die Wurzeln der kriminellen Phantasien freigelegt. Sie stehen auch im Dienste der Erotik. Er wollte seine Großmutter töten, um in dem Momente zwischen Leben und Tod seinen Gelüsten zu frönen. (Relative Nekrophilie. (Nekrophilie bezeichnet eine Sexualpräferenz, die auf Leichen gerichtet ist.)) (Immer wieder erscheinen zwei Motive in den kriminellen Phantasien: Geld und Sexualität. Beide lassen sich in Formel „Besitz“ pressen. Der Neurotiker ist ein grenzenloser Egoist. Er möchte „alles und alle“ besitzen. Die kriminellen Phantasien stehen im Dienste der Aggression (Adler). Denn die ersten Aggressionen sind ein Ergreifen und In-Besitz-nehmen.)
Dieser Träumer hat reiche Anlagen und berechtigt zu den schönsten Hoffnungen. Denn starke Kriminalität ist oft nur ein Zeichen großen Talentes...
Die nächsten Träume wurden von Herrn Zampa, den wir schon aus der vortrefflichen Jurany-Analyse (Traum Nr. 173) kennen, selber analysiert. Lassen wir also dem Träumer das Wort:
(449) I. „Ich stieg mit einer Dame, Fräulein Erna Sommersdorf, und einem Herrn die Treppe zum Speisesaal eines Hotels hinunter, um zu speisen. Um der Dame beim Herabsteigen der Treppe behilflich zu sein, reichte ich ihr die Hand. Doch wurde mir gesagt, dass dies unzulässig sei. Ich befestigte nun an einem kleinen Tisch ein Tischtuch mittelst einer Klammer, während dies für die Dame und den Herrn der Kellner besorgte, der dafür von beiden je 16 Heller Trinkgeld erhielt. Der Dame brachte der Kellner Geld zurück. Ich dachte, du brauchst dem Kellner kein Trinkgeld zu geben, denn du hasst ihn ja nicht in Anspruch genommen. Der Herr war dann hinausgegangen und hatte mich zuvor ersucht, während seiner Abwesenheit auf sein Portemonnaie zu achten.“
(450. II. „Ich hatte mir eine Droschke genommen, um von Bonn nach Coblenz zu fahren. Unterwegs fiel mir ein, dass ich doch nur bis zum Bonner Bahnhof fahren könnte. Ich sagte dies dem Kutscher; dieser stieg vom Bock. Das Pferd — ein alter, abgetriebener Gaul — zog plötzlich an. Ich ergriff die Leine, um das Pferd zum Stillstehen zu bringen. Es erfolgte aber trotzdem ein leichter Zusammenstoß mit einem leeren, großen Möbelnagen. Ich sah dann, dass das Pferd hingefallen und die Deichsel zerbrochen war. Ich schob den Möbelwagen etwas zurück und ergriff das Pferd beim Kopf, wodurch es wieder auf die Beine kam. Die etwa 15 — 16jährige Tochter des Kutschers wünschte ich zu koitieren, hielt dies aber im Einverständnis mit dem Vater geheim. Später kam meine Schwester und sagte tränenden Auges zu mir: „Ich glaube, du wirst auch noch deine eigene Schwester koitieren.“ Mir waren diese Worte zwar peinlich und ich zupfte verlegen an einem Pflaster, mit dem eine in der Innenfläche der Hand befindliche Wunde verdeckt war; ich dachte aber, dass ich mich trotzdem keinen Augenblick besinnen würde, die Schwester zu koitieren.“
„Die Analyse dieses Traumes führt zu folgendem Ergebnis:
I. Ich beabsichtige, mit meiner verheirateten Schwester, die als Fräulein Erna Sommersdorf erscheint, in einem Hotel zu speisen, d. h. sie zu koitieren. Um ihr das Herabsteigen von der Treppe, den Sündenfall, zu erleichtern, reiche ich ihr Beistand leistend die Hand, indem ich damit gleichzeitig die Inbesitznahme der Schwester andeute. Doch der Schwager steht der Verwirklichung meiner Absicht hindernd im Wege, er muss beseitigt werden. Die Tischtücher bedeuten Leichentücher, der schwarz gekleidete Kellner ist der Tod bzw. in Anlehnung an einen früheren Traum Charon, der greise Fährmann der Unterwelt, der die Schatten der Toten gegen Erlegung eines Obolus, des „Trinkgeldes“, über die Flüsse der Unterwelt setzt. Gleichwie ich für meine Person nicht die geringste Lust verspüre, die Unterwelt aus eigener Anschauung kennen zu lernen, denn ich nehme die Dienste des Fährmanns nicht in Anspruch, muss natürlich auch die Schwester für meine Zwecke am Leben bleiben. Sie erhält daher von Charon das Fährgeld zurück. Die Wunscherfüllung liegt in dem „Hinausgehen“ des Schwagers, das gleichbedeutend ist mit seinem Tod, so dass ich nunmehr ungehindert die in dem zurückgelassenen Portemonnaie (Vagina) der Schwester bestehende Erbschaft des Schwagers antreten kann.
II. Der zweite Teil des Traumes besagt zunächst, dass ich ungeachtet aller Anstrengungen mein Ziel, die Erfüllung der Inzestwünsche, nicht erreichen werde. Die darauf hinzielenden Phantasien sind deshalb mit Schmähungen auf die Eltern durchsetzt. Der Kutscher bedeutet: 1. den Vater, 2. mich selbst. Der alte, abgetriebene Gaul stellt selbstverständlich wiederum den Vater dar, den ich bei der „Leine“, den Penis, ergreife, um ihm den Koitus zu wehren. Gleichwohl erfolgt ein „leichter Zusammenstoß mit einem leeren großen Möbelwagen“, der Mutter, deren Leib infolge ihres Alters „leer“, d. h. unfruchtbar und deren Vagina durch zahlreiche Geburten „groß“ geworden ist. Aber auch der Vater vermag die Geschlechtsfunktionen nicht mehr auszuüben; er bringt es nur zu einem leichten Zusammenstoß, seine „Deichsel“ ist gebrochen. Für die Befriedigung meines ungestümen Sexualbedürfnisses kann meine Mutter wegen ihres Alters nicht mehr in Betracht kommen; es ist daher naheliegend, dass sich mein Begehren auf die junge Schwester richtet.
III. Schließlich ziehen sich durch den Traum starke Vergiftungskomplexe. Ich stehe an Stelle des Kellners und reiche dem verhassten Schwager den mit Morphium gefüllten Giftbecher. Ich bemerke hierzu, dass mir ein Arzt vor Jahren ein Fläschchen mit Morphium unter Erläuterungen über dessen Wirkungsweise gezeigt hatte. Dieses Fläschchen, das mir erst kürzlich ein Traum in Gestalt einer „mit Benzin („Benzin“ verrät noch die Pläne einer Explosion, um die Spuren seiner Verbrechen zu verwischen.) angefüllten Phiole“ (Eine Phiole ist ein birnenförmiges Glasgefäß mit langem, engem Hals, das bereits von den Alchemisten der Antike benutzt wurde) vorgeführt, hatte zu jener Zeit meine Gedankenwelt lebhaft erregt. Nun gestattet der Name „Sommers-dorf“ die Ableitung in Morphium (mors durch Morphium). Weitere von Herrn Dr. Stekel vorgenommene interessante Assoziationen, die zu dem Wort Morphium geführt haben, muss ich hier leider verschweigen. Bei der Analyse des gegenwärtigen Traumes erinnerte ich mich der Worte Fausts:
Ich grüße Dich, du einzige Phiole,
die ich mit Andacht nun herunterhole! …
Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht;
Mit brauner Flut erfüllt er Deine Höhle.“
Kurz vor dem Traumerlebnis hatte ich diese Stelle im Faust nachgelesen. Bei den vorwurfsvollen Worten der Schwester ballte ich verlegen die Hand zu einer „Faust“, um damit eine Wunde in der inneren Handfläche zu verbergen; eine Erinnerung an die überstandene Lues, die seinerzeit eine Psoriasis (Schuppenflechte) am Handteller zur Folge hatte. Mein Same war also vergiftet! Aber um zum Ziele zu gelangen, werde ich keineswegs vor der für mich mit Lustgefühlen verbundenen Vergiftung der Schwester zurückschrecken.
Seit mir, besonders nach der Analyse des nächsten Traumes, diese kriminellen Phantasien bewusst wurden, habe ich alle Angstgefühle verloren. Ich laufe nicht mehr durch die Straßen, wie ein gehetzter Verbrecher. Ich zittere nicht mehr vor einem Schutzmanne. Ich gehe ruhig ins Theater und freue mich wieder meines Lebens.“
Der nächste Traum desselben Träumers brachte eine Mordsymbolik, die der Analyse die größten Schwierigkeiten bereitet hätte, wenn mein Einfall nicht den Knoten gelöst hätte.
Die unwillige Braut
(451) „Ich hatte mich mit einem Mädchen plötzlich verlobt, weil sich kurz vorher einer meiner Freunde gleichfalls verlobt hatte. Meine Braut und ich saßen in einem Restaurationsgarten; sie ging einen Augenblick hinaus. Ein mir benachbart sitzender Herr erzählte mir darauf, dass meine Braut eine Schneiderin sei und dies Gewerbe auch nach ihrer Hochzeit fortsetzen würde. Mir war dies sehr unangenehm, zumal ich meiner Mutter von der Sache überhaupt noch nichts mitgeteilt hatte, und ich wollte die Verlobung wieder rückgängig machen. Ich bat einen Bekannten, namens Mücke, auf alle Fälle zu mir zu kommen, da ich ihn notwendig sprechen müsse.
Meine Braut und ich stiegen eine Leiter herauf, um eine schmale Brücke zu überschreiten. Hinter mir befanden sich mein Freund und dessen Braut. Ich bemerkte, dass die Brücke hin und her schwankte und hatte große Angst, sie zu betreten. Ich stieg deshalb die Leiter wieder hinab. Meine Braut war unwillig und sagte, sie hätte mich bisher für einen ganz anderen Mann gehalten; es sei ihr unverständlich, dass ich mich nicht getraute, die Brücke zu betreten.“
Mitten in der Analyse von Mordphantasien, Vergiftungsszenen, Brandstiftungen, Unterschlagungen platzte dieser Traum von der „Braut“ hinein. Dem Träumer fiel zur „Brant“ gar nichts ein. Er hatte keine Braut und keineswegs die Absicht, sich zu verloben. Da war ich auf das Traummaterial allein angewiesen. „Die Braut ist eine Schneiderin“. „Sie will das Gewerbe nach der Hochzeit fortsetzen.“ „Die Mutter weiß von der Sache nichts.“ „Der Bekannte Mücke soll kommen.“
Plötzlich wusste ich es. Es handelte sich um einen Mord. Die Mücke hat einen Stachel, der Träumer will einen Degen haben, der gut „schneiden“ kann. Da fiel mir das Schwertlied von Körner ein. Ob es ihm bekannt sei? „Natürlich“, rief er erregt aus: „Das war ja als Bursche mein Leiblied“.
Nun war die Braut klar. Es handelt sich um die Eisenbraut.
Zur Erklärung müssen wir das „letzte“ Lied von Theodor Körner heranziehen. Es bedarf keiner Analyse. Es spricht für sich selbst:
Schwertlied
Du Schwert an meiner Linken, was soll dein heit‘res Blinken?
Schaust mich so freundlich an, hab‘ meine Freude dran. Hurra!
Mich trägt ein wackrer Reiter, drum blick‘ ich auch so heiter;
bin freien Mannes Wehr; das freut dem Schwerte sehr. Hurra!
Ja, gutes Schwert, frei bin ich, und liebe dich herzinnig,
als wärst du mir getraut, als eine liebe Braut. Hurra!
Dir hab‘ Ich‘s ja ergeben, mein lichtes Eisenleben.
Ach, wären wir getraut! Wann holst du deine Braut? Hurra!
Zur Brautnachts-Morgenröte ruft festlich die Trompete;
wenn die Kanonen schrei‘n, hol‘ ich das Liebchen ein. Hurra!
O seliges Umfangen! Ich harre mit Verlangen.
Du Bräut‘gam, hole mich; mein Kränzchen bleibt für dich. Hurra!
Was klirrst du in der Scheide, du helle Eisenfreude,
so wild, so schlachtenfroh? Mein Schwert, was klirrst du so? Hurra!
Wohl klirr ich in der Scheide: ich sehne mich zum Streite,
recht wild und schlachtenfroh. Drum, Reiter klirr ich so. Hurra!
Bleib‘ doch im engen Stübchen; was willst du hier mein Liebchen?
Bleib‘ still im Kämmerlein; bleib‘, bald hole ich dich ein! Hurra!
Lass‘ mich nicht lange warten! schöner Liebesgarten,
voll Rösslein blutigrot und aufgeblühtem Tod! Hurra!
So komm‘ denn aus der Scheide, du Reiters Augenweide!
Heraus, mein Schwert, heraus! Führ‘ dich ins Vaterhaus. Hurra!
Ach herrlich ist‘s im Freien, im rüst‘gen Hochzeitreihen!
Wie glänzt im Sonnenstrahl so bräutlich hell der Stahl! Hurra!
Erst tat es an der Linken, nur ganz verstohlen blinken;
doch an die Rechte traut Gott sichtbarlich die Braut. Hurra!
Drum drückt den liebeheißen bräutlichen Mund von Eisen
an eure Lippen fest! Fluch! wer die Braut verlässt. Hurra!
Nun lasst das Liebchen singen, dass helle Funken springen!
Der Hochzeitsmorgen graut — Hurra, du Eisenbraut! Hurra!
Nun ergießt sich der Schwall der Einfälle: Er hat über seinem Bette zwei Degen; auf dem Schreibtisch liegt ein venezianischer Dolch; in der Tasche trägt er ein kleines Skalpell statt eines Federmessers. Ihn interessiert das Sezieren der Mediziner. Er wäre am liebsten Chirurg geworden usw. Deutet der Restaurationsgarten auf seine Vergiftungsideen, so spricht die Eisenbraut, die „Schneiderin“ ist, von Ermorden. Das Opfer soll der Schwager sein. Jetzt verstehen wir erst, „dass meine Braut Schneiderin sei und das Gewerbe nach der Hochzeit fortsetzen würde.“ Schwager und Schwester sind jünger als er. Deshalb gehen der Freund und seine Braut hinter ihm. Denn der Freund und die Braut sind sein Schwager und seine Schwester. Er will seinen Schwager ermorden! Die Leiter ist die Himmelsleiter, und die Brücke (Eine andere kriminelle Bedeutung der „Brücke“ stammt aus dem Wunsche, eine Brücke möge einstürzen und den Schwager in die verderbenbringenden Fluten schleudern. Jede Brückenangst zeigt eine ähnliche kriminelle Wurzel.) führt in die Ewigkeit. Seine Eisenbraut war unwillig wegen seiner Feigheit.
(„Ich hatte Angst, die Brücke zu betreten.“) Er ist ein Feigling. „Sie
hätte mich bisher für einen ganz anderen Kerl gehalten; es sei ihr unverständlich, dass ich mich nicht getraute, die Brücke zu betreten.“
An diesem Tage hatte er nach langer Zeit des Wohlbefindens wieder heftige Angstanfälle in den engen Gassen, wo die hohen Häuser stehen. Es wird noch eine wichtige Erinnerung gehoben. Er wollte als Knabe die Schwester aus Eifersucht aus dem zweiten Stock auf die Erde fallen lassen. Er nahm das zehn Jahre jüngere Kind und hielt es aus dem Fenster, oder über den Balkon (Leiter, Brücke). Nachbarn machten seinen Vater auf dies gefährliche Spiel aufmerksam, und er wurde vom Vater jämmerlich verprügelt. Nach dieser Analyse waren die schweren Angstanfälle vorüber. Was noch nachfolgte, war das Beben der See nach einem schweren Gewitter. Ohne meinen Einfall von der Eisenbraut wäre der Traum niemals als ein verbrecherischer erkannt worden.
Glücklicherweise sind nicht alle kriminellen Träume so schwer zu analysieren. Gleich der folgende Traum des Herrn Kappa bringt ein anderes Bild:
Der Traum von der ermordeten Bäuerin
(452) „Johann X, und ich gingen von einer Landpartie zurück. Am Rückweg erfuhren wir, dass dort, wo wir gewesen waren, eine Bäuerin ermordet worden war. X. erschrak darüber, was mich wunderte. Dann fanden wir die beiden Beine der Bäuerin am Weg. Ich sagte zu X., wir sollten die Beine mitnehmen. Er war darüber noch mehr entsetzt und wollte besonders das eine Bein nicht mitnehmen. Da hatte ich plötzlich den großen Verdacht, dass er der Mörder sei. Nun gingen wir nach Hause, er zu sich, ich zu Bekannten, wo abends nun große Gesellschaft sein sollte. Johann kam, bevor die Gesellschaft anfing, und ich saß mit ihm in einem kleinen Zimmer. Er war totenbleich, ich wusste nun fast sicher, dass er der Mörder war. Schließlich kam, eben als alle Leute zum Essen schon da waren, die Polizei und verhaftete ihn. Er ging nicht durch das Speisezimmer und alle Leute gingen in das Nebenzimmer, um nicht seine Verhaftung zu sehen. Ich war furchtbar erschüttert und dachte, dass er gewiss zum Tode verurteilt werde, also dass ihm mithin eine Summe Geldes, die er bald erhalten sollte, nichts mehr nützen würde.“
Herr Kappa ist der Mörder. Die Bäuerin ist sein Bruder (Eine andere Bedeutung: Er hat sich selbst gemordet. Er hat sich durch die Onanie (Kalter Bauer) um das Leben gebracht). Er erbt sein Geld, das ihm gar nichts nützt, da er zum Tode verurteilt wird.
Er leidet an Platzangst. Er „spielt“ den Mörder, der von der Polizei davon läuft. Am liebsten fährt er im raschen Auto, um die Verfolgung zu verhindern. Der Traum ist die Wiederholung einer Wachphantasie. Das eine Bein, das er mitnehmen will, ist der Penis. (Das dritte Bein!) Er will den Bruder kastrieren, aus ihm ein Weib (eine Bäuerin) machen. Das ist seine Rache, weil sich der Bruder mit Weibern herumtreibt, während er bis zu der Behandlung psychisch impotent war. Der Johann X geht auf Johann Parricida (Johann von Schwaben, Herzog von Österreich und Steyer, genannt Parricida, lat. für Vater- oder Verwandtenmörder). Davon zeugen die nächsten Träume des Herrn Kappa. Sie wurden in einer Nacht geträumt, gehören also zusammen:
(453) „Halb wach sah ich Papas Gestalt in langem, weißem Gewand links von meinem Bett. Ich sah ihn fragend an. Er antwortete mir: „Du kannst alles sagen; du sollst es; es war nur einmal oder zweimal.“ Ich wiederholte: „Einmal oder zweimal. Das ist wichtig.“ Ich sah, als ob ein dunkler Stumpf zweimal gegen oben stieß. Das kann ich nun und muss ich dem Dr. Stekel sagen.“
(464) „Ich ging mit meinem Bruder des Nachts spazieren. Es war der herrlichste Sternenhimmel und einige prachtvolle Kometen mit dichten Schweifen am Firmament. Alle Augenblicke platzte ein Kometenstern und es ging Rauch ab, dann sprangen zahlreiche Funkenpunkte vom Kometen ab, wie Raketen, und fielen dann erlöschend zur Erde.“
(455) „Ich wollte durchaus einen Raben schießen, aber es war keiner zu sehen.“
(456) „Ich hatte schrecklich wirre Träume. Selbstmordideen wechselten mit Gefühlen von höchstem Genuss, oder war dies nur eine Idee? Ich freute mich, sterben zu können. Dann dachte ich, ich müsse Dr. Stekel alles sagen, nur so könnte ich noch leben. Dann sah ich plötzlich den Kopf meines Bruders, und wusste nicht, ob es nicht das Haupt Papa‘s sei, als er noch jung gewesen. Ich erwachte und hörte 2 Uhr schlagen. Auch kamen mir Faust‘s Worte in den Sinn: „Es möchte kein Hund so weiter leben!“
Ja — er ist ein Vatermörder. Er wollte zweimal einen Mord begehen (Vater und Bruder). Er wollte einen Raben (Rabenvater) schießen. Er wollte sie beide kastrieren. (Komet = Stern mit langem Schweife.) Er wollte ein Feuer legen. (Rauch!) Infolge der Talion traten Selbstmordideen auf. Er kann nicht so weiter leben.
In der nächsten Stunde wurden die Mordphantasien bewusst erinnert...
Der nächste Traum bringt die Bestätigung, dass der Rabe der Vater ist. Er erschießt einen Purpurreiher. (Purpur — Krönungsmantel — Vater) (Zu „Purpurreiher“ vergleiche meine Schrift „Dichtung und Neurose“ S. 54. Der Träumer kennt das Buch sehr genau.) Der Purpurreiher ist in diesem folgenden Traume eine Art Papagei. (Papa!).
Dieser wichtige Traum lautet:
(457) „Wir waren auf einer Jagd, aber ich war ganz städtisch gekleidet. Nun stellten wir uns an. Neben mir schoss ein Herr einen Raben, ich wollte auch darauf schießen, aber ich konnte wegen meines Winterrockes nicht schießen. Nun zog ich ihn aus und schoss von einem Baum, auf dem eine Menge Vögel saßen, einen Purpurreiher, eine Art Papagei und einen grauen Raben. Dann sah ich, dass der Papagei noch nicht ganz tot war, und wusste nicht, wie ihn umzubringen.“
Wie Herr Kappa seine Mordgedanken büßen will, das zeigt uns der nächste Traum, der uns auch die aus Traum Nr. 451 bekannte Leiter bringt, von der man so leicht fallen kann. Auch sehen wir, dass seine Fußideen Bußideen sind. Einmal erlitt er einen schweren Angstanfall, als er einen Auerhahn (Der Auerhahn gebt auch auf seine Vergiftnngsideen mit Gas. Sie hatten in der Wohnung Auerlicht. Er wollte die ganze Familie durch Ausströmen des Gases töten.) schießen wollte. Dahinter steckte wieder die Phantasie des Vatermordes. Ein anderes Mal konnte er keinen hohen Kragen tragen. Die Spitzen genierten ihn furchtbar. Das war ja selbstverständlich. Diese Kragen heißen ja „Vatermörder“.
Auch ein zwangsartig auftretender Traum: „An deiner Krankheit ist der Gastfreund Hospes schuld!“ fand seine Erklärung in dem Gastfreund aus den „Kranichen des Ibykus“. Die Reihe ist: Rabe, Auerhahn, Purpurreiher, Papagei — Kraniche. (Er hasst alle Vögel — besonders die Raben.)
Ein Teil seiner neurotischen Symptome, besonders die Fuß- und Bußideen gehen auf den Eindruck des Schillerschen Gedichtes zurück. Er ist der Mörder, der die Entdeckung fürchten muss. Es ist interessant, an diesem Beispiele den Einfluss der Lektüre auf die Neurose zu studieren.
„Er geht vielleicht mit frechem Schritte
jetzt eben durch der Griechen Mitte.“
Er hat Angst vor dem Gehen (Eine andere Assoziation stammt aus „Edward“, der bekannten schottischen Ballade, in der ein Vatermörder ausruft: „Auf Erden soll mein Fuß nicht ruh‘n.“ Kappa fährt immer im Wagen.).
„Er mengt sich dreist in jene Menschenwelle.
die dort sich in‘s Theater drängt“
Er fürchtet Menschenmengen und kann in kein Theater gehen.
„Da sieht man Schlangen hier und Nattern,
die giftgeschwollnen Bäuche bläh‘n.“
Er hat eine außerordentliche Angst vor Schlangen.
„Wir heften uns an seine Sohlen
Das furchtbare Geschlecht der Nacht.
Und glaubt er fliehend zu entspringen
Geflügelt sind wir da, die Schlingen
Ihm werfend um den flüchtgen Fuß.“
Er ist immer auf der Flucht. Er ist Fußfetischist.
„Nur Helios vermag‘s zu sagen,
der alles Irdische bescheint.“
Er meidet das Sonnenlicht. Bei Nacht geht er ohne Angst. „Doch flieht er vor dem Sonnenlicht.“
„Die Szene wird zum Tribunal.“
Er fürchtet immer, unschuldig des Mordes angeklagt zu werden. Er hat Angst vor Verrat. Denn:
„Doch dem war kaum das Wort entfahren
Möcht‘ er‘s im Busen gern bewahren.“
Wie er seine Sünden büßen will, das zeigt der nächste Traum, den man „Fuß und Buße“ betiteln könnte.
(458) „Ich sah auf einmal meinen Papa eine Ruine eines alten Gebäudes (in Rom?) auf einer entsetzlichen leiterartigen Stiege emporklimmen. Ich war ganz entsetzt und hatte große Ängste. Ich stürzte mich ihm nach, besonders da ich wusste, dass mein Bruder mit ihm sei und ich fürchtete, dieser gäbe zu wenig Acht. Auch sagte mein Papa, es sei dort die Ruine eines alt-römischen Domes zu sehen, das Herrlichste, was es gäbe. Ich ging nun nach und drängle mich an mehrere Besucher. Es war ein schrecklicher Aufstieg, ich kletterte mit Händen und Füßen. Oben hatte eben eine Gesellschaft den Dom besichtigt. Ich wollte ihn nun auch besichtigen. Zunächst erkundigte ich mich, ob es nicht eine andere Stiege gäbe, man sagte mir: Nein. Nun kam ein junger Barfüßer-Mönch und fragte mich, ob mein Besuch schon vorher angemeldet worden sei. Ich sagte nein; er erwiderte, dass dies nichts mache, er werde mir nun den alten Dom zeigen. Der Mönch hatte Sandalen an den Füßen, am linken Fuß, über der mittleren Zehe einen grauen Lappen. Nun kam ein anderer Mönch (nicht barfuß, und älter) und sagte, er werde mir die Sachen zeigen. Nun zeigte er mir zunächst an einer Wand zwei alte Füße, von denen er eine Decke abhob, und nun stellte der Barfüßer-Mönch (der auf einmal wieder älter und dick war) seinen Fuß daneben, um die Güte der alten Arbeit darzutun.“
Es gibt nur eine Rettung vor den Mordideen und nur eine Buße: Die katholische Kirche und die Askese. Seine Sexualität flüchtet zu dem Fuß. Er hat keinen Penis mehr, er hat nur einen Fuß. Ewig wird er sich die Mordideen (die beiden Füße der Bäuerin) vorhalten (Auch die Jagdträume des Herrn Kappa zeigen dieselben Mordgedanken. Er will einen Bock schießen. Sein Gewehr geht nicht los. In diesen Bildern verschmilzt, wie bei den meisten Mordphantasien, das Kriminelle mit dem Erotischen zu einem Symbole. Sein Gewehr ist wirklich nie losgegangen.) und nie seine Sünden vergessen. Er will ein Mönch werden. Er will büßen, wie Ahasver, der fliegende Holländer und der heilige Antonius. Sein Ideal ist Heinrich vor Canossa. Als er eine Schilderung dieser Szene las, begann er nach langer Zeit wieder zu onanieren…
Auch Herr Omikron wollte seine Familie vergiften:
(459) „Ich ging spazieren, glaubte exerzierende Kavallerie zu sehen, es waren aber Kinder. Dann war ich auf einem Platz bei einer Bahn und einer Kaserne und sah auf einem Plan nach, wo ich war. Dann fuhr ich in einer Eisenbahn mit anderen. Schließlich waren mein Bruder, ich und noch andere in einem Gartenhaus und zauberten. Besonders streuten wir ein Pulver in Saucen und dann suchten wir etwas aus einem Buch, das Prophezeiungen enthielt.“
Eine unglaubliche Häufung von Todessymbolen und Mordphantasien. Die Kavallerie besteht aus Reitern, die erstechen und überreiten. Die Bahn überfährt und tötet bei Unfällen. In der Kaserne sind Soldaten mit Gewehren. Dann können die beiden Kleinen „zaubern“ und haben die Gabe des bösen „Blickes“. Schließlich „streuen sie ein Pulver in die Saucen“. (Vergiftung.) Jeder Satz ist eine Phantasie vom Umbringen der Anderen.
Voll von Mordphantasien ist auch Herr Gino (Alle Zwangsneurotiker sind ausgesprochene Kriminelle. Deshalb spielt die „Todesklausel“ bei ihren Zwangsvorstellungen eine so große Rolle.). (Vgl. Nr. 94 u. 96)
Der Traum vom Messerschmied
(460) „Flugapparat, den Papa erfunden hat. Ich sehe auch eine Plakette, worauf jener Flugapparat reliefartig dargestellt war. Ich gehe in ein Hotel — Speisesaal — es hat geschneit — da ist es sehr nass, da der Schnee sich gelöst hat. Es sah die Straße, die von breiig nassem Schnee bedeckt war, so aus wie die Hofgasse in K., wenn man bei dem Geschäft des Messerschmiedes Heisz stand, also wie bei Heisz. Eine Dame hat eine merkwürdig zugeschnittene, hochgeschlossene Bluse; Papa sagt im Scherz zu Mama, ob sie damit exerzieren solle (oder wolle?). Ich bin auch mit dem Apparat geflogen, doch nur auf kurze Zeit, ich sah mich selbst, doch wollte ich doch keinen benützen, da ich meinte, dass ich mich eines Tages doch erschlagen könnte.“
Der Vater soll sterben (fliegen!). Man macht von dem berühmten Manne schon eine Plakette. (Er verdächtigt ihn der Lues: Plaques). Er will die ganze Familie vergiften. Dass es sich um Tod handelt, darauf deutet der Schnee, der in seinen Träumen immer auf den Blutkomplex geht. Das führt ja zum „Messerschmied“, der seine Mordideen symbolisiert. (Vgl. den Knaben mit dem Messer im Traume Nr. 94.) Auch die merkwürdig zugeschnittene Bluse, ebenso wie das „Exerzieren“ (Soldatenkomplex; er litt beim Militär an heftigen Angstanfällen!) wird nun verständlich. Schließlich verrät er, dass der Flugapparat einen Menschen „erschlagen“ kann.
Ein an Angstzuständen leidender Postbeamter träumt:
(461) „Es war in den Magazinen des Zollamtes, wo während der Weihnachtsperiode die Post ihre Lokalitäten aufgeschlagen hat. Während des Jahres ist in diesen Räumen Öl in Fässern aufbewahrt, welche öfters rinnen; deshalb ist im Fußbodenpflaster in der Mitte des Kellers eine Rinne angebracht, um dieser Sickerflüssigkeit einen Weg zu bahnen.
Es schien mir, dass ein Individuum ein Zündhölzchen wegwarf, wodurch das in der Rinne befindliche Öl Feuer fing. Das Feuer breitete sich rasch aus und griff auf einen Berg von Postfrachten über, welcher in der Nähe aufgeschichtet war. Ich stand abseits; bald aber fing auch mein Rock Feuer, und ich spürte und sah, wie sich das Feuer an mir emporschlängelte. Ich hatte riesige Angst, nicht so sehr wegen meiner Person, als des Zustandes wegen, dass ich für die, für die Feuersicherheit in diesen Räumen zu treffenden Maßnahmen verantwortlich war. Ich schrie, um die Leute auf die Gefahr aufmerksam zu machen und sie zum Löschen und Retten anzueifern.“
Die Sexualsymbolik ist ziemlich durchsichtig. (Fass, Rinne, Öl usw.) Auch verrät sich der Brandstifter in klarer Weise: Er ist das Individuum, das einen schweren Brand verursachen wollte. In seinem Elternhause standen im Keller viele Petroleumfässer. Der Traum verrät seine infantilen Rache- und Zerstörungsphantasien, die sich jetzt in Angst verwandelt haben.
Ähnliche Umkehrungen sind unendlich häufig: Menschen, die an Alpträumen leiden, in denen sie gewürgt werden, haben jemanden erwürgen wollen. Die Angst vor dem Fallen, der bekannte typische Traum des Abstürzens, hat ebenfalls diese kriminelle Wurzel. Diese Neurotiker hatten Wunsche, ein anderer sollte fallen, oder wollten den andern gar hinunterwerfen, wie uns eine in diesem Kapitel vorgebrachte Erinnerung berichtet.
Den Schluss dieses Konvolutes von Gräuelträumen möge ein Traum des Herrn X. Z. (vgl. Nr. 19) bilden:
Der Traum von der fliegenden Post
(462) „Ich komme durch einen Spalt zwischen zwei Brettern aus der „Radstube“ hervor. Die Wände triefen vor Wasser. Knapp vor mir ist ein Bach, darin steht ein wackeliges, schwarzes Klavier. Ich benütze es zum Überschreiten des Baches, denn ich bin auf der Flucht. Hinter mir her ist ein Haufen Männer. Ihnen allen voran mein Onkel. Er feuert die anderen an, mich zu verfolgen und brüllt und schreit. Die Männer haben Bergstöcke, die sie gelegentlich nach mir werfen. Der Weg geht durchs Grüne bergauf und bergab. Die Straße ist mit Kohlenabfällen besät und daher schwärzlich. Ich muss mich furchtbar plagen, um vorwärts zu kommen. Manchmal komme ich mir vor, wie angewachsen, und die Verfolger kommen mir immer näher. Plötzlich kann ich fliegen. Ich fliege in eine Mühle durchs Fenster hinein. Darin ist ein Raum mit Bretterwänden, an der gegenüberliegenden Wand ist eine große Kurbel. Ich setze mich auf das Heft, halte es mit den Händen fest und fliege in die Höhe. Wie die Kurbel oben ist, drücke ich sie durch mein Gewicht wieder herunter und setze so die Mühle in Gang. Hierbei bin ich ganz nackt, ich sehe aus wie ein Amor. Ich bitte den Müller, er möge mich hier bleiben lassen, ich würde ihm dafür die Mühle auf die besagte Art treiben. Er aber weist mich ab, und ich muss zu einem anderen Fenster wieder hinausfliegen. Da kommt oben draußen die „fliegende Post“ vorbei. Ich setze mich vorne neben den Kutscher. Bald werde ich aufgefordert zu zahlen, aber ich habe nur drei Heller bei mir. Da sagt mir der Kondukteur: „Ja, wenn Sie nicht zahlen können, dann müssen Sie sich unsere Schweißfüße gefallen lassen.“
Nun ziehen wie auf Kommando alle Insassen des Wagens einen Schuh aus, und jeder hält mir einen Schweißfuß vor die Nase.“
Wenn wir von der Geburts- und Mutterleibsphantasie absehen, entpuppt sich Herr X. Z. als ein schwerer Krimineller. Er kämpft mit bewussten Mordideen. Er fürchtet, er könnte den Onkel oder die Mutter erschlagen. Er ist sehr fromm. Aber seine Seele ist schwarz wie die mit Kohlenabfallen übersäte Straße. Seine bösen Gedanken (auch die homosexuellen!) verfolgen ihn. Er kommt in die Mühle. Es ist die Mühle Gottes. Diese Mühlen mahlen langsam, aber sicher. Sein Gewicht (seine Sündenlast) treibt die Mühle. Er wird vertrieben... Er kommt in die „fliegende Post“. Es ist die Post, die Himmel und Erde verbindet. Er soll zahlen, d. h. seine Sünden büßen. Er hat erotische Sünden. (Drei Heller = das Genitale!) Seine Sünden und Missetaten stinken gegen Himmel (Schweißfüße). Der Kondukteur ist der Tod... Die Radstube geht auf das Rädern der Verbrecher. Das Wasser ist Blut... Das wacklige schwere Klavier ist die Mutter, die er erschlagen hat. Der Bach symbolisiert hier das Blutbad. Er geht über die Mutter und den Onkel hinweg...
Damit schließe ich diese verbrecherischen Träume. Die Menschen müssen Verbrechen träumen, um sie nicht zu begehen. Hebbel sagt: ,,Dass Shakespeare Mörder schuf, war seine Rettung, dass er nicht Mörder zu werden brauchte.“
Auch die Neurotiker retten sich vor dem Verbrechen durch ihre Träume. Meine Analysen haben mir immer aufs Neue bewiesen, wie tief das Kriminelle in allen Menschen schlummert. Wir von des Gedankens Blässe angekränkelten Kulturmenschen haben allen Grund, bescheiden zu sein. War es doch Goethe, der den Satz aussprach: „Ich habe niemals von einem Verbrechen gehört, das ich nicht hätte begehen können.“
Für die Psychoanalyse ist die Kenntnis des Kriminellen von der allergrößten Bedeutung. Wir werden selten eine Neurose vollkommen heilen können, wenn wir nicht den geheimen Verbrecher im Menschen berücksichtigen. Sowohl die Todessymbolik als auch die Symbolik des Kriminellen haben mir die wertvollsten Dienste bei der Auflösung schier unlöslicher Angstzustände und Zwangserscheinungen geleistet. Eines steht für mich fest: Das quälende Schuldbewusstsein des Neurotikers stammt aus diesen Quellen und kann nur auf diese Weise gelöst werden, dass man den Kranken auf das allgemein Typische und Menschliche dieser Phänomene aufmerksam macht. Auch begreifen wir erst jetzt die überragende Bedeutung des religiösen Komplexes. Die Religiosität ist das Negativ der Kriminalität. Alle Neurotiker sind reuige Sünder und fromme Büßer!
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