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„Auferstehung“ und zum zweiten Male sterben

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Auferstehung und zum zweiten Male sterben

„Was heißt Leben? – Leben – das heißt:

Fortwährend etwas von sich abstoßen,

das sterben will. Leben – das heißt grausam und

unerbittlich gegen alles sein, was schwach

und alt an uns, und nicht nur an uns, wird.

Leben – das heißt also: ohne Pietät gegen

Sterbende, Elende uns Greise sein?

Immerfort Mörder sein? –

Und doch hat der alte Mose gesagt:

Du sollst nicht töten!“ Nietzsche

Wenn die Psychoanalyse keinen anderen Erfolg erzielt hätte, als uns belehrt zu haben, wie fest die Bande sind, die uns an unsere Eltern binden, so hätte sie schon Großes geleistet. Vater und Mutter waren uns nie leere Begriffe, sie galten als das Heiligste, was wir besaßen. Jetzt wissen wir, dass sie das Stärkste sind. Der psychische Infantilismus ist das wichtigste Kennzeichen der Neurose. Die Kranken beharren hartnäckig auf ihrer infantilen Form des Lustgewinnes. Das macht die Grundlage jener unerschütterlichen Treue aus, mit der die Neurotiker an ihren infantilen Idealen hängen. Manche Erscheinungen sehen ja aus wie das Gegenteil: Empörung, Unabhängigkeit, Rücksichtslosigkeit den Eltern gegenüber. Wer mit der merkwürdigen Eigenschaft der Bipolarität aller Symptome vertraut ist, wird sich darob nicht wundern. Er wird die gegenteilige Erscheinung als den Versuch ansehen, sich aus diesen Banden zu befreien. (Adler würde diese Erscheinungen als männlichen Protest gegen das weibliche Empfinden der Hingebung auffassen.)

Haben die Lebenden schon eine so ungeheure Gewalt über uns (Vergleiche Jung: „Die Bedeutung des Vaters für das Schicksal des Einzelnen“ (Jahrbuch 1).), so scheint die Herrschaft der Toten manchmal noch tyrannischer zu sein. Wie viele neurotische Symptome sind nur „nachträglicher Gehorsam“ oder „nachträglicher Trotz“. Also immer Reaktionen auf die Imperative der Erzieher. Der Tod kann hie und da diese Imperative lösen. Wir sehen Menschen frei werden, wenn eine der imperativen Gewalten der Jugend stirbt (Vergleiche die Ausführungen Sadgers über Konrad Ferdinand Meyer. (Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens Nr. 59, J. F. Bergmann. Wiesbaden.)). Manchmal tritt jedoch das Gegenteil ein. Der Tod versteinert die Imperative und macht sie unlösbar. Die armen Menschen stehen dann unter der Herrschaft unlöslicher (affektaktiver) Imperative, gegen die die intellektuelle Einsicht nie aufkommen kann. Selbstverständlich wird der Versuch unternommen, diese Imperative der Toten zu durchbrechen. Mit mehr oder minder Glück. Am besten gelingt es, wenn ein neuer starker Affekt die Neurotiker beherrscht. Die neue Liebe muss die alte töten. In diesem Sinne ist die Übertragung das stärkste Heilmittel...

Dann erst sterben dem Neurotiker seine Toten. Sie müssen eben erst noch einmal psychisch sterben, ehe er frei wird. Die Psychoanalyse besorgt diese notwendige Arbeit.

In den Träumen erscheint dieses Problem der Befreiung von den Imperativen der Toten in einer sonderbaren Form. Die Toten sterben noch einmal. Wir werden später bei der Besprechung des Gefühls des Fremden im Traume und im Leben sehen, dass die Lebenden in einem solchen Falle dem Träumet fremd vorkommen. Die Macht der Lebenden soll dadurch gebrochen werden, dass sie zu Fremden gemacht werden.

Die Macht der Toten erlischt, wenn sie zum zweiten Male sterben. Eigentlich: sie sollte erlöschen. Denn diese Träume zeigen uns ja nicht Tatsachen, sondern nur Wünsche, nicht Vorstellungen, sondern nur Übergänge an.

Wir wollen das Problem „Zum zweiten Male sterben“ jetzt an einigen Beispielen im oben angeführten Sinne erläutern:

Fräulein Omega träumt:

(463) „Papa, Mama und ich saßen im Wohnzimmer. Mir war, als ob die obere Holzwand unseres Glasschrankes brannte, und als ob ein kleines Loch in dem Boden sei, durch das Feuer in den Schrank auf das Porzellan fallen würde. Ich vergaß aber den Schrank, mein Blick war auf Vater gefallen, der sah auf einmal so merkwürdig aus. Sein Kopf fiel nach hinten im Sessel, sein Gesicht war auf der einen Seite ganz rot, die Nase war weiß wie gepudert, die Augen aber schlossen sich und markierten auffallend Vaters Totengesicht, man sah förmlich das Antlitz in den Tod übergehen, das Brechen der Augen.“

Die Neurose der Träumerin ist durch die übergroße Liebe zum Vater bedingt. Wie in einem Glasschranke ein kostbares Porzellan bewahrt wird, so behütete sie dieses Empfinden, und ihre letzten Jahre seit Vaters Tode waren ein Hindämmern gewesen, eine stete Andacht für den teuren Toten. Ihre Liebesbedingung sind ältere verheiratete Männer. Sie hätte wiederholt heiraten können und ging der Gelegenheit scheu aus dem Wege. Denn sie liebte immer etwas Verbotenes. Einen Onkel, einen älteren Arzt, einen verheirateten Freund ihrer Mutter.

Jetzt in der Psychoanalyse brennt sie wieder. Bezeichnenderweise brennt der Schrank, der zu einem Sarg aus Glas über die Assoziation „Schneewittchen mit der bösen Stiefmutter“ führte. Auch beschäftigte sie das Thema der Leichenverbrennung.

In diesem Traume sieht sie den Vater wieder sterben. Sie sieht seine Fehler. „Sein Gesicht war auf der einen Seite rot“... d. h. er war immer ein starker Trinker gewesen, der einen Teil ihres Vermögens vertrunken hatte. „Die Nase war weiß gepudert“, auch diese Schilderung hat einen tiefen Sinn. Auffallend weiß gepudert ist der „Hanswurst“ im Bajazzo. Auch die Dirnen pudern sich stark. Schließlich kennt sie den vulgären Ausdruck „pudern“ für beischlafen. Die Schmähungen auf den Vater werden durchsichtig. Er hat sich durch sein leichtsinniges Leben umgebracht. Er hatte neben der Frau noch andere Frauenzimmer, leichtsinnige Dirnen. Wie konnte sie einen solchen Menschen so treu lieben und seinetwegen erkranken? (Vgl. „Warum sie den eigenen Namen hassen.“ Zentralblatt für Psychotherapie 1910, Nr. III.)

Sie will mit der alten Liebe brechen. (Brechen der Augen.) Sie bricht jeden Morgen. (Ekel und symbolische Befreiung von den Traumgewalten, ein Brechen im doppelten Sinne.)

Sie fühlt sich nun frei. Der Vater ist erst jetzt für sie gestorben. Sie kann erst jetzt seine Imperative durchbrechen. Dies der tiefste Sinn dieses Traumbildes.

Anders äußert sich aber die Reaktion auf diese Befreiungsversuche. Dann werden die Toten wieder lebendig. „Wenn wir Toten erwachen“...

Dieselbe Träumerin, Fräulein Omega, soll uns wieder einen Traum liefern, den sie in der nächsten Nacht nach dem Befreiungstraume träumte und der das Problem von der Gegenseite beleuchtet:

(464) „Wir standen vor dem Dorfe an der großen Wiese, wo die Schwarzen waren. Da fuhr man plötzlich einen Toten auf dem Wagen heraus. Den wollten sie ins Wasser versenken. Da belebte er sich wieder. Mehr weiß ich nicht.“

Es handelt sich um die Somalineger, die sie dieser Tage im Prater gesehen hat. Herren in Schwarz gefallen ihr sehr gut. Der Tote, der auf dem Wagen herausfährt, ist der nicht erigierte Penis. Das Versenken ins Wasser (Feuer!) symbolisiert den Kongressus. Die Wiederbelebung ist die Erektion.

Der „Schwarze“ ist aber ein schwarzer Herr, der ihr in der Pension den Hof macht aber sehr zurückhaltend und korrekt ist. Wie sie sich diese Szene denkt und wünscht, das verrät der Traum.

Nachträglich fällt ihr ein:

„Der Tote lag mit dem Gesichte nach abwärts. Wie man ihn in den Fluss versenken wollte, wurde er lebendig und stand auf. Er war schwarz, hatte aber einen schönen, krausen, blonden Bart. Am Körper trug er ein schwarzes Trikot.“

Der Nachtrag enthält gewöhnlich das Wichtigste. So auch in diesem Falle. „Der Tote lag auf dem Bauche“ war ihre erste Assoziation. Ferner erinnerte sie sich an eine Untersuchung eines Gynäkologen, der wegen eines „Flusses“ konsultiert wurde. „Die umgekehrte Lage des Toten“ (Der Gynäkologe konstatierte eine umgekehrte Lage der Gebärmutter.) stellt also die richtige Lage bei einem Kongressus dar. Überdies liegt das Membrum auf dem Bauch, ehe es lebendig wird und aufsteht. Der schöne krause blonde Bart sind die Crines pubis (Schambeinbehaarung).

Doch woher kommen ihr diese Kenntnisse? Was bedeutet das schwarze Trikot? Jetzt steigt ihr auch die betreffende Erinnerung auf. Es war in einem Seebade. Die benachbarte Kabine hatte ein schlank gewachsener, von der Sonne sehr gebräunter, schöner Mann. Sie konnte sich es nicht versagen, durch ein Astloch hindurchzusehen. Der Mann hatte ein schwarzes Trikot an. Als er dasselbe ablegte, sah sie die blonden Crines pubis, was sie sehr erregte und ihre Phantasie noch lange beschäftigte. Eine weiter zurückliegende infantile Erinnerung geht auf den Bruder, an dessen Bett sie sich öfters setzte. Sie konnte die mädchenhafte Neugierde nicht unterdrücken, deckte ihn auf und berührte das Membrum ganz leise. Da konnte sie das Phänomen beobachten, wie der Tote lebendig wurde.

Endlich verdichtet sich der Traum durch eine dritte Szene, in der sie dies Phänomen beobachten konnte. Doch die wichtigste Bedeutung ist: Der Vater ist noch nicht gestorben! Er ist für sie auferstanden und lebt noch. Er ist von den Toten (Schwarzen) zurückgekommen und gehört wieder seinem Kinde.

Diese Träume sind deshalb so interessant, weil sie uns einen Schlüssel zum Verständnis der verschiedenen „Belebungsszenen“ in den Träumen und in den Phantasien der Neurotischen liefern. Wie häufig treffen wir die Angst, die toten Gegenstände, Sessel, Tisch, Federn, Bleistift usw. seien nicht tot, sondern könnten plötzlich lebendig werden! (Der Neurotiker kennt keine toten Dinge. „Alle Dinge können sehen. Sag‘ nicht, dass sie blind dastehen. Sag‘ nicht, dass sie dunkel gehen. Häuser, Bäume, Wege, Wind, Stühle, Tische, Bett und Spind, alle Dinge säend sind“ (Max Dauthendey). — Alle toten Dinge sind eben Symbole des Lebenden.) Hinter dieser Angst verbirgt sich häutig die Angst vor der Erektion und den Folgen eines verbotenen Kongressus. Denn verheiratete Frauen zeigen diese Angst — wenigstens in Bezug auf ihren Mann — in den seltensten Fällen.

Ich erinnere mich nur an eine Dame, die ihren Mann verabscheute, jedem ehelichen Verkehr aus dem Wege ging, und die öfters derartige Träume wie die folgenden hatte:

(465) „Ein Schirm wurde lebendig, machte sich auf und kam ihr näher.“

Oder:

(466) „Eine große Tonfigur, ein schwarzer Neger, wurde plötzlich lebendig und wollte sich auf mich stürzen.“

Solche Träume sind nicht allzu selten und gestatten eine glatte (einseitige) Deutung. Natürlich sind zahlreiche Überdeterminationen da. Ich muss es immer wieder betonen: Es gibt in der Traumdeutung keine absolut gültigen Übersetzungen und Deutungen. Die individualistische Färbung des Traumes lässt zahllosen Variationen Tür und Tor offen.

So ist es auch im Traum Nr. 464 vom Toten, der sich wieder belebt. Sie ist im Begriffe ihren Vater zu vergessen. Sie will ihn in den großen Fluss versenken, wo die Toten ruhen. Allein er lässt sich nicht so leicht abtun. Er belebt sich wieder. Er richtet sein altes Imperium wieder auf.

Der alte Vater ist wieder lebendig. In ihr taucht die tiefste Schicht der Traumgedanken auf. Wie sie den schönen Vater als kleines Kind gesehen hatte... Hinter dem Herrn mit dem schwarzen Trikot steckt wieder der Vater. „Der Tote lag mit dem Gesichte nach abwärts.“ War der Versuch der Befreiung nicht eine Blasphemie gegen den Toten? Er hatte sich ja im Grabe umgedreht. Nein! Niemals könnte der Vater für sie sterben — sagte dieser Traum. Verdankte sie ihm doch die ersten gewaltigen, infantilen Eindrücke...

Der Traum war dazu bestimmt, gerade diese Erinnerungen anzuführen und durch deren Hebung die Befreiung durchzuführen. Der Tote ist lebendig geworden, um endgültig zu sterben...

Von diesen Träumen fällt ein Licht auf die verschiedenen Mythen von Kaisern, die nur schlafen und nicht gestorben sind (Kyffhäusersage — die beiden Grenadiere von Heine, der Messiasglaube usw.).

Sehr durchsichtig träumt der Zwangsneurotiker Herr J. V.:

(467) „Meine Mutter lag schlafend, wie tot, im Zimmer. Plötzlich wurde sie lebendig und hob ihren Finger, als wollte sie mich warnen. „Nimm dich vor der Rosa in acht“, sprach sie langsam. Dann schrumpfte sie zusammen, und an ihrer Stelle lag ein großes, schwarzes Buch.“

In nachträglicher Treue zur Mutter, die ihm auf dem Totenbette den lapidaren Imperativ gab: „Hüte dich vor den Frauen!“ und dann verschied, kann er bei keiner Frau in ein dauerndes Verhältnis kommen. Rosa ist seine jüngste Liebe. Er möchte sie heiraten, fürchtet aber, nichts „zusammenzubringen“. Er ist meistens nur bei Dirnen potent. Gestern wollte er sich doch entschließen, um Rosa zu freien. In der Nacht erschien ihm die Mutter und wiederholte den Imperativ. Sie ist noch nicht tot. Sie lebt noch und befiehlt noch. Das große schwarze Buch, das an ihrer Stelle liegt, ist die Bibel, in der die Mutter immer las und die jetzt ihm gehört...

Es folgen nun sieben Träume des Herrn Beta, die in zwei Nächten geträumt wurden. Wir wissen ja aus früheren Analysen, welche wichtige Rolle der tote Vater in seinem Seelenleben spielt. Wir werden auch hier die lange vergeblichen Versuche sehen, diese Liebe zu überwinden und die tote Autorität niederzuringen.

I. Traum:

(468) „Es war ein sehr hübscher junger Mann, der mir und allen Damen und Herren erzählte, er sei sehr gesund, nur habe er Schweißfüße. Dagegen gäbe es nichts, die habe er ererbt vom Vater und Großvater.“

II. Traum:

(469) „Ich ging in ein Tal hinab und sah einen Matrosen in einem Landhaus verschwinden. Ich suchte ihn und fand ihn nicht mehr.“

III. Traum:

(470) „Papa, Bruder, auch ein Herr F. und ich spielten Billard. Ich schlug aber auf die Bälle wie beim Golfspiel. Auch probierte ich sehr lange, bis ich einen trefflichen Coup vollführte. Dann aßen alle; Herr F. aß zwei Büchsen Sardinen aus und erklärte dann, um Mittemacht noch zu einem Freund, den er recht gern habe, essen zu gehen obwohl dieser erklärte: „Ich bin ein Christlich-Sozialer!“

„Dann war Papa auf einmal sterbenskrank und zwar am Herzen. Er durfte sich nicht rühren, und es wurde nur ein halbes Abendblatt der „N. Fr. Presse“ gekauft, das ich las. Ein ganzes hätte ihm schaden können. Dann war aber doch ein ganzes „Erstes Nachmittagsblatt“ da. Nun dachte ich, wie sei denn das, dass Papa noch einmal stürbe, er sei ja doch schon tot.“

IV. Traum:

(471) „Ich warf meine Uhr auf den Boden, sie brach nicht, sondern es sprang nur der Deckel auf.“

V. Traum (am nächsten Tage):

(472) „Ein Ökonom, Herr Christians, und ich waren mit einem dicken Herrn in einem kleinen Zimmer. Christians hat gesagt: „Wir werden folgendes Spiel machen. Zuerst wird er in einem Badezimmer baden, dann ich und schließlich der Dicke, wenn noch ein Badezimmer da ist. Christians badet in einem Einzelbadezimmer (nur für eine Person bestimmt), ich in einem, das für vier war. Der Dicke ist weggegangen, weil kein Badezimmer mehr da war, Christians hat mich sexuell aufgeregt. Wir waren beide ganz nackt, und ich habe mich gewundert, dass er größer ist als ich. Jetzt ist mein Bruder gekommen und hat mich gefragt, was ich gemacht habe und ob ich gar nichts von seinem Penis gesehen habe. „Nicht einmal so viel!“ sagte ich und zeigte auf den Finger.“

VI. Traum:

(473) „Eine Frau mit einem Stock oder einem Penis in der Hand neigt sich über ein Kind (Jesuskind?) in der Wiege.“

VII. Traum:

(474) „Ich will in die Gruft am Zentralfriedhof hinuntersteigen. Dann graut mir davor und ein Engel verwehrt mir den Eintritt.“

Der erste Traum betont den Fußfetischismus, durch den der Träumer ausgezeichnet ist. Er ist der „hübsche junge Mann“, und er fühlt sich vollkommen gesund bis auf den Fußfetischismus, der hier sehr charakteristisch durch „Schweißfüße“ dargestellt wird. Nach den Beobachtungen von Freud, die Abraham und auch ich bestätigt haben, entsteht diese Form des Fetischismus durch die libidinöse Betonung des Schweißgeruches der Füße in der Jugend (Von den anderen Wurzeln, Saugen an der großen Zehe (Adler), Hutschen mit dem Fuße (Stekel) und Bußideen (Stekel) habe ich bereits an anderer Stelle gesprochen. (Vgl. den Traum Nr. 92 und die Analyse S. 113).). Auch bei unserem Kranken war das der Fall. Sein erstes Kindermädchen litt an Schweißfüßen. Jetzt besteht infolge der Verdrängung Ekel vor Schweißfüßen. Dagegen gefällt ihm ein dunkelgeröteter, d. h. erhitzter Fuß. Wir müssen an die zweite Bedeutung des Schweißes „Blut“ (in der Jägersprache!) denken. Auch an die symbolische Gleichung, die Schweiß, Blut, Stuhl, Urin, Schleim, Eiter, Auswurf usw. untereinander und dem ,,Gelde“ gleichsetzt. Der „blutige Fuß“ ebenso wie „der Fuß, der mit Kot beschmiert ist“ (das Hereinsteigen in Kot) spielen in seiner Phantasie eine sehr große Rolle (Eine andere Bedeutung: Seine Schuld stinkt (vgl. Nr. 462)). Dieser Traum soll alle persönliche Schuld auf erbliche Belastung durch Vater und Großvater schieben. Wir werden später noch eine zweite Bedeutung kennen lernen. Von Vater und Großvater hat er ein großes Vermögen geerbt.

Der zweite Traum spielt auf das schwere Trauma seines Lebens an. Sein Vater (der Matrose — d. h. der große Schiffer) hat einem Landhause (einer Bäuerin, seiner Engländerin auf dem Lande) nächtliche Besuche gemacht. Diesen Vorfall hat er verdrängt. Er wollte ihn nicht sehen. Der Traum erfüllt seinen Wunsch. Er sucht (die Erinnerung) und findet sie nicht mehr. Im zweiten Traume stirbt der Vater wieder. Er verschwindet in der Gruft, so dass er ihn nicht mehr finden kann.

Der dritte Traum ist von fundamentaler Bedeutung. Sein Vater ist wieder am Leben, er ist auferstanden. Darüber wundert er sich. Er hat ein großes Wunder erlebt. Der Vater stirbt zum zweiten Male. Das hat — wie wir wissen — eine große Bedeutung. Bis jetzt lebte er ihm noch. Er stand unter der Herrschaft väterlicher Imperative. Jetzt wird er frei — das ist das eine große Wunder — und jetzt erst ist der Papa für ihn gestorben. Das ist das wichtige Problem vom Sterben bereits Gestorbener. Der Wunsch, mit ihnen fertig zu werden und sie endlich zu den Toten zu werfen.

Das Spiel mit den Bällen hat eine eigene Bewandtnis. Es fällt ihm zuerst der Plattfuß und dann das Fußballspiel ein. Der Ballen des Fußes interessiert ihn am Fuße am meisten. Er hat Ekel vor Füßen, die Hühneraugen haben, die er ebenfalls Ballen nennt. Auch andere Ballen interessieren ihn, nämlich die beiden Mammae. Der Golf heißt ja lateinisch sinus (der Busen) und im Deutschen Meerbusen. Sein Fußfetischismus ist auch eine Verlegung von oben nach unten. Die beiden Fußballen stehen für die beiden Mammae. Endlich Beziehungen zu den Hoden. Homosexuelle Phantasien. Weitere Beziehungen von Coup (Coupe — couper — Kuh mit Eutern siehe die Träume Nr. 255 — 257). Der Herr F. steht für den Vater, Herr F. ist ,,der große Analerotiker“, wie er ihn nennt, welcher immer Blasphemien im Munde führt, die innige Beziehungen zum Traume haben, die ich aber unmöglich hier mitteilen kann.

Die beiden Ausgaben des Vaters (Faust und Mephisto) werden hier durch den Vater und P. dargestellt. Der Vater hat zwei Geliebte (das Kindermädchen d. h. das Landhaus und die Engländerin), die als Schachteln ohne Kopf (Schwanz) dargestellt werden. Doch zu Sardinen fällt ihm Piemont ein, das er als pied-mont, d. h. Fuß des Berges, auflöst (Vgl. Traum Nr. 380).

Schon jetzt fällt uns auf, dass im zweiten Traum der Träumer ins Tal hinabging, d. h. auf den Fuß des Berges. Was das zu bedeuten hat, sollen wir gleich erfahren. Herr F. soll zu einem Freund gehen, der ein Christlich-Sozialer ist, um dort zu essen. Es handelt sich um das heilige Abendmahl, das die Griechisch-Katholischen nach Mittemacht nehmen. Der Freund heißt Zimmermann. Es fällt ihm aber sofort ein Sohn eines Zimmermannes (zweite Bedeutung Frauenzimmermann = Don Juan) ein... Christus. Der Vater soll sich zu Christus bekehren und fromm werden.

Das ist der große Konflikt seines Lebens. Der Vater und Großvater waren überzeugte Liberale und beteten niemals, gingen in keine Kirche. Sein erster Hofmeister war ein fanatischer Klerikaler. Das ist die Belastung vom Vater und Großvater. Er hat von ihnen den Liberalismus, d. h. den Unglauben übernommen. Nach außen und vor sich ein überzeugter Freigeist ist er im Innern ein überzeugter Klerikaler (Christlich- Sozialer).

„Dann war Papa auf einmal sterbenskrank — und zwar am Herzen“ — an seinem Herzen fraß der Unglaube, er sollte bekehrt und erlöst werden. Deshalb durfte er nicht das „Judenblatt“ — die „Neue freie Presse“ lesen. Nur die halbe Zeitung, d. i. die „Presse“, wie die mehr konservative, fast klerikale Mutter der „Neuen freien Presse“ geheißen hat. Die Zeitung ist hier auch in zweiter Bedeutung das Weib (Bekannte Assoziationen: Spalte der Zeitung, Stehende Artikel. Der alte Witz wie man Impotenz heilt: Man gibt den Penis in eine Zeitung. In dieser steht Alles. Ferner Eva, als erster Redakteur. Außerdem Witze: Über und unter dem Strich, kleiner Anzeiger usw. Neuigkeit — Vagina (Anthr. III. S. 52).). Die freie Presse eine Dirne. Die halbe Presse = demi-monde. Ein ganzes Blatt hätte ihm schaden können. Der Papa sollte nicht noch einmal heiraten und keine Verhältnisse mit „ganzen“, d. h. vollwertigen Frauen haben.

„Halbes Abendblatt“ führt zu den Gedanken vom „Heiligen Abendmahl“. „Erstes Nachmittagablatt“ konnte nicht gedeutet werden. Wahrscheinlich Anspielung auf eine Szene zwischen Vater und Kindermädchen am Nachmittag.

Der vierte Traum zeigt uns die Uhr als Symbol des Herzens. Sein Herz (der Vater) stirbt nicht. Er wirft sie zu Boden, sie bricht nicht. Er merkt nur, wie viel es geschlagen hat. (Der Deckel springt auf.) Der Vater hat ihn nach der ersten Szene geschlagen. Aufspringen des Deckels = die Auferstehung = die Toten steigen aus den Gräbern.

Der fünfte Traum brachte uns eigentlich die Lösung einer Reihe von Träumen, auch der vorhergegangenen (Wir haben dies Phänomen, dass der nächste Traum der Nacht den vorhergehenden deutet, wiederholt beobachten können. Eine ganz vorzügliche, ausführliche Traumanalyse hat Otto Rank publiziert: „Ein Traum, der sich selbst deutet.“ (Jahrbuch für psychoanalytische Forschungen, II. Bd. 1910. F. Deuticke.) Der zweite Traum enthält die Deutung des ersten.). Denn die Analyse dauert ca. 10 Stunden. Hier sind bloß die Resultate dargestellt.

Zum Ökonom fällt ihm sein Bruder ein. Die Bäder blieben rätselhaft, bis ich darauf dringe, dass dieser Traum Beziehungen zum religiösen Komplex haben müsse. Er verneint dies; findet jedoch Anspielungen auf seinen Geiz, seine Sucht, Geld zu erwerben, ökonomisch zu leben. Weitere Einfälle gehen über Aaron zum „goldenen Kalb“. Diese Schmähung zielt wohl auf den dicken Herrn, der seinen Vater darstellt, obwohl er sehr ordinär, wie ein ungebildeter Fiakerkutscher aussah. Auch stand er da wie tot und starr, was wir ja verstehen werden, da es sich um den toten Vater handelt (Kutscher, der Lenker der Familie = der Vater; Fiaker, Zweigespann = Ehe, Fiakerkutscher = Ehemann, der Vater.)

Dann fällt ihm ein, dass es gar kein Bad war, nur eine Dusche, ein Benetzen des Hauptes. Schließlich erkennt er den Ökonom als einen Menschen, der an einem chronischen Ekzem leidet und löst ihn in ,,Ecce-homo!“ auf. Aaron. — Jean (Johannes), Ko — Kohn und Christus. Das Baden bedeutet die Taufe. (Johannes der Täufer!) Christus hat als erster die Taufe genommen. Er ist der große Einser! („Einzelbadezimmer“) Der Einzige, den er verehrt und anbetet. Er hat eine Zeitlang gezweifelt, ob er überhaupt getauft wurde, und beneidete Kaiser Konstantin (er nennt seinen Freund Kohn konstant Ko) darum, dass er sich am Totenbette taufen ließ und nun rein in den Himmel einziehen und die ewige Seligkeit erwerben konnte. Der „abscheuliche Dicke“ hatte auf die Taufe und die Wiedertäufer verzichtet, d. h. das Himmelreich verloren.

Doch das Wichtigste ist der Umstand, dass ihn der Ökonom im Traume sexuell erregte. Auch die Frage des Bruders, ob er den Penis gesehen habe, wird verständlich. Christus war seine erste religiöse und erotische Liebe. Die Schweißfüße sind die blutigen Füße des Sohnes Gottes.

Aber seine Sünden sind noch viel größer. Er litt eine Zeitlang in der Kindheit an dem Größenwahn, selber der Sohn Gottes zu sein. Er war sich selber Christus. Seine Familie war die heilige Familie. Der Vater Gott, der Bruder der Heilige Geist und er der „Sohn Gottes“. Deshalb wundert er sich im Traum, dass Christus größer ist als er. Er ist der Erlöser. Er büßt die Sünden seines Vaters und hat sieh ans Kreuz der Neurose geschlagen. Seine Hauptsünde: sein Gott war seine erotische Liebe. Er hat es als Knabe bedauert, dass Christus immer ein Tuch um die Lenden getragen hat. (Siehe den wichtigen Traum Nr. 9 und die Träume Nr. 186.) Eine andere Sünde: Er wollte einmal den Penis des Vaters sehen und sagte: „Bitte, Papa, zeig‘ mir dein Pipi!“ Dafür kriegte er ordentliche Hiebe und Schelte. Darauf bezieht sich die Frage des Bruders am Schluss dieses Traumes. Am nächsten Tage träumt er eine Variante — den sechsten Traum. Die Frau schildert er: eine dicke, ordinäre Person, grauslich, gewinnsüchtig, lüstern, eine Köchin, die die schlechten Eigenschaften aller seiner kindlichen Bekanntschaften hat. Der bisexuelle Charakters des Träumers ist deutlich. Die Hauptsache, dass er den Vater (den Dicken des fünften Traumes) als altes Weib darstellt. Er ist das Jesuskind. Der Vater hindert ihn am Onanieren.

Im letzten Traum packt ihn die Reue für die Schmähungen, die er dem geliebten Vater zugetan hat. Er will zum Vater in die Gruft hinab. Selbstmordgedanken. Ein Engel (sein Arzt) hindert ihn daran. Der Engel erinnert ihn an ein Bild von der Auferstehung Christi. Diese ist ja im dritten Traume (das Wunder als ,,sich wundem“ ausgedrückt) ausgeführt. Auch das Springen des Uhrdeckels ist das Springen der Gruft, da Christus auferstand. Der Engel ist auch der Engel mit flammendem Schwert, der die Sünder aus dem Paradiese vertreibt. Wir erfahren den tiefsten Grund seiner Impotenz. Er kann zum Weib nicht geben, weil er nicht würdig ist, ein Weib zu besitzen. Der Engel vertreibt ihn aus dem Paradiese. (Zentralfriedhof = Gruft = Vagina (Auch das „gelobte Land ist die Vagina, Moses oder Aaron (Aaronsstab! Der Penis. (Anthr. III. S. 436.)). Er hat ein Grauen vor dem Weibe, das ihm die Sünde personifiziert. Sein Penis klappt jedes Mal zusammen, wenn er ihn in die Vagina stecken will. Zwischen ihm und dem Weibe stehen der Tod und die Sünde.

Er träumt von der Auferstehung! Das ist das große Wunder. Er erwartet die Renaissance seiner Potenz. Sein Penis soll aufstehen. Sein Membrum ist seine Gottheit. Sein Gott ist tot. Er kann nicht glauben und nicht beten — aber auch nicht ein Weib besitzen.

Der zweite Traum zeigt ihm den Tod des Vaters und die verlorene Potenz. Er hat keinen Penis mehr. Nur einen Fuß. Sein Fußfetischismus ist die Buße für die vermeintlichen Sünden des Vaters und seine eigenen Vergehen.

Durch alle Träume klingt es wie Hoffnung auf eine baldige Genesung. Der Coup gelingt. Der Vater stirbt. Die Uhr fällt zu Boden und ein Engel bewahrt ihn vor dem Verderben.

Auch in anderer Form spielt der Glaube in seine Neurose hinein. Er leidet an Straßenangst. Eigentlich Angst vor „Revenants“. Der Vater könnte wieder auferstehen und ihm mahnend entgegentreten. Der Teufel könnte ihn holen (Seine wichtigste Frage ist: „Fromm sein“ oder „Ungläubig“, „Himmel“ oder „Hölle“? Wo ist der Vater? Wie muss er leben, um den Vater wieder zu sehen? Er bedauert, dass er kein Protestant ist. Dann könnte er sich taufen und alle seine Sünden wären vergeben. Das Sakrament der Taufe löscht die Sünden der Vergangenheit. Er ist dann wie neugeboren... Manche Menschen wollen die Religion wie eine Wohnung wechseln, damit sie ihr Ungeziefer in den alten Räumen zurücklassen können.).

Es hat ein Jahr emsiger Arbeit bedurft, um diesen verschütteten religiösen Komplex zu heben. Er fehlt fast bei keiner Neurose, mögen sich die Kranken noch so aufgeklärt und atheistisch gebärden. Sie glauben alle, sind Frömmlinge dem Gefühle nach. Im Intellekt haben sie wohl den Glauben überwunden. Aber die infantilen Affekte sind für ewig ins Herz gebrannt und melden sich in den bösen Stunden (Beta hatte eine klerikale, bigotte Engländerin. Wir unterschätzen diese Einflüsse. Wir laufen ja immer unseren historischen Imperativen nach. Die Worte der Erzieher haben für uns Ewigkeitswert, und wir leiden alle mehr oder weniger an den Folgen der sogenannten „guten“ Erziehung.). Das Herz, das unerschütterliche Kinderherz glaubt noch immer, wenn der Verstand sich jenseits von Glauben und Frömmigkeit dünkt (Die wichtigste traumatische Szene, die im Leben des Herrn Beta eine Rolle gespielt hat, eine Badeszene, taucht hier das erste Mal auf (Traum 544). Sie wird uns noch des Öfteren beschäftigen. Sie kehrte in zahlreichen Variationen in den Träumen Beta‘s wieder, bis sie durch die Psychoanalyse erinnert und endgültig aufgelöst wurde. Wir werden noch oft Gelegenheit haben auf diese Szene zurückzukommen. Der Träumer und sein Bruder badeten zusammen in einer Wanne und trieben allerlei erotische Spiele, als plötzlich der Vater hinein kam und über beide Knaben ein schreckliches Donnerwetter niedergehen ließ. Der Patient behauptet, dass sowohl seine Gewitterangst, als auch die seines Bruders, diese infantile Wurzel haben.).

Auch der Träumer, der an Stelle seiner Mutter die Bibel sieht, ist ein fanatischer Freidenker und Häckelianer. Ein „Monist“ strengster Observanz. Doch nur nach außen. Der religiöse Komplex verschmilzt meistens mit dem Elternkomplex zu einem unlöslichen Ganzen. Gott Vater und der Vater werden zu einer Einheit. Die Sünde wider die Eltern wird zur Sünde wider die Religion...

Die „Auferstehung“ und das „zweite Sterben“ im Traume sind besonders geeignet, diese Verbindung nachzuweisen. Eine Fülle von Problemen drängt sich da zusammen. Sie harren noch der endgültigen Lösung.

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Die Sprache des Traumes – Eine Darstellung der Symbolik und Deutung des Traumes – Teil 3 – bei Jürgen Ruszkowski

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