Читать книгу Kadett – Offizier der Kaiserlichen Marine – Briefe von Bord – 1895 – 1901 - Willi Franck - Страница 10
Mit „STOSCH“ im Mittelmeer
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SMS „STOSCH“
Liebe Eltern!
Eben Tagesbefehl:
„‚STOSCH’ geht nach Marokko“ und zwar Sonnabend. Kommen Herbst wieder; sogleich nach Westindien; keinen Urlaub. Herzliche Grüße
Euer Willi
Hafen zu Kiel, a. B. SMS „STOSCH“
den 26. und 27. Juni 1895
Noch sind die Festlichkeiten für die Einweihung des „Kaiser Wilhelm Kanals“ nicht vorüber, da erfahren wir Kadetten von der „STOSCH“, daß die „STOSCH“ dazu bestimmt sei zugleich mit der „KAISERIN AUGUSTA“ (ein Kreuzer zweiter Klasse, vorläufig zu unseren besten gehörend) und einem Panzer vierter Klasse, („HAGEN“? zu der Siegfriedklasse gehörend) nach Marokko zu gehen und Deutschlands Recht, nötigenfalls auch mit Gewalt, geltend zu machen (In Marokko waren 1894 der deutsche Kaufmann F. Neumann und 1895 der deutsche Handlungsreisende Hermann A. Rockstroh ermordet worden. Die Strafaktion sollte die zunächst zugesagte, dann verweigerte Zahlung eines Sühnegeldes von 250.000 M durch den Sultan erzwingen. Derartige Aktionen der europäischen Staaten waren üblich. WF schreibt über diesen Zweck der Reise nichts Näheres.).
Als wir diese Nachricht gestern zuerst von unserem zweiten Kadettenoffizier, Herrn Leutnant Kehrl, erfuhren, glaubten wir an einen Scherz, zumal da die Kadetten von der „STEIN“ wiederholt diese Behauptung ohne Grund von ihrem Schiff geäußert hatten. Als dann aber der Befehl kam, wir sollten unsere Tropenausrüstung bestellen, mußten wir doch daran glauben; und schließlich erklärte der Kadettenoffizier, Herr Leutnant z. See von Reuter (Vermutlich Ludwig v. Reuter (1869-1943), der am 21. Juni 1919 als Befehlshaber der in Scapa Flow internierten Hochseeflotte den Befehl zu ihrer Selbstversenkung gab.), wir würden die Reise unternehmen. Unsere Freude hierüber wurde noch gesteigert durch die Erlaubnis auf Urlaub gehen und uns mit etwa nötigem Vorrat für die Reise zu versehen; und tatsächlich erschienen spät abends die meisten Kadetten schwer beladen mit allen möglichen Dingen, hauptsächlich mit Cigarren und Brausebonbons.
Ich begab mich sofort als ich an Land gekommen war, zu den Bootsvermieter Remka (An der Stelle, auf der später die KSV ihr stattliches Heim erbaute, stand ein Gartenlokal: „Volkers Garten". Hier spielten sonntags abwechselnd die „85er" und die Marinekapelle zu Kaffee, Strickstrumpf und musikalischem Bräutigamsfang. Außerdem gab es den Bootsvermieter Remka, der jeden Fremden anfiel mit der Frage: „Wollen Sie nicht ein büschen rudern, segeln, oder ein klein Kriegschiff ansehn? Ich fahr Ihnen gern mal rüber!" (Kleine seglerische Topographie der Kieler Förde, 1954)),denn dort wusste ich Kurt und den ältesten Rebensburg mit der Ausschmückung eines Bootes für den Blumenkorso, der gestern Abend stattgefunden hat, beschäftigt. In dem nahe gelegenen „Folker´s Garten“ traf ich Tante Wanda und Fräulein Brandt, Tante Emma (mit der großen Tochter) und schließlich Herrn Oberstabsarzt Schumann. Wir alle sollten uns an dem Korso beteiligen, und außer uns noch Herr Doktor Wasmer und Herr Oberstabsarzt Brunhoff. Die Ausstattung hatte die Wendlohe (Wendlohe: Gut in Schnelsen (heute Hamburg)) geliefert; die Blumen hatten sich bei dem warmen Wetter doch wunderschön gehalten kommt. Zuerst holten Tante Emma und ich die Cousine Ella von der Bahn ab; sie hatte in Ülzen eine vergnügte Hochzeit gefeiert. Dann fuhren wir zu Wasmers, wo wir zu Mittag aßen, ich zum zweiten Male. Dann ging es zum Boote zurück, und als die Damen die letzte Hand an die Ausschmückung gelegt hatten war auch schon die Zeit des Festes gekommen. Wir schlossen uns der langen Kette von Booten jeder Art an, und nun begann zunächst der unblutige Blumen-Krieg. Man wurde tatsächlich mit Blumen und Sträußen überschüttet. Das Wasser war vollständig besäht mit den schönsten Blumen (die nach Schluß des Festes von Nichtteilnehmern aufgefischt wurden).
SMY „HOHENZOLLERN“ in Kiel (Zeichnung Willy Stöwer)
Jetzt erschien Majestät oben an Bord der „HOHENZOLLERN“ (SMS „HOHENZOLLERN“ diente als Staatsyacht von 1893 bis 1918 dem Kaiser für repräsentative Zwecke. Sie war ein Aviso von 4.460 t und lief 21,5 kn, die Besatzung bestand aus 350 Mann.), um sie spielte der ganze Korso sich ab, und nun entstand hier ein Gedränge, auf das die Eintagsausschmückung der Boote wenig berechnet war. Aber daran störte sich niemand; jeder wünschte eins von den Sträußchen zu fangen, die der Kaiser in Menge und zu seinem großen Vergnügen herabwarf. Auch wir konnten mehrere unser eigen nennen, fünf Sträuße für die Damen unseres Bootes; und ich erhielt noch eine Rose, die ich Ingeborg zur Aufbewahrung in ihrem Album schicken werde.
Um 9 Uhr sollte ich an der Vineta-Brücke (benannt nach der angeblich bei Rügen untergegangenen Stadt Vineta) sein, und so fuhren wir ¼ 9 fort. Gleich darauf wurde dann auch schon als Zeichen zum Schluß „Heil Dir im Siegerkranz“ gespielt; erst sehr langsam verzog sich das bunte Gewimmel, und nun sah man die einzelnen Boote auseinandergondeln: hier ein Negerkanot (kanot: schwedisch für Padelboot, Kanu) mit den kurzen Schaufeln zum Rudern, und vielfach von Wassertropfen weiß gesprenkelten Gesichtern, dort ein Schwan, dort eine venezianische Gondel, dort ein offenbar von Granaten durchlöchertes Wikingerschiff, dort wieder ein „Middy“ (middy: Kurzform für „midshipman“ = Seekadett, hier vermutlich scherzhaft für ein Tretboot verwandt) in dem Seekadetten die gebrechlichen Räder drehten. So verlief dies schöne Fest. Dann begaben sich Wasmers und Schaubs in die Akademie zu einem Ball, während ich noch über 1 Stunde auf das Boot warten musste, das uns eigentlich um 9 Uhr an Bord bringen sollte.
Während wir auf Urlaub waren, hat die „STOSCH“ Kohlen übergenommen. Ob die Reise durch den Kaiser Wilhelm Kanal gehen wird, wissen wir noch nicht; es heißt übermorgen um 8 Uhr gehe es los. Zusatz: Es ist jetzt auf 6 Uhr morgens festgesetzt. Schon seit einigen Tagen finden tagtäglich Wettsegeln statt, zuerst mit sehr starken, schließlich mit kleinem Winde. Während zuerst viele Yachten kenterten und zu Grunde gerichtet wurden, kamen die Boote heute kaum vorwärts. Ein Boot von der „STOSCH“ unter Herrn Leutnant Kehrl hat heute den dritten Preis bekommen. Gestern erhielt der Kaiser mit seiner Yacht „METEOR“ (Die „METEOR I“ war die erste von insgesamt 5 kaiserlichen Yachten dieses Namens. Sie war 1887 in Schottland gebaut worden und hatte eine Länge von 26 m.) den ersten Preis beim Segeln.
Freitag, den 28. Juni 1895
Gestern abend war Kurt und sein Kamerad Hellmann (Mama kennt ihn, denn er war auf dem Akademie-Kaffe) bei uns in der Messe. Und nachher gingen wir in die Seekadettenmesse. Ich erhielt gestern auch den Brief von Papa, als Kurt gerade hier war. Wir haben jetzt Urlaub, und heute nachmittag wieder. Dann will ich noch einmal nach Labö zu Hagelbergs und nach Heikendorf zu Rendtorffs. Heute mittag wird Majestät zu uns an Bord kommen zur See Klar Besichtigung. Es wird schon furchtbar „Rein Schiff“ gemacht. Wasmers sind jetzt nicht in Kiel, sonst würde ich heute Nachmittag noch dort sein; sie sind auf Schirnau (Gut Schirnau: Ausflugsziel am Kaiser-Wilhelm-Kanal nördlich von Rendsburg) am Nord-Ostsee Kanal.
Von morgen, dem Abreisetage an, beginnen für uns Kadetten auch die Tag- und Nachtwachen, so wie auch die Maschinenwachen. Übrigens ist jetzt bestimmt, daß der „HAGEN“ von der Siegfried Klasse mit uns geht. Gestern wurde der Tagesbefehl über unsere Reise veröffentlicht; die „STOSCH“ wird voraussichtlich Flaggschiff des Geschwaders (Flaggschiff: Führungsschiff eines Schiffsverbandes. Tatsächlich wurde „KAISERIN AUGUSTA“ Flaggschiff der Tanger-Aktion.) werden. Urlaub wirds im Herbst nicht geben. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß wir sofort aus dem Mittelmeer nach Westindien fahren, oder, daß wir überhaupt dableiben. Der erste Hafen den wir anlaufen, (wir werden um Jütland herumfahren), ist Plymouth, dann kommt Gibraltar. „HAGEN“ läuft nicht viel mehr Seemeilen wie wir (Küstenpanzerschiffe waren, ihrem defensiven Zweck entsprechend, stark bewaffnet und gepanzert, aber langsam und von geringer Reichweite. Für Auslandseinsätze waren sie wenig geeignet. Die Höchstgeschwindigkeit von „HAGEN“ betrug 14,8 kn, die der „STOSCH“ 12 kn.), und es ist möglich, daß er auf See Kohlen von der „KAISERIN AUGUSTA“ übernehmen muß, da er für nur wenig Kohlen Platz hat.
Für dieses Mal will ich schließen. Der nächste Bericht kommt aus Plymouth.
Herzlichen Gruß
Willi
S.M.S. „STOSCH“
Kiel, a. B. S.M.S. „STOSCH“ 28. Juni 1895
Lieber Papa!
Vor meiner Abfahrt will ich Dir noch die herzlichsten Glückwünsche zum Geburtstage senden, da ich nicht wissen kann wann die nächste Gelegenheit zum Brief abschicken sein wird.
Onkel Wenck war neulich ja auch hier, vor seiner Fahrt nach Kopenhagen. Er hat sich, mit einer Polizeikarte bewaffnet, überall Zutritt verschafft und vieles gesehen. Aus seinem Erzählen bei Wasmers konnte man merken wie sehr ihn alles interessiert hatte, und es muß auch wirklich sehr interessant in Holtenau gewesen sein. Jetzt sind alle fremden Kriegsschiffe aus dem Hafen verschwunden, nur die Amerikaner liegen noch hier. Heute abend ist Kurt dorthin eingeladen. Im übrigen habe ich in den beiliegenden Bogen die Ereignisse seit vorgestern genau aufgeführt, und ich gedenke dies auf der ganze Reise, wenigstens soweit es mir möglich ist fortzusetzen. Noch einmal meine herzlichsten Glückwünsche zum Geburtstag und viele Grüße an Mama und die beiden Schwestern von Eurem
Willi
Nordsee, a. B. S.M.S. „STOSCH“
30. Juni 1895
Noch vor unserer Abfahrt von Kiel sollten wir noch das furchtbare Unglück, das den „KURFÜRSTEN FRIEDRICH WILHELM“ betroffen hat, erleben. Besonders schmerzlich ist dieses Unglück, da der verwundete Offizier der mit Wasmers bekannte Leutnant Starke ist. Einerseits hatte Herr Doktor zwar bei Exzellenz Köster (Hans Köster (1844-1928), der „Lehrmeister der deutschen Flotte“, war 1895 als Vizeadmiral Chef des Mövergeschwaders in Kiel.)
Über dieses Unglück ließ sich nichts ermitteln. (gehört die Verwundung sei leicht, aber andererseits hörte man von allen Seiten, beide Beine seien ihm fortgerissen, und man zweifelte allgemein an seinem Wiederaufkommen (er mag jetzt wohl schon gestorben sein). Über die Einzelheiten der Explosion beim Minenlegen konnte ich noch nichts erfahren (Am 28.6.1895 hatte eine Explosion an Bord der „KURFÜRST FRIEDRICH WILHELM“ in der Kieler Bucht 7 Besatzungsmitglieder getötet und Leutnant z. S. Wilhelm Starke (1885 – 1941, zuletzt Konteradmiral) verletzt.).
Freitag nachmittag hatten wir noch einmal Urlaub; Majestät war nicht an Bord gekommen, da die „HOHENZOLLERN“ nach Eckernförde gegangen war. Ich wollte Kurt noch einmal aufsuchen, traf ihn aber nicht. Wasmers waren in Schirnau, nur Herr Doktor war zu Hause. Ihm habe ich noch Adieu gesagt.
Am folgenden Morgen, Sonnabend, machten wir uns zur Fahrt durch den Kanal fertig. Die Feuer aufgemacht, Boote geheißt und die Raaen gebrasst (Raa: Spiere, die waagerecht und seitwärts schwenkbar vor dem Mast angeschlagen ist. Brassen: Die Segel mit Tauen horizontal um den Mast nach dem Wind drehen.). Um 10 Uhr ging es dann los (eigentlich sollte es schon um 6 Uhr sein), und unter Hurrahrufen hin und wieder verließen wir, durch die anderen Schiffe hindurchfahrend, den Kieler Hafen. Zunächst ging es in die Schleuse; es war geschlossen worden, obgleich die Strömung nur unbedeutend gewesen wäre, um einen möglichst hohen Wasserstand zu erreichen. Dann wurden wir durchgeschleußt, und, überall von den Bewohnern begrüßt, fuhren wir durch den Kanal. Die meiste Zeit hindurch hatten wir Unterricht, jedoch sahen wir die Durchfahrt durch die beiden Brücken bei Levensau und Grünethal. Wir hatten die Bramstängen an Deck genommen und so konnten wir hindurch mit einem Zwischenraum von etwa 1 m.
S.M.S. „STOSCH“ im Kaiser-Wilhelm-Kanal
Es wird Euch wohl bekannt sein, daß vor der Einweihung des Kanals mehrere Rutschung vorgekommen sind, und zwar die bedeutendste bei der Grünthaler Brücke. Diese ist auch jetzt noch lange nicht beseitigt, das sollten auch wir merken. Gleich hinter der Brücke bemerkt man ein gewaltiges Loch an der linken Seite (von Kiel aus gerechnet) und hier sowohl wie auch schon bei der Fahrt durch die Brücke machten wir kleine Fahrt. Unglücklicher Weise lag an der betreffenden Stelle ein Baggerkahn, dem wir etwas auswichen. Alle Mann waren vorauskommandiert, da auf einmal ein Ruck, das Schiff hob sich vorne, und wir saßen fest. Doch sollte es nicht schlimm werden, denn gleich darauf rutschten wir langsam wieder herunter. Der erste Offizier meint, wir hätten das dem „Sug“ des Schiffes zu verdanken, denn das nachströmende, vom Schiff mitgerissene Wasser habe uns wieder gehoben.
Schleuse Brunsbüttel
Nun kamen wir ohne Zwischenfall nach Brunsbüttel, wurden wieder durchgeschleußt und befanden uns nunmehr auf der Elbe, auf der wir die gerade abgehende Flut benutzen konnten, um ins offene Meer zu gelangen.
Mit gestern hat nun auch das eigentliche Wachegehen begonnen. Ich habe schon zwei Wachen im Heizraum gehabt; diese dauern 2 Stunden, während die Wachen an Deck 4 Stunden dauern. Eine von meinen Wachen war gestern Nacht von 12-2. Es kommt einem doch zuerst wunderbar vor, wenn man mitten in der Nacht aufstehen muß, um Dienst zu thun. Aber doch war ich von den drei wachhabenden Kadetten unten derjenige der am wenigsten müde war. Nachher habe ich aber doch noch tadellos „gemulscht“.
Die „STOSCH“ läuft augenblicklich etwa 8 sm. Heute morgen passierten wir das „BORKUMRIFF-FEUERSCHIFF“ (Das 1875 gebaute Feuerschiff „BORKUMRIFF“ war ein hölzerner Dreimastsegler mit einer Verdrängung von 181 Tonnen und besaß bereits Telegraphenanschluss. Das letzte Feuerschiff „BORKUMRIFF“ (IV) wurde 1988 außer Dienst gestellt und durch GPS ersetzt.) und befinden uns jetzt vor dem Leuchtfeuer von Terschelling. Wir fahren von hier aus durch den Kanal, wahrscheinlich an der französischen Küste entlang ohne Aufenthalt nach Vigo in Spanien. „KAISERIN AUGUSTA“ wird uns noch einholen, „HAGEN“ dagegen ist schon gestern um 3 Uhr in die Elbe gegangen und soll erst in Plymouth Kohlen nehmen. Heute Mittag habe ich zur Feier von Papas Geburtstag ein Glas Wein auf sein Wohl getrunken
Im Kanal a. B. SMS „STOSCH
den 1. Juli 1895
Mit nur 8 sm Fahrt haben wir jetzt doch einen beträchtliche Strecke zurückgelegt, und heute Nachmittag Calais bezw. Dover passiert. Ersteres konnten wir sehr gut erkennen, während England nur am Horizonte sichtbar war. Von Calais aus fuhren wir um das westlicher gelegene Cap Gris Nez herum um jetzt an der Küste Frankreichs entlang zu fahren. Der nächste Hafen wird also wohl Vigo sein; der Ingenieur meinte sogar erst Gibraltar, da die „STOSCH“ dazu hinreichend Kohlen an Bord habe. Es wird also heißen: abwarten!
Von Gris Nez aus soll übrigens unser Passieren gemeldet werden, bzw. gemeldet worden sein (Der Leuchtturm auf dem Gipfel des Cap Gris Nez war (und ist) Teil der französischen Kanalüberwachung.); wir haben dahin signalisiert. Heute morgen ging ich meine erste Wache an Deck, es war ganz interessant.
Eben erklärte uns unser Kadettenoffizier, bei etwaigen militärischen Vorgängen in Marokko würden wir Kadetten voraussichtlich an Bord bleiben und die Geschütze bedienen, jedoch Bestimmtes könne man auch hierüber nicht sagen. Zu unserem größten Bedauern üben die Mannschaften in der Tat allein „Landungsmanöver“, und wenn es auch nur an Bord vor sich geht und unbedeutend ist, stärkt es doch nicht die Hoffnung auf Erfüllung unserer Wünsche.
Eben wurde die Wache aufgepfiffen, zu der auch ich gehöre, und nun haben wir die Gaffel- und Vorsegel (Gaffelsegel: trapezförmiges Segel, das vorne am Mast, oben vom Gaffelholz und unten von einem Baum gehalten wird. Vorsegel: Segel vor dem Mast) gesetzt, und da der Wind ziemlich stark ist, werden wir wohl 1 sm mehr als ohne Segel laufen.
Die heutige Nacht ist für mich Freiwache; ich freue mich auf das Ausschlafen. Die Blumen, die ich neulich schickte, stammen von dem Mittagstisch am Tage meiner Vereidigung, die Rose ist vom Kaiser.
Herzliche Grüße
von Eurem Willi.
Atlantischer Ocean
den 3. Juli 1895 a. B. S.M.S. „STOSCH“
Gestern war ich mit den meisten Kameraden seekrank und für alle anderen Gedanken unzugänglich. Abends hatte ich Wache, wir waren nahe bei Cap La Hague. Wir machten nur sehr wenig Fahrt, da wir bei unseren 8 sm Strömung und Wind entgegen hatten.
Seit gestern abend geht es mir besser; der Seegang hat bedeutend nachgelassen. Jetzt, um 7 Uhr abends, haben wir den Leuchtturm von Quessant hinter uns gelassen, um quer durch den Golf von Biscaya zum Cap Finisterre zu gelangen. Die französische Küste besitzt, ebenso wie die englische, eine große Anzahl von Leuchttürmen, einen neben dem anderen. Sie wird dadurch sehr interessant.
Heute sah ich zum ersten Male seit der Zeit von Sylt Tümmler wieder gesehen. Auch einen Hai konnten wir in einiger Entfernung sehen.
Atlantischer Ocean
a. B. S.M.S. „STOSCH“ 5. Juli 1895
In verhältnismäßig kurzer Zeit haben wir den Golf von Biscaya durchquert und fahren nunmehr beim schönsten Wetter die Küste Iberiens hinab, und werden spätestens Sonntag mittag in Gibraltar sein. Dort werden wir nur ganz kurze Zeit bleiben, die Befestigungen ansehen und wieder weiter dampfen. Spanien haben wir leider nicht gesehen, und Vigo haben wir längst hinter uns gelassen. Wir haben in den letzten Tagen immer gedampft und gesegelt, liefen 8-10 sm. Heute arbeiten die Maschinen überhaupt nicht, und da guter Wind ist, laufen wir 9-10 sm. Einmal sind sogar 11 sm geloggt; 12,7 ist die höchste Leistung der Maschine nur für kurze Zeit.
Vorgestern abend habe ich zum ersten Male Meeresleuchten gesehen, es war sehr interessant, die See unter uns leuchtete wie von vielen 1.000 kleinen, aber hellen, Sternen (Beim Meeresleuchten scheint das Meerwasser blau bis grün zu lumineszieren. Tatsächlich leuchtet aber nicht das Meerwasser selbst, sondern die im Seewasser befindlichen Kleinstlebewesen senden nach Berührungsreiz Lichtsignale aus.). Ich hatte es mir aber im ganzen großartiger vorgestellt, vielleicht kann das ja noch später einmal werden. Endlich wird die Temperatur milder, in Kiel war es so rauh, und jetzt wirds, hier im Süden, warm; dabei ist die Luft aber doch immer angenehm frisch.
Eben erfahre ich, wir befänden uns nur noch 8 sm von Gibraltar entfernt und würden morgen vormittag dort sein. Dort sollen wir uns mit der „KAISERIN AUGUSTA“, dem „HAGEN“ (Panzerschiff „HAGEN“: Bj 1894, 3.500 t, 15 kn, 276 Mann, 3x24 cm, 8x8,8 cm) und der „MARIE“ (Glattdeckskorvette „MARIE“: Bj 1882, 2.400 t, 14 kn, 300 Mann, 10x15 cm, 4x8,8 cm), die aus Wilhelmshaven kommen soll, zum Geschwader verbinden. Ich bin neugierig zu wissen, ob wir wohl als die ersten ankommen werden.
Gestern erhielten wir die Löhnung, und zwar in englischem Gelde. Ein Pfund erhielt ich, einschließlich monatlichem Zuschuß. Das Pfundstück schicke ich mit für Ingeborg als Zuschuß zu einer Uhr (Der Wert des Pfundes betrug etwa 20 Mark.) ferner einen besonderen Gruß an sie.
Strasse von Gibraltar
den 7. Juli 1895 a. B. SMS „STOSCH“
Die Behauptung wir würden schon gestern in Gibraltar sein hat sich nicht bestätigt, beruhte auf einem Irrtum der Kameraden, die es erzählt hatten. Heute sind wir aber wirklich nahe dabei und bald werden wir wohl dort sein. Gestern nachmittag kam Cap da Roca (Cap da Roca: westlichster Punkt des europäischen Festlandes, westlich von Lissabon) in Sicht, es war ein großartiger Anblick, der hohe Bergkoloß, der sich offenbar steil aus dem Meere erhebt. Leider war das Wetter nicht ganz klar und das Kap im Dunst eingehüllt. Sonst haben wir hier aber prachtvolles Wetter, ich habe seit einigen Tagen kaum mehr ein Wölkchen gesehen, es wird jetzt wirklich heiß.
Gestern Nacht kamen wir an Cap Vincent (Cap Vincent: Südwestspitze Portugals) vorbei, da es dunkel war konnte man nur die Umrisse erkennen; ich hatte damals gerade Wache. Abends merkt man jetzt, wie der Tag sich fast ohne Übergang in Dunkelheit verwandelt.
Ich will diesen Brief jetzt abschließen, da er durch die Hofpost befördert werden soll, und diese um 5 Uhr geschlossen wird. Also lebt wohl, liebe Eltern, und Geschwister. Viele herzliche Grüße von eurem
Willi
Falls ich Zeit habe, werde ich noch eine Karte aus Gibraltar schicken; sie wird dann wohl vor diesem Brief ankommen.
W.
Gibraltar 9. Juli 1895
S. M. S. „STOSCH“
(Logbuch)
8. Juli.
Morgens früh kam Gibraltar in Sicht. Um 6 Uhr ging die „STOSCH“ vor Anker vor der Signalstation (ich war schon aufgestanden ohne es zu müssen). Bei der Flaggenparade wurde erst die englische, dann die österreichische Flagge salutiert. Die Engländer erwiderten aus der Salutbatterie die unten im Felsen bis auf die Mündungen eingemauert ist. Von Österreich liegen drei große Panzer hier, die aus Kiel hierher gekommen sind: „MARIA THERESIA“ (K.u.k. Panzerkreuzer „KAISERIN UND KÖNIGIN MARIA THERESIA“: Bj 1894, 6.000 t, 19 kn, 475 Mann, 8x15 cm, 18x4,7 cm, röhrenförmige Gefechtsmasten), „KAISERIN ELISABETH“ und „KAISER FRANZ JOSEPH“ (K.u.k. Geschützte Kreuzer „KAISERIN ELISABETH“ und „KAISER FRANZ JOSEPH I.“: Bj 1892/1890, 4.500 t, 19 kn, 420 Mann, 2x24 cm, 6x15 cm, 13x4,7 cm). Die „STOSCH“ nahm 240 t Kohlen. Wir wurden beurlaubt. Der „HAGEN“ erschien bald nach uns in der Bucht.
Gibraltar gehört seit dem Anfange dieses Jahrhunderts den Engländern (1709) (Prinz Georg v. Hessen-Darmstadt eroberte Gibraltar im Span. Erbfolgekrieg im Jahre 1704 für England.), vorher gehörte es zu Spanien. Seine Bucht bietet dem, der es besitzt, gewaltige Vorteile. Im Norden, Osten und Westen gegen alle Winde geschützt, bietet es den Schiffen vollständige Sicherheit. Auch noch die hohen Berge Afrikas bieten – wenigstens in etwa – Schutz von Süden.
Gibraltar – Skizze von WF
Meyers Konvers. Lex. 1908
Ich bin hoch auf die Berge gestiegen, allein mit zwei Kameraden. Eigentlich durften wir ohne Paß nicht dort gehen, wir wurden aber erst gar nicht angehalten, und so haben wir alles dies gesehen, hatten außerdem noch eine wundervolle Aussicht auf den Hafen und bis nach Afrika hinüber. Oben auf dem Berge, der nach Westen terrassenförmig, nach Osten ganz steil abfällt, liegt die Signalstation. Die Stadt baut sich auf dem beschränkten ebenen Teile der Halbinsel, sie ist vollständig spanisch, wie es das Klima verlangt. Die ganze Bevölkerung ist spanisch (doch ist eine Menge englisches Militär in Gibraltar als Besatzung. Eine Eisenbahn führt nicht dahin, da die Spanier offenbar Angst haben, dann könnte der Platz noch wichtiger werden) Am Abhang im Westen befindet sich ein herrlicher Park, die „Alanda“. Eine Merkwürdigkeit ist noch, daß die Tore bei Sonnenuntergang geschlossen werden.
Der Hafen ist mit zahlreichen Feuern versehen und allem Material, das für die englische Flotte nötig ist. Auf der anderen Seite der Bucht liegt die spanische Stadt Algericas, durch Dampfer mit G. verbunden
In der Stadt war viel Schönes zu haben, Stickereien, Fächer, Cigarrenspitzen u. dergl., viele Kameraden haben sich davon gekauft. Da meine Geldverhältnisse es nicht gestatteten, konnte ich es nicht; ich hoffe es zu können, wenn wir demnächst wieder einmal dorthin kommen. Ich habe in G. zum ersten … (Rest fehlt)
geschr. bei Ceuta
11. Juli 1895
Noch etwas über das, was in Gibraltar zu sehen war u. dergl.
Vorne am südlichsten Punkte der Halbinsel befindet sich ein Steinbruch, dort sah ich zum ersten Male Sprengungen von Felsen. Wir hatten wundervolles Meerleuchten in der Bucht, die Ruder sahen wie Feuerschaufeln aus, als wir abends zum Schiff zurückfuhren.
In der Stadt sind alle Getränke sehr schlecht, und dabei teuer, bei der hohen Temperatur war das sehr unangenehm. Vielfach setzten wir uns in kleine „cabs“ und fuhren spazieren. In solchen offenen Wagen fährt in Gibraltar Arm und Reich umher.
Auf der Linea, dem neutralen Landstrich zwischen englischem und spanischem Gebiet, fand ein großes Stiergefecht statt; wenn uns nicht so viele Widersprüche der Leute davon abgehalten hätten, wären wir alle mal hingegangen. In der Stadt erhält man überall frisches Obst, Äpfel, Birnen, Pflaumen, Feigen, Datteln, Bananen u. a. m. Jetzt will ich in der Beschreibung der Ereignisse fortfahren.
Am 9. Juli war nicht sehr viel los, wir hatten Dienst an Bord, nahmen Wasser, das recht schlecht ist, an Bord – die Folge ist, daß wir eigentlich gar kein Trinkwasser hatten u. haben. Die Österreicher verließen den Hafen, und wir hatten viel Besuch an Bord, vom deutschen Konsul, Engländern und – Bumbooten (die Früchte und allerlei zu kaufen bringen). Am 10. morgens früh fierten wir den Anker, und los ging es nach Tanger.
Dort angekommen wurde furchtbar salutiert, erst Marokko, mit seiner sozialdemokratischen Flagge (Die Flagge Marokkos war ein einfarbiges rotes Tuch. Die Farbe sollte den Anspruch der königlichen Familie auf ihre Abstammung vom Propheten symbolisieren. 1915 wurde ein grünes Pentagramm hinzugefügt.), das aus der Stadt erwidert wurde, und dann der deutsche Gesandte, Graf von Tattenbach (Christian Graf v. Tattenbach war seit 1889 Botschafter in Tanger.). Die Stadt sieht ganz orientalisch aus; leider konnten wir sie nur aus der Ferne sehen, da wir infolge des Besuches von deutschen Gesandten sofort wieder in See gingen und zwar nach Ceuta. Wir erfuhren nämlich, daß sich hier (heute morgen um 5 Uhr sind wir nach Ceuta gedampft) ein deutscher Dampfer sich festgefahren habe, und wir sollten Hülfe bringen. Nach einigem Suchen im Nebel haben wir ihn dann auch gefunden.
Skizze von WF
Es ist der Bremer Dampfer „DRACHENFELS“ (Dampfer „DRACHENFELS“: 1882 von der Deutschen Dampfschiffahrtsgesellschaft Hansa in Großbritannien gekauft, 2.250 BRT –die Reederei ging 1980 in Konkurs), der sich, durch Unvorsichtigkeit, ganz nah an der Küste auf einem Felsen in der See festgefahren hat. Ihm sind schon vor uns kleine Leichter, Schiffe und Dampfer zu Hülfe gekommen. Ich bin aber überzeugt, daß er von den zahlreich herumlungerden Arabern, oder was es nun für Gesindel sein mag, ausgeplündert worden wäre, wenn wir auch nur kurze Zeit auf uns hätten warten lassen. Wir sollen den Dampfer womöglich abschleppen, aber es ist auch möglich, daß ein zu großes Leck dies unmöglich macht.
Es gibt hier eine Menge Taschenkrebse und Fische auch Delphine und Haie haben wir hier dicht am Schiffe gesehen.
Tanger, den 12. Juli 1895
a. B. S. M. S. „STOSCH“
Der „DRACHENFELS“ ist gestern glücklich losgekommen, genauer kann ich es nicht beschreiben da wir an Deck eigentlich nichts sehen konnten, das nur weiß ich, daß ich noch niemals mich so sehr angestrengt habe wie gestern beim Verholen.
Skizze von WF
Wir hatten die „STOSCH“ durch mehrere verkantete Stahl- und Hanftrossen mit dem Dampfer verbunden, und mußten nun die „STOSCH“ mit Hülfe derselben in eine bestimmte Lage nach dem Schiff bringen. Dabei blieb die Stahlleine manchmal unten im Meere hängen und es war dann unmöglich weiterzukommen. Schließlich kamen wir aber doch ran und zogen den Dampfer frei. Dieser mußte wegen eines Lecks auf eine sandige Stelle am Ufer gesetzt werden wo er ausgebessert wird. Wir dampften stolz zurück und trafen hier die „KAISERIN AUGUSTA“ die heute wieder nach G. gegangen ist. Viele Grüße Euer Willi
Tanger, den 15. Juli 1895
a. B. SMS „STOSCH“
Liebe Eltern!
In den letzten Tagen hat die „STOSCH“ nichts wesentliches unternommen, überhaupt ist nichts besonderes vorgefallen außer, daß wir Sonnabend und Sonntag nachmittags nach Tanger beurlaubt wurden. Vorher noch eins, jene marokkanischen Spitzbuben haben uns nunmehr wirklich den gestrandeten deutschen Dampfer geplündert. Sobald wir von der Unglücksstelle verschwunden waren, fühlten sich jene Piraten so sicher, daß sie über die Leichter Schiffe herfielen und mehrere davon in Besitz nahmen. Sobald wir dies hörten, ging „HAGEN“ zur Hülfe ab, jedoch konnte er nichts mehr ausrichten, da die Räuber verduftet waren; heute kam „HAGEN“ hierher zurück.
Die Marokkaner sollen vor unseren Schiffen einen Heidenrespekt haben, hauptsächlich vor der „KAISERIN AUGUSTA“, und so sollen sie denn auch bereit sein, das verlangte Geld (Das Sühnegeld von 250.000 Mark wurde vom Deutschen Reich an die Hinterbliebenen der beiden ermordeten Kaufleute weitergereicht.) zu zahlen. Man spricht hier schon davon, daß wir zu den Manövern schon zurückkommen würden.
Großer Kreuzer „KAISERIN AUGUSTA“
Wir erhalten dann sehr viele neue Offiziere, der Kommandant geht weg, so heißt es (Auf Kpt z.S. Hugo v. Schuckmann folgte im September der neue Kommandant Kpt z.S. August Thiele), der erste Offizier und einige andere ebenso. Also ist es wohl ganz sicher daß wir zurückkommen, und nicht gleich nach Westindien gehen, das weiß ich auch aus den Gesprächen der Offiziere.
Lieutenant von Reuter hoffte schon am 2. oder 3. August wieder in Kiel zu sein und Urlaub zu erhalten, was aber wohl nicht möglich sei. Wenn wir nun mehr als drei Tage Urlaub bekommen, werde ich nach Köln reisen, sonst nicht; oder wünscht Ihr es?
Nun etwas über Tanger. Es ist eine Komposition aus einigen 100 Spitzengassen, womöglich ist‘s noch schlimmer, dabei aber im höchsten Grade interessant (Tanger: ca. 20.000 Einwohner, bedeutendster Hafen Marokkos, im Zustand vernachlässigt). Jedes Haus besteht aus zahlreichen Wohnungen, die wieder aus einem Schaufenster und einem Laden, wenn man es so nennen will, besteht. Aus jedem Fenster wird man von dem Verkäufer belästigt.
Gleich am Thore der Stadt drängt sich ein Führer an den Fremden, der weder durch Güte noch durch Gewalt wieder zu vertreiben ist. Es ist aber gar nicht unvorteilhaft solch einen Menschen mit sich zu nehmen, denn er zeigt alles und macht sich als Dolmetscher nützlich (allerdings sprechen fast alle Menschen hier Englisch).
Ich war in einem recht angenehmen französischen Hotel wo es verhältnismäßig billig war. Leider goß ich ein Glas Rotwein über meine weiße Tropenhose. Auf den Rat einer Frau dort im Hotel habe ich die Hose in kaltes Wasser gelegt, und beinahe ist es dadurch wieder herausgegangen, hoffentlich der Rest bei der nächsten Wäsche.
Ferner war ich in einem maurischen Kaffe, wo es furchtbar teuer war, eine Tasse Kaffee kostet einen Peseten (= 80 Pfg). Es war aber sehr interessant die Musik und das ganze Treiben dort kennen zu lernen.
Die ganze Stadt ist mit einer zum Teil verfallenen, zum Teil aber ganz hübschen Mauer umgeben mit zahlreichen alten Geschützen; zwei gute sollen dabei sein. Die Konsulate stellen gewissermaßenr kleine Festungen in der Stadt dar, es sind übrigens die einzigen hübschen Gebäude der Stadt.
Gestern hatten wir Besuch vom deutschen Gesandten und anderen Herrschaften hier an Bord.
Herzlichen Gruß
von Eurem Willi.
Tanger den 27. Juli 1895
a. B. S. M. S. „STOSCH“
Liebe Anna!
Gestern erhielt ich aus Köln einen Brief, der mir Deine Abreise nach Pinneberg mitteilte. – Da dieser Brief die Fortsetzung der vorhergehenden bilden soll, bitte ich Dich ihn auch den Eltern zuzuschicken, sobald Du und die Pinneberger ihn gelesen haben.
Am 23ten, vorigen Dienstag fuhren wir von hier nach den Städten Salir und Rabath, die an dem Flusse Rugi Abu Regreg liegen; wir mussten wegen flachen Wassers ziemlich weit in See ankern; da ferner starke Brandung herrschte, und wir nur zwei Tage dort lagen, kamen wir dort leider nicht an Land, und so konnte ich von dort auch kein Andenken mitnehmen, wie ich es sonst thue.
In unserer Freizeit vor Salir- (Heute: Salé) haben wir viel geangelt und eine Menge junger Haifische gefangen und getötet; sie waren nicht größer wie ein Unterarm, aber richtige Menschenhaie. Ich habe bisher nicht geglaubt, daß es eine solche Anzahl davon geben könne – kaum war die Angel unten, so war auch schon einer (ich) gefangen – aber jetzt verstehe ich es. Sie haben auf dem Rücken zwei große Stachel, die sie gegen die Angriffe anderer Fische vollständig schützen, andererseits besitzen sie eine ganz gewaltige Stärke in ihrem Körper und können, wenn sie ausgewachsen sind, mit ihrem Stachel andere Fische aufspießen. Große Haie haben wir wohl gesehen, aber nicht fangen können.
In allernächster Zeit soll die „MARIE“ hierher kommen und, wie manche behaupten, uns ablösen. Im übrigen laufen über unsere Rückkehr noch viele andere Gerüchte um.
Herzliche Grüße an Dich liebe Anna, die Großeltern u. Eltern sowie alle, die diesen Brief lesen werden. Willi.
Auf Papas Brief will ich das Folgende noch schreiben.
Wir sind also schon ziemlich lange in Tanger, und vorläufig weiß noch niemand (vielleicht der Kommandant), wie lange wir noch hier bleiben sollen. Neulich sprach ich mit einem unserer Offiziere über (die) den vermutlichen weiteren Verlauf unserer Reise. Er meinte, nach Kiel müßten wir wohl deshalb zurück, weil wir 80 Matrosen an Bord haben, die im Herbst mit ihrer Dienstzeit fertig sind. Es ließe sich allenfalls so machen, daß wir diese Leute dem „HAGEN“ gäben und von ihm neue Mannschaften übernähmen. Dann könnten wir auch gleich nach Westindien fahren.
Unsere Verpflegung geschieht von Tanger aus; trotzdem werden wir vor unserer Rückreise wohl noch nach Gibraltar gehen um dort Kohlen zu nehmen.
Unser Leben hier ist allerdings ziemlich theuer; dazu kommt, daß wir in See Zuschuß und Löhnung nur einmal im Monat (am 3ten) ausbezahlt bekommen. Ich war also mit meinen Geldverhältnissen sehr in die Klemme gekommen, wie alle anderen Kameraden auch; ich habe dem dadurch möglichst abgeholfen, daß ich eben kein(e) Geld ausgab. Wenn Ihr nun diesen Brief erhaltet, braucht Ihr Euch darüber keine Sorgen zu machen, denn dann werde ich voraussichtlich reichlich haben. Übrigens ist unsere Verpflegung hier an Bord recht gut, nur fehlt manchmal gutes Trinkwasser.
Der Aufenthalt in der Messe ist nur beschränkt, da jeden Augenblick, „Messeräumen“ ist. Will man sich sonst mal längere Zeit hier aufhalten, so muß man, wie ich heute (zum ersten Mal), von Urlaub bleiben. Dann, soll ich es schade oder gut nennen, wird bei uns nicht, wie es sonst üblich ist angeschrieben, sondern alles bar bezahlt.
29. Juli 1895
Tanger, a. B. SMS „STOSCH“
Gestern hatten wir wieder Urlaub (sonntags ja immer), ich brauchte ihn aber nicht. Ich habe mir den Fuß beim „in die Koje“ gehen tüchtig gestoßen und möchte ihn nun gern wieder in Ordnung bringen.
Morgens kam der „HAGEN“ von seiner Küstenreise zurück und brachte uns auch seine Hofpost, die verloren war mit. Ich erhielt von Dir, liebe Schwester, die Karte aus Bonn, für die ich Dir vielmals danke. Die Grüße erwidere ich herzlichst.
Ferner passierte gestern das italienische Geschwader, das auch in Kiel gewesen war.
Italienischer Torpedokreuzer „ARETUSA“
Die „ARETUSA“ (Italienischer Torpedokreuzer „ARETUSA“: Bj 1892, 830 t, 20 kn, 120 Mann, 1x12 cm, 6x5,7 cm) machte uns hier eine Anstandsvisite, und „HAGEN“ hat heute in aller Frühe die Bucht verlassen; er wird wohl einen Gegenbesuch machen.
Unter den zahlreichen Gerüchten, die über unsere Zukunft umlaufen, ist folgende wohl das schönste, das man sich denken kann. (nachträglich eingefügt: Das folgende ist jedenfalls Unsinn): Wir bleiben noch 14 Tage hier vor Tanger (allerdings etwas lange), dann gehen wir zu den Feierlichkeiten in Triest, wo Deutschland zum Stapellauf eines Schiffes von Österreich eingeladen worden ist. Dann kommt Majestät an Bord, wir amüsieren uns tadellos, werden auch wohl noch einige andere Häfen anlaufen und schließlich, nachdem wir das Mittelmeer kennengelernt haben, kehren wir heim, um (natürlich nach einem Urlaub) die Reise nach Westindien anzutreten. Das soll der Bursche vom Kommandanten von diesem gehört haben. Wäre sehr hübsch, nicht wahr? Wieder einmal abwarten.
Morgen, so wird auch erzählt, gehen wir zum „Kohlen“ nach Gibraltar. (Ist nicht eingetroffen) Gestern starb auf der „KAISERIN AUGUSTA“ ein Matrose an Typhus, heute wurde er begraben, wir hatten halbstocks geflaggt. Einem Matrosen, der die Mannschaft durch seine Trunkenheit um Urlaub gebracht hat, wurde gestern der „Jungfernkranz“ gewunden (= eine Abreibung verpasst). Der Kerl wird sich den Tag merken, glaube ich.
Willi
Tanger den 31. Juli 1895
a. B. S. M. S. „STOSCH“
Liebe Anna!
Endlich scheint eine wahre Nachricht verbreitet zu sein, daß wir Anfang August Tanger verlassen und gegen Ende August in Kiel sein werden (also heimsegeln); immer noch heißt es aber „abwarten“. Heute kam noch ein französischer Aviso „COSMAO“ (Die Entsendung des französischen Geschützten Kreuzers „COSMAO“ (Bj 1891, 1.850 t, 4x13,8 cm, 9x4,7 cm, 19 kn, 186 Mann) erfolgte für den Fall, daß „sich aus der Anwesenheit so vieler Schiffe verschiedener Nationen unvermuthet ein Zwischenfall ergäbe“ (Thorner Presse v. 31.7.1895)) hierher.
französischer Geschützter Kreuzers „COSMAO“
Sonst habe ich nichts Wichtiges erfahren. Ich glaube ihr wißt viel mehr über uns als wir selbst.
Gestern brach in dem Kutter, in dem wir ruderten, ein Riemen (Ruder) und da sich keiner als Besitzer desselben meldete, vielmehr jeder sagte es sei der seinige nicht, werde möglicherweise ich dafür bestraft: einigemal über den Top entern ist wohl nicht zu schlimm. Wenn es auch mein Riemen wäre, so wäre die Sache doch noch nicht meine Schuld.
Heute nachmittag will ich mir noch auf Urlaub eine Blume für Ingeb. mitbringen und wenn es mir möglich ist auch Photographien von Salier und Rabath (wirds hier wohl nicht geben).
Schließlich will ich noch um Entschuldigung für diese Briefbogen bitten. Ich will nur gestehen, daß ich kein Geld mehr habe mir Briefbogen zu kaufen, und so freuen wir alle uns sehr auf den 3.ten, denn da gibt‘s wieder Geld.
Mit herzlichen Grüßen an Dich liebe Anna, die Großeltern Wencks und nachher die l. Eltern Euer Willi.
Englischer Kanal 10.VIII.1895.
a. B. S. M. S. „STOSCH“
Liebe Eltern!
Lange habt Ihr keinen Brief mehr von mir bekommen; von Vigo aus war es mir unmöglich, falls ich den Urlaub benutzen wollte. Die letzte Karte wird Euch unsere bevorstehende Rückkehr mitgeteilt haben; jetzt bin ich schon wieder ganz nahe bei Euch, und es kommt mir fast vor als wären wir nur für wenige Tage von Kiel fort gewesen.
Als der Befehl kam „STOSCH“ und „KAISERIN AUGUSTA“ sollten sich „unverzüglich über Vigo, Cowes nach Wilhelmshafen begeben“, hatten die meisten Kameraden Urlaub und waren beinahe schon an Land; da kam plötzlich das Signal „Alle Mann an Bord“, und so mußten sie wieder umkehren. Ich hatte mit 6 anderen Kameraden am Sonnabend Urlaub bekommen und auch benutzt. Dagegen war ich Sonntag nicht fortgegangen, und freute mich doppelt, daß ich noch am letzten Tage Urlaub gehabt hatte und andererseits mich nicht über das Signal das die Kadetten zurückrief, zu ärgern brauchte.
2 Stunden, nachdem der Befehl gekommen war, war das Schiff auch schon klar zum Ankerlichten, und um 7 Uhr dampften wir fort. Seekrank bin ich nicht wieder geworden und ich bin froh die spanische Küste so schön gesehen zu haben.
Mittwoch morgen (ich hatte gerade Wache auf der Brücke) liefen wir in den Hafen von Vigo (Vigo: Bezirkshauptstadt in der span. Provinz Pontevedra mit Festung, guter Reede und ca. 23.000 Einwohnern) ein. Die Gegend ist wunderhübsch, und für mich war das Leben in der Stadt sehr interessant. Wir hatten den ganzen Nachmittag bis 10 Uhr Urlaub, sodaß ich erst nachmittags einen kleinen Spaziergang nach dem Mont de la Guia machen konnte von wo aus die ganze Gegend schön zu übersehen war. Nachher konnte ich auch noch das Leben in der Stadt kennenlernen; es war gerade mancherlei los, Jahrmarkt, Wohlthätigkeitsbazar (wie etwa im Volksgarten) Feuerwerk u. dergl. Am folgenden Tage um ein ½ 12 dampften wir wieder fort, und morgen vormittag sollen wir in Cowes sein. Viele Grüße
Euer Willi