Читать книгу Wyatt Earp Staffel 10 – Western - William Mark D. - Страница 12
ОглавлениеEs gab sie damals schon, die jungen Leute, die man heute nicht ganz richtig ›halbstark‹ nennt. In den Siebziger- und Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts nannte man sie in den Unionstaaten Nordamerikas bedeutend treffender die cry boys, die Schrei-Jungen, also die Unzufriedenen, die Großmäuler, die Verdrossenen, die Besserwisser.
Stan Ripper allerdings hätte mit seinen neunzehn Jahren schon über dieses Stadium hinaus sein müssen. Gattertore von Corrals aushängen, Wagen umkippen, Fensterläden aushängen, Wagen umkippen, Fensterläden zuleimen, ganze Holztreppen nächtlicherweise abnehmen und Türschilder auswechseln – für dies alles hätte er längst zu erwachsen sein müssen. Und dennoch war er ein cry boy geblieben. Und zwar einer, der nicht mehr harmlos genannt werden konnte. Der Unfug, den er anstellte, war längst kein Unfug mehr. Stan war ein mittelgroßer, kräftiger und gewandter Bursche, der mit der Lässigkeit eines Raubtieres umherging, immer eine Zigarette im Mundwinkel, unfrisiert. Das Haar wuchs ihm hinten bis in den schmierigen Hemdkragen hinein, die Hände hatte er stets in den Hosentaschen und den breitrandigen grauen Stetson ins Genick zurückgeschoben. Sein Gesicht bestand zum überwiegenden Teil aus der unteren Hälfte. So stark war der Mund und vor allem die Kinnpartie ausgeprägt und nach vorn geschoben, daß die kleine Nase, die schmalen Augen und die kurze, fliehende Stirn ganz nebensächlich dagegen wirkten.
Vielleicht war es das Unglück des Burschen, daß sein Vater im Krieg gefallen war. So hatte er in seiner Jugend nie die starke, zügelnde Hand eines Mannes gespürt. Die Mutter war eine kränkliche Frau, die von morgens sechs bis abends neun in einer Weberei arbeitete und sich infolgedessen kaum noch um den Jungen kümmern konnte.
Geschwister hatte Stan nicht. Vielleicht hätte ihn eine ältere Schwester oder auch ein Bruder auf einen anderen Lebensweg bringen können als den, den der Bursche eingeschlagen hatte.
Sterling Buck und Fin O’Brian formten sein Leben. Sie waren der cry-boy-Zeit zwar auch eigentlich schon entwachsen, hingen aber noch so daran wie Stan – und unterschieden sich von ihm nur durch einen schärferen Verstand und bessere Kleidung. Vor allem O’Brian war ein äußerst gerissener Bursche, und sein Vater, der Sägewerkbesitzer John O’Brian hatte seine liebe Not mit dem mißratenen Sohn.
Sterling Buck war ein ziemlich schweigsamer junger Mann, aber er hatte es faustdick hinter den Ohren. Seine Eltern hatten eine Metzgerei in der Mainstreet der großen Stadt Santa Fé und fanden vor lauter Arbeit nur wenig Zeit, sich um den Sohn zu kümmern.
Die drei waren von der Schulbank her befreundet, hatten bisher alle Streiche gemeinsam durchgeführt und verharrten jetzt mit neunzehn, beziehungsweise zwanzig Jahren eigentlich noch dort, wo sonst junge Burschen allenfalls mit fünfzehn, sechzehn standen.
Obwohl man das, was die drei späten cry-boys in letzter Zeit angestellt hatten, schon nicht mehr als Streiche betrachten konnte, hatten sie bis zu jenem Augusttage noch kein Verbrechen begangen.
Eines Abends lungerten die drei vor der Marcus Bar herum und blickten dösend auf die Straße, die im schwindenden Licht des Tages lag und eigentlich mit ihrem Leben und Treiben ein großartiges Schauspiel bot. Aber für romantische Bilder hatten die drei Burschen keinen Blick.
Stan schnipste seine kaum halbgerauchte Zigarette in hohem Bogen vor die Füße einer Frau auf die Straße und knurrt verdrossen: »Wer hat noch ein paar Bucks für eine Flasche?«
Die beiden anderen zogen nur die Schultern hoch.
Stan lachte ärgerlich.
»Ihr seid mir vielleicht Figuren. Wenn ich einen Vater hätte, der eine Sägemühle oder eine Schlachterei besäße, dann hätte ich immer Geld für einen Drink im Gurt.«
O’Brian lachte blechern.
»Du hast eben gar keinen Vater, Stan. Das ist dein Pech.« Er stieß den flachen blonden Sterling Buck an. »Was meinst du, Ster?«
Der nickte nur. Dann schob er davon.
Als er nach zehn Minuten zurückkam, ging er an den beiden anderen vorbei in die Schenke.
Stan und Fin folgten ihm.
Buck lehnte schon an einer Ecke der Theke und hatte die Flasche bereits vor sich stehen. Als die beiden anderen nachkamen, sahen sie, daß er auch schon drei Gläser bestellt hatte.
Die drei cry-boys tranken die Flasche in einer knappen Viertelstunde leer – womit sie bewiesen, daß sie absolut noch keine Männer waren.
Sie verließen auf nicht mehr ganz sicheren Beinen die Schenke und waren kaum draußen, als sie feststellen mußten, daß sie regelrecht betrunken waren. Die frische Luft machte es ihnen deutlich.
Stan richtete sich auf. »Damned, ich will skalpiert werden, wenn ich mich jetzt schon ins Bett lege!«
»Wer verlangt… verlangt das von dir?« krächzte Fin.
Stan grinste. »Was habt ihr noch vor?« Fin zündete sich mit zittrigen Händen eine Zigarette an.
»Ich glaube, Sterling wollte Peggy Ray noch einen Besuch abstatten. Wir werden ihn dabei… dabei begleiten.«
Aber Buck hatte gar nicht die Absicht, der kleinen Peggy Ray, die ihn schon dreimal hatte abblitzen lassen, einen Besuch abzustatten.
»Wir machen etwas anderes«, brummte er, dem der Whisky nicht ganz so stark zugesetzt zu haben schien wie den beiden anderen. »Fin weiß es.«
Fin wußte nichts; aber das glaubte er unter keinen Umständen zugeben zu können: »Klar, kommt mit!« blabberte er.
Sie schlenderten los, quer über die Mainstreet, durch die breite Ponderoa Avenue hinüber zu den Mietställen des dicken Harry Garkin.
Eine Viertelstunde später hatten sie sieben Pferde aus dem Corral getrieben und standen hinter einer Scheunenmauer.
»Und jetzt?« fragte Stan.
»Was jetzt?« krächzte Fin. »Jetzt geht es weiter.«
Sie hingen zwei Gartentore aus und kippten einen Highländer um, der mit Feldwerkzeugen beladen war, und warfen Sand in offenstehende Fenster. Und wieder standen sie schweratmend von der Anstrengung hinter einer Mauer und starrten in eine halbdunkle Gasse.
Was war geschehen? Sie merkten plötzlich alle drei, daß irgend etwas geschehen war.
Es war wie immer gewesen – und doch war ihnen allen dreien auf einmal klargeworden, wie sinnlos es doch war, was sie da anstellten!
Und daß es ihnen gar keinen Spaß mehr machte.
Ein wichtiger Wendepunkt in ihrem Leben. Jetzt gab es nur zwei Wege, den zur Vernunft und jenen anderen Weg, der ernsthaft abwärts führte.
Stan hatte sich aus seinen letzten Tabakkrümeln eine Zigarette gedreht.
»Gehen wir?« fragte er halblaut.
Fin O’Brian spürte, daß die Frage an ihn gerichtet war und er spürte auch, daß es eine entscheidende Frage war.
Nein, sie würden jetzt nicht nach Hause gehen. Sie würden noch etwas anstellen.
Aber was?
Ob Sterling nichts wußte? Der hatte doch sonst immer Ideen.
O’Brian stieß ihn an.
Buck blickte die Gasse hinunter, die beiden anderen konnten sein hartes, kantiges Gesicht deutlich von der Seite sehen. Buck war im Gegensatz zu Ripper groß, schlank und hager, besser gekleidet und hatte mit den beiden anderen nur die scheußliche Figur und den schleichenden Tigergang gemeinsam.
Fin wischte sich durch sein ovales sommersprossiges Gesicht und strich sich zum hundersten Male an diesem Abend eine hartnäckige braune Haarsträhne aus der Stirn. Er war nicht ganz so groß wie Buck, dafür aber hatte er mächtige, weitausladende Schultern.
Sterling Bucks Profil sah er jetzt scharf als schwarze Kontur gegen den hellen Nachthimmel.
Plötzlich ging ein Ruck durch Bucks Körper. Er zog sich den Hut tief in die Stirn und stieß sich von der Wand ab. Mit hartem Schritt ging er mitten durch die Gasse weiter.
Fin und Stan folgten ihm.
Sie kamen in die enge Tesuquestreet, eine Prallelstraße zur Mainstreet.
Fins Herz stockte plötzlich, als er bemerkte, daß Sterling den Schritt hinter dem Hof der Bank of Santa Fé verhielt.
Stan kam näher.
»Was habt ihr vor?«
»Halt’s Maul!« herrschte ihn Sterling an, dem selbst das Herz plötzlich bis in den Hals schlug. Er sah sich sichernd nach allen Seiten um.
Dann schwang er sich zu der Fenz hinauf, erreichte ihren Rand zwar mit den Händen, vermochte sich aber wegen der starken Wölbungen nicht hinaufzuziehen.
Fin und Stanley sprangen hinzu und stützten ihn. So konnte er sich höher ziehen und blieb oben auf einem der Pfähle hocken.
Die beiden starrten zu ihm hinauf.
Dann ging Fin zurück, nahm einen Anlauf – und baumelte ebenso wie vorhin Sterling, an der Pfahlwand. Es war einfach unmöglich, allein an der nach vorn gewölbten Fenz im Klimmzug hochzukommen, da man bei jeder Zugbewegung abgerutscht wäre.
Stan stützte ihn und Buck half von oben nach.
Für einen Augenblick sah Stan die beiden Gestalten oben auf den Pfählen hocken, dann waren sie verschwunden. Kaum hörte er das Geräusch ihres Aufsprungs drüben im Hof.
Da knirschte es am Tor, ein Lichtschein fiel in die dunkle Front der Pfahlmauer.
Die beiden hatten das Tor geöffnet.
Stan blickte in den vom schwachem Mondlicht erhellten Hof.
Fin zog ihn rasch hinein und schloß das schwere Tor, das nur durch einen Balkenriegel gesichert gewesen war, was normalerweise ja auch genügte.
Stan sah sich um.
»Wo ist Ster?«
Fin wies mit dem Kopf auf die dunkle Rückfront des Bankgebäudes.
»Was habt ihr denn vor?«
»Maul halten«, zischte Fin, der auch nicht wußte, was der schweigsame Sterling Buck im Schilde führte.
Und der Bursche, der im Schlagschatten des Hauses kauerte und die Fenster beobachtete, wußte es in diesem Augenblick selbst noch nicht.
Ganz sicher aber hatte er in dieser Minute nicht das vor, was noch vor Ablauf einer Viertelstunde geschehen sollte.
Sterling Buck war in dieser Minute längst nicht mehr betrunken, aber er war auch nicht nüchtern. Er befand sich in jenem Zustand, der den Menschen bedenkenlos macht.
Und dennoch dachte er nach.
Die beiden anderen waren jetzt dicht hinter ihm. Deutlich hörte er Stan Rippers heftiges Atmen.
»Damned, wenn uns hier jemand überrascht?« stieß Ripper durch die Zähne.
Sterlings Kopf flog herum.
»Und? Was dann?«
Stan zog seine breiten Schultern hoch.
»Was dann? Ich weiß es nicht. Ich könnte mir denken, daß man den Sheriff alarmieren würde.«
»Na und?«
»Komm, pump dich nicht so auf, was hast du vor?«
»Wirst du schon noch erfahren.«
Hätte er es nur selbst gewußt – vielleicht hätte er es dann unterlassen.
Da richtete sich Buck auf und huschte auf das Haus zu. Finlay folgte ihm sofort.
Stan blieb auf seinem Platz.
Angestrengt lauschte er zum Haus hinüber. Er vermochte die beiden nicht zu sehen, so dunkel war es an der Rückfront des Bankgebäudes.
Was sie nur vorhatten?
Darüber zerbrach sich Fin, der jetzt dicht hinter Sterling am Boden kauerte, den Kopf.
Da stieß Sterling ihn an.
»Wir müssen da durch dieses Fenster.«
»Es ist doch geschlossen.«
»Wenn schon. Die anderen sind alle vergittert.«
Fin wartete nicht, vielleicht um nicht an seiner eigenen Angst zu verzagen.
Er schwang sich auf das Fenstersims und zog das Bowiemesser aus dem Gurt.
Es war nicht einfach, das große mehrteilige Fenster aus seinem Kipphaken zu heben, aber schließlich gab der Haken doch nach und schnappte zurück.
Fin schob das Fenster leise hoch.
Da wurde er von unten am Stiefel gepackt, zuckte zusammen und blickte sich um.
Er sah in Sterling Bucks Gesicht.
»Wir müssen alle drei hinein. Warte hinterm Fenster.«
Fin nickte und glitt lautlos in den dunklen Raum.
Dann kam Stan. Den Schluß machte Sterling Buck.
Mit angehaltenem Atem kauerten die drei Boys neben dem Fenster und lauschten in das Haus. Plötzlich schraken sie zusammen. Auf den Fliesen des Korridors war das klickende Tappen eines Hundes zu hören.
Stan Ripper glaubte, man müsse das laute Hämmern seines Herzens, das ihm selbst in die Ohren dröhnte, weit hören können.
Der Hund war stehengeblieben, unmittelbar vor der Tür dieses Raumes.
Fins Rechte tastete nach dem Revolver.
Stan merkte es und schluckte. Damned, in was hatte er sich da bloß eingelassen.
»Uim! Uim!« machte das Tier und ging dann langsam weiter.
»Ob der Köter uns gewittert hat?« fragte Stan heiser.
»Glaube ich nicht«, meinte Fin, aber keineswegs war er so sicher, wie er sich gab.
Sterling richtete sich auf und blickte zurück zum Fenster. Am liebsten wäre er jetzt zurückgegangen, weg aus dem Bankhaus. Er hatte plötzlich ein mulmiges Gefühl in der Magengrube.
Aber er glaubte, sich diese Blöße nicht vor den anderen geben zu dürfen. Deshalb tat er genau das Gegenteil von dem, was er wollte: Er schlich vorwärts, an der Wand entlang auf die Korridortür zu.
»Nicht«, raunte Stan ihm zu, »du kannst die Tür nicht öffnen, der Hund bellt das ganze Haus zusammen!«
Da hatte Ster die kleine in der Farbe der Wand gehaltene Tür zum Nebenraum entdeckt und schob den Drehknopf nach rechts. Die Tür gab nach. Leise knackte sie beim Öffnen. Ster hielt sie fest.
»Kommt her«, raunte er seinen beiden Genossen zu.
Leise kamen sie näher, schoben sich an ihm vorbei und kamen zu ihrer namenlosen Verwunderung in den großen Schalterraum, der bis hinüber zu den Fenstern der Straßenfront reichte.
Beklommenheit lastete auf den drei Eindringlingen.
Was wollten sie hier? Weshalb waren sie hier eingedrungen?
Stan spürte, daß seine Beine leise zitterten. Deshalb trat er weg von Sterling. Fin, der neben ihm gestanden hatte, zog seine Stiefel aus. Die anderen beiden folgten seinem Beispiel. Sie ließen die drei Stiefelpaare neben der Tapetentür stehen und huschten auf einen der Schalter zu, dessen Gitter heruntergelassen war.
Fin stieß Stan an.
»Los, über das Gitter – du mußt es von innen aufschieben!«
Stan folgte der Aufforderung. Er gelangte über das hohe Gitter, vermochte es aber nicht zu öffnen.
Währenddessen lehnte Sterling Buck mit heißem Schädel unter dem Schalterbrett an dem hölzernen Sockel und hörte deutlich in sich die Warnung. Das ist doch Wahnsinn, was du da tust! Was willst du überhaupt hier? Etwa die Bank berauben?
Auf Bankraub steht Straflager!
Buck richtete sich wildentschlossen auf und schwang sich selbst über das Gitter.
»Verschwinde«, zischte er Stan Ripper zu, »der bewacht die Fenster zur Straße. Fin, halt die Tür zum Korridor im Auge!«
Stan jumpte wieder oben über das Gitter und kroch dann am Holzsockel der Schalter entlang bis zur Fensterfront, die an der Mainstreet lag.
Fin blieb vor dem Schalter, hinter dem er Sterling wußte.
Es herrschte ein hartes Knacken. Buck und Ripper fuhren zusammen.
Fin hatte es versucht, weil er von sich aus versucht hatte, das kleine Gitter über dem Schalterbrett aufzustoßen.
»Idiot!« zischelte Sterling.
Und da wurden sie auch schon durch das wilde Bellen des großen Hundes aufgeschreckt.
Stan rannte auf die große Flurtür zu.
Nur etwa eine halbe Minute später waren harte Schritte im Korridor und dann flog die große Tür auf.
Fin hastete zur Tapetentür und war im Nebenraum verschwunden.
Auch Stan hätte flüchten können. Aber er wußte Sterling Buck drüben im Schalterraum.
So duckte er sich und hechtete dem Mann an der Tür entgegen.
Der große Hund sprang ihm in die Flanke.
Stan versetzte dem Tier einen Fußtritt.
Wild kläffend wirbelte der Hund zurück, um erneut anzustürmen.
Aber plötzlich erstarb sein heiseres Gebell in einem Gewimmer, das rasch erstarb.
Stan achtete nicht darauf.
Er sah den Mann vor sich, zog den Colt und ließ ihn blitzschnell auf den Schädel des anderen niedersausen. Einmal, zweimal, dreimal.
Schwer schlug der Getroffene auf den Boden auf.
Da sah Stan eine Gestalt unweit von sich hochschnellen.
Sterling Buck! Er hatte den Hund zum Schweigen gebracht. Schon war auch er durch die Tapetentür verschwunden.
Im Bankhaus herrschte wieder Totenstille.
Wie betäubt stand der junge Stanlay Ripper vor dem Mann, der reglos zu seinen Füßen lag.
Rechts lag der dunkle Körper des Hundes auf den hellen Dielen.
Stan hatte den Revolver noch in seiner Faust, als er sich dem Hund näherte.
»Stan!« Der gezischte Laut ließ ihn zusammenzucken. Es war Sterling Buck, er kam von der Tapetentür her.
»Laß den Köter, ich habe ihn ausgelöscht.«
Stan wischte sich über sein Gesicht und schob den Colt ins Halfter zurück, er war schweißnaß.
Buck bückte sich über den Niedergeschlagenen. Als er sich aufrichtete, hörte Stanlay Ripper ihn drei Worte sagen, die ihn wie Keulenschläge trafen: »Er ist tot!«
Tot? Nein! Das konnte doch nicht sein! Er hatte ihn doch nicht töten wollen.
Sterling Buck wandte sich ab und ging wieder auf die Tapetentür zu.
Stan hörte die leisen Geräusche, die die beiden im Nebenraum am Fenster verursachten.
Er blieb minutenlang neben dem Körper des Mannes stehen.
Dann ging auch er. Fin und Sterling waren nirgends zu sehen.
Er verließ den Hof über die Fenz, wie sie es wohl auch getan hatten. Man kam leichter hinaus als hinein.
Dann rannte er plötzlich los und wollte nach Hause.
Aber nein, er konnte jetzt nicht heimgehen. Auf keinen Fall!
Was aber sollte er tun?
Da stieß er an einer Straßenecke mit einem Mann zusammen.
Es war Sterling Buck. »Komm mit«, sagte der zu ihm.
Sie gingen in die Mainstreet. Buck hielt auf die Marcus Bar zu.
»Du mußt dich jetzt betrunken stellen!«
Buck packte Stan am Ärmel und zog ihn in die Schenke.
Niemand achtete auf die beiden. Es herrschte immer noch viel Betrieb in dem großen Saloon. Jonny Marcus, der Keeper, blickte kaum auf, als Sterling Buck mit schwerer Zunge sagte: »Wir haben drei Minuten Luft geschnappt und wollen jetzt einen besseren Whisky trinken.«
Der Schankwirt zog die Schultern hoch.
»Wenn ihr noch Geld habt!«
Sterling griff in seine Gurttasche und zog ein goldenes Zwanzigdollarstück hervor.
»Fehlt der Ihnen nicht noch in Ihrer Sammlung, Jonny?«
Der Salooner bückte sich, nahm eine Flasche unter der Theke hervor, wischte sie mit einem schmierigen Lappen ab, fischte zwei Gläser aus der kleinen Wanne und stellte alles vor Buck und Ripper hin.
Sterling öffnete die Flasche und schenkte ein. Stan beobachtete ihn und beneidete ihn um seine ruhige Hand.
Aber um keinen Preis wollte er an den Mann in der Bank erinnert werden.
Er vermochte es nicht zu begreifen, nicht zu fassen:
Er hatte einen Menschen getötet!
Er war ein…, ja, es gab keinen Zweifel: Er war ein Mörder!
Und Sterling Buck wußte es. Er und Finlay O’Brian.
Wo war Fin überhaupt?
Weshalb hatte er nicht auf ihn gewartet?
Da tippte jemand Stan auf die Schulter.
Der Bursche zuckte zusammen wie unter einem Peitschenschlag. Er hatte nicht den Mut, sich umzudrehen, als ihm O’Brians näselnde Stimme ans Ohr drang: »Na, Boy, wie ist der Whisky?«
Stan hätte Fin am liebsten geohrfeigt.
Nach dem zweiten Glas ging Stan hinaus. Tief zog er die frische Nachtluft ein. Es rauschte in seinem Schädel.
Langsam schlenderte er nach Hause.
Es war die scheußlichste Nacht seines Lebens. Nicht eine Minute vermochte er die Augen zu schließen.
Als der Tag zu grauen begann, stand er auf, wusch sich und kleidete sich an.
Ich werde wegreiten!
Nach langem Überlegen war er zu dieser Erkenntnis gekommen. Ich muß weg von hier! Sie würden mich hängen.
So lautlos wie möglich verließ er das Haus und trat in den Hof.
Als er mit seinem Pony auf die Straße kam, sah er in die Augen Sterling Bucks, der zusammen mit Finlay O’Brian auf dem gegenüberliegenden Vorbau hockte.
Buck stand auf und kam schwankend über die schmale Seitenstraße. In seinen Augen glomm es böse.
»Wo willst du hin, du Idiot!« krächzte er. »Habe ich es mir doch gedacht!«
Er war betrunken, aber nicht betrunken genug, um nicht noch zu wissen, was er tat und was er sprach.
»Ich muß weg«, keuchte Stan.
»Wohin? Und vor allem: Wie weit? Mister Tracy ist ein mißtrauischer Mann und hat mit seinen fünf Deputies eine Reihe schneller Pferde.«
Buck legte den Kopf auf die Seite und krächzte: »Fin!«
Der schaukelte heran.
»Was sagst du zu Stan?« fragte Buck ihn, ohne Stan aus den Augen zu lassen.
»Er ist ein Idiot!«
Auch Finlay O’Brian war betrunken. Doch auch er wußte noch, was er tat und sprach.
»Bring das Pony zurück, du bleibst hier.«
»Und wenn ich nicht will?« knurrte Ripper trotzig.
Da nahm Fin seinen Revolver aus dem Halfter. Er kniff das linke Auge ein: »Wir wollen, Stan.«
»Aus dem Weg!« knurrte ihn Stan an.
Da räusperte sich Sterling leise.
»Du siehst das nicht ganz richtig, Stan. Es geht nicht nur um dich. Well, du bist ein…, na, du weißt schon, was wir meinen. Es geht aber auch um uns. Wenn du weg bist, sind wir nie sicher, ob du nicht eines Tages irgend jemandem erzählst, daß wir dabei gewesen wären. Und da das nicht stimmt, bleibst du hier.«
»Klar«, setzte O’Brian hinzu. »Schließlich bist du es…, du es, der ihn umgebracht hat.«
Stan sprang vom Pferd herunter und schlug wild auf O’Brian ein.
Der angetrunkene Bursche knickte nach dem zweiten Treffer ins rechte Knie, schüttelte den Kopf, richtete sich wieder auf und schwankte auf eine Pferdetränke zu, in die er seinen Kopf tauchte.
Indessen hatte Buck zum Messer gegriffen.
Aber Stan hatte ihm die Waffe aus der Hand getreten und auch ihn mit einem schweren Faustschlag zurückgeworfen.
Es war kein Kunststück gewesen, die beiden stark benebelten Burschen außer Gefecht zu setzen.
Und Stan war auch keinesfalls stolz darauf.
Aber er mußte ganz einfach weg.
Rasch zog er sich in den Sattel und nahm die Zügelleinen auf.
»Klick!« machte es. Ganz deutlich war das unverkennbare Geräusch eines gespannten Revolverhahns an sein Ohr gedrungen.
Er blickte sich um und sah wieder in die Augen Sterling Bucks.
Auch Fin O’Brian hatte wie Buck den Golt in der Hand. Triefend vor Nässe stand er da und feixte Stan ins Gesicht.
»Es hat keinen Zweck, Stan. Du mußt absteigen und deinen Gaul zurückbringen«, sagte Sterling leise und sehr ruhig.
Nur einen Herzschlag lang blickte Stan in die Augen Bucks und dann machte er kehrt und brachte das Pferd in den Stall zurück.
Sterling und Fin waren ihm gefolgt und lehnten jetzt innen am Tor.
Als Stan aus dem Stall zurückkam, sah er sie dastehen und ihn angrinsen.
Er ging langsam aufs Haus zu.
Da krächzte Sterling: »Und keinen Unsinn mehr, Stan. Sonst gibt es Ärger.«
Damit schoben sie hinaus.
Stan stahl sich ins Haus zurück. In seinem Zimmer angekommen, lauschte er am halbhochgeschobenen Fenster auf die Straße hinaus.
Als die Stadt endlich erwacht war, kauerte der junge Mann unter dem Fenster auf die Dielen seiner Schlafkammer und hatte die Augen geschlossen. Nicht etwa vor Müdigkeit oder Erschöpfung, sondern weil er hören wollte, was auf der Straße geschah.
Aber er hörte nichts, was ihn hätte erschrecken können.
Nirgends eine aufgeregte Stimme, die etwa den Mord in der Bank of Santa Fé in die Straßen schrie…
Es war Sonntag und Stan Rippers Mutter brauchte heute nicht zur Arbeit zu gehen. Der Bursche hörte sie unten im Haus herumhantieren.
Es war nur ein kleines altes Haus, das die beiden Menschen bewohnten. Der Boß der Mutter hatte es der fleißigen Frau gegen eine Miete zur Verfügung gestellt.
Stan hatte die Mutter schon zweimal rufen hören. Träge erhob er sich und blickte in den halbblinden Spiegel, der neben dem Fenster an der Wand hing.
Er sah scheußlich aus, grau, bleich, mit tiefen Schatten unter den Augen.
»Stan!«
Er zuckte zusammen. Damned, ich muß hinuntergehen, sonst hat sie wieder hundert Fragen!
Er fuhr sich durchs Haar, wusch sich das Gesicht noch einmal und rieb es mit dem Handtuch ab. Jetzt wirkte er etwas frischer.
Dann ging er hinunter.
Die Mutter fragte nichts.
Er trank ein paar Schlucke Kaffee, verzehrte mürrisch das Ei und die beiden Brote, die auf seinem Teller lagen und stand dann auf.
»Du gehst schon wieder fort?« fragte die abgearbeitete Frau vom Herd her.
»Ich komme zum Mittagessen zurück.«
Darauf erhielt er keine Antwort. Er dachte daran, daß die Mutter ihn gestern abend als sie von der Arbeit gekommen war, gefragt hatte,ob er nicht auch in der Weberei arbeiten wollte. Der Boß suchte noch einen tüchtigen Mann zur Aufbereitung des Brennmaterials für Herbst und Winter.
Aber Stan hatte keine Lust zu dieser Arbeit. Schon seit Jahren faselte er etwas von einem Job auf der berühmten Gonzales Ranch. Aber das war nichts als Lüge. Die Ranch lag fast siebenundfünfzig Meilen von der Stadt entfernt, und so weit wäre Stan niemals freiwillig von seinem bequemen Zuhause weggegangen.
Er schlich sich hinüber in die Mainstreet und suchte mit brennenden Augen die Bank. Da war alles still.
Kein Menschenauflauf, nichts.
Jetzt erst fiel ihm ein, daß heute Sonntag war. Sie hatten den Toten ja noch gar nicht finden können!
Einen endlosen Tag und eine fürchterliche Nacht würde er noch warten müssen.
Er sah O’Brian und Buck an diesem Tag nicht. Aber er suchte die beiden auch gar nicht, er war im Gegenteil froh, daß sie ihm nicht begegneten.
Zum Mittagessen erschien er wieder daheim.
Diesmal war es ihm, als würde ihn die Mutter aufmerksam betrachten. Aber die stille Frau sagte und fragte nichts.
Der Tag wollte nicht vorübergehen.
Kurz nach Einbruch der Dunkelheit verließ Stan noch einmal das Haus. Er schlenderte durch die Mainstreet und ging – im Strome der übrigen Passanten – an der Bank vorbei, hinter deren Fenstern neben dem Kadaver eines Hundes der Tote liegen mußte…
Als er wieder daheim im Hof stand, überlegte er, ob er nicht doch flüchten sollte.
Welch einen Vorsprung hätte er herausreiten können, wenn er schon in der Nacht geritten wäre!
Aber andererseits hatte Sterling recht: Der Sheriff war ein zäher Bursche und würde ihm folgen. Eines Tages würde er ihn irgendwo stellen. Spätestens dort, wo er, Stan, vor Erschöpfung aus dem Sattel sinken würde.
Und diesen Ort gab es! Todsicher! Irgendwo, nicht allzuweit von Santa Fé entfernt. Vielleicht konnte man ja hundert oder sogar zweihundert Meilen weit kommen, aber was bedeutete das schon für einen Mann wie Sheriff Tracy?
Stanlay Ripper hatte nicht den Mut, wegzureiten. Es wäre eine Flucht. Und mit der Flucht hätte er sich schon verraten. Jedenfalls war er dann schwer verdächtig.
Wieder verließ er den Hof. Er stahl sich in die jetzt etwas stiller gewordene Mainstreet und ertappte sich dabei, wie er erneut auf das Bankhaus zustrebte.
Wahnsinn! Wenn mich jemand beobachtet, bin ich erledigt! sagte er zu sich selbst.
Müde und zerschlagen kehrte er heim und stieg in seine Dachkammer hinauf.
Auch jetzt fand er keinen Schlaf. Ruhelos wälzte er sich auf seinem Lager hin und her.
Ich bin ein Mörder! Wie in einer Kesselschmiede hämmerte und dröhnte es in seinem Gehirn. Ein Mörder…
Sie werden mich hängen! Auf den Galgenhügel werden sie mich schleppen und die halbe Stadt wird den Zug folgen. Sie werden unter dem Galgen stehen und zu mir heraufsehen, wenn mir Tracy von einem seiner Leute die Schlinge um den Hals legen läßt.
Auch Peggy wird dabei sein.
Und Mary-Ann.
Mary-Ann. Ganz deutlich sah er ihr kindliches blasses Gesicht vor sich. Sie war die Tochter eines Hühnerfarmers, der sich mit sieben anderen Kindern und seiner Frau hart durch das Leben schlagen mußte.
Nein, Mary-Ann wäre keine Frau für ihn gewesen. Sie brachte nichts mit… Und dennoch hatte er sie nicht vergessen können. Sie war so gut und rein.
Wenn sie unter seinem Galgen stünde, würde sie denken: Gut, daß er mich nicht geheiratet hat. Ich wäre jetzt die Frau eines Mörders.
Wilde Gedanken quälten den Burschen. Aber endlich, gegen drei Uhr, fiel er dann doch in einen bleiernen Schlaf, aus dem er erst erwachte, als die Sonne in seine Kammer schien.
Mutter hatte das Haus schon vor mehreren Stunden verlassen. Es war halb zehn.
Stan wusch sich flüchtig, kleidete sich an und stürmte auf die Haustür zu. Doch ehe er sie öffnete, hielt er inne.
Nein, ich darf jetzt nicht hinausgehen.
Jetzt ist es schon ruchbar geworden – und vielleicht sehen sie es mir an.
Jim Tracy ist ein höllischer Bursche, er hat Augen wie ein Geier.
Da wurde an die Tür geklopft.
Stan ballte die Fäuste vor plötzlichem Schreck. Dann öffnete er einen Spalt breit.
Er glaubte, das Herz müsse ihm stehenbleiben, als er in dem Manne, der vor ihm stand, den schnauzbärtigen Hanc Donegan erkannte, einen der Deputies von Sheriff Tracy.
»Ja, was… ist los?«
»Haben Sie Fin O’Brian gesehen?«
»Nein. Weshalb?«
»Es wird behauptet, daß er wieder mal einen Wagen umgeworfen hat.«
Stan schüttelte den Kopf. Er hatte das Gefühl, als fiele ein Mühlstein von seinem Herzen.
»Nein, er ist nicht hier, Hanc.«
»Wissen Sie was von der Geschichte?«
»Von welcher Geschichte?«
»Na, das mit dem Karren.«
»Keine Ahnung.«
Donegan wandte sich knurrend ab und stampfte davon. »Es ist zum Wimmern, daß man immer hinter diesen Strolchen herlaufen muß, und dann auch noch durch diese Hitze«, murmelte er.
Stan krächzte hinter ihm her.
»Hanc.«
Donegan blieb stehen und trat in den Flur.
Donegan kam langsam zurück.
»Hören Sie, Stan, wenn Sie mich auf den Arm nehmen wollen, ist was los. Ist Fin nun hier oder nicht?«
»Nein. Kommen Sie.«
Stan ging voran in die Stube, öffnete den Schrank und nahm die Ginflasche heraus, die die Mutter immer dort stehen hatte, falls Onkel Sam und Tante Milly vorbeikämen. Die beiden wohnten vier Meilen vor der Stadt und kamen hin und wieder abends vorbei.
Stan nahm zwei Gläser aus dem Schrank und schob sie auf den Tisch.
Der Deputy dachte sich nichts dabei, den Schluck zu kassieren. Als er in der Tür stand, kniff er das rechte Auge zu.
»Wenn man in jedem Haus, in dem man irgend jemanden sucht, einen Drink bekäme, wäre es der beste Job auf der ganzen Welt.«
Damit verschwand er.
Aber kaum war er weg, als Stan durch ein Geräusch hinter sich erschreckt wurde.
Er drehte sich um und sah gegen das kleine Fenster in der Hoftür die Konturen eines Hutes und eines Männerkopfes.
Dann drang an sein Ohr ein blechernes Lachen, das er genau kannte.
»Fin!« entfuhr es Stan.
»Du hast mich wohl für den Sheriff gehalten, he?«
»Donegan war eben hier.«
»Weiß ich. Glaubst du, ich hätte Maulwürfe in den Ohren?«
»Irgend jemand muß dich erkannt haben, bei dem Wagen. Er hat es Donegan gleich erzählt.«
»Wenn schon! Hanc hat schon bei Sterling nach mir gefragt. Ich war gerade dort und bin dann hierhergekommen. Vermutlich sucht der Hammel jetzt ein paar Stunden draußen in Talloncosa nach mir. Das gibt sich wieder.«
»Wie kommst du ins Haus?«
Fin lachte dünn.
»Ganz einfach, durch Manleys Hof. Die Mauer ist ja immer noch so niedrig wie damals, als wir da Marshal und Bandit gespielt haben.«
»Komm, gib mir auch einen Schluck.«
»Geht nicht. Die Flasche gehört meiner Mutter. Ich mußte Donegan nur beschwichtigen.«
Fin schob sich an ihm vorbei in die Stube, nahm die Flasche vom Tisch und setzte sie an die Lippen.
Er hatte zwei tiefe Schlucke getan, als Stan sie ihm wegriß.
Da fauchte Fin ihn gallig an: »Was willst du denn, du Mörder?«
Stan wich benommen zurück. Eisiger Schreck stand in seinem Gesicht.
»Dich sollten sie suchen!« knurrte Fin. »Nicht mich. Irgendein Schurke hat mich erkannt, als wir den Wagen kippten. Statt dessen sollten sie sich lieber nach dem Mann erkundigen, der Owen Hawkins ermordet hat.«
Owen Hawkins? Den Bankier? Er selbst war es also gewesen. Stan schluckte schwer.
Da wurde vorn wieder an die Tür geklopft.
Stan sah, wie Fin zum Revolver griff.
»Was soll das heißen?« krächzte er heiser. »Laß bloß das Schießeisen stecken!«
Fin grinste ihn an.
»Mach schon auf!«
»Nein!« Stan blieb stehen. »Du nimmst erst den Colt herunter!«
»Angst?« grinste Finlay. »Hm, kann ich verstehen. Wenn ich einen Mord auf dem Gewissen hätte, hätte ich vielleicht jetzt auch Grundwasser in den Stiefeln.«
Er schob den Colt ins Halfter zurück, und Stan ging zur Tür.
Als er geöffnet hatte, schob Sterling Buck seinen hageren Schädel herein.
»Hallo, Boys!«
Stanley hätte sie alle beide mit Faustschlägen traktieren mögen. Wie sie ihn angrinsten, wie sie sich hohnvoll an seiner Angst weideten!
Sterling quetschte durch den linken Mundwinkel!
»Ich möchte dir was zeigen, Stan.«
Der schüttelte den Kopf. »Verzichte! Ihr habt mir genug gezeigt.«
»Komm mit!« gebot Buck schnarrend.
Auch Fin meinte: »Komm mit und stell dich nicht so verrückt an.«
Sie verließen das Haus und gingen zur Mainstreet hinauf. Stan schlenderte zwischen den beiden, ohne den Blick zu heben.
Vor dem Sheriffs Office blieb Sterling Buck stehen.
»Da Junge, lies das. Da gibt es was zu verdienen!«
Als Stanlay Ripper den Kopf hob, sah er den Sheriff in der Tür des Office stehen. Und direkt vor Stan hing neben der Tür ein großes Plakat.
»Bankraub. In der Nacht zum Sonntag wurde in der Bank of Santa Fé eingebrochen. Die Täter erbeuteten dreitausendfünfhundert Dollars.«
Das war alles.
Stan schoß einen Blick auf Jim Tracys hartes, kantiges Gesicht und drehte sich dann um.
»Schönes Stück Geld«, krächzte Sterling.
»Kann man wohl sagen«, fand Fin.
Sterling zündete sich eine Zigarette an.
»Möchte ich schon haben, die Bucks. Dreitausendfünfhundert, das ist schon ein guter Stiefel, mit dem sich was anfangen läßt. Was meinst du, Fin?«
Der nickte.
»Stimmt genau, damit kann man sich allerhand Luft machen. Beispielsweise würde die hübsche Irma Walcott einen nicht mehr so schief ansehen, wenn man ihr zugrinste. Und man brauchte seinen Vater sonntags nicht um ein paar Bucks für einen Wochenenddrink zu bitten.«
»Wie wäre es denn mal mit Arbeit?« schnarrte die Stimme des Sheriffs hinter den dreien her. »Dann hätte man die Bucks für den Wochenenddrink und noch ein paar obendrein.«
Fin wandte den Kopf.
»Ah, Mister Tracy! Wie steht es? Schon eine Spur von den Tätern gefunden?«
Tracy zwinkerte den Burschen an.
»Eine Spur? Ich weiß nicht – ich halte gerade Ausschau…«
Stan spürte einen glühenden Strom zu seinem Herzen fahren. Weshalb legten sich diese Dummköpfe mit dem Sheriff an?
»Wie wäre es, Mister Tracy?« meinte Fin, »wenn Sie meinem Freund Donegan einen Gruß von mir bestellen würden?«
Tracy wußte nicht, daß der Deputy den Burschen wegen des umgekippten Wagens suchte. So entgegnete er: »Ich könnte mir vorstellen, daß Donegan nicht sehr scharf darauf ist, Fin!«
Die drei cry boys schoben feixend davon. Mitten auf der Straße blieb Fin noch einmal stehen und deutete zur Bank hinüber.
»Dreitausendfünfhundert Bucks! Teufel auch, wer sie hat, der hat sie!«
Stan ging mit gesenktem Kopf weiter. Er mußte sich beherrschen, daß er nicht ins Laufen kam.
»He, Stan!« rief Fin ihm nach, »nicht so hastig. Die Sache mit den schönen Dollars geht mir nicht aus dem Kopf.«
Stan blieb stehen.
Die beiden holten ihn ein.
Und Sterling packte ihn am Arm.
»Nicht schlecht, Stan. Wenn ich ehrlich sein soll, ich hätte dir soviel Nerv gar nicht zugetraut.«
Fin feixte.
»Ich schon. Der Bursche stellt sich dümmer als er ist.«
Da packte Stan ihn vorn an der Weste und fauchte ihn an: »Nimm dich in acht, Fin.«
Der machte sich brüsk los.
»Hast du gehört, Ster? Er bedroht mich.«
Stans Augen funkelten vor Zorn. Erst jetzt hatte er begriffen, was die beiden meinten.
»Was denn? Ihr glaubt doch nicht, daß ich nachher noch einmal in der Bank war?«
Die beiden blickten ihn aus kalten Augen an.
»Was heißt, Ihr glaubt!« preßte Fin durch die Zähne. »Wir sind davon überzeugt! Oder willst du uns vielleicht erzählen, daß es ausgerechnet nach dem Mord an dem Bankier jemandem eingefallen sein sollte, von hinten durch den Hof in die Bank einzudringen? No, Brother, der Fall ist sonnenklar. Du hast die dreitausendfünfhundert Bucks gestohlen.«
»Ihr seid wahnsinnig!« stieß Stan hervor.
Sterling giftete ihn an: »Und wie denkst du dir das weitere. Bildest du dir vielleicht ein, daß wir dich allein mit der Beute entkommen lassen? An soviel Geld kommt keiner von uns, und wenn er zehn Jahre alles spart, was durch seine Finger läuft. Du wirst schon teilen müssen, Brother.«
»Teilen! Mensch! Ich habe doch nichts.«
Drüben stand der Sheriff und blickte zu ihnen hinüber. Zwar konnte er nicht verstehen, um was sich diese Unterhaltung drehte, trotzdem war es Stan unter seinem Blick recht unbehaglich.
Er ging weiter.
Da packte Fin ihn am Arm.
»Ich nehme an, du hast das Plakat deutlich gesehen, Stan?«
Stan begriff nicht, worauf Fin hinauswollte. Vielleicht, daß man aus irgendeinem Grunde den Tod des Bankiers nicht angegeben hatte – sollte Fin das meinen?
Nein, das meinte er nicht.
»Wenn auf einem Plakat nichts weiter steht, Stanlay Ripper«, sagte er rauh, »dann bedeutet das, daß der Sheriff vor der Stadt fünfhundert Bucks bekommt, die er stillschweigend demjenigen geben muß, der ihm eine zweckdienliche Mitteilung über den Täter machen kann. Ich, Stan, könnte dem Sheriff eine solche zweckdienliche Mitteilung machen.«
Da gaben Stans Nerven nach. Er ballte die Faust und schlug blitzschnell zu.
Fin taumelte zurück, stoppte, und als er Stan mit dem Schwinger ansprang, wuchtete der ihm mit der Kraft des Zornes einen schweren rechten Haken unter die Herzspitze.
Finlay O’Brian sackte in die Knie.
Da packte Sterling Buck Stan am Oberarm und riß ihn zu sich herum.
Aber Stan war noch einmal schneller und traf Sterling hart am Jochbein.
Aber Buck war ein harter Nehmer, kam sofort wieder heran und punchte zurück.
Stan wurde von einem krachenden Rechtshänder zurückgeworfen.
Als er seine Benommenheit abgeschüttelt hatte und aufblickte – sah er in die pulvergrauen Augen des Sheriffs.
Hinter der Schulter des Sheriffs sah er Sterling Bucks hageres Gesicht.
»Na, warte, wir treffen uns noch!« sagte Buck.
Der Sheriff hatte eine steile Falte zwischen den Brauen.
»Tagediebe!« knurrte er. »Reicht es nicht, daß es in der Stadt von fremdem Gesindel aller Art wimmelt? Müßt ihr eucht jetzt auch noch so benehmen? Allmählich bin ich es leid mit euch. Wenn ihr euch noch einmal so aufführt, werfe ich euch ins Jail.«
»Können Sie nicht, Mister Tracy«, gab Sterling Buck eiskalt zurück, wobei er den Sheriff gelassen ansah.
»Kann ich nicht? So!«
Buck lachte blechern.
»Es würde Ihnen schwerfallen, meinem Lawyer einen Grund zu nennen, der die zu meiner Festnehmung veranlaßt hätte.«
»Ihrem Lawyer? So einen Anwalt haben Sie auch schon bei der Hand! Hm, ich will Ihnen mal etwas sagen, Buck. Sie sind noch schlimmer als der Bursche da. Der ist vielleicht ein einfältiger Junge, aber Sie sind raffiniert. Und das gefällt mir gar nicht.«
Buck schnipste ein unsichtbares Stäubchen von seiner hellgrauen Jacke.
»Was glauben Sie wohl, was mir daran liegt, Mister Tracy«, entgegnete er höhnisch. »Sie haben sich nach dem Gesetz zu richten und nicht nach dem, was Ihnen gefällt oder nicht.«
Tracys Gesicht war wie versteinert – und plötzlich zerfiel es in ein Lachen.
»Sie sind ein ganz ausgekochter Kerl, Buck. Ich würde Ihnen raten, selbst Lawyer zu werden. Und dann werde ich Ihnen sagen, wenn Sie sich hier auf der Straße herumschlagen, daß ein feiner Mann so etwas nicht tut.«
Kaltschnäuzig entgegnete der cry boy: »Ich habe nie behauptet, ein feiner Mann zu sein. Außerdem bedarf ich Ihrer Ratschläge nicht zu meiner Berufswahl. Wenn es Sie interessiert, Sheriff: Ich habe bereits gewählt.«
»So, da bin ich aber neugierig!«
»Ich werde Gouverneur von New Mexico.«
Jim Tracy schüttelte den Kopf und wandte sich ab.
Es war nicht einfach für einen Gesetzesmann, mit diesen Kerlen auszukommen. Manchmal hatte man mit den wirklichen cracy boys schon einigen Ärger, aber diese Halbmänner waren schlimmer als sie. Man konnte ihnen einfach nicht beikommen.
Da rief Sterling Buck den Sheriff zum eisigen Schrecken Stan Rippers nach: »Außerdem war das keine Schlägerei, Mister Tracy, sondern eine Auseinandersetzung, die sogar Sie interessieren würde. Wir haben darüber beraten, wie wir die viertausend Bucks am besten aufteilen können.«
Tracy war stehengeblieben.
»Es sind nur dreitausendfünfhundert Bucks.«
»Irrtum. Dreitausendfünfhundert hat der Dieb erbeutet. Dazu kommen die fünfhundert, die Sie mir geben, wenn ich Ihnen den Dieb nenne.«
Tracy wandte sich kopfschüttelnd ab und stakste auf seinen Bau zu.
Fin kniete mit blassem Gesicht am Boden und wischte sich gerade den Staub von der Stirn.
»Bist du verrückt geworden?« fuhr er Sterling an.
»Was willst du denn? Ist doch alles nichts als die Wahrheit. Oder kannst du das Gegenteil beweisen?«
Fin preßte die Lippen aufeinander und stand auf.
Mit Schrecken hatte er zum erstenmal begriffen, daß dieser Sterling Buck, den er doch nun schon lange kannte, ein ganz gefährlicher Bursche war, ein Bursche, vor dem man sich in acht nehmen mußte.
Und Stanlay Ripper dachte etwas Ähnliches.
Hätte nur noch gefehlt, daß Ster dem Sheriff gegenüber den Toten erwähnt hätte.
Plötzlich wurde Stanlay Ripper kreidebleich und spürte, daß er an allen Gliedern zitterte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf den Mann, der in diesem Moment aus dem Eingang des Bankhauses trat.
Er war groß, grauhaarig, mit kerzengerader Haltung. Owen Hawkins. Der Bankier!
Sterling stieß Stan in die Seite.
»Mach die Klappe zu, Stan. Ich wüßte nicht, wie ich dem Sheriff dein verblüfftes Gesicht erklären sollte.«
Stan schluckte und wandte dann dem Genossen das Gesicht zu.
»So ist er… gar nicht tot?«
»Er nicht!«
»Wer denn?«
»Am besten fragst du ihn mal. Hallo, Mister Hawkins. Mein Freund Ripper hätte Sie gern etwas gefragt«, rief Buck dem Bankier zu.
Stans Gesichtsfarbe spielte vor tödlichem Schrecken ins Grünliche hinüber.
»Du mußt tatsächlich übergeschnappt sein!« zischte jetzt auch Fin Sterling Buck zu.
»Weshalb denn?« gab der zurück und lächelte dem Bankmann gewinnend zu, der sich ihnen näherte.
»Ja, was gibt es denn?«
Sterling wippte auf den Zehenspitzen und schob seine Daumen in den Waffengurt, den er über seiner grauen leichten Jacke trug.
»Mein Freund Ripper sprach gerade über den Raub bei Ihnen.«
Der Bankier winkte ab.
»Ach, lassen Sie mich damit in Ruhe!« Er nahm seinen schmalrandigen Strohhut ab und betastete das große Pflaster, das er vorn links über der Stirnecke auf dem Kopf trug.
»Es war eine scheußliche Sache. Ein Glück, daß ich meine Schlafmütze trug, sonst wäre es vielleicht schlimmer ausgegangen. Aber der dicke doppelte Wollstoff hat die Schläge etwas gebremst. Das schlimmste für mich ist der Tod des Hundes. Es war zwar ein altes Tier, aber ich hing sehr an ihm. Ich sehe, der Sheriff hat Ihnen alles erzählt. Sieh einer diesen Schwätzer an. Wir hatten abgemacht, über die näheren Umstände zu schweigen.«
Buck sagte rasch: »Tut mir leid, Mister Hawkins. Der Sheriff hat uns gar nichts erzählt. Daß Sie mit dem Banditen gekämpft haben, wußten wir noch nicht. Ebenso ist das mit dem Hund uns nicht bekannt gewesen.«
Jetzt schlug sich der Bankier selbst auf den Mund.
»Ich dummer Kerl! Scheint so, daß die Schläge doch nicht ganz ohne Folgen geblieben sind.«
Buck grinste.
»Und wie steht es mit der Belohnung für den Mann, der den Dieb ausfindig macht?«
Mister Hawkins erklärte unwillig: »Die Stadt gibt dem Sheriff in solchen Fällen immer fünfhundert Dollar für den Mann, der den Täter stellt oder angeben kann.«
»Für fünfhundert wird sich hier kaum jemand in die Kakteen setzen«, meinte Sterling Buck.
»Hm, ja. Ich habe auch schon darüber nachgedacht. Vielleicht lege ich selbst aus meiner Tasche noch fünfhundert dazu. Denn diesem Banditen müßte doch das Handwerk gelegt werden.«
»Das kann man wohl sagen«, stimmte O’Brian zu.
Wieder nahm der Bankier seinen Hut ab.
»Muß ein schwerer Schlag gewesen sein«, fand Sterling Buck, wobei er den kalkweißen Stan Ripper mit einem vielsagenden Blick streifte. »Haben Sie irgendeinen Verdacht?«
»Ich eigentlich nicht, aber ich glaube, der Sheriff läßt schon eine Spur verfolgen.«
Da hatten die drei Burschen es plötzlich eilig, weiterzukommen.
Kaum waren sie außer Hörweite, da knurrte Sterling Buck: »Das sage ich dir, Stan, du teilst. Und wenn das nicht noch heute geschieht, teilen Fin und ich die tausend.«
Stan war stehengeblieben. Immer noch konnte der Sheriff sie beobachten.
»Hör zu, Ster! Ich weiß nicht, was ihr vorhabt, aber auf jeden Fall ist es eine Schweinerei. Aber mich schafft ihr nicht. Ich weiß, daß es damals eine Gemeinheit war, als wir Jake Hengeloo wegen der Sache mit den Pferden reingerissen haben. Es war auch eine Gemeinheit, daß wir dem alten Crouper die Schuld an dem plötzlich rotgefärbten Brunnen vor der City Hall gaben. Aber mich macht ihr nicht fertig. Und so schon gar nicht.«
Stan hatte wieder Oberwasser bekommen. Er war kein Mörder. Er hatte den Bankier zwar niedergeschlagen, aber nicht ermordet.
Das war ein Unterschied, der unermeßlich war.
Und nicht einen roten Cent hatte er aus der Bank gestohlen! Er nicht. Aber es waren dreieinhalbtausend Bucks weggekommen. Wer hatte sie gestohlen?
Die Augen Rippers glitten von einem zum anderen – und blieben an Sterling Buck hängen.
»Wenn du das Geld an dich gebracht hast, Ster, und willst mich jetzt damit einweichen, dann sitzt du auf dem falschen Gaul. Ich weiß, daß ich nicht gerissen genug für euch beide bin, meine Mutter hat es mir oft genug gesagt. Aber diesmal beißt ihr auf Stein. Ihr wißt genau, daß ich nicht mehr in die Bank zurückgegangen bin in der Nacht.«
Buck hatte sich gegen einen Zaun gelehnt und den rechten Fuß angezogen. Unterm Hutrand hervor beobachtete er den anderen. Urplötzlich warf er den Kopf herum. Seine kalten Augen fraßen sich an dem Gesicht Fin O’Brians fest.
»Du hast das Geld«, sagte er heiser.
Fin wurde flammendrot.
»Was faselst du da?«
Da nahm Sterling ganz langsam den Revolver aus dem Halfter.
»Wo hast du das Geld?« fragte er sehr ruhig.
»Ich…? Wieso ich? Stan muß es doch gewesen sein, dieser Schurke, der Hawkins um ein Haar erschlagen hät…«
Stan hatte beide Hände um O’Brians Hals geschlagen.
»Ich erwürge dich, du Bastard!«
Fin riß sich los.
»Bastard?« Finlay O’Brian hatte nicht nur Blut der weißen Rasse in seinen Adern fließen, man sah es seinem Gesicht und seiner Hautfarbe an, daß einer seiner nächsten Vorfahren ein Indianer gewesen sein mußte. Wenn ihm jemand diesen Schimpfnamen entgegenhielt, sah er rot. Das Messer blitzte in seiner Faust.
Da schnellte Sterling Buck sein langes Bein hoch und trat ihm das Messer aus der Hand.
»Du verdammter Dreckskerl hast die Bucks geholt! Wo stecken sie?«
Fin wich einen Schritt zurück.
»Du hast mich getreten, Ster. Das wirst du bereuen.«
Da sah er, daß der hochnäsige Sterling Buck immer noch seinen Revolver in der Hand hatte. Er schluckte und stieß hervor: »Ich habe das Geld nicht!«
Er hatte es so laut gebrüllt, daß die beiden anderen ihn entgeistert ansahen.
Buck schob seinen Colt ins Halfter zurück und sah sich nach allen Seiten um.
»Du mußt geistesgestört sein, Mensch.«
Sie entfernten sich von der Gassenecke und gingen zum Friedhofshügel hinauf, wo nur noch eine Schmiede stand.
Sterling Buck, der sich bisher als der überlegene Kopf gefühlt hatte, glaubte sich plötzlich von Fin getäuscht zu sehen. Rasender Zorn stieg in ihm auf.
»Well, Stan ist ein Ochse, aber du bist ein Fuchs, Fin. Und…«
Stanlay Ripper war viel zu froh über den verhältnismäßig glücklichen Ausgang ihres fürchterlichen Abenteuers in der Samstagnacht, als daß er Sterling diese Beleidigung übelgenommen hätte.
Nicht so Fin.
»Ster, ich merke, daß du mich herausfordern willst. Nimm dich in acht! Ich bin schneller als du.«
Das war genau das, was O’Brian nicht vertragen konnte. Er hielt sich nämlich nicht nur für überklug, sondern auch für schneller als die beiden anderen. Häufig hatten sie in Höfen und draußen in der Savanne Schießübungen mit leeren Whiskyflaschen gemacht, wobei sich keinesfalls eine sonderlich große Überlegenheit Sterling Bucks bewiesen hatte.
Es war eine Minute, die harmlos zu sein schien und dennoch die bitteren Augenblicke der Samstagnacht einfach wegschluckte. Sterling Buck und Finlay O’Brian standen einander gegenüber.
Und plötzlich flogen ihre Hände zu den Colts.
Zwei Schüsse brüllten über die Friedhofshalde.
Dann sah Stan Ripper zu seinem eisigen Entsetzen, wie nur drei Schritte neben ihm Sterling Buck nach rechts zusammenknickte und mit dem Gesicht in den heißen Sand schlug.
Hastende Schritte waren das nächste, was Stan vernahm. Er wandte sich um und sah Finlay O’Brian eben noch um die Ecke des nächsten Hauses biegen.
Und drüben im Tor der alten Hufschmiede erschien ein graubärtiger Mann in der grünen Schmiedeschürze.
Er kam rasch näher, blickte auf den Mann am Boden und ergriff dann den rechten Unterarm des wie angewachsen dastehenden Stanlay Ripper.
»Du elender Strolch!« röhrte die Stimme des Schmiedes wie aus weiter Ferne an Stans Ohr. »Du hast ihn erschossen.«
Da kamen unten aus der Gasse zwei Frauen heran.
Und hinter ihnen stürmten mit Riesenschritten der Sheriff den Hang zum Friedhofshügel herauf.
Er blickte nur kurz auf Sterling Buck, dann wandte er sich an Stan.
»Da gibt es ja nichts zu reden, oder?«
Stan brachte die Zähne nicht auseinander. Eisiges Entsetzen hatte ihn regelrecht gelähmt.
Da war kaum ein großer Mühlstein von seiner Seele gefallen und schon hatten die beiden ihm eine neue, doppelt so schwere Last auf die Seele gewälzt.
»Komm mit, Bursche, da ist die Stadt ja rasch um zwei von euch Strolchen ärmer geworden. Der eine tot, der andere kommt an den Strick! Los, vorwärts!« Der Sheriff schob Stan Ripper vor sich her, die Gasse hinunter.
Eine der Frauen kniete sich neben Sterling und wandte ihn auf den Rücken. Sie starrte in sein wächsernes Gesicht und sah den großen, dunklen Blutfleck auf seiner Brust.
»Das ist Bucks Junge…«, sagte sie gedämpft.
Niemand hatte die beiden Reiter beachtet, die von Westen her am Friedhof vorbei auf die Stadt zugeritten waren und jetzt neben der Schmiede hielten.
Der eine von ihnen rutschte jetzt aus dem Sattel, nahm den Hut ab, klopfte sich den Staub aus dem schwarzen Anzug und ging auf die Gruppe um den Niedergeschossenen zu.
Es war ein großer Mann mit einem gutgeschnittenen klugen Gesicht, das von einem eisblauen Augenpaar beherrscht wurde.
Zu seinem schwarzen Anzug, der nach der neuesten St. Louis-Mode geschnitten war, trug er ein weißes, glattes Hemd und eine schwarze Samtschleife. Die leichte Weste war giftgrün und mit feinen schwarzen Stickereien besetzt. Unter seinem vorn offenstehenden langen Rock konnte man den breiten Waffengurt sehen, der zu den beiden Hüftseiten je einen schweren fünfundvierziger Revolver mit elfenbeinbeschlagenem Knauf hielt.
Inzwischen hatten sich etwa ein Dutzend Menschen eingefunden. Der Fremde schob sie auseinander und bückte sich neben dem Jungen nieder. Seine Hände glitten über dessen Gesicht. Dann neigte er das Ohr zum Mund des Niedergeschossenen, öffnete ihm die Weste und das Hemd, legte ihn so, daß sein Gesicht zur Seite lag. Den Kopf bog er weit zurück.
»Der Mann ist noch nicht tot«, sagte er, als er sich erhob.
Die Menschen blickten den Fremden fragend an.
»Wer sind Sie…?« stammelte eine Frau.
»Doc Holliday!« rief der Schmied plötzlich. »Damned, ich hätte ihn unter der Staubschicht fast nicht erkannt. Es ist Doc Holliday! Zounds, wenn er sagt, der Bursche sei nicht tot, dann will ich skalpiert werden, wenn es nicht stimmt. Vorwärts, Leute, schafft ihn in mein Haus! Schätze, daß der Doc versuchen wird, ihm die Kugel herauszuholen.«
Holliday stand allein auf dem Platz und blickte auf seine Hände. Sie zitterten von der Anstrengung des langen scharfen Rittes, der hinter ihm lag.
Er hob den Kopf, und blickte zu seinem Gefährten hinüber, der drüben neben der Schmiede hielt.
Es war ein großer, kräftiger Mann mit breitem Gesicht und hellen Augen. Links auf seiner verblichenen Weste war ein großer dunkler Fleck, auf dem ganz sicher lange Zeit ein sechszackiger Stirn im Ring gesessen hatte.
Dieser Mann war Virgil Earp, der Bruder des berühmten Marshals Wyatt Earp.
Die beiden Reiter hatten in wenigen Tagen über hundertneunzig Meilen durch den heißen Sand der Savannen von Arizona und New Mexico zurückgelegt.
Virgil Earp war aus Tombstone gekommen und Doc Holliday gar aus Glendale. Beide waren von einer Depesche Wyatt Earps erreicht worden, die sie nach Dodge City rief. Und keiner von ihnen hatte auch nur eine Stunde gezögert, sich auf den Weg zu machen.
Nach Santa Fé kam man am schnellsten, wenn man quer durch die Savanne nordostwärts ritt, das hatten sie nun geschafft. In Mogollon waren die beiden Reiter aufeinandergetroffen; von Santa Fé aus gedachten die beiden den Rest der Strecke in zwei Teilen mit der Bahn zu bewältigen.
Virgil ließ die beiden Pferde im Schatten der Schmiede stehen und kam auf den Georgier zu, der immer noch auf dem gleichen Fleck stand und seine blutbefleckten Hände besah.
»Er ist nicht tot?« fragte Virgil.
Der Spieler schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«
Virgil nahm den Hut ab und wischte mit einem großen schwarzen Tuch durch das Schweißband.
»Sie haben doch nicht etwa die Absicht, ihm die Kugel herauszuholen?«
Da hob der Gambler den Kopf und blickte den Bruder Wyatt Earps mit großen Augen an.
»Wollen Sie es tun, Virg?« kam es heiser über seine Lippen.
»Ich? Wieso denn? Aber weshalb müssen Sie sich immer opfern? Sie sind heute siebzehn Stunden geritten, ebenso gestern und vorgestern! Ihre Hände werden zittern. Es wird doch in dieser verdammten Stadt noch einen anderen Doktor geben.«
»Ja, das wird es sicher. Fragt sich nur, wie lange er sich und wie lange der Große Manitu dem Verletzten noch Zeit läßt.«
Damit ging Holliday auf die Schmiede zu. Ehe er im Haus verschwand, rief er dem Tombstoner US-Deputy Marshal noch zu: »Ach, bitte, würden Sie mir meine Tasche bringen, Virg?«
Virgil blickte der hochaufgerichteten Gestalt Hollidays nach.
Damned, er mußte doch zum Umfallen müde sein, der Doc! Dieser Kerl war offenbar nicht kleinzukriegen. Jetzt konnte er es wieder nicht mitansehen, daß da einer mit einem Stück Blei in den Rippen herumlag und auf einen Arzt wartete.
Virg ging rasch zu den Pferden, schnallte von Hollidays Rappen die schwarze Krokodilledertasche mit den Instrumenten ab und gab sie einer Frau.
»Hier, bringen Sie das dem Doc, er benötigt sie!«
Die Frau eilte mit der Tasche ins Haus des Schmiedes.
Virgil blieb auf dem Vorbau stehen, gegen einen Pfeiler gelehnt, nahm eine Strohhalmzigarre aus der Tasche und blickte müde vor sich hin. Um ihn herum standen Männer und Frauen und tuschelten leise miteinander.
Und drinnen in der Stube stand der Georgier ohne Rock mit hochgekrempelten Hemdsärmeln, eine Pinzette in der linken Hand und ein blitzendes Skalpell in der rechten Hand.
Der Schmied und drei andere Männer, zwei Frauen und ein halbwüchsiger Bursche starrten auf diese nervigen braunen Hände, die jetzt völlig ruhig waren.
Virg sah einen Mann mit einem Stern die Gasse heraufkommen.
Er war grauhaarig, hatte hängende Schultern und einen zottigen Bart. Als er die Vorbautreppe hinaufstieg, blickte er Virg an, verhielt den Schritt, senkte den Kopf und dachte nach.
Da sagte Virg, ohne ihn anzusehen: »Wenn ich Ihnen die Mühe ersparen darf, Sheriff – ich erinnere Sie an Wyatt Earp, stimmt es?«
Tracy blickte hoch.
»Stimmt. Sie haben eine tolle Ähnlichkeit mit ihn.«
»Er mit mir«, knurrte Virg. »Er ist nämlich mein jüngerer Bruder.«
»Ich kenne ihn übrigens auch nur von einer Zeitungsphotographie her. Sind Sie allein?«
»Nein. Doc Holliday ist bei mir.«
»Doc Holliday?«
»Ja, er ist drinnen.«
Tracy ging weiter, schob die Tür auf, durchmaß den Flur und öffnete die Stubentür.
Mit schmalen Augen blickte er auf den hochgewachsenen Mann, der mit Sonde und Pinzette, Skalpell und Spitzzange über den Körper des besinnungslosen Burschen gebeugt stand.
Tracy hatte den berühmten Gambler nie zuvor gesehen.
Das also war Doc Holliday. Welch eine unheimliche Ruhe von diesem Mann ausging.
Niemand im Zimmer rührte sich.
Und sofort gehörte auch der Sheriff zu den schweigenden, reglos dastehenden Zuschauern.
Unendlich vorsichtig arbeitete der einstige Bostoner Arzt. Plötzlich zog er die Brauen zusammen.
Die Menschen starrten ihn mit brennenden Augen an.
Seine Linke schob die Sonde in die Wunde, und dann zuckte seine Rechte mit der Pinzette hoch.
Ein verformtes Bleistück saß zwischen den beiden metallenen Klammern.
Holliday wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn.
Eine mörderische Hitze herrschte in dem kleinen Raum.
Daß er dabei überhaupt arbeiten kann! dachte Tracy.
Da sah er, wie Holliday sich plötzlich nach vorn beugte. Er legte das Ohr über Sterling Bucks Gesicht.
Rasch richtete er sich dann auf und holte ein Fläschchen aus seiner Tasche, hielt es einer Frau hin und wies sie an, es unter die Nase des Verwundeten zu halten.
Mit fliegenden Fingern säuberte er abermals die Wunde und legte dann einen Verband an.
Die Menschen blickten auf das fahle Gesicht des Verwundeten. Lebte er noch? Oder hatte er den Eingriff nicht überstanden?
Doc Holliday wusch seine Instrumente, packte sie ein, nahm seine Jacke und seinen Hut und wollte hinaus.
Da hielt ihn der Sheriff auf. »Wie steht es, Doc?«
»Da fragen Sie am besten den lieben Gott, Sheriff…«
Eine Nacht lang bangte eine ganze Stadt um das Leben eines Menschen.
Am nächsten Morgen wußten sie, daß Sterling Buck noch lebte.
Und unten im Jail saß Stanlay Ripper, festgenommen, weil er die Kugel, die Doc Holliday aus Sterling Bucks Brust geholt hatte, abgeschickt haben sollte.
Als der Georgier und Virgil Earp gegen halb acht aus dem Hotel traten und ihre Pferde von einem Peon gebracht wurden, weil sie sich zur Station begeben wollten, kam ein kahlköpfiger kleiner Mann auf den Spieler zu.
»Ich bin Doktor Bernard, Mister Holliday. Ich habe gehört, daß Sie den Burschen von dem Blei befreit haben. War eine großartige Leistung. Damned, ich weiß bestimmt nicht, ob ich es gewagt hätte, so dicht neben dem Herzen.«
»Wie geht es ihm?«
Doc Berhard entgegnete: »Ich glaube, den Verhältnissen entsprechend gut, Doc. Er wird durchkommen. Nur hat er die Augen immer noch nicht geöffnet.«
Da drückte Holliday dem Peon die Zügel in die Hand und wandte sich an Virgil.
»Ich bin sofort zurück.«
Er wandte sich an den alten Arzt und erkundigte sich: »Wo liegt der Junge?«
»Noch oben beim Schmied. Die Leute kennen die Mutter des Verwundeten und haben ihn dagelassen. Wahrscheinlich ist das auch besser gewesen.«
»Bestimmt sogar.«
Holliday ging mit dem Arzt zur Schmiede.
Nach zehn Minuten sah Virg ihn zurückkommen.
Der Spieler gab dem Peon einen Wink.
»Bring mein Pferd wieder in den Stall.«
»All right, Sir.«
Virgil zog seine Brauen zusammen.
»Der Zug fährt in zehn Minuten, Doc!« krächzte er.
»Ja, weiß ich.«
»Wollen Sie nicht mit?«
»Nein.«
»Weshalb nicht?«
»Ich warte noch.«
»Wieso. Ist etwas mit dem Burschen? Der kleine Doc meinte doch, es ginge ihm ganz gut.«
Das Gesicht des Georgiers war hart wie Felsstein.
»Der Bursche stirbt.«
Virg rieb sich unbehaglich das Kinn.
»Aber das kann doch gar nicht sein! Der Arzt sagte doch…«
»Er hat keine Ahnung!« entgegnete der Gambler schroff und ging ins Hotel zurück.
Virg stand neben seinem Pferd auf der Straße und blickte unschlüssig hinter dem Spieler drein.
»Ein schwieriger Mann, dieser Doktor Holliday. Was Wyatt bloß an ihm findet. Mich würde er mit seiner eisigen Ruhe auf die Dauer nur nervös machen.« Leise hatte er es vor sich hin gemurmelt und gar nicht bemerkt, daß der Sheriff hinter ihn getreten war.
»Na, Mister Earp, gibt es was Unangenehmes?«
Virgil wandte den Kopf.