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4. Bens spektakuläre Heilungen
ОглавлениеWunder stehen nicht im Gegensatz zur Natur, sondern nur im Gegensatz zu dem, was wir über die Natur wissen.
AUGUSTINUS (Philosoph und Kirchenlehrer,
354–430 n. Chr.)
Rund ein Jahr nach meinem Einstieg als Bens Putzpartner hatte ich es geschafft, auch noch den letzten seiner Kunden zu vergraulen. Ben arbeitete damals bereits „in Vollzeit“ als Heiler. Während er Readings stets kostenlos gab, nahm er für seine Healings Geld: „Zahlen Sie, was und wann Sie möchten!“ Irgendwann bot ich ihm einmal im Scherz an, ein Schild zu basteln mit der Aufschrift „ANGEBOT DES TAGES! LEUKÄMIE HEUTE NUR 15 DOLLAR!“ Viele Menschen gaben ihm sogar noch weniger. Ben machte das nichts aus – seiner Frau allerdings schon.
Die Leute kamen in Scharen, aus allen Schichten und mit jedem nur erdenklichen Gebrechen. Damals wurde mir bewusst, dass es eine riesige verborgene Schicksalsgemeinschaft verzweifelter, schmerzgeplagter Menschen gab, die durch das Raster des Gesundheitssystems gefallen waren. Ich stellte auch fest, dass Ben es trotz seines ständigen Gejammers darüber, was alles von ihm erwartet wurde, durchaus genoss, im Mittelpunkt zu stehen.
Einer seiner ersten Klienten war ein Schüler namens Mark, der zusammen mit seinen Eltern an Krücken laufend bei uns ankam. „Ich kann meinen rechten Fuß nicht anheben“, sagte er zu Ben. Obwohl Ben nicht nach Einzelheiten fragte, fühlte sich Marks Mutter bemüßigt, uns diese mitzuteilen. Mark war eine Woche zuvor bei einem Football-Spiel bewusstlos geschlagen worden. Als er wieder zu sich kam, zuckte sein Fuß unkontrolliert. Da die Ärzte einen neurologischen Schaden vermuteten, hatten sie ihm ein Medikament für parkinsonähnliche Syndrome verschrieben. Dieses half zwar gegen die Krämpfe, aber Mark konnte trotzdem seinen Knöchel nicht bewegen: ein klassischer Fall von Fallfuß. [Anmerk. d. Übers.: Beim Fallfuß hängt die Fußspitze aufgrund einer Nervenlähmung und der Fußrücken kann nicht aktiv angehoben werden.]
Während ich zusah, setzte sich Ben Mark gegenüber, sodass er Marks rechten Fuß auf sein eigenes linkes Knie legen konnte. Er bewegte seine linke Hand rund eine Minute lang über Marks Knöchel hin und her und verkündete dann, er könne nicht feststellen, dass damit etwas nicht in Ordnung sei. Und Schmerzen seien da auch keine. „Woher wissen Sie das?“, fragte Marks Vater. Ben erklärte, dass er Schmerzen wahrnehmen könne. Mark, ein eher schüchterner Bursche, saß währenddessen nur schweigend da.
Als Nächstes stellte Ben Marks Fuß wieder auf den Boden und forderte ihn auf, ihn zu bewegen. Aber wenngleich Mark sein gesamtes Bein anheben konnte, blieb der Knöchel weiter unbeweglich. Daraufhin stellte Ben sich hinter Mark und legte seine Hände auf dessen Nacken, fast so, als wolle er ihn strangulieren. Nach etwa fünf Minuten bewegte er seine linke Hand über Marks Kopf und hielt sie schließlich über einen Bereich an der linken oberen Kopfhälfte. „Das Problem liegt hier“, verkündete er. „Die Verletzung liegt im Gehirn, genau wie die Ärzte gesagt haben, und nicht im Knöchel.“ Ben hielt seine Hand etwa fünfzehn Minuten lang an der gleichen Stelle und forderte Mark dann auf, seinen Fuß zu bewegen.
Mit starker Konzentration gelang es Mark, seine Zehen einige Zentimeter hochzuheben, während seine Ferse weiterhin am Boden blieb. Dann ließ er die Zehen am Boden und bewegte die Ferse drei bis vier Zentimeter nach oben. Dann drehte er den Knöchel leicht und strahlte seine Eltern an: „Schaut mal, er bewegt sich!“ Marks Vater war wie vor den Kopf geschlagen, während seine Mutter in Tränen ausbrach und ich Gänsehaut bekam.
Ben nahm seine Hände von Marks Schultern. „Das reicht für heute. Wenn du morgen noch einmal wiederkommst, erledigen wir den Rest.“ Mark strahlte immer noch über das ganze Gesicht. „Danke, Mann, das war super!“ Nachdem die Familie gegangen war, zogen Ben und ich Bilanz. Ich fragte ihn, was genau passiert war.
„Da ist so eine Energie, die mich durchläuft. Ich kann spüren, wie sie sich meinen linken Arm hinunterbewegt und von dort aus in meine Hand strömt.“ Er zeigte auf einen Punkt in seiner linken Handfläche, ein wenig außerhalb der Mitte in Richtung Daumen. „Der Punkt ist genau hier. Ich habe gespürt, wie hier eine Wärme herausgeflossen ist, die nicht von mir zu stammen schien.“
„Und was hast du gemacht, als du deine Hand über Marks Fuß und Kopf bewegt hast?“
„Ich habe nach etwas gesucht, was sich anders als üblich anfühlt, was auch immer das bedeutet. Da ich an Marks Fuß nichts spüren konnte, habe ich rein intuitiv um seinen Kopf herum nachgespürt und dort eine heiße Stelle gefunden. Ich bin mir nicht sicher, ob es sein Kopf war, der die Wärme ausstrahlte, oder meine Hand oder beide, aber es erschien mir nur natürlich, an der heißen Stelle zu arbeiten.“
„Und wieso konntest du meinen Rücken und die Schnittwunde meiner Freundin sofort in Ordnung bringen, Marks Fuß aber nicht?“
„Nun, das Gefühl in meiner Hand ließ nach und ich hatte den Eindruck, dass Mark nicht mehr Energie aufnehmen konnte. Ich bin sicher, dass sein Problem durch weitere Sitzungen vollständig behoben werden kann.“ Und so war es auch. Nach fünf weiteren Healings konnte Mark seinen Knöchel wieder vollständig bewegen.
Marks „Fall“ erwies sich als richtungweisend: Ben legte seine Hände auf die Schultern eines Klienten, manchmal auch auf den Solarplexus. Nach ein paar Minuten suchte er dann nach heißen Punkten. Meistens, aber nicht immer, stimmten diese mit den Bereichen überein, in denen der Klient Beschwerden hatte. In jedem Fall konzentrierte Ben sich dann auf diese Stellen.
Die meisten Healings dauerten 30 bis 60 Minuten, manche auch länger, je nach der Schwere des Symptoms. Je bekannter Ben wurde, umso mehr ähnelte sein Wohnzimmer dem Wartezimmer eines Arztes, nur dass er dort auch arbeitete. Er ging von einem zum anderen und behandelte manchmal fünfzehn Personen in einer Sitzung.
Erstaunliche Dinge spielten sich vor meinen Augen ab. Ohne biblisch klingen zu wollen, wurde ich doch Zeuge, wie Blinde einen Teil ihrer Sehkraft wiedererlangten, wie Taube wieder hören und Lahme wieder gehen konnten, ganz abgesehen von einigen Krebsheilungen, die die Ärzte kurzerhand als Spontanremissionen abtaten.
Sofortheilungen wie diejenige, die ich selbst erfahren hatte, waren eher selten, auch wenn sich bei den meisten Healings sofort eine sichtbare Wirkung einstellte. Manchmal verschlimmerte sich der Zustand der Betroffenen zunächst, speziell bei schmerzhaften Krankheiten. Wenngleich mich dies anfangs beunruhigte, sah Ben es als einen notwendigen Teil des größeren Heilungsprozesses an. Meistens mussten die Erkrankten mehrmals kommen, um wieder ganz gesund zu werden, und manchmal reichte auch das nicht aus. Ich kann mich an eine Frau in den Vierzigern erinnern, die an rheumatischer Arthritis litt und von Ben wochenlang betreut wurde. Zwar konnte er die Schmerzen etwas lindern und ihre verkrümmten Finger ein wenig begradigen, aber heilen konnte er sie nicht.
Im Laufe der Zeit stellte ich fest, dass es einen Zusammenhang gab zwischen der Länge des Zeitraums, den ein Gebrechen bereits bestand, und der Anzahl der Healings, die erforderlich waren. Während jemand, der erst kürzlich bei einem Unfall erblindet war, relativ schnell das Augenlicht wiedererlangen konnte, erlebte ein Mensch, der im Laufe der Jahre aufgrund von Diabetes erblindet war, eher eine graduelle Verbesserung, die mit einem geringeren Bedarf an Insulin einherging.
Ähnlich war es bei Krankheiten, die man als „naturgegeben“ bezeichnen könnte. So ist beispielsweise Myopie oder Kurzsichtigkeit keine Krankheit des Augapfels, sondern ein Problem, das durch seine Form entsteht. Als Ben meine Kurzsichtigkeit behandelte, verbesserte sich meine Sehstärke zunächst nur so weit, dass ich Probleme mit meinen damaligen Brillengläsern bekam. Da meine Augen noch viele weitere Healings benötigt hätten, sah ich eine längere Zeitspanne vor mir, in der ich weder mit Brille noch ohne Brille würde sehen können. Ich hätte mir natürlich zwischendurch immer wieder neue Gläser verschreiben lassen können, aber auch das erschien mir nicht besonders praktisch. Also ließ ich es gut sein und meine Augen passten sich wieder an die alte Brille an.
Meine Erfahrung erwies sich als typisch. Ben stellte sich zwischenzeitlich vor, wie spaßig es wohl sei, einen Optiker mit Zugriff auf eine unbegrenzte Anzahl unterschiedlicher Linsen zu behandeln. Gleichwohl beschloss er, sich selbst zu behandeln, sodass er seine Lesebrille wenig später nicht mehr benötigte.
Bei keinem von Bens erfolgreichen Healings war es erforderlich, dass Heiler oder Klient oder beide an etwas Bestimmtes glaubten. Viele Menschen, die bereits bei Gesundbetern oder Geistheilern gewesen waren, fragten, ob sie an etwas Spezielles glauben müssten; das verneinte Ben stets. Es erschien uns im Gegenteil so zu sein, dass bei vergleichbaren Fällen diejenigen Menschen am schnellsten Heilung erfuhren, die am wenigsten daran glaubten. Ben und ich wandelten daher den Satz „Dein Glaube hat dich geheilt“ im Scherz um in: „Dein Unglaube hat dich geheilt.“ Bens Lieblingsklienten waren diejenigen, die ihn gleich mit einem Satz wie diesem begrüßten: „Ich persönlich halte das ja für absoluten Müll, aber ich weiß nicht, an wen sonst ich mich noch wenden soll …“
Ich erinnere mich gerne an einen ganz besonderen „Fall“: Nicholas war damals Anfang oder Mitte zwanzig und hatte sein Leben lang davon geträumt, Nationalgardist zu werden. Die Mindestgröße hierfür lag allerdings bei 1,72 Meter und Nicholas lag mit etwas über 1,70 Meter knapp darunter. Ben und ich behandelten ihn mehrere Male, bis er eines Tages ganz aufgeregt zu uns kam: Er war Nationalgardist geworden! Ob wir ihm nun zu den zusätzlichen knapp zwei Zentimetern verholfen hatten oder ob er es schaffte, den für die Musterung zuständigen Beamten auszutricksen, das werden wir wohl nie erfahren.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten gab es bei Ben keine guten oder schlechten Tage. Ob eine Sitzung erfolgreich war, das hing von dem behandelten Problem ab und nicht davon, wie er sich fühlte. War er zu Beginn der Arbeit auch manchmal mürrisch, so heiterte sich seine Stimmung bei der Arbeit stets auf. Auch schien er gegen jede Form von Ablenkung immun zu sein. Er konnte der einen Person heilende Energie zukommen lassen, während er sich mit einer anderen unterhielt. Und er behauptete sogar, dass diese Art von „Nebenbeschäftigung“ seine Heilungsfähigkeit verbessere.
Wie bereits an dem Brief aus Dallas deutlich geworden war, konnte Ben auch „Fernheilungen“ durchführen, die wir lieber als „Healing in Abwesenheit“ bezeichneten. Allerdings laugte ihn dies stark aus. Wenn er etwa einen Gegenstand, der einem woanders lebenden Klienten gehörte, unter sein Kopfkissen legte, erwachte er am nächsten Morgen völlig erschöpft.
Von Zeit zu Zeit kam es auch zu unerwarteten Fehlschlägen. Ein Klient, der wegen einer schweren Krankheit zu Ben kam, bat ihn beispielsweise: „Da ich sowieso gerade hier bin, könnten Sie vielleicht auch meine Warze behandeln?“ Aber Ben konnte weder Warzen zum Verschwinden bringen noch einen gewöhnlichen Schnupfen heilen, wenngleich bei Letzterem zumindest eine zeitweilige Besserung der verstopften Nase möglich war.
Spektakuläre Erfolge erzielte Ben vor allem bei einer großen Bandbreite an Krebserkrankungen, bei denen seine Arbeit zumindest als eine Art Diagnoseinstrument diente: Wenn eine Geschwulst sofort auf die Behandlung reagierte, war sie bösartig. Passierte dies nicht, war sie wahrscheinlich gutartig. Die beste Aussicht auf Heilung hatten Fälle, in denen aggressiver Krebs bei jungen Menschen auftrat, die noch keinerlei Bestrahlungen oder Chemotherapie erhalten hatten. Bestrahlungen und Chemotherapie stellen einen großen Eingriff in den Körper dar, da sie sowohl gesunde als auch kranke Zellen zerstören. Da Krebszellen sich jedoch schneller vermehren als gesunde Zellen, liegt die Hoffnung bei diesen Behandlungsmethoden darin, dass Krebszellen schneller betroffen sind und auch schneller absterben. Bens Healings schienen im Gegensatz dazu das Wachstum der gesunden Zellen zu fördern.
Ben war noch nicht lange als Heiler tätig, als bereits die ersten der merkwürdigen psychologischen Reaktionen auftraten, die er vorhergesehen hatte: Wenn sie zur Behandlung kamen, wollten die meisten Leute erst einmal vorab wissen, wie lange diese dauern würde. Viele, die sich zum ersten Mal in die von ihnen als „Hokuspokus“ betrachtete Welt des Heilens mit Handauflegen begaben, erwarteten sozusagen als Beweis eine sofortige Heilung – ganz im Gegensatz zu den frustrierend langen Behandlungen, die sie im konventionellen Gesundheitssystem ohne Murren in Kauf nahmen. Ein Mann, der an Leukämie erkrankt war, regte sich darüber auf, dass Ben ihn nicht in einer einzigen Sitzung geheilt hatte. Wenn Ben die Zahl seiner Blutkörperchen innerhalb einer Woche um 40 Prozent in die Höhe treiben könne, müsse es doch wohl auch möglich sein, ihn gleich ganz zu heilen, damit er nicht noch einmal kommen müsse …
Es erstaunte mich immer wieder, dass rund die Hälfte der Klienten, die nicht innerhalb einer Sitzung geheilt werden konnten, kein weiteres Mal zu uns kamen, und zwar selbst solche, die bei Allergien, Schmerzen, kräftezehrenden Krebssymptomen, Diabetes oder Arthritis eine deutliche Linderung ihrer Symptome erlebt hatten. Während ich mich darüber aufregte, sah Ben das Ganze philosophisch: Er hatte es schließlich vorausgesehen. Ich kam letztlich zu dem gleichen Schluss wie er: Manche Menschen wollten offenbar nicht gesund werden. Das galt vor allem für all jene, die schon länger krank waren oder Schmerzen litten. Für sie schienen ihre Beschwerden Teil ihrer Identität geworden zu sein. Ein Leben ohne Krankheit schien ihnen unvorstellbar, selbst wenn sie pro forma verzweifelt nach Heilung und Linderung suchten – und zwar nicht nur, um ihre Mitmenschen zufriedenzustellen, sondern auch, um die Farce vor sich selbst aufrechtzuerhalten.
Besonders überrascht war ich, als ein ausgesprochen intelligenter Freund von mir die gleiche befremdliche Reaktion zeigte. Walter war ein Studienkollege, mit dem ich manchmal zusammen lernte. Als ich eines Tages in der Unibibliothek saß, kam er an Krücken auf mich zu. Eine Woche zuvor hatte er plötzlich einen stechenden Schmerz im rechten Bein verspürt, der sich stetig verschlimmerte. Die beiden Ärzte, die er aufsuchte – der eine Chiropraktiker, der andere Neurologe – konnten ihm nicht helfen. Während wir uns unterhielten, traten Tränen in seine Augen. „Die Schmerzen sind kaum auszuhalten. Ich würde mir am liebsten das Bein abhacken.“
Walter stammte aus Nigeria, wo die Männer eher als Machos gelten, und war normalerweise ein Meister der Untertreibung. Als ich ihm von Ben berichtete, trat er sofort instinktiv einen Schritt zurück, fiel dabei fast über seine Krücken und meinte: „Das ist ja völlig verrückt!“ Ich wusste mittlerweile, dass Argumentieren keinen Sinn hatte, also sagte ich nur: „Na gut, wie du willst.“ Walter arbeitete gerade an seinem dritten Doktortitel und ich fand, dass das mindestens ebenso verrückt war. Ich wünschte ihm noch viel Spaß mit seinen Schmerzen und wollte gerade gehen, als er mir eilig hinterhergehumpelt kam: „Warte mal! Kann dein Freund mir wirklich helfen?“ – „Was hast du schon zu verlieren?“
Ich rief also Ben an. Da er gerade mitten in einem Healing war, lud er uns ein, gleich vorbeizukommen. Je mehr ich Walter auf der Fahrt über Ben erzählte, umso stiller wurde er. Ben behandelte gerade einen Klienten, der an Krebs erkrankt und erstmalig zu ihm gekommen war. Eine weitere Frau wartete auf ihre dritte Sitzung wegen rheumatischer Arthritis – eine für Ben stets problematische Erkrankung. Als Ben mit dem Krebserkrankten fertig war, forderte er Walter auf, sich auf den Stuhl zu setzen. Dieser protestierte zunächst, dass er ja noch gar nicht an der Reihe sei, setzte sich dann aber brav hin.
Ben ging wie immer vor, bis seine Hände an einer Stelle etwa acht Zentimeter über Walters Knie anhielten. Während alle anderen im Raum Anwesenden sich unterhielten, beschäftigte er sich rund zwanzig Minuten lang mit Walter, um ihn dann zu fragen, wie sein Bein sich anfühle. Walter schaute ihn unbewegt an und sagte: „Kein Kommentar.“
Ben, der sich davon nicht weiter beeindrucken ließ, bat ihn, zu warten, bis er der Frau mit der Arthritis geholfen habe. Ich beobachtete, wie Walter das Bein vorsichtig aufsetzte und dann langsam zu seinem Stuhl zurückging. Er vermied jeden Augenkontakt mit mir, während er sein Bein massierte und es immer wieder hob und senkte. Nach etwa fünf Minuten sagte Ben zu ihm, dass er sein Bein noch einmal „bearbeiten“ werde, falls die Schmerzen noch vorhanden seien. „Ich weiß nie voher, wie lange ein Healing dauern wird.“ Von Walter kam erneut nur ein knappes „Kein Kommentar“. – „Wir sind hier nicht auf einer Pressekonferenz“, sagte ich verärgert. „Wie fühlt sich dein Bein denn nun an?“
Beinahe unglücklich sah Walter zunächst zu mir und dann zu Ben herüber. Dann blickte er wieder mich an. „Ich versuche die ganze Zeit zu verstehen, was passiert ist. Etwa fünf Minuten, nachdem Ben seine Hand auf mein Bein gelegt hatte, waren die Schmerzen verschwunden.“ Und dann fügte er verlegen hinzu: „Ich habe versucht, sie wieder zurückzuholen.“
Ben, der immer noch die Arthritispatientin behandelte, nickte nur. Mir hingegen platzte fast der Kragen und ich sagte ihm, dass ein wenig Dankbarkeit ja wohl das Mindeste wäre. Während Ben mich mit einer Handbewegung aufforderte, mich zu beruhigen, ging Walter ganz normal und ohne Krücken durch den Raum. „Natürlich bin ich dankbar, aber ich bin auch verwirrt. Ich bin in einer Stammesgesellschaft aufgewachsen, die an Magie und Medizinmänner glaubt, und habe mich von diesen Dingen freigemacht“, versuchte Walter zu erklären.
„Walter sieht sich als Intellektuellen“, meinte Ben vertraulich zu mir. „Er ist zu einem Jünger des rationalen Denkens geworden. Ich stelle für ihn so etwas dar wie seine Stammesvergangenheit, die ihn einholt.“
Auf der Fahrt nach Hause sagte Walter kein einziges Wort. Jedes Mal, wenn ich versuchte, ein Gespräch anzufangen, nickte er nur. Als ich ihn zu Hause absetzte, gab er mir höflich die Hand. „Vielen Dank. Ich weiß deine Hilfe zu schätzen.“ – Wir lernten nie wieder zusammen. Wenn wir uns zufällig trafen, war er freundlich, aber bei Fragen nach seinem Bein wurde sein Gesicht ausdruckslos: der „Walter-Effekt“!
Als ich später mit Ben über Walters Fall sprach, erklärte er: „Wenn du verstehst, welches Problem Walter mit dem Heilen durch Handauflegen hat, wirst du auch verstehen, warum Wissenschaftler und Mediziner sich niemals dafür erwärmen werden.“ Natürlich glaubte ich ihm nicht. Warum sollten Fachleute, denen doch sicherlich daran gelegen war, das Leid ihrer Patienten zu lindern, eine Methode verwerfen, die derart wirkungsvoll, kostensparend und frei von Nebenwirkungen war?
Hier wartete eine weitere Lektion auf mich und unglücklicherweise sollte ich bald reichlich Gelegenheit haben, sie zu lernen. Bei einem Fall nach dem anderen konnte ich beobachten, wie Ärzte Bens Healings, deren Wirksamkeit sie an ihren eigenen Röntgenbildern, Computertomografien oder Blutuntersuchungen ablesen konnten, als Spontanremissionen abtaten. Keiner hatte Interesse daran, mehr darüber zu erfahren. Keiner wollte herausfinden, ob da mehr am Werk war als der reine Zufall. Und keiner zeigte Interesse am Gesamtbild der Erfahrungen, die wir täglich sammelten. Zwar ist es richtig, dass Krebs sich spontan zurückbilden kann, aber ein Arzt kann schon froh sein, wenn er in seiner Laufbahn einen solchen Fall zu Gesicht bekommt, während wir Dutzende hintereinander erlebten. Wenn Ben nur eine bestimmte Krebsart hätte heilen können, dann hätten wir zumindest berechnen können, wie die Chancen für eine Remission standen, aber er heilte sie alle. Sein spektakulärer Erfolg war der beste Beweis gegen ihn.
Nehmen wir beispielsweise Nancys Fall. Bei ihr war eine Operation angesetzt, bei der ein brandiger Fuß entfernt werden sollte. Zwei Tage nach Bens Healing war der Wundbrand verschwunden. Ihr Arzt war regelrecht erschüttert. Bei Wundbrand gibt es keine Remission, und als Nancy fragte, ob er den Mann kennenlernen wolle, der sie geheilt habe, lehnte er ab: „Wenn ich solche ‚Heilungen‘ akzeptiere, dann kann ich meine medizinische Ausbildung an den Nagel hängen. Was ich hier gesehen habe, ist schlichtweg unmöglich.“ Im Gegensatz zu den meisten Ärzten war er allerdings großmütig genug, um hinzuzufügen: „Ich möchte Ihren Heiler zwar nicht kennenlernen, aber ganz unter uns würde ich Ihnen raten, weiterhin lieber ihn zu konsultieren als mich.“
Bei wenigstens einem Fall erwies sich die Aussage eines Arztes, dass Bens Heilungen „zu schön“ seien, „um wahr zu sein“ als tragisch: Lillian war eine OP-Schwester, die ich über eine ihrer Kolleginnen kannte. Wenngleich die Arbeit, die sie verrichtete, viele Menschen hart und zynisch werden ließ, war Lillian eine außergewöhnlich freundliche, stille und mitfühlende Person. Ihr lag etwas an den Patienten.
Drei Jahre zuvor waren präkanzeröse Läsionen aus Lillians Brust entfernt worden. Die Operation verlief ohne Komplikationen. Bei einer Nachuntersuchung zeigte sich allerdings, dass der Krebs mittlerweile ihren gesamten Körper mit aller Gewalt heimgesucht hatte. Er war praktisch überall. Das Atmen fiel ihr schwer, sie war appetitlos und ermüdete schnell. Man gab ihr bestenfalls noch ein paar Monate. Auf Bitte eines Freundes stellte ich Ben und Lillian einander vor. Wenngleich dieser Freund Ben gegenüber misstrauisch war, der ja keinerlei Ausbildungen auf diesem Gebiet vorweisen konnte, war er ängstlich um Lillian besorgt, die erst 22 Jahre alt war.
Ben sagte alle seine anderen Termine ab, damit er sich einen Tag lang ganz auf Lillian konzentrieren konnte. „Mein Krebs hat sich auf alle lebenswichtigen Organe ausgebreitet“, erklärte sie ihm ruhig und nüchtern. „In zwei Tagen habe ich einen Termin bei einem Onkologen, aber sowohl mein Chirurg als auch mein Internist haben mir bereits gesagt, dass nicht viel Grund zur Hoffnung besteht.“
Ben nickte nur. „Ich werde sehen, was sich machen lässt.“ Er arbeitete mit Lillian zwei Stunden lang. Danach schien ihr das Atmen leichter zu fallen. Als sie ging, hörte ich, wie sie zu ihrem Mann sagte, dass sie Hunger habe.
Als Lillian am nächsten Tag wiederkam, war die Veränderung deutlich zu erkennen. Anstatt zu schnaufen, kam sie leichten Schrittes auf uns zu. Nachdem Ben weitere zwei Stunden mit ihr gearbeitet hatte, lachte sie, machte Witze und alberte mit uns herum.
Am dritten Tag kam sie ganz aufgeregt zu uns. „Mein Mann und ich waren gestern Abend Bowling spielen“, erzählte sie. „Ich fühle mich wie neu geboren!“ Nachdem Ben mit Lillian eine weitere Stunde lang gearbeitet hatte, ging sie zu ihrem Arzttermin. Ben war mit sich zufrieden. „Ich habe noch nie jemanden so intensiv betreut“, gestand er mir. „Da hat sich was getan bei Lillian. Ich kann es spüren.“
Und so war es auch. Ich war immer noch bei Ben, als Lillian einige Stunden später anrief. Während ich im Wohnzimmer wartete, zog er sich mit dem Telefon zurück, um allein mit ihr zu reden. Es wurde ein langes Telefongespräch, und als er ins Wohnzimmer zurückkam, ließ er sich auf den Stuhl neben mir plumpsen. Er sah völlig fertig aus. „Sie können keinen Krebs mehr finden“, sagte er. Ich stieß einen Jubelschrei aus, aber Ben reagierte nicht. Ich fragte ihn, was denn los sei.
Laut Lillian hatte der Radiologe, als er sie mit Röntgenstrahlen und Computertomografie untersuchte, keine Tumore mehr entdecken können. Er versuchte es mit einem anderen Gerät und erzielte das gleiche Ergebnis. Auch eine Blutuntersuchung bestätigte, dass sie krebsfrei war. In ihrer Aufregung erzählte Lillian ihm von Bens Arbeit. Der Arzt tat diese als wertlos ab und bestand dann darauf, die medizinische Behandlung ihrer Krankheit wie geplant fortzusetzen.
„Welche Krankheit?“, fragte ich verdutzt. „Die, die sie vorher hatte und von der die Ärzte annehmen, dass sie sie immer noch haben muss. Sie glauben ihren Tests nicht! Oder vielleicht wollen sie die Behandlung präventiv einsetzen, weil das in solchen Fällen von Krebs eine Art Vorschrift ist, an die ein Mediziner sich halten muss.“
„Und was sagt Lillian dazu?“ – „Sie sagt, dass sie mir dankbar sei, aber beschlossen habe, die Behandlung durchzuziehen, um auf Nummer sicher zu gehen. Ich konnte es ihr nicht ausreden.“ – „Was kann denn schlimmstenfalls passieren?“ – „Das Zeug ist tödlich!“, sagte Ben aufgebracht. Lillian erhielt Bestrahlungen mit hoher Dosis, kombiniert mit einer massiven Chemotherapie. Da sie laut ursprünglicher Diagnose als nahezu hoffnungsloser Fall galt, hielten die Ärzte es für gerechtfertigt, ihr diese „minimale Chance“ zu geben.
Lillian absolvierte die gesamte Behandlung wie eine pflichtgetreue Krankenschwester und akzeptierte alles, was die Ärzte verordneten. Ihre Haare fielen aus und sie nahm das kränkliche, aufgedunsene Aussehen einer Chemotherapiepatientin an. Obwohl Ben sie im Krankenhaus besuchte und versuchte, die Nachwirkungen der Behandlung auszugleichen, war der angerichtete Schaden schlichtweg zu groß. Dann stellte sich heraus, dass Lillians Lunge eine zu hohe Dosis Strahlung abbekommen hatte. Ein Lungenflügel hörte auf zu arbeiten und wurde operativ entfernt. Wenige Stunden nach der Operation starb sie an Herzversagen. Lillians Lunge wurde nach ihrem Tod routinemäßig untersucht und wir erfuhren über Umwege, dass kein Krebs gefunden worden war …
Von all unseren Fällen berührte Lillians Geschichte Ben und mich am meisten. Zwar ärgerte Ben sich stets, wenn seine Klienten die medizinische Erklärung einer Spontanremission akzeptierten, aber bis dahin hatte noch keine Ablehnung vonseiten der medizinischen Zunft derart verheerende Folgen gehabt. Lillians Tod brachte ihn so sehr auf, dass er sich womöglich ganz zur Ruhe gesetzt hätte, wenn er sich nicht für die anderen Menschen verantwortlich gefühlt hätte, die auf die Fortsetzung seiner Arbeit warteten. So entschied er sich für eine drastische Änderung seiner Vorgehensweise.