Читать книгу Kadett – Offizier der Kaiserlichen Marine – Briefe von Bord – 1895 – 1901 - Willi Franck - Страница 8
Schulschiff SMS „STOSCH“
ОглавлениеSMS „STOSCH“ war eine dreimastige, als Vollschiff getakelte und mit zusätzlichem Dampfantrieb ausgestattete Gedeckte Korvette der BISMARCK-Klasse der deutschen Kaiserlichen Marine.
Das Schiff lief 1877 bei der AG Vulcan in Stettin vom Stapel. Es war benannt nach dem General und Admiral Albrecht von Stosch, dem ersten Chef der Admiralität. Die Stosch wurde erstmals im März 1878 in Dienst gestellt.
Später diente sie als Schulschiff für Seekadetten und Schiffsjungen, lange Zeit auch als Flaggschiff des Schulgeschwaders, wobei sie allerdings weiterhin viele und ausgedehnte Auslandsfahrten unternahm und dabei auch mehrfach zur Wahrnehmung deutscher Interessen in mehr als nur repräsentativer Funktion eingesetzt wurde. So war die Stosch im Juli und August 1895 Teil einer nach Tanger in Marokko entsandten Schiffsgruppe, die dort nach der Ermordung zwei deutscher Kaufleute die Forderungen Berlins durchsetzen sollte.
Kommandanten während dieser Zeit
November 1883 bis August 1885: Kapitän zur See von Nostitz
August bis September 1885:
Korvettenkapitän mit Oberstleutnantsrang Geissler
September bis Dezember 1885: Kapitän zur See Otto von Diederichs
Dezember 1885 bis April 1889: Kapitän zur See Franz Junge
Schriftprobe
Kiel, den 9.4.1895
Liebe Eltern!
Heute haben wir zum ersten Male wirklich strammen Dienst gehabt; dazu kommt noch, daß ich mit einigen anderen Kameraden einen nur sehr kurzen Urlaub hatte um unsere Uniformen bzw. Anzüge anzupassen, sodaß der Urlaub eigentlich nur in einem ununterbrochenen Dauerlauf ausartete. Nun bin ich auch fürchterlich müde, wenigstens in den Beinen. Nun noch etwas über unseren heutigen Dienst, der im allgemeinen der Routine entspricht. Um 6.30 ist Wecken, 7 Appell, dann Morgenbrot und von da an Exerzieren bis 4.30, mit einer Frühstücks- und einer Mittagspause. Heute mußten wir unsere Gewehre aus der Kaserne in Kiel holen, bis 6 Uhr; deshalb fiel der Instruktionsunterricht von 5 – 6 Uhr aus. Morgen wird der Dienst wohl noch etwas strammer werden, wegen der Gewehre u. Seiten-Gewehre; er dauert dann aber nicht so lange wie heute. Gestern wurden wir geimpft, einige Ohnmächte und zahlreiches Unwohlsein gab es natürlich auch dabei. Am 12. Mai, ich glaube wenigstens im Mai ist es (es steht im Tagesbefehl „Zwölfter des Monats“ und vorher war vom Mai die Rede) werden wir vereidigt werden. Übrigens ist unsere Verpflegung hier, wie Ihr ja von Kurt (Kurt Franck war WFs älterer Bruder und ebenfalls in der Ausbildung zum Marineoffizier.) her wißt ganz ausgezeichnet, wenigstens schmeckt es mir nach dem Exerzieren vortrefflich. Auf meinem Quartier ist es ziemlich feucht, mein Revolver fängt wieder an zu rosten, ich muß ihn wohl tüchtig putzen.
Heute habe ich meine Besuchskarten erhalten. Mit Bartling habe ich gesprochen, er meint, er könne einen Anzug nicht zurücknehmen, da er getragen sei, außerdem müsse das Maß nicht richtig angegeben sein, ich habe also einen neuen Anzug dafür bestellt; auch das Taschenmesser muss vorschriftsmäßig sein, niemand darf seins weiter benutzen.
Soll ich meines zurückschicken oder Heini ein Geschenk damit machen? Ebenso mit dem Serge Anzug (Serge: feines, hochwertiges Wollgewebe). Ich freue mich sehr, daß unser Kadettenoffizier von der „STOSCH“, Herr Lieutenant zur See v. Reuter, wie ich glaube, bis jetzt ganz zufrieden mit mir ist, ebenso der Unteroffizier, der uns „eindrillt“, ein urkomischer Mensch, der ununterbrochen über uns wettert, aber niemals Ernst macht, und dabei von unserem Leutnant Hasse offenbar sehr gelobt wird. Gestern und heute übten wir Parademarsch, morgen also mit Waffen. Herr Kapitän-Lieutenant v. Crosick dankt für Papas Empfehlung, er ist mir, überhaupt allen, gegenüber furchtbar freundlich, ich sagte Papa ja schon wie er uns allen im Examen geholfen hat (Günther v. Krosigk, war später als Konteradmiral Chef des Ostasiengeschwaders).
Leider sind die meisten, von denen ich bis jetzt etwas halte, auf „STEIN“ gekommen: Rebensburg, Schnell, der Kölner Pfeiffer, und ein Neffe des bekannten Kapitäns der „ELBE“, von Gössel (Kurt v. Gössel (1852-1895) war als Kapitän des Passagierdampfers „ELBE“ nach einer Kollision am 30.01.1895 in der Nordsee mit seinem Schiff und der Mehrzahl der Passagiere untergegangen.) auf „STEIN“ gekommen. Auf „STOCHS“ ist nur Dietert (sagt Kurt bitte, er habe mir „du“ angeboten, ich habe es aber nicht angenommen). Heute hat sich hier im Hafen die „KAISERIN AUGUSTA“ (Panzerdeckkreuzer „KAISERIN AUGUSTA“: Bj. 1892, 6.000 t, 21 kn, Bes.: 430, 4 x 15 cm, 8 x 10,5 cm, 8 x 8,8 cm, machte 1895 die Reise ins Mittelmeer mit.) festgefahren, und ist bis jetzt noch nicht losgekommen.
„KAISERIN AUGUSTA“
Meine Wäsche darf ich übrigens nicht in Köln waschen lassen, solange ich nicht auf der Schule bin, also auch jetzt nicht. Eben ist Herr Leutnant Müller in unsere Messe gekommen, und dadurch ist verhältnismäßige Ruhe eingetreten, sonst wäre bei dem allgemeinen Lärm dieser Brief schwerlich bis hierher gediehen.
Gestern hatten wir, wie heute, nur 1 Stunde Urlaub; ich machte einige Besorgungen und sprach zum ersten Male nach meiner Einstellung bei Tante Wanda (Wanda v. Wasmer geb. Raczynska lebte in Kiel als Ehefrau des Sanitätsrats Dr. Carl J. C. v. Wasmer, WF besuchte sie häufig.) vor, aber nur ein paar Minuten, dann gings eilig zur Akademie zurück. Sonntag traf ich übrigens den Infanteristen Rebensburg und trank mit ihm und seinem Bruder einen Krug bei Holst, und dort trafen wir auch Herrn Pastor Mau und einen Sohn von ihm. Ich muss jetzt schließen, liebe Eltern, denn es ist Zeit zum zu Bett gehen.
Herr Kirchenrat Rocholl (Rudolf Rocholl (1827-1905), lutherischer Theologe und Kirchenhistoriker) sagte mir ich möchte einige von meinen Briefen an Euch auch ihm zukommen lassen, würdet ihr denn so freundlich sein und ihm diesen oder einen der nächsten Briefe übergeben? In der Voraussetzung, daß Herr Kirchenrat diesen Brief erhält u. liest, füge ich auch an ihn recht herzliche Grüße hinzu.
Im übrigen aber bleibe ich mit den herzlichsten Grüßen und Küssen an euch und die Geschwister Euer Euch lebender Willi.
NB Ostern werden wir einen großen Ausflug mit unserem Kadetten-Offizier machen, Pfingsten erhalten wir hoffentlich Urlaub.
Willi
Kiel, den 14. April 1895
Liebe Eltern!
Für den Osterbrief danke ich Euch und den Geschwistern vielmals, und jetzt will ich in meiner Freizeit noch etwas schreiben. Heute morgen waren wir „STOSCH“-Kadetten zur Kirche, vereidigt sind wir noch nicht, ich hörte die Vereidigung solle heute in acht Tagen stattfinden, ich vermute, weil wir dann eingekleidet sein werden. Meine Wäsche habe ich (bis auf drei Oberhemden) vollständig; ferner habe ich Handschuhe und Mütze schon bekommen. Einen Serge-Anzug hat Bartling mir zu eng gemacht, ich werde ihn also zurückgeben. Für meinen Bleifederhalter habe ich keine Blei-Einlage mehr; hier konnte ich keine neue bekommen, sie war entweder zu dick oder sie war zu dünn. Würdet Ihr mir sie in Köln besorgen können, wo sie gekauft ist?
Zugleich mit diesem Briefe erhaltet Ihr meine Wäsche, die ich nicht mehr gebrauche. Den Bleistift kann ich ja mitschicken, ebenso ein Hemd und eine Unterhose von Kurt, müssen jedoch in Köln gewaschen werden. Auch meinen Havelock (Havelock: Herrenmantel mit Armlöchern aber ohne Ärmel) schicke ich mit zurück. Den Anzug schicke ich also nach Pinneberg. Gestern Abend saß unser Kadetten-Offizier bei uns, und sagte uns u. a., daß wir voraussichtlich vor nächsten Ostern überhaupt keinen Urlaub erhalten würden, vielleicht nur die, welche ganz nahe wohnten, auf Pfingsten. Wir sind, wie ich schon schrieb, geimpft worden; bei mir sind die Pocken so sehr angegangen, daß mein linker Arm vollständig schlapp ist; der Arzt gab mir das Prädikat zehn; andere haben sich sogar krankgemeldet. Die augenblickliche Ruhe ist uns daher sehr angenehm.
Levensauer-Hochbrücke
Einen Ausflug haben wir damals nicht gemacht, vielmehr nur eine Fahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal (Bei der Einweihung im Juni 1895 benannte Kaiser Wilhelm II. den zunächst noch „Nord-Ostsee-Kanal“ bezeichneten Wasserweg nach seinem Großvater in „Kaiser-Wilhelm-Kanal“ um.), durch die Levensauer-Brücke und noch bedeutend weiter, die Brücke bestiegen wir; leider war an dem Tage sehr schlechtes Wetter, es hagelte unaufhörlich. Am folgenden Tage unternahmen Rebensburg, von Gössel, Müller und ich in einem Boote, Rebensburgs Bruder und zwei Söhne von Pastor Mau in einem zweiten eine Segelpartie. Wir hatten einen Bootsmann mit, jene nicht.
Bei Holtenau fuhren sie sich bei starkem Winde fest und konnten nicht wieder aus dem Eingang zum Nord-Ostsee-Kanal herauskommen. Wir waren noch über Friedrichsort herausgefahren, und auf der Rückfahrt machte unser Bootsmann auch das andere Boot wieder flott. Kaum war es los, da segelte es in den Klüverbaum eines dort ankernden Evers (Klüverbaum: Rundholz, das über das Vorschiff eines Segelschiffes hinausragt. Ewer: kleines Segelschiff mit flachem Kiel.). Jetzt waren ihre Segel unbrauchbar geworden, und sie mußten von uns ins Schlepptau genommen werden. Nach manchen kleinen Zwischenfällen gelangten wir mit einer bedeutenden Verspätung in Kiel an.
Morgen werden wir die „STOSCH“ besehen, die im Dock liegt, morgen Nachmittag glaube ich Urlaub zu bekommen, dann werde ich mal wieder bei Tante Wanda bleiben
Euer Willi.
Kiel, den 14. April 1895
Lieber Kurt!
Herzlichen Dank für deinen Brief, ich freue mich sehr, daß Du mit mir über das Verhalten gegenüber Kameraden gesprochen hast, denn ohne das würde ich jetzt vielleicht schon mit einem oder dem anderen auf „du“ stehen, und wenn ich jetzt sehe, wie da mit der sogenannten Bruderschaft umgesprungen wird, da vergeht einem die Lust dazu. In dem speziellen Falle Dietert können wir ja sprechen wenn du wieder hier bist.
Hier befindet sich augenblicklich ein Seekadett Deines Jahrganges namens Merkus wegen Mishandlung eines Nachtwächters; er ist zu drei Tagen Arrest verurteilt. Er war mit auf der Fahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal und hat uns die Geschichte in urkomischer Weise erzählt, ob sie so wahr war, kann ich natürlich nicht wissen. Diesen Brief werde ich in den Korb, den ich wohl morgen vormittag erhalte, abgehen. Bestelle bitte an die lieben Eltern und Geschwister meinen besten Grüße u. Küsse
Kiel, den 17. April 1895
Lieber Papa!
Da die anderen Briefe schon etwas veraltet sind, will ich einen neuen hinzufügen. Euer liebes Ostergeschenk habe ich gestern erhalten und danke euch vielmals dafür. Ich habe es zum größten Teil an Kameraden verschenkt, da ich von manchen allerlei anderes bekommen hatte.
Vorgestern abend war ich also bei Tante Wanda, sie war wieder sehr freundlich, schenkte mir schließlich noch einige Apfelsinen, die mir nach dem strammen Dienst, den wir gestern hatten, vortrefflich schmeckten. Der Sohn von Herrn Oberst Schnell ist gestern recht schlimm gefallen, es ist verhältnismäßig glücklich verlaufen. Er hatte nämlich an der Leiter im Turnsaal geturnt und, als er nun beinahe ganz oben hinten an der Leiter hing stürzte die Leiter mit ihm runter, und zwar die Leiter ihm auf den Kopf. Außer einigen anderen Verletzungen überall am Körper, bekam er eine ziemlich große Wunde am Kinn, die genäht werden mußte. Er sieht infolgedessen sehr schlecht aus. Jetzt schreibt er neben mir nach Hause und hat mir aufgetragen ihn zu empfehlen.
Heute haben wir mit Pullen (Rudern) begonnen, ferner mit Splissen und Knoten. Auch haben wir heute unser Instruktionsbuch bekommen. Ersten war ich bei Bartling und gab ihm meinen Serge Anzug zurück, er will ihn ändern. Meine Stiefel sind schon vollständig durchmarschiert; sobald mein zweites Paar Decksschuhe fertig ist, werde ich sie zum Besohlen geben. Mein Geld ist ziemlich zusammengeschmolzen, da ich noch mancherlei zu besorgen und zu bezahlen hatte, dann auch mir dann und wann eine Tasse Kaffe oder ein Glas Bier gekauft habe. Vor allem sind es die Freimarken und so habe ich noch zehn Mark etwa. Unsere Einkleidung und Vereidigung wird übrigens Sonntag noch nicht stattfinden, Bartling meinte wenigstens bis dahin könne er die Uniformen nicht liefern. Nun will ich noch einen Brief an Mama schreiben, darum schließe ich und bleibe mit den besten Grüßen und Küssen an Dich und die Geschwister
Euer Willi
Kiel, den 20. April 1895
Liebe Eltern!
Heute abend bin ich wieder einmal furchtbar müde vom Exerzieren, und da ich also lieber sitze als noch herumlaufe, will ich Euch etwas über unser Treiben in der allerletzten Zeit schreiben. Wir hatten gewöhnlich strammen Dienst, freuten uns infolgedessen sehr auf unsere Freizeit bzw. auf unser Bett. Heute machten wir nachmittags einen „militärischen Spaziergang“, das heißt auf Felde machten wir Übungen; als wir zurückkamen sahen wir nett aus: wir hatten uns in unseren Arbeitsanzügen in dem Sumpf der Wiesen geradezu gebadet.
Heute nacht kommt Kurt wohl zurück, vielleicht um 24 Uhr. Einkleidung ist voraussichtlich erst morgen in 8 Tagen, bestimmt ist es noch immer nicht.
Meine Hände tun mir vom „Pullen“ weh, ich habe schon beim ersten Mal zahlreiche Blasen bekommen; doch macht es mir sehr viel Spaß, überhaupt ist der Dienst recht schön, nur gefällt mir die Gesellschaft recht wenig, es scheinen nur sehr wenig nett zu sein.
An Mama ging mein Brief vormittags von hier fort, hoffentlich ist er noch rechtzeitig angekommen. Mama ist jetzt wohl schon bei den Großeltern. Vielleicht gehe ich morgen mal nach Holtenau, d. h. nur wenn Kurt Lust und Zeit hat mich zu begleiten. Dann erfahre ich wohl, wie es in Pinneberg (WFs Großeltern mütterlicherseits, Justizrat Heinrich Wieck und seine Ehefrau Anna geb. Stamp lebten in Pinneberg.) geht. Nun gute Nacht, lieber Papa, viele Grüße an die Schwestern, dein dich liebender Sohn Willi
Marineakademie und Marineschule in Kiel-Düsternbrook,
im Vordergrund Torpedoboot „S 82“ (1895)
Kiel, 26.4.1895
Lieber Papa!
Vielen Dank für Deinen Brief; heute abend erhielt Kurt auch Deinen Brief an ihn. Kurt hat mir vieles aus Köln erzählt. Wir sehen uns dann und wann am Tage, aber immer nur ganz kurze Zeit. Es geht mir recht gut, nur meine Hände sehen schlimm aus von all dem Gewehrgriffen und dem Pullen. Mittwochs und samstags haben wir nachmittags Dienst im Gelände, das ist bedeutend interessanter wie das Exerzieren; letzten Mittwoch verlor ich mein Seitengewehr aus der Scheide und merkte es erst beim Zurückmarsch, ich wurde zurückgeschickt, und fand es endlich nach 1 ½ stündigem Suchen; ich habe tüchtig dabei geschwitzt.
Neulich war es auch auf unserem Exerzierplatz ganz amüsant, wir nahmen an, wir seien in der Bucht gelandet und machten einen Angriff auf Kiel. Der Feind hatte hinter den Mauern des Exerzierplatzes gedeckte Stellung genommen, und wir sollten zunächst möglichst gedeckt herankommen. Dann verbarrikadierten wir uns hinter Haufen von Ziegelsteinen und bauten uns Brustwehren mit Schießscharten zum Liegen, Knien und Stehen. Überhaupt machen wir allerlei amüsante Übungen, wenn wir mal gut exerziert haben.
Die Karte von Herrn Kirchenrat habe ich überliefert; v. Reinbaben ist ein ziemlich schwächlicher Kadett, der schon ohnmächtig vom Exerzieren weggetragen sein soll, überhaupt leicht zu viel hat. Er freute sich aber sehr über die Karte, und möchte gerne die Adresse von Herrn Kirchenrat wissen, um ihn zu schreiben. Wieviel ich gewogen habe weiß ich nicht bestimmt, ich glaube aber sicher 67 ½ Kilo.
Vereidigt sind wir noch immer nicht, werden es auch übermorgen, Sonntag, noch nicht, sondern wohl erst am 4. Mai. Heute abend will Bartling mir meinen Uniform schicken (er hat es nicht gethan); ohne dieselbe dürfen wir überhaupt nicht mehr ausgehen, und ich würde mich sehr ärgern, wenn ich nicht ausgehen dürfte, wenn Mama (wieder) hier ist. Morgen nachmittag haben wir keinen Dienst, nur Pullen, aber gerade das ist mir unangenehm, da Kurt morgen um 5 Uhr, wenn ich pulle, Damenkaffe gibt, zu dem Tante Wanda, Frl. Brandt (Frl. Brandt war die Hausdame und Freundin von Wanda v. Wasmer in Kiel) und unter anderem auch noch ich eingeladen bin. Ich werde dann wohl um eine halbe Stunde zu spät kommen.
Ich will jetzt schließen, weil es in der Messe zu laut wird und weil ich Kurt noch aufsuchen will, dessen Arbeitsstunde gleich vorüber ist. Grüße bitte die Schwestern. Ingeborg (Ingeborg Franck, die jüngere Schwester WFs, lebte noch bei den Eltern in Köln) danke ich für ihren Brief – und die Cousine von mir mit herzlichen Grüßen
Dein Dich liebender
Willi
Kiel, den 10.V.1895.
Lieber Papa!
Heute erhielt ich Deinen Brief, für den ich Dir vielmals danke. Schon gestern hatte ich einen Brief an Dich angefangen, wurde aber schon bei den ersten Zeilen durch Unwohlsein, das mich auch am Dienst hinderte, gezwungen, mit Schreiben aufzuhören. Heute geht es mir bedeutend besser, und überhaupt fühle ich mich hier sehr wohl, und wenn ich nicht sehr viel schreibe, so kommt das daher, daß ich mich nach dem Dienst gerne etwas auf meinem Bette ausruhe. Meine Hände sind ziemlich wiederhergestellt, so schlimm, wie Mama anzunehmen scheint, sind sie überhaupt nicht gewesen; allerdings sind sie nichts weniger als schön.
Ich will jetzt etwas über unsere Vereidigung erzählen. Vergangenen Sonnabend (vor acht Tagen ist wohl irrig, wird am 4. Mai gewesen sein) durften und mußten wir zum ersten Mal in Uniform ausgehen, weil wir vereidigt werden sollten. Am Tage vorher waren uns die Kriegsartikel verlesen und sonstige Instruktionen gegeben worden, und nun zogen wir geschlossen zur Kirche. Dort waren die sämmtlichen dienstfreien Offiziere zugegen aber keine Civilpersonen. Es wurden verschiedene Lieder gesungen, und dann hielt der Marinepfarrer eine recht hübsche, jedoch sehr, vielleicht zu sehr, militärische Ansprache. Darauf wurde der Eid auf die Kriegsflagge geleistet, indem ein Offizier die einzelnen Sätze vorlas, und wir sie nachsprachen. Mittags fand ein großes diner statt; von den Blumen, die die Tafel schmückten, habe ich mehrere aufbewahrt zur Erinnerung an den Tag. Nächsten Dienstag findet die Inspizierung des Infanterie-Dienstes für uns Kadetten statt; am 15. ds Mts geht es dann an Bord. Was wir dann unternehmen werden, darüber kursieren die verschiedensten Gerüchte, ich will lieber nichts Ungewisses berichten.
Am Tage meiner Vereidigung habe ich mich photographieren lassen, und zwar bei Billström (Kniebild). Mama hatte schon Sorge darüber, daß ich mich bei dem teueren Fotografen aufnehmen lassen würde. Ich habe das nicht gethan schon deswegen, weil ich gerne selbst bezahlen möchte.
Für das Schachspiel, das du mir schicken willst, danke ich vielmals; falls es noch nicht gekauft ist, suche mir bitte ein solches aus, das nicht zu groß und überhaupt für den Raum auf den Schiffen berechnet ist.
Ich schicke mit diesem Briefe einen Bogen Soldatenbriefmarken (Soldatenbriefmarken: Freimarken für Soldaten), die Mama wohl ganz angenehm sein werden.
Kiel, den 18. Mai 1895
Liebe Eltern!
Ich will Euch heute abend noch schnell einige Worte schreiben und den Brief mit 3 von meinen Photographien absenden. Eine, dachte ich sollte Oma erhalten und die beiden anderen stelle ich Euch zur Verfügung, vielleicht braucht Ihr noch eine zweite. Mittwoch sind wir an Bord gekommen und haben mit unserem Infanteriedienst im allgemeinen fertig, ganz allerdings noch nicht; heute morgen hatten wir zum Beispiel wieder Infanteriedienst, doch nicht mehr den eigentlichen Rekruten-Dienst, sondern die interessanteren Dienstübungen.
Ich habe diesen Brief gestern abend abbrechen müssen, da wir Messe räumen mußten. In 20 Minuten haben wir wieder Dienst, bis dahin noch einige Worte. Heute morgen war reinigen des ganzen Schiffes so daß man uns nirgends gebrauchen konnte und uns für 2 ½ Stunden in die Toppen entfernen mussten, dort habe ich den einliegenden Brief an Ingeborg geschrieben.
Herzliche Grüße für Euch liebe Eltern und die große Schwester
Euer Euch liebender
Sohn Willi.
Der einliegende Brief an WFs Schwester Ingeborg ist in krakeliger Bleistiftschrift geschrieben:
Kiel den 18. Mai 1895
an Bord SMS „STOSCH“ Oberbramraa (Dachstübchen des Mastes)
Liebe Ingeborg!
Ich habe mir für Dich den Spaß ausgedacht von hier hoch oben viele Meter über dem Wasserspiegel mit herrlicher Aussicht über die Landschaft weithin, einen Brief zu schreiben. Unter mir wird emsig das Schiff gescheuert, es ist heute ja Sonnabend, da hat man uns Kadetten die man nicht gebrauchen kann auf die Masten geschickt. Hier setze ich also, schreibe, esse und unterhalte mich otherwise. Über Deinen Brief habe ich mich sehr gefreut, auch darüber, daß der Papagei endlich vernünftig werden will. Sooft ich bei Tante Wanda bin, freue ich mich über deren Papageien und muss dabei an Deinen denken. Wie geht es eigentlich in Cöln? Ist der Birnbaum schon verblüht? Und wie sieht es überhaupt im Garten aus? Giebt es dies Jahr Aprikosen? Es giebt hier vieles Interessantes was ich schon an die Eltern geschrieben habe oder noch schreiben werde. Hier oben ist es sehr windig, und da ich gerade in den Wind sehen muss, so thränen mir die Augen etwas. Lebe also wohl und entschuldige Schrift und Unsauberkeit, ich bin ja den ganzen Mast aufgeentert.
Herzlichen Gruß u. Kuß von Deinem Bruder
Willi.
Pinneberg, den 1. Juni 1895
Liebe Eltern!
Hier von Pinneberg aus sende ich Euch und den Schwestern herzliche Pfingstgrüße und wünsche Euch recht schöne Feiertage. Nun will ich etwas aus der letzten Zeit, wo wir uns in der Nähe von Kiel herumtrieben, erzählen. Wir fuhren vergangenen Dienstag aus dem Kieler Hafen und ankerten nicht weit davor, bei dem „STOLLENGRUND FEUERSCHIFF“. Dann gingen wir nach Eckernförde, machten am Mittwoch nachmittag einen kleinen Ausflug nach der Stadt und der Umgegend. In der Bucht von E. trafen wir auch mit der „STEIN“ zusammen; wir fuhren dann noch die Meile ab (zum Messen der Fahrgeschwindigkeit) und kehrten dann nach Kiel zurück. Wie wir Kiel verließen, sahen wir auch daß der türkische Avisio (AVISIO: kleines, schnelles Schiff zur Befehlsübermittlung vom Typ der Kleinen Kreuzer. Der türkische Aviso „FUAD“ mit Vizeadmiral Arif Pascha an Bord nahm als letztes Schiffan der Flottenparade zur Eröffnung des Kaiser-Wilhelm-Kanals teil. Als die Begrüßungskapelle merkte, dass ihr die Noten der türkischen Hymne fehlten, spielte sie kurzentschlossen „Guter Mond, du gehst so stille...“) ohne Schornstein in den Kieler Hafen geschleppt wurde; wir konnten uns das ganze Unglück schon denken.
Das Schachbrett habe ich erhalten, leider ist die ganze Geschichte aus dem Leim gegangen, doch ist nichts eigentlich entzwei gegangen. Ich danke dir vielmals dafür, lieber Papa, und Anna für ihren Brief. Ich muß jetzt schließen, denn in 1 Stunde soll ich auf der Bahn sitzen und vorher noch essen. Lebt also wohl liebe Eltern, nochmals herzliche Grüße sendet Euer
Euch liebender
Jüngster
Führungszeugnis von der infanteristischen Ausbildung (Führung: sehr gut)