Читать книгу Wyatt Earp Staffel 10 – Western - William Mark D. - Страница 6
ОглавлениеEs war in einer heißen Augustnacht des Jahres 1883.
In Tucumcari, New Mexico, im Qui County.
Halbom Chester war damals genau neunzehn Jahre alt. Sein Bruder Ed war ganze siebzehn. Und Frank Macirian war achtzehn.
Die drei Burschen hatten bis zu diesem Tage sieben Meilen vor der Stadt auf der Gloster-Ranch als Peons gearbeitet.
Es waren schon andere vor ihnen auf den Gedanken gekommen, dessen Verwirklichung den Westen schockieren sollte, aber es blieb dem texanischen Peon Halbom Chester vorbehalten, ihn in die Tat umzusetzen…
Tucumcari war eine ganze Stadt, und man sah ihr an, daß sie auch Bewohner hatte, die wohlhabend genannt werden konnten.
So zum Beispiel Dandyson, der Wollweber.
Filipo Gonzales, der Pferdehändler.
Und Martin Hartman, der die Nagelhütte besaß.
Auf diese drei Männer hatte es Halbom Chester abgesehen.
Weniger auf die Männer, als auf deren Kinder!
Auf den vierjährigen John Dandyson, den fünfjährigen Juan Gonzales und die vierjährige Erica Hartman.
Halbom Chester hatte den Gedanken gehabt, diese drei Kinder zu rauben, sie in den nahen Llano zu verschleppen, und die wohlhabenden Väter um ein Lösegeld zu erpressen, das sich gewaschen haben sollte.
Die beiden Chester Brothers und ihr Mitschuldiger Macirian, deren Fotografien heute noch in den Kriminal-Instituten der Vereinigten Staaten aufbewahrt werden, hatten einen großen und unerhört schwierigen Coup durchzuführen. Niemals zuvor hatte ein Mensch im weiten Westen auch nur etwas annähernd Gefährliches unternommen. Halbom Chester, der Kopf des Banditen-Trios, hatte alles bis ins kleinste geplant. In wochenlanger Arbeit. Und obgleich er bis zu diesem Tage nicht ein einziges Mal der Ranch, seiner Arbeitsstätte, ferngeblieben war, hatte er alles genau ergründet und durchkalkuliert.
Alle Möglichkeiten hatte er überdacht – bis auf eine.
Und genau die sollte eintreten…
Die Zeit, in der der ältere Chester seinen Coup geplant hatte, war nicht einmal sehr lange gewesen: sieben Wochen. In dieser Zeitspanne hatte er alles zusammengetragen, was er zu seinem Plan brauchte.
Erst als das alles bereit war, weihte er seinen Bruder ein.
Der schaute ziemlich dumm drein, als Halbom ihn an einem heißen Julitag fragte: »Was hältst du von Dollars, Ed?«
»Von… Dollars?«
»Ja, von einer Menge Dollars!«
Ed lachte stumpf.
»Eine ganze Menge, ist doch klar.«
Halbom stützte sich mit dem linken Fuß auf das unterste Brett des Corralgatters und zündete sich eine Zigarette an.
»Was würdest du dazu sagen, wenn ich einen Weg wüßte, wie man zu einer Menge Dollars kommt?«
»Was ich dazu sagen würde?« Ed blickte den Bruder argwöhnisch an und knurrte, indem er einen halben Schritt zurückwich: »Du, wenn du etwa mit dem Gedanken spielst, mich wieder um meinen Lohn zu erleichtern, für deine verdammte Pokerei, hast du dich geirrt. Ich habe zweiunddreißig Bucks im Monat, das weißt du, drei Bucks weniger als du – und ich habe ein Paar neue Stiefel kaufen müssen. Der Mutter habe ich zehn Dollar geschickt und für den Rest wollte ich mir ein neues Halstuch kaufen. Du weißt ja, daß ich meines verloren habe.«
»Unsinn…«
»Nichts da! Ich habe nichts zu geben! Ich rauche schon nicht, weil ich mir die Boots kaufen mußte. Und da soll ich dir meine letzten Kröten abgeben? Nein, laß mich zufrieden! Komm, wir müssen die Gäule zur Schmiede in Tucumcari bringen. Wenn Frank sieht, daß wir hier herumtrödeln, kriegt er einen Anfall.«
Halbom winkte ab.
»Frank steht vorn an der Tenne und linst zu der Wäschewiese hinüber. Lolilta, die rote Hexe, hängt da Handtücher auf. Da hat er keine Zeit für andere Dinge. Und nun gib acht, es ist gut, daß wir heute wieder in die Stadt müssen, denn dann kann ich dir gleich alles an Ort und Stelle erklären…«
Sie mußten häufig in die Stadt, da es immer wieder Dinge gab, die dort beschafft werden mußten. Und da sie zu den jüngsten Cowboys gehörten, war das ihre Aufgabe. Übrigens, richtige Cowboys waren sie noch nicht und wären sie vermutlich auch nie geworden. Es waren einfache Pferdeknechte, wie es sie überall im Westen gab. Ein echter Cowboy sah auf einen Peon noch ziemlich verächtlich hinunter.
Die beiden Chesters stammten aus der kleinen Stadt Morton im Cochran County drüben in Texas. Sie arbeiteten beide seit einigen Jahren bei Gloster und schienen gar nicht den Ehrgeiz zu haben, jemals etwas anderes zu werden als höchstens Cowboys.
Als Halbom dem Bruder auf dem Ritt in die Stadt seinen Plan unterbreitetet hatte, durch den er zu »einer ganzen Menge« Bucks kommen wollte, hielt Ed seinen Wallach an und starrte dem Bruder entgeistert ins Gesicht.
»Sag mal – stimmt bei dir vielleicht plötzlich irgend etwas da oben nicht mehr?«
Nach einer halben Stunde sagte er nichts mehr, sondern hörte nur noch schweigend seinem älteren Bruder zu, der es verstand, dem etwas beschränkten Ed das Bild der Zukunft in bunten Farben auszumalen.
»Und außerdem«, schloß er seine Vorstellung, »was geschieht denn schon? Was haben wir denn Schlechtes vor? Wollen wir etwa einen Mord begehen? Nein, im Gegenteil, wir haben etwas Gutes vor. Wir werden eine große Ranch aufbauen, die uns gehört, auf der wir nicht dreckige, verachtete Pferdeknechte sind, sondern die Bosse, die Herren, die Besitzer! Verstehst du? Der lumpige Peon Bestman Frank Macirian wird sich dann vielleicht noch mal beide Hände an seiner ledernen Hose abwischen und den Hut ziehen, um bei uns einen Job zu bekommen…«
Immer weiter trieb Halbom den Bruder in seine eigene Vorstellungswelt hinein.
»Dazu brauchen wir eben Geld, das wir nicht einmal stehlen werden, sondern das wir uns nur leihen. Was ist denn schon dabei? Wir bringen niemandem Schaden damit. Eines Tages, wenn der erste größere Gewinn abfällt, schicken wir den drei Leuten ihre Dollars zurück. Na, ist das vielleicht was Schlechtes?«
Er rieb sich das Kinn und dachte nach; das fiel ihm offensichtlich schwer.
»Ja, wenn du es so darstellst? Vielleicht hast du recht, vielleicht ist das ein Weg, zu etwas zu kommen. Ich habe auch keine Lust, ewig für den alten, tauben Gloster den Roßmist aufzulesen und wegzufegen.«
»Na also!«
Sie hatten indessen die Stadt erreicht.
Vom linken Vorbau kam der Sheriff, ein mittelgroßer, ernstgesichtiger Mann von untersetztem Körperbau mit langen Armen.
Als Ed ihn sah, zuckte er unwillkürlich zusammen.
»Nein«, keuchte er, »nein, Hal, das rollt nicht! So etwas geht eben doch nicht. Die Sache stinkt irgendwie…«
Und das begründete später seine Schuld. So einfältig er war, der junge Eddi Chester, er war nicht so dumm, als daß er die Gefahr und die Unrechtmäßigkeit des ganzen Plans nicht hätte begreifen können.
Halbom lachte den Bruder aus.
»Du bist ein Tagträumer, Ed! Bleib es meinetwegen. Und bleib meinethalben für die nächsten vierzig Jahre Mistknecht bei dem alten Gloster und seinem hochnäsigen Sohn, der dir heute schon nachspuckt und dir später, wenn er erst mal die Ranch übernommen hat, mit der Peitsche Antworten auf deine Fragen und seine Befehle an dich mit dem Revolver geben wird.«
Ed sann wieder nach. Und es fiel ihm diesmal nicht leichter.
»Wenn man es richtig bedenkt, ist schon was Wahres dran, Hal. Aber müssen es unbedingt Kinder sein, wo wir doch so gar nichts von Kindern verstehen?«
»Wovon verstehen wir denn etwas, he? Willst du vielleicht die Großmütter dieser Halunken mitschleppen? Oder ihre Frauen? Dafür geben sie nichts! Im Gegenteil, sie würden am Ende froh sein, sie losgeworden zu sein. Nein, nein! Nur für ein Kind gibt ein reicher Mann etwas aus! Glaub es mir. Ich habe lange darüber nachgedacht.«
Und das wollte für Ed etwas bedeuten.
Der Bruder war ein kluger Mann, der konnte denken. Oft genug hatte es der Lehrer und auch der Vater daheim und sogar schon die Leute hier auf der Ranch gesagt.
Halbom Chester ist ein kluger Kopf, sagten sie.
Nein, er war gerissen, verderbt bis in seine Seele hinein. Aber das wußte damals noch keiner…
Ed machte noch einige Einwände. Beispielsweise wollte er wissen, weshalb denn gleich alle drei Kinder auf einmal entführt werden sollten, statt nacheinander, was doch weniger Ärger mit sich bringen müßte.
Halbom antwortete ihm: »Wenn wir ein Kind entführt haben, wird es uns niemals wieder gelingen, ein zweites Kind zu entführen. Nein, es muß gleich beim erstenmal ein größerer Schlag sein. Und ehe sie sich besinnen, müssen wir das Geld haben.«
Vielleicht sollte man denken, daß ein Peon nicht sehr weit mit solchen Plänen gekommen wäre. Well, aber Halbom Chester war eben kein gewöhnlicher Peon. Er war ein geriebener Verbrecher, der zu allen Zeiten und an jedem Ort der Welt unter allen Umständen und allen Bedingungen seinen Coup gelandet hätte. Hier im Wilden Westen unter den gegebenen Umständen mit den vorhandenen Mitteln…
In der Nacht, nachdem Ed es erfahren hatte, schlief er nicht. Ruhelos wälzte er sich auf seinem Lager hin und her, bis ihn Halbom, der neben ihm lag, anstieß und ihm ins Ohr flüsterte: »Lieg endlich ruhig, Mensch, du machst ja das ganze Bunkhaus noch wach.«
Drüben neben der Tür knarrte das unterste Bett.
Da schlief Frank Macirian, der Peon Bestman.
Macirian stammte aus Arizona und war für sein Alter ein hervorragender Arbeiter. Der Boß hatte ihn nicht umsonst zum Bestman der Peons ernannt, die allerdings mit der Cowboy Crew, die nebenan im großen Bunkhaus schlief, so gut wie nichts zu tun hatten.
Randolph Gloster hatte siebzehn Cowboys und neun Peons.
Macirian, der Anführer der Peons, kannte seine Leute recht gut. Und wenn er auf einen Burschen scharf war, dann auf den ältesten Chester. Der gab ihm zu glatte Antworten, führte zu ölige Reden und hatte ein zu lächelndes Gesicht, als daß er ihm hätte trauen können. Aber nie war es ihm gelungen, Halbom irgendwie an die Karre zu fahren. Viel zu sehr war Hal in allem auf der Hut.
Und wenn man jetzt, in dieser Stunde, dem tüchtigen Bestman der Gloster Ranch gesagt hätte, daß er bei dem als Chester Coup bald darauf berüchtigten Verbrechen als dritter Mann mitwirken würde, hätte er ganz sicher laut und schallend aufgelacht.
Nach drei Tagen kam Ed dem Bruder mit der Frage: »Aber wir brauchen doch drei Wagen.«
»Eben.«
»Und woher willst du die nehmen?«
»Frank wird sie uns besorgen.«
»Frank? Bist du verrückt?«
»Absolut nicht.«
Ed schluckte schwer.
»Du willst Frank… Macirian mitmachen lassen?«
»Wir brauchen ihn.«
»Wozu?«
»Weil er bei Gonzales aus und ein geht, wegen der Pferde, weil bei Gonzales der Fall am schwierigsten liegt – und weil wir ganz einfach noch einen dritten Mann brauchen.«
»Aber du glaubst doch nicht im Ernst, daß Frank mitmacht?«
»Ich bin sogar überzeugt davon.«
Nein, das konnte Ed denn doch nicht glauben. Er hatte eben nicht mit der Niedertracht seines Bruders gerechnet.
Eines Abends nahm Hal den Bruder am Arm und führte ihn über die an der Außenwand der Scheune emporführende Treppe auf die Tenne.
»Da, siehst du die beiden da unten?«
Ed sah mit weiten Glotzaugen auf den Mann hinunter, der unten im unüberdachten Häckselraum bei dem Mädchen Lolita stand.
Bei Lolita Gloster. Der einzigen Tochter des Rangers!
Sie war im Gegensatz zu ihrem Bruder freundlich und außerdem aufreizend hübsch.
»Nein«, kam es tonlos über Eds Lippen. »Wenn das Ernest wüßte!«
Ernest Ginger war der Vormann der Gloster Ranch und wurde von dem Rancher, der sein entfernter Verwandter war, als zur Familie gehörig betrachtet. Der einunddreißigjährige Cowboy war ein prächtiger Bursche, und er hätte auf jeder anderen Ranch den gleichen Posten haben können, aber er blieb wegen der schönen Lolita, die ihm der Rancher als Frau versprochen hatte, wenn sie erst achtzehn sein würde.
Lolita hatte dem Vormann auch schöne Augen gemacht – bis der gutaussehende junge Macirian auf die Ranch kam. Sofort verliebte sich das haltlose, allzu schnell entflammbare Mädchen in den neuen Peon, der bald Bestmann wurde. Aber niemand wußte von dem Verhältnis der beiden – außer Halbom Chester, der die Schärfe des Bestmans mit seinem Wissen in Schach gehalten hatte.
Jetzt richtete sich Hal auf, stemmte die Arme in die Hüften und spreizte die Beine.
»Frank!«
Die beiden jungen Menschen unten im Häckselraum fuhren zusammen.
Entgeistert starrten sie in das Dunkel der Tenne.
»Um Himmels willen!« stöhnte das Mädchen, »laß mich los, Frank! Wenn Ginger etwas erfährt, bringt er uns beide um.«
Aber der Peon hielt Lolita Gloster fest.
»Wer ist da oben?«
»Ich, Hal Chester.«
»Hal?« keuchte der Bestman bebend vor Zorn. »Verdammter Spitzel! Ich drehe dir die Luft ab! Komm runter, Mensch! Ich werde dich fertigmachen, wie…«
»Reiß den Rand nicht so weit auf«, mahnte ihn der Texaner.
»Frank«, flehte das Mädchen, »laß mich doch los! Der Peon da oben schreit ja so laut, daß man es drüben auf dem Hof hören muß.«
»Komm runter, Chester!«
»Kannst du haben.«
Hal stieß seinen Bruder, der über der Bodenluke hockte, an.
»Nimm deinen Revolver.«
»Aber…«
»Ruhe!« Hal stieg die Leiter hinunter auf den Heuboden und klomm von dort in den Häckselraum.
Zitternd schob sich das Mädchen hinter Macirian.
»Es ist sicher besser, wenn Miß Gloster uns allein läßt«, meinte Hal feixend.
Am liebsten hätte Frank ihn jetzt niedergeschlagen.
»Was willst du?«
»Ich sah euch zufällig…«
»Zufällig«, stieß Frank bebend vor Wut hervor und stürzte sich auf den Peon.
Aber Hal schleuderte ihn mit einem ruhigen Konterschlag zurück.
Frank prallte mit dem Rücken so hart gegen die Häckselkiste, daß er aufstöhnte vor Schmerz. Dann kam er zurück.
»Warte, ich mache Schnittstroh aus dir, du Halunke! Du hast Pech gehabt…«
»Was würde Ginger dazu sagen?« fragte Chester rasch.
Mitten im Sturmlauf hielt der Arizonamann inne und starrte Halbom an.
»Was hast du gesagt?«
»Du hast es doch gehört.«
»Well.« In Macirians Augen blitzte es gefährlich auf. »Du hast Pech gehabt, Hal. Mich machst du nicht fertig. Niemand weiß etwas davon, und wir beide werden sagen, daß du lügst. Wollen doch sehen, wem der Boß eher glaubt!«
»Der Boß? Hm, und Ginger?«
Das Mädchen hatte sich bis zur Tür zurückgeschoben.
»Frank, laß ihn in Ruhe!«
»Dieser Schuft! Ich habe immer gewußt, daß hinter dem Burschen etwas Übles steckt. Ich knalle ihn nieder! Einfach nieder! Dann ist alles…«
Er hatte den Revolver aus dem Halfter gerissen und stieß ihn auf Hal vor.
Da drang das harte, knackende Geräusch eines gespannten Revolverhahnes von der Tenne herunter.
Macirian zuckte zusammen.
Hal grinste ihn böse an.
»Na, wie steht’s, soll Lolita nicht gehen?«
Da rannte das Mädchen hinaus.
Stumm standen die beiden Männer einander gegenüber.
»Wer ist da oben?« keuchte der Bestman und starrte in die Dunkelheit, in der er natürlich niemanden erkennen konnte.
»Steck den Revolver weg«, herrschte ihn Hal gelassen an.
Es war der erste Befehl, den er Macirian gab.
Der Bestmann kam der Aufforderung nach, denn er hatte keine andere Wahl.
»Was willst du von mir?« brach es heiser von seinen Lippen.
Hal sah ihn herausfordernd an. Er hatte die Hände wieder in die Hüften gestützt und die Beine gespreizt.
»Verdammter Spieler!« belferte Macirian. »Ich weiß schon, du willst Geld. Erpressen willst du mich.«
Schweigend blickte Hal ihn an.
»Wer ist oben?« Wieder blickte der Bestman in das ungewisse Dunkel hinauf, aus dem er mit einer Schußwaffe bewacht und bedroht wurde.
Jetzt zeigte Halbom Chester seine ganze gefährliche Kälte. Er ließ den anderen zappeln.
»Was willst du von mir, Mensch? Mach endlich das Maul auf!« brüllte ihn Macirian schließlich an.
Hal ließ sich auf einer kleinen Kiste nieder und beobachtete den anderen scharf.
Da riß der Bestman einige Dollarstücke aus seiner Gürteltasche und warf sie dem anderen vor die Füße.
Achtlos versetzte Hal den Münzen einen Tritt und schleuderte sie in einen Strohhaufen.
Macirian zitterte am ganzen Leib.
»Ich bringe dich um!« preßte er durch die Zähne.
»Großmaul!«
Noch einmal stürmte Frank heran. Da federte Hal hoch, konterte ihn hart mit seiner Linken und schleuderte dem zur Seite Taumelnden einen schweren rechten Haken an den Schädel.
Frank Macirian brach in die Knie.
Er stützte sich mit beiden Händen auf dem Boden und schüttelte den Kopf.
»Damned…, ich habe dich unterschätzt!« brach es endlich über seine Lippen.
»Scheint mir auch so.«
Der Arizonamann richtete sich auf.
»Also, sag endlich, was du willst!«
»Hat Zeit. – Ed, du kannst runterkommen!« rief Hal dann hinauf in die Tenne.
Sein Bruder kam geräuschvoll die große Leiter auf den Heuboden hinunter. Von dort blickte er auf die beiden, ohne auch die kleine Leiter in den Häckselraum hinabzusteigen.
»Komm nur, Ed«, ermunterte ihn der Bruder. »Frank beißt nicht. Sagen wir: nicht mehr!«
In ohnmächtiger Wut mußte sich der Bestmann diesen Hohn gefallen lassen.
Jetzt kam Eddie ganz hinunter zu den beiden und blieb dicht neben dem Bruder stehen. Aus großen, unsicheren Augen musterte er den Arizonamann.
»Nein, Hal, das ist doch kein Mann für uns«, meinte er schließlich.
»Halt dein Mund«, wies ihn der Bruder zurecht.
Macirian legte den Kopf auf die Seite.
»Was war das eben?«
»Wirst du schon noch erfahren.«
Macirian schüttelte den Kopf, hob seinen Hut auf, der ihm vorhin entfallen war, drehte sich nach dem Strohhaufen um, weil er seine Dollars suchen wollte.
»He!« Wie ein Geschoß eilte ihm der Ruf Halbom Chesters nach.
Langsam wandte sich der Bestman um.
»Was willst du?«
»Komm her!«
»Bist du verrückt? Mann, ich will meine Bucks da auflesen.«
»Laß sie liegen!«
»Was… soll ich?«
»Herkommen!«
Wie Peitschenhiebe drangen die Worte an Macirians Ohren.
Und noch einmal übermannte ihn der Zorn. Er war ein großer, kräftiger Bursche und wußte, daß er sich auf seine Fäuste verlassen konnte, wenn er auch eben einen Punch hatte einstecken müssen.
»Damned, ich schlage dich zusammen, Tex!« Mit diesem Schrei stürzte er sich auf Halbom Chester.
Der aber blieb eiskalt stehen, zog den Revolver und riß ihn dem Heranstürmenden im Buffaloknock über den Schädel.
Diesmal ging der Arizonamann schwer zu Boden, kauerte auf dem festgestampften Lehm und hatte alle Mühe, den harten Schlag zu überwinden.
»Was willst du?« keuchte er leise.
»Ich sagte es dir schon, du wirst es zur Zeit erfahren. Und jetzt verschwinde!«
Frank Macirian dachte nicht mehr daran, seine Bucks aufzuheben. Er torkelte hinaus. Nicht einmal die Tür vermochte er mehr zu schließen.
Nur wenig Licht drang durch das kleine, von Spinnweben verhangene Fenster in den Häckselraum.
Ed starrte den Bruder wortlos an.
Der stieß ihn derb in die Seite.
»Such die Bucks da drüben im Stroh.«
»Sie gehören doch Frank.«
»Rede nicht soviel.«
Als Ed das Geld gefunden hatte, nahm der Bruder es und schob es in die Tasche.
Eine Viertelstunde später verspielte er es am rohgezimmerten Tisch im Bunkhaus kaltlächelnd.
Frank Macirian lehnte draußen neben der Tür und starrte aus leeren Augen zum Ranchhaus hinüber.
Er ahnte, daß am heutigen Tag sein Glück zertrümmert worden war. Daß er die schöne Lolita Gloster nicht mehr würde sehen können. Und gerade vorhin, als er in den kleinen Häckselraum getreten war, wohin er sie hatte gehen sehen, war sie so entgegenkommend wie noch nie gewesen, wenn sie auch gesagt hatte: »Du darfst mir nicht folgen, Frank…«
Doch jetzt war alles schon wieder aus und zu Ende.
Nur, weil dieser glattgesichtige Texaner ihn überrascht hatte.
Wahrscheinlich hatte Chester ihn schon öfter beobachtet, und es war also kein bloßer Zufall gewesen heute.
Wie hatte er auch so einfältig sein können, seine Abneigung gegen den Tex so deutlich an den Tag zu legen! Der Bursche war ihm deshalb haßerfüllt nachgestiegen. Und hatte alles, alles zerstört.
Der Kopf des Arizonamannes sank auf die Brust hinunter.
Welch ein Job war das hier gewesen, und welch einen Aufstieg hatte er hier innerhalb eines einzigen Jahres genommen!
Alles dahin…
Halbom Chester hatte ihn in der Hand.
Und wie der Texaner das ausnutzen würde, war unschwer zu ahnen.
Damned, konnte der Bursche zuschlagen! Nie hätte Frank ihm das zugetraut. Hinterhältig, aber auch knallhart in allen Aktionen.
Frank Macirian ahnte nicht, wieviel mehr als sein Liebesglück er in dieser Stunde verloren hatte!
Der Texaner Halbom Chester hatte ihm nicht nur seine kleine Liebelei zerstört – er war dabei, sein ganzes Leben zu vernichten.
Hätte Frank Macirian jetzt nur geahnt, was ihm Chester zugedacht hatte und was ihm durch diesen Mann bevorstand, hätte er wahrscheinlich sofort seinen kleinen Falben bestiegen und wäre davongeritten.
Oder er hätte noch etwas anderes getan…
Halbom Chester ließ sich Zeit.
Und auch darin hätte er dem Menschenkenner verraten, wessen er fähig war.
Aber Frank Macirian war kein Menschenkenner. Er war ein junger Bursche, der den ersten schweren Dämpfer bekommen hatte – der jedoch nicht spürte, daß diesem Dämpfer ein verheerender Ko-Schlag folgen würde.
Tagelang mied er den Blick des Texaners. Immer gewärtig, von Hal angesprochen zu werden.
Aber der musterte ihn nur prüfend.
Endlich, nach elf Tagen, hielt der junge Bestman es nicht mehr aus.
Er stellte Halbom nach Einbruch der Dunkelheit im Stallgang, packte ihn an der Brust und krächzte: »Deine Bedingung! Spuck aus, Hal – oder ich bringe dich noch um!«
Chester stieß ihn rauh zurück und ging wortlos hinaus.
Seit diesem Tage wußte Hal, daß er auf der Hut sein mußte. Aber er gab noch nicht nach. Noch schien ihm Frank nicht reif zu sein. Nicht weich und klein genug, um all seinen Wünschen und Plänen willfährig zu sein.
Ed bekam in diesen Tagen auch Angst vor dem Bruder. Er sah plötzlich einen ganz anderen Halbom vor sich. Einen stolzen, kalten Hal, der über Nacht ein Mann geworden war, dem der Bestman aus dem Weg ging.
Und dann kam die Stunde, die kommen mußte.
Macirian, der es seit der Stunde im Häckselraum vermieden hatte, Hal direkt Befehle zu geben, mußte ihm vor dem Boß, einigen Cowboys und anderen Peons einen Auftrag geben für die Stadt.
Hal lehnte am Brunnenrand und hatte einen Strohhalm zwischen den Zähnen. Aus eisiggrauen Augen blickte er den Arizonamann an.
Frank schluckte schwer.
»Also, Hal Chester, du bringst die beiden Wagen zum Wagenschmied und lädst nachher bei Grupe & Liderey, was da für uns bereitsteht. Und…«
Jäh brach der Bestman ab und senkte den Blick.
Der Rancher und die Cowboys warfen erstaunte Blicke auf ihn.
»Was gibt’s, Macirian?« fragte der Vormann, der hinter Hal am Brunnen aufgetaucht war.
»Bist du plötzlich stumm geworden?«
Da warf der Arizonamann den Kopf hoch. Und während er Hal Chester ansah, sagte er laut: »Mr. Ginger, ich muß sie bitten, den Bestman-Job einem anderen zu geben. Es ist ein besserer Mann in meiner Crew…«
»Ach?« Der Vormann tauschte einen raschen Blick mit dem greisen Rancher, der absolut nichts begriff.
»Wie soll ich das verstehen?«
»Bitte, geben Sie Hal Chester den Job, Vormann, ich fühle mich ihm unterlegen.«
»Ach?«
Alle blickten verblüfft von dem Arizonamann auf den Texaner, der immer noch lässig, den Strohhalm zwischen den Zähnen, am Brunnenrand lehnte.
Gloster schüttelte den Kopf und ging mit gichtigen Schritten aufs Ranchhaus zu.
Breit und vierschrötig stand der Vormann vor dem Texaner.
»Na, Chester, was sagst du denn dazu?«
Hal hob die Schultern und ließ sie wieder sinken.
»Er ist verrückt.«
Das harte Gesicht des Vormanns verdüsterte sich.
»Verrückt? Scheint mir nicht so. Was hattet ihr miteinander?«
»Nichts von Bedeutung, Mr. Ginger.«
»Habt ihr euch geschlagen?«
»Wenn Sie es so nennen wollen…«
»Ja, ich will es so nennen!« polterte der Vormann grob. »Und wer hat gesiegt?«
»Hal!« Es war Ed, der es von der Stalltür her rief.
Der Vormann sah sich kurz nach ihm um.
»Well, das ist aber noch kein Grund, Macirian. Du warst ein guter Bestman für die Peons, und ich hatte die Absicht, einen Cowboy aus dir zu machen. Aber wenn du meinst, daß Hal Chester der bessere Mann ist…«
»Ja, das meine ich, Mr. Ginger!«
»All right. Hal Chester, du bist von jetzt an Bestman. Los, an die Arbeit, ihr Strolche, was steht ihr hier herum! Hal, teil deinen Laden ein, aber dalli. Ich will in drei Minuten keinen hier mehr ohne Arbeit und Auftrag herumschleichen sehen!«
Der Vormann ging auf das Küchenhaus zu, wo er sich mit dem Cowboy-Koch über den Speisezettel zu unterhalten hatte. Er hatte schon eine Menge am Hals, der tüchtige Vormann Ernest Ginger. Und er wäre niemals auf den Gedanken gekommen, daß dieser kleine, scheinbar bedeutungslose Vorgang tiefere Hintergründe hatte, ihm selbst die Aussicht auf die Hand Lolitas erhielt und das Leben des Peons Franklin Macirian zerstörte…
Hal hatte den Job gar nicht haben wollen. Er hatte Macirian nur völlig in seine Gewalt bringen wollen.
Und das hatte er jetzt erreicht.
Denn noch immer war die Angst Franks vor dem Vormann riesengroß. Hätte Ernest Ginger auch nur das geringste von Macirians Versuchen, die Rancherstochter zu gewinnen, zu wissen bekommen – der junge Peon hätte seines Lebens nicht mehr sicher sein können.
Aber wenn Macirian geglaubt hatte, damit sei Halboms Bosheit gegen ihn ausgestanden, so hatte er sich geirrt.
Halbom Chester brauchte ihn, für seinen Verbrechensplan.
Der dreiundzwanzigste August rückte näher und näher.
In der Morgenfrühe des dreiundzwanzigsten August sollten die drei Planwagen von Tucumcari losfahren, die drüben in Levelland die Häute abzuliefern hatten, die gegerbt und schon aufgestapelt im Lederschuppen lagen.
Es wurde seit mehreren Jahren so gehalten, daß Gloster seine Rinderhäute nicht den Agenten verkaufte, sondern direkt an den Verarbeiter drüben in Levelland, wo damals schon eine Lederfabrikation existierte.
Diese drei Prärieschooner sollten eine wichtige Rolle in dem Plan Halbom Chesters spielen. Auf ihnen nämlich gedachte er die drei Kinder aus Tucumcari zu entführen.
Ein ungeheuerlicher Plan! Niemand würde auf den Gedanken kommen, daß die kleinen Würmer sich auf den Wagen der Gloster Ranch befänden. Etwas Unauffälligeres als den Rinderhauttransport der Gloster Ranch konnte es gar nicht geben.
Nur der bisherige Chief Peon Macirian war für den Transport fest eingeteilt, da erstens die Zugpferde alle aus den Stallungen der Ranch waren, die von ihm betreut wurden, und da er ferner vom Vormann dazu beauftragt worden war, drei Wagen in Schuß zu bringen.
Daß Macirian noch zwei Peons zu dieser Fahrt mitzunehmen hatte, wußte auch jeder, denn bei jedem Wagen mußte ein Pferdeknecht sein. Es war immer so gewesen.
Das hatte auch Halbom Chester einkalkuliert, denn es stand für ihn fest, daß nur er und sein Bruder Macirian begleiten würden.
Er hatte Macirian vollkommen in seine Gewalt bekommen, als er es zu hoffen gewagt hatte. Jetzt war er gar der Bestman.
Und dennoch konnte er nicht auf den Arizonamann verzichten.
Weil der gutaussehende Frank bisher immer bei Gonzales, Hartman und auch Dandyson verkehrt hatte für die Dinge, die die Ranch anbelangten, und weil er das Vertrauen der drei Häuser besaß.
Der Texaner hätte die Fahrt auch sonst nicht ohne Frank Macirian angetreten, jetzt erst recht nicht: weil er keinen Mann zurückgelassen hätte, der ihn haßte. Der vielleicht auf den Gedanken gekommen wäre – und sei es auch nur aus Haß – den Verdacht auf den Rinderhauttransport zu lenken, um Hal Chester zu schaden.
Noch einen Grund hatte der Texaner, den Arizonamann mitzunehmen: Franklin Macirian war ein ausgezeichneter Gewehrschütze. Und ein Mann, der unbedingt das, was er tat, ganz tat. Gehörte er einmal zur »Crew des Coups«, würde er sich hundertprozentig dafür einsetzen. So wie er war keiner von den Peons, die Halbom Chester in dieser Hinsicht alle insgeheim beobachtet und geprägt hatte.
Es gab auch außerhalb der Ranch keinen Menschen, den der Texaner lieber als Bundesgenossen gehabt hätte, als eben den drahtigen Burschen aus Arizona.
Aber da Macirian unberechenbar war, solange er in der Nähe des Mädchens weilte, hatte Hal beschlossen, ihn nicht in den Plan einzuweihen, bevor er soweit war, bevor sie die Ranch und auch die Stadt hinter sich hatten.
Zwei Tage vor der Fahrt kam der Vormann in das kleine Bunkhaus.
»Wie sieht’s aus, Chester, hast du deine Leute beisammen für den Treck?«
»Ja.«
»Wen? Deinen Bruder natürlich für den zweiten Wagen?«
Hal nicke.
»All right – und wer fährt den letzten Wagen?«
Hal wandte den Kopf und blickte Frank Macirian an, der an einer Tischecke saß und dumpf vor sich hin brütete.
»Macirian.«
Der Arizonamann schreckte hoch.
»Ich?« stotterte er.
»Du!« Hal maß ihn mit einem kalten, befehlenden Blick.
Der Vormann nickte.
»Gut, ich sehe, daß bei dir alles klappt, Chester. Ich werde jetzt noch drüben im Lager alles prüfen, und dann will ich morgen vormittag die Wagen sehen. Wehe, sie sind nicht hundertprozentig in Schuß.«
»Macirian hat sie unter sich«, sagte Hal rauh. »Und die Pferde auch.«
»Gut so.«
Der Cowboy verließ das Bunkhaus der Pferdeknechte.
Und dann kam nach einer halben Stunde noch der Boß und berichtete, daß zu den dreiundsiebzig Pferden, die zur Ranch gehörten, noch weitere vierunddreißig hinzu kämen. Mr. Gonzales in Tucumcari hatte sie für die Ranch gekauft, und der Rancher selbst bestimmte, daß Macirian sie noch an diesem Tage holen sollte.
»Ich nehme an, Chester, es stört Ihren Plan nicht. Sicher werden Sie und Ihr Bruder mitreiten«, meinte der Vormann.
»All right!«
Zum erstenmal ritten die drei Männer allein in die Stadt.
Ed wartete während der ganzen sechsdreiviertel Meilen darauf, daß Hal den Arizonamann wegen der »Sache« ansprechen würde.
Aber das geschah nicht.
Alles ging seinen Gang. Nur Eddi Chester bebte den Dingen, die da noch kommen sollten, voller Angst und Ungewißheit entgegen.
Am vorletzten Abend versuchte er den Bruder noch umzustimmen.
»Hal!« Er hatte ihn aus dem Stall gezogen und drängte ihn an den großen Corral heran, wo sie sicher sein konnten, nicht belauscht zu werden. »Hal, gib es doch auf! Du hast doch genug erreicht!«
Halbom, der seinen Bruder mürrisch hierhergefolgt war, hatte plötzlich eine steile Falte zwischen den Brauen stehen.
»Genug erreicht? Was meinst du?«
»Well, du bist Bestman geworden. Ist das etwa nichts? Wer hätte das noch vor einem Monat zu hoffen gewagt! Du bist nicht mehr der kleine, dreckige Peon, der du warst und der ich noch bin. Und selbst mir geht es jetzt dadurch besser. Du hast Macirian in die Knie gezwungen. Wir haben alle Chancen vor uns. Ebenso gut wie Ginger Macirian Cowboy werden lassen wollte, kann er uns nehmen…«
Halbom stieß den Bruder schroff zurück.
»Idiot! Wer will denn Cowboy werden? Wer will denn hier für diese Geldsäcke Sattelarbeit leisten? Sie ist mir ebenso verhaßt wie die Schufterei im Stall und im Corral. Ich will mehr. Verstehst du! Ich will eine eigene Ranch. Eine große, stolze Ranch, auf der ich Boß bin! Ich allein!«
Seine Augen blinkten; ein fahles, unwirkliches böses Licht schillerte in ihnen.
Erschrocken wich der Bruder zurück und stierte entsetzt in diese kalten Augen.
Er hatte gar nicht bemerkt, daß Hal nur von sich sprach, daß nur er der Boß sein wollte. Und Ed war auch nicht charakterstark genug, jetzt noch abspringen zu können.
Leise druckste er hervor: »Wie du meinst, Hal…«
Am Vormittag des zweiundzwanzigsten August herrschte eine wahre Höllenglut.
Hal, Ed und Frank waren zusammen in die Stadt geritten, um die letzten Utensilien einzukaufen, die sie für den Ritt benötigten.
Wieder kamen sie auf den Hof des reichen Pferdehändlers Gonzales.
Mehrere blankgestreifte Pferde standen im Schatten des Wagendaches.
Es roch nach Pferdeschweiß, nach Leder und dem scharfen Durrhamtabak.
Scheu wandte sich Ed um.
Oben auf der Terrasse des eleganten neuen Wohnhauses saß ein hübscher kleiner Junge. Er hatte schwarzes, lockiges Haar und dunkle Augen. In seinen fleischigen braunen Händchen hielt er ein Steckenpferd, das ihm einer der Stallknechte des Vaters geschnitzt hatte.
Ed schluckte schwer.
Das war er also, der kleine Juan Gonzales, der morgen vormittag ganz sicher nicht mehr dort auf der Treppe sitzen würde, um friedlich in der Sonne zu spielen.
Ein scheußlicher Gedanke, der dem Peon den Schweiß in dicken Perlen auf die Stirn trieb.
Sie hatten noch ein Ersatzgeschirr hier abzuholen. Gonzales hatte die besten Geschirre in der ganzen Stadt, und der Rancher legte Wert darauf, daß diese Dinge von ihm bezogen wurden.
Anschließend hatten sie noch bei Gene Dandyson in der Wollweberei zu tun.
Da wurden Decken abgeholt, die Ed und Frank mit düsteren Gesichtern auf die Wagen warfen.
Ed sah sich immer wieder um, aber von dem kleinen John Dandyson war nichts zu sehen. Weder auf dem weiten Hof noch sonst irgendwo war seine Stimme zu hören.
Wenn er nun gar nicht hier war?
Es konnte doch möglich sein, daß er nicht im Haus war! Gar nicht in der Stadt! Vielleicht hatte ihn irgend jemand mitgenommen.
»Ich meine, eine Tante vielleicht«, meinte Ed flüsternd zu dem Bruder, als sie neben dem Wagen standen, ehe Frank ihn zum Tor kutschierte.
»Halt’s Maul!« herrschte Halbom den Bruder an.
Auch das dritte Opfer bekamen sie nicht zu Gesicht.
Das heißt, das hatte Hal auch nicht erwartet.
Er wußte genau, wo sich die kleine Erica Hartman befand. Viele Stunden hatte er dafür geopfert, um das herauszubekommen. Während die anderen Boys im Saloon hinter ihrem Bier oder Whisky standen, war er wie ein streunender Wolf durch die Gassen gezogen und hatte seine Opfer beobachtet.
Nichtsahnend hatte die Wäscherin Harma Lonegan ihm alles von dem kleinen John Dandyson erzählt, was er wissen wollte. Und die sechzehnjährige Joana Moorfield, die in der Nagelhütte des österreichischen Einwanderers Hartman arbeitete, hatte dem Texaner alles über die kleine Erica Hartman gesagt, was er für seinen Plan wissen mußte.
Aber keine der beiden Frauen vermochte sich später daran zu erinnern. So raffiniert hatte der Desperado sie ausgeforscht!
Als sie an Hartmans Hof vorüberkamen, sah Ed den großen, struppigen Hund, der vorn im Tor stand.
Ob Hal auch mit ihm gerechnet hatte?
Ed sah den Bruder an.
Der blickte aus hellen Augen auf das große Tier.
Da wußte Ed, daß Hal auch mit dem Hund gerechnet hatte, daß der ein Faktor in Hals großem Plan war.
Hals Plan war für Ed etwas Gewaltiges, von dem er so gut wie nichts wußte. Oder doch nur soviel, daß er ihnen Geld bringen würde. Und daß sie drei Kinder spazieren fahren wollten, um an dieses Geld zu kommen.
Ed hielt es für eine Idee, die ebenso einmalig war, wie sie ihm ungeheuerlich erschien. Das Verbrecherische daran war ihm nur vage bewußt.
Noch einmal hatte Halbom Chester die Orte gesehen, die er in der kommenden Woche schon als Verbrecher betreten wollte.
Völlig ahnungslos ritt Frank Macirian hinter den Brüdern her. Jawohl, er war ahnungslos, wenn er auch später glaubte, schon zu diesem Zeitpunkt von einer düsteren Vorahnung bedrückt worden zu sein.
Im allerletzten Augenblick schien sich noch ein schier unüberbrückbares Hindernis für Hal zu ergeben, ein Umstand, der seinen ganzen Plan fast zum Scheitern gebracht hätte.
Als sie nämlich auf die Ranch zurückkamen, stand Randolph Gloster mitten im Hof in der prallen Sonne. Der Rancherssohn trug sich wie immer städtisch, hatte eine Reitgerte in der Hand, mit der er nervös und sichtlich ungehalten gegen seine hellbraunen weichen Stiefel schlug.
Hal blickte ihm argwöhnisch entgegen. Er spürte, daß da etwas auf ihn zukam, was sein Werk aufhalten könnte.
Ja, er nannte es bei sich allen Ernstes sein Werk! Und dennoch wußte Halbom Chester, daß das, was er da plante, ein schweres Verbrechen war.
Kindesraub! Zum Zwecke der Gelderpressung.
Erst vor acht Jahren war unten an der Küste von Louisiana ein Mann deswegen an den Galgen gebracht worden.
Es ist nie ermittelt worden, ob Halbom Chester gewußt hatte von dem Mulatten Drobkin, oder von den beiden Headlands, die in Boston ein Mädchen geraubt hatten, um von einem reichen Goldhändler Geld zu erpressen. Von Ester Hastings, die in New York einer Geschäftsfrau das Baby gestohlen hatte, um zu Geld zu kommen. Und von den siebzehn anderen Fällen des Kindesraubes, die die Kriminalgeschichte der jungen Union bereits aufzuweisen hatte.
Doch noch niemals bis zu diesem Tage war im sogenannten Wilden Westen ein derartiges Verbrechen verübt worden.
Der Rancherssohn blickte an den drei Peons, die jetzt in den Hof ritten, vorbei und rief mit seiner schnarrenden, schon quäkenden Stimme nach dem Vormann.
»Ginger! Kommen Sie rasch zu mir!«
Ernest Ginger trat aus einem der Ställe und kam auf den Sohn des Bosses zu.
Laut rief ihm der entgegen: »Gerade war einer der Boys vom Vorwerk da. Heute nacht sind an die siebzig Rinder abgetrieben worden. Geo Barks hat sofort sämtliche Männer aufgebracht, um die Tiere einzufangen. Aber es sind entschieden zu wenig Männer auf dem Vorwerk. Sie müssen noch zehn Leute zusammenbringen, Ginger. Rasch.«
Der Vormann sagte sofort: »Ich habe heute nur noch drei Cowboys hier, und die werden drüben beim Brennen gebraucht. Dann müssen wir eben die Peons nehmen.«
Der Blick des Ranchersohnes glitt sofort auf die drei jungen Männer, die eben von den Pferden gestiegen waren und jedes Wort mitangehört hatten.
»Well, das ist richtig. Chester, machen Sie sich sofort mit sämtlichen Leuten fertig. Sie müssen Proviant mitnehmen für wenigstens zwei Tage.«
Der Vormann knurrte ungehalten: »Ich mache das schon.«
»Ja, ich weiß.«
Randolph Gloster wandte sich ab und ging lässig schlendernd auf das Ranchhaus zu, in dessen halboffener Tür soeben Lolita erschien.
Sie war wieder auffällig gekleidet. Mit ihrem leuchtendroten Rock und der blauen Bluse und sah bildhübsch aus.
Frank Macirian vermochte den Blick nicht von ihr loszureißen.
Der Vormann blickte ihn finster an.
»He, was gaffst du da, Macirian? Mach die Klappe zu, sonst fliegen dir die Zähne noch versehentlich davon!«
Macirian zuckte wie unter einem Schlag zusammen und senkte den Kopf.
»Ist doch verständlich, Mr. Ginger«, sagte da Halbom Chester, »wenn ein heißblütiger Arizonamann sich nach einem so hübschen Girl umsieht.«
»So, findest du, Hal?« kam es heiser über die Lippen des Vormanns, und finster ruhte sein Blick auf dem Gesicht des heißblütigen Arizonamannes.
»Dann wird’s ja wohl Zeit, daß ich ihm etwas Abkühlung besorge.«
»Ich glaube, er hat nicht allzuviel Lust, den heißen Treck nach Texas hinüber mitzumachen!« Geschickt riß Hal die Sache auf diese Weise herum.
Der Vormann musterte Macirian giftig.
»So also ist das, Junge. Na warte, dann bist du auf jeden Fall bei dem Troß.«
Schon wollte Hal aufatmen, als er den Vormann sagen hörte: »Die beiden Chesters sind tüchtige Reiter, die mit den Cowboys mitkommen werden. An ihrer Stelle werden der alte Wagman und Mike Jenkins den staubigen Treck fahren.«
Die Chester Brothers tauschten einen verstörten Blick miteinander.
Und Hal sagte sofort: »Wie Sie meinen, Mr. Ginger. Ich hoffe nur, daß die beiden alten Männer den Treck richtig über die Route bringen und sich drüben in Texas von den Sands nicht aufhalten lassen.«
Das war ein Hieb, der saß.
Die Sands waren die hier im Grenzgebiet so gefürchteten Banditen des Llano, die rücksichtslos jeden Wagen und jeden Reiter anfielen, um ihn zu plündern.
Die drei großen, sechsspiegeligen Planwagen der Gloster Ranch durften auf keinen Fall diesen Sands in die Hände fallen.
Vormann Ginger wußte genau, daß nur ein Texaner mit diesem texanischen Gesindel fertig werden konnte. Nur ein Texaner kannte deren Schliche, die Gegenden, wo sie sich herumtrieben, ihre Angriffsweise und dergleichen.
Und es gab nur zwei Texaner auf der Glosser Ranch! Halbom und Edward Chester.
Es wäre eine Narrheit gewesen, bei einem so wichtigen Transport durch texanisches Gebiet auf diese beiden Leute zu verzichten. Dann mußten eben zwei Reiter weniger hinter den versprengten Rindern her jagen! Darauf würde es dann auch nicht mehr ankommen.
Ginger schob sich den Hut tief in die Stirn, wippte auf den Stiefelspitzen und schob die Daumen unter den Waffengurt.
»Da sagst du was, Chester. Nein, gegen dieses Diebesgesindel können wir die beiden alten Knochen nicht loslassen. Es bleibt nichts anderes übrig. Die Treckbesetzung bleibt! Ihr beide und der heißblütige Bursche da, der solchen Hunger auf Staub und Sonne hat.«
Der Vormann hatte keine Ahnung, wie sehr der Peon Bestman Halbom Chester nach diesen Worten aufatmete. Fast wäre alles, was er sich so mühevoll zurechtgelegt hatte, noch in letzter Minute zerstört worden! Aber nun war alles wieder nach Plan.
Hal schickte seinem Bruder einen siegessicheren Blick zu, der besagte: Na, verstehe ich mein Handwerk?
Dann stieß er Macirian an.
»He, steh nicht da und gaff in die Gegend. Der Vormann will die sechs Pferde sehen.«
»Er hat sie schon gesehen«, gab der Arizonamann knurrend zurück.
Ginger nickte.
»Ja, ich habe die Tiere heute früh schon besichtigt. Alles in Ordnung. Um vier geht’s los.«
Hal nickte.
Um vier! Bis dahin mußte der erste, wahrscheinlich schwierigste Teil des Vorhabens längst hinter ihnen liegen.
Die drei Peons schoben davon.
Ginger blickte mit schmalen Augen hinter ihnen her. Sie gefielen dem Vormann alle drei nicht sonderlich. Der heißblütige Bursche, der Stielaugen nach seiner Lolita machte, war allerdings erst seit wenigen Minuten bei ihm in Ungnade gefallen. Die beiden Texe hatte er schon vorher nicht gemocht.
Aber was spielt das auf einer Ranch schon für eine Rolle, wo jeder einzelne Mann gebraucht wurde?
Beim Abendbrot würgte Ed seine Suppe hinunter, als wenn Steine darin wären.
Er wußte ja, daß in anderthalb Stunden der Ritt nach Tucumcari bevorstand. Es wurde ihm plötzlich regelrecht übel. Etwa so wie an jenem Tag, wo er als kleiner Junge zum erstenmal drüben in Mortone daheim zugesehen hatte, wie sie ein Rind geschlachtet hatten…
Es war dunkel geworden.
Ed stand, wie besprochen, am Corral. Er hatte die drei Pferde bereitgehalten, gesattelt und sich mit dem Deckenbündel versehen, wie Hal es angeordnet hatte.
Wo blieb der Bruder nur? Er wollte doch mit Frank Macirian hierher ans Gatter kommen.
Mit Macirian! Heiß schoß ein Glutstrom durch die Brust des Peons. Wie nur, wenn Frank nicht mitkam, wo sie ihn doch so dringend zu ihrem Vorhaben brauchten?
Dann sah er ihn.
Frank kam allein.
»He, Hal sagt, ich soll noch mal mit euch kommen?«
Ed zog die Schultern hoch.
»Kann sein. Wenn Hal es sagt, stimmt es sicher.«
Frank fragte nicht, wozu er noch einmal mit in die Stadt kommen sollte. Der Peon hatte sich das Fragen abgewöhnt, seit Halbom Chester sich zum Bestman gemacht hatte.
Sie mußten noch fast eine Viertelstunde warten.
Dann erst kam Hal Chester. Langsam, mit dem schleichenden, fast lautlosen Schritt, der so typisch für ihn war, trat Hal auf die beiden Männer am Gatter zu.
»Alles klar?«
Ed nickte.
»Steigt auf.«
Sie zogen sich in die Sättel und trabten nach Westen davon.
Die Tatsache, daß die drei Peons die Ranch verließen, wäre, selbst wenn irgend jemand zugesehen hätte, keineswegs auffällig gewesen. Wenn das Abendbrot eingenommen worden war und keine besonderen Arbeiten mehr vorlagen, konnten die Männer tun und lassen, was sie wollten. Oft ritten sie hinüber in die nahe Stadt, um einen Drink zu nehmen, ein Girl zu sehen oder um in der Lancashire Bar zu pokern.
Und daß die drei Leute vom Treck, der ja noch vor Ende dieser Nacht starten würde, noch mal losritten, mochte daran liegen, daß sie noch irgendeine Besorgung hatten.
Sie ritten nach Tucumcari.
Die sechsdreiviertel Meilen waren schnell zurückgelegt. Schon tauchten die Lichter der Stadt vor ihnen auf.
Dann trabten die drei Peons in die breite Mainstreet, in der reger Betrieb herrschte. Vor den drei großen Schenken und den drei Spielbars standen die Pferde dicht gedrängt an den Halfterstangen.
Auf den Stepwalks standen die Männer herum, lehnten sich gegen die Geländer und rauchten.
Macirian hatte sich insgeheim schon gewundert, daß der hartgesichtige Halbom Chester, der sehr selten eine Schenke aufsuchte, ausgerechnet jetzt noch einen Drink einnehmen wollte. Nun mußte Frank zu seiner Verblüffung feststellen, daß sie schon vor der ersten Schenke abbogen und in die dunkle Elenwaterstreet einritten.
In deren Mitte lag Gene Dandysons Wollweberei.
Hal führte seinen braunen Wallach in eine Quergasse und kam so um das Anwesen Dandysons herum an die Rückfront. Dort, wo der Garten von einem halbhohen Bretterzaun umschlossen wurde, hielt er an und stieg ab.
Auch Ed und Macirian waren abgestiegen.
Obgleich seine Verwunderung ständig wuchs, fragte Macirian auch jetzt noch nicht, was eigentlich los sei. So groß war sein Respekt vor Hal Chester.
Hal blickte auf die getünchte Hausfront hinüber, die durch die Dunkelheit herüberschimmerte. Dann sagte er leise: »Ich bin gleich zurück.«
Er schwang sich über den Zaun und war bald im Dunkel verschwunden.
Ed hielt den Atem an und lauschte zum Haus hinüber.
Als Frank leise durch die Zähne zu pfeifen begann, stieß Ed ihm den blitzschnell gezogenen Revolver in die Rippen.
Der einstige Bestman starrte den jüngeren Chester an.
»Bist du verrückt!« stieß er hervor.
»Schweig.«
»Was ist denn eigentlich los?«
Da spannte Ed zum Entsetzen des anderen den Colthahn.
»Ich habe dir gesagt, du sollst das Maul halten!«
Wie gelähmt stand der Arizonamann da und fixierte den Texaner.
Es blieb eine Weile still. Dann hörten sie Schritte im Garten, rasche, huschende Schritte.
Und gleich darauf tauchte die Gestalt Hals vor ihnen auf. Er trug etwas im Arm.
Damned! schoß es durch den Schädel Macirians, er hat etwas gestohlen!
Ich bin unter Verbrecher geraten, unter Diebe…
Hal reichte Ed das Bündel.
»Aufsteigen«, befahl er leise.
Sie stiegen wieder auf die Pferde und ritten weiter.
Filipo Gonzales wohnte fast am anderen Ende der Stadt.
Frank Macirian kam aus seiner Verwunderung nicht heraus, als er bemerkte, daß sie von der Rückseite auf die Hoffront des Pferdehändlers zuritten.
Sollte auch hier etwas gestohlen werden?
Sie kamen in den Hof.
Das Sternenlicht warf einen schwachen Schimmer auf die breiten Stallfronten, die mehr als die Hälfte des Hofes säumten.
Hal Chester hielt auf das Wohnhaus zu.
Links an der Ecke stand eine Regentonne. Sie war leer. Der Texaner kippte sie um.
»Los, steig rauf!« gebot er dem ehemaligen Bestman.
Macirian gehorchte.
»So, und jetzt schiebst du das kleine Fenster da rechts etwas höher.«
Macirian tat, was ihm geheißen.
Da stieg Hal zu ihm auf den Faßboden und schob ihn zur Seite.
»Du hältst das Fenster auf, es rutscht leicht.«
»Aber wesha…«
»Schweig!« zischte Hal ihn an, schwang sich zum Fenstersims hoch und zog sich ins Zimmer.
Frank Macirian war plötzlich schweißnaß vor Erregung.
Was geschah hier? In was hatte er sich da eingelassen?
Die beiden Chester waren Banditen! Daran gab es jetzt keinen Zweifel mehr. Die bestahlen Leute in der Stadt. Und nicht die Ärmsten hatten sich die beiden Schufte ausgesucht. Daß sie das allerdings gerade in der Nacht tun mußten, in der der anstrengende Treck hinüber nach Texas beginnen sollte, begriff Frank ebenso wenig wie die Tatsache, daß sie ihn – der doch wirklich alles andere als ihr Freund war – mitgeschleppt hatten.
Wollten sie ihn zur Mittäterschaft zwingen?
Diese Schufte!
Am liebsten hätte er das Fenster losgelassen und wäre davongerannt.
Aber draußen hinter dem Tor bei den Pferden stand Ed Chester.
Und Frank Macirian, der früher höchstens noch mit einem Burschen wie Halbom Chester gerechnet hätte, war jetzt auch dessen Bruder gegenüber sehr kleinlaut geworden. Sogar dieser Ed schien es ihm faustdick hinter den Ohren zu haben. Wie überhaupt alle Texaner! Babe Feraghan hatte nicht Unrecht, wenn er zuweilen sagte: Alle Texe sind gefährlich, weil sie stur und kalt sind.
Wo blieb Hal nur?
Eine volle, schier endlose Minute war bereits vergangen.
Frank sah sich ängstlich im Hof um.
Damned, wenn jetzt der Hund, der immer bei den Stallknechten drüben im Obergeschoß des Mannschaftshauses schlief, aufwachte!
Und wenn Irvin Kenninger und Joel McIntosh in den Hof kamen und ihn hier sahen!
Ein Gedanke, den Frank nicht zu Ende denken mochte.
Wo blieb Hal?
Da drang ein sonderbares Geräusch an sein Ohr. Es hörte sich an, als wenn eine kleine Flasche aufgestöpselt worden wäre.
Und dann klang ein tiefer Atemzug auf, der den Arizonamann zusammenfahren ließ.
War das nicht ein Kind gewesen?
Zounds, ja, hier war ja das Zimmer des kleinen Juan! Was sucht Hal denn hier?
Er würde doch nicht das Kind…
Frank Macirian spürte plötzlich, daß sein Herzschlag stockte.
Er hatte begriffen.
Das Bündel, das Hal Chester aus dem Garten Dandysons gebracht hatte, und das sein Bruder Ed jetzt draußen bei den Pferden aufbewahrte!
Sollten diese beiden Schufte etwa Kinder rauben?
Und… ein ungeheuerlicher Gedanke schlich sich in sein Gehirn. Er dachte daran, wie lautlos das Bündel war, das Hal aus dem Garten Dandysons gebracht hatte.
Sollte der Texaner das Kind… stumm gemacht haben?
Wie er jetzt, in diesem Augenblick vielleicht den kleinen drolligen Juan Gonzales stumm machen wollte?
Frank schwang sich mit einem Ruck auf das Fenstersims.
»Hal!« Der Schrei schien nicht nur das Gemach, sondern den ganzen Ranchhof zu erfüllen.
Aber dann verharrte Frank reglos auf dem Sims, denn das unverkennbare metallene Geräusch eines gespannten Revolverhahns schlug ihm aus dem Dunkel entgegen.
»Noch einen Laut, Boy, dann fährst du zur Hölle!«
Das war Hals Stimme, und schon tauchte er auch vor Frank auf und hielt ihm mit der Linken etwas entgegen.
Ein Bündel, in dicke Decken gewickelt…
»Los, pack an, Mensch!«
Frank griff unwillkürlich zu.
Er zuckte zusammen, als er den Kinderkörper in der Decke fühlte.
»Vorwärts! Sieh zu, daß du damit vom Hof kommst, ehe dich jemand sieht!«
Hal stieß Frank derb gegen die Schulter.
Frank rutschte mit dem Kind auf dem rechten Arm vom Sims auf das Faß und glitt dann in den Hof.
Wie ein Dieb, wie ein Verbrecher lehnte er keuchend und mit hämmernden Pulsen an der Hauswand und suchte über das laute Pochen seines Herzens hinweg zu lauschen.
Sprang da jetzt nicht irgendwo drüben eine der Türen auf?
Es mußte doch so etwas geschehen! Die Peons konnten doch den Schrei vorhin nicht überhört haben!
Und der Hund, weshalb rührte der sich denn nicht?
Hatte dieser Halbom Chester denn alles verhext?
Da war Hal hinter Frank.
»Vorwärts, Mensch, was stehst du noch da herum! In den Schlagschatten da hinüber, und dann zum Tor. Wenn du noch länger wartest, machen die Gonzalesleute Steaks aus dir.«
Schwerfällig setzte Frank Macirian sich mit seinem Bündel, das er wie eine zentnerschwere Last jetzt auf beiden Armen trug, in Bewegung und erreichte den Schatten. Er hatte kaum zwei weitere Schritte getan, als er im Dunkel, in das er in seiner rasenden Angst geraten war, mit dem rechten Schienbein eine Wagendeichsel rammte.
Es gab ein scharfes, scheußlich quietschendes Geräusch, das sich drüben an den Wänden der Stallungen und des Mannschaftshauses als Echo brach.
Da begann doch noch der Hund zu jaulen.
»Steh auf, Idiot!« zischte Hal.
Frank war gestürzt, hatte aber im Fall das Kind noch hochgehalten, so daß es kaum etwas von dem Sturz bemerkt haben konnte.
Außerdem – hielt Frank es ja für tot…
Da flog drüben am Mannschaftshaus die Tür auf.
Heiser kläffend schoß der Hund auf den Hof und hielt pfeilgerade auf die beiden Männer unterm Wagendach zu.
»Zurück!« fauchte Hal dem Arizonamann zu.
»Ich nehme den Köter!«
Er blieb breitbeinig stehen.
Frank konnte ihn gegen den Sternenhimmel auf der Hoffläche als scharfe Silhouette erkennen.
Der Hund hielt genau auf Hal zu.
War der Tex denn wahnsinnig geworden, daß er stehenblieb?
Frank schwitzte Blut und Wasser.
Da, im allerletzten Augenblick, wich Halbom Chester zur Seite.
Der Hund hatte zum Sprung angesetzt und fehlte ihn.
Knackend sauste der Revolverknauf des Texaners auf den Schädel des Tieres nieder und betäubte es sofort. Wie ein Sack fiel der Hund vor der Deichsel um.
Hal wandte den Kopf.
»Los jetzt, Mensch! Wenn du nicht zum Tor kommst, ehe da drüben der erste Mann erscheint, schieße ich dich nieder.«
Frank hastete mit seinem Bündel davon.
Er erreichte das Tor genau in dem Moment, in dem drüben ein Mann im weißen Unterzeug in der Tür erschien.
»Beß! He, Beß! Was hatte der Köter denn!«
Halbom Chester stand im tiefen Dunkel des Wagendaches und spähte zu dem Stallknecht hinüber.
»Beß!«
Da riskierte der Texaner, das Geräusch einer fauchenden Katze nachzuahmen.
Es gelang ihm nicht sehr gut, und er rechnete schon mit seiner Entdeckung durch den Stallknecht.
Der aber stieß einen lächerlichen Fluch aus.
»Da war doch dieser blödsinnige Köter wieder hinter einer Katze her und scheucht mich deshalb aus dem Schlaf. Aber die scheint es ihm ja gründlich gegeben zu haben – wer weiß, wohin er sich verkrochen hat!«
Krachend fiel die Tür ins Schloß.
Hal Chester, der mit eingeknickten Knien und nach vorn gestoßenem Revolver dastand, richtete sich auf. Die große nervliche Anspannung ließ endlich nach.
Er war zu allem bereit gewesen.
Ohne Hast näherte er sich dem Tor und fand die beiden anderen bei den Pferden.
»War was?« fragte er Ed.
Der schüttelte den Kopf.
Frank Macirian hatte also keinen Widerstand mehr geleistet.
Und jetzt war es zu spät dazu. Er hatte den beiden Outlaws geholfen – bei einem grauenhaften Verbrechen.
In dumper Verzweiflung stand Macirian da und starrte auf seinen Peiniger.
Was war nur geschehen? Wie kam er dazu, plötzlich auf der Seite des Unrechts zu stehen? Wohin hatte ihn dieser Halbom Chester gebracht!
Noch war Angst in ihm und Verzweiflung. Bald aber würde ohnmächtiger Haß in ihm gegen diesen Menschen toben.
Sie ritten davon, Ed Chester und Frank Macirian mit je einem Kind im Arm.
Zwei geraubte Kinder, die der Arizonamann für tot hielt. Aber sie waren nicht tot, sie lagen nur in tiefer Betäubung. Hal hatte ihnen im Augenblick des Raubes ein Tuch mit einem starken Betäubungsgift übers Gesicht gedeckt.
Weiter ging der unheimliche Ritt durch die Stadt Tucumcari.
Macirian, der zwischen den beiden Texanern ritt, glaubte einen bösen Traum zu erleben. Weshalb hatten die beiden Banditen diese Kinder gestohlen – und getötet? Was hatten sie mit Dandyson und Gonzales zu schaffen?
Frank hatte bisher nie gemerkt, daß die Chesters gegen die beiden Familien einen Groll hegten, der so groß und furchtbar gewesen wäre, daß er sie zu einer solchen Tat getrieben hätte.
Es fiel dem Arizonamann noch nicht auf, daß sie der Nagelhütte des Österreichers zustrebten.
Vor den vier in Quadratform angeordneten neuen Häusern Hartmans stieg Hal ab.
»Frank, du kennst den großen Hund da drüben!«
Macirian schauderte in eisigem Schrecken zusammen.
War dieser fürchterliche Ritt noch nicht zu Ende? Hatte der Texaner denn gar keine Nerven? Jetzt wollte er auch noch in die Nagelhütte eindringen!
»Steig ab und gib mir die Bündel!«
Frank rutschte mit dem Kind aus dem Sattel und reichte es Hal.
Der legte es auf die Erde nieder.
Entsetzt starrte Macirian auf das reglose Bündel. Dann nahm er all seinen restlichen Mut zusammen und warf den Kopf hoch.
»Ich weiß nicht, was dich dazu treibt, und was du eigentlich vorhast…«
»Das ist auch nicht notwendig«, knurrte der ältere Chester. »Und jetzt ans Tor rüber! Jetzt gibt es keinen anderen Weg mehr als den von vorn.«
Hinter der Nagelhütte standen andere Häuser, und die Seitenfronten hatten nach außen weder Türen noch Fenster.
Frank Macirian blieb stehen.
»Nein, Hal Chester, für mich ist dieser Weg hier zu Ende.«
Da zog Hal den Revolver.
Aber der Arizonamann hatte schon zugeschlagen.
Schwer traf der Faustschlag Hal am rechten Kinnwinkel. Er torkelte zurück, und der Revolver entglitt seiner Hand.
Da aber war Ed vom Pferd gestiegen, hatte den kleinen John Dandyson auf die Erde niedergelegt und stürzte sich dem Gegner des Bruders in die Flanke.
Der einstige Bestman der Gloster Peons war ein Fighter. Er wuchtete auch Ed einen knallharten Schwinger entgegen, dem er einen linken Fänger nachsetzte.
Ed schwankte, steppte aber zur Seite und griff erneut an.
Da kam auch schon Hal heran und stieß den Arizonamann mit einer rammpfahlstarken Rechten zurück.
»Zur Seite, Ed!«
Hal war vorhin überrascht worden, jetzt aber war er da. Und er war ein harter Schläger.
Macirian hatte es ja unlängst erst am eigenen Leib erfahren.
Dennoch – heute war die Situation anders. Damals hatte ihn nur der Zorn beherrscht. Jetzt war es die Verachtung für diesen Mann und eine gewisse Verzweiflung. Wild fightete der Arizonamann zurück.
Der Kampf wogte hin und her.
Aber der Texaner war eben doch der härtere Puncher. Ein schwerer Rechtshänder schließlich riß Frank von den Beinen.
Er kniete am Boden und rang nach Atem.
Da versetzte der brutale Kidnapper ihm einen Fußtritt, der Frank völlig an die Erde warf.
Mit gezogenem Revolver stand Hal vor dem keuchenden Macirian. Der Hahn knackte.
»Steh auf, Frank!«
Mühsam richtete sich der Arizonamann auf.
»Du gehst jetzt hinüber ans Tor und steigst hinüber.«
»Der Hund…«, ächzte Frank.
»Deine Sache, du warst ja oft genug bei Hartman. Sieh zu, wie du mit der Töle fertig wirst. Ich erwarte, daß du mir innerhalb einer Minute das Tor von innen öffnest.«
»Aber es wird Lärm geben. Was willst du noch im Hof? Die Leute des Nagelschmiedes sind doch…«
»Schweig und tue, was ich dir gesagt habe!«
Das fahle Sternenlicht warf Schatten auf das Gesicht des Texaners.
Frank Macirian wich einen Schritt zurück.
»Du kannst mich totschlagen, Hal Chester, ich werde keine Hand mehr für dich rühren.«
»Ah«, höhnte der Bandit mit verächtlicher Stimme. »Was hast du denn vor?«
»Ich werde dich an den Galgen bringen!« stieß Macirian, der noch ein sehr unerfahrener Mann war, wild hervor.
Hal riß einen steifangewinkelten Haken schwer am Jochbein.
Frank taumelte zurück.
»An den Galgen willst du mich bringen?«
»Dich und deinen Bruder!« keuchte Macirian. »Weil ihr Mör…«
Hal hatte den Revolver in der Faust.
»Hör zu, du Waschweib. Ich habe es dir vorhin auf Gonzales’ Hof schon gesagt: Wenn du dich nicht beeilst, knalle ich dich nieder!«
Das war keine leere Drohung. Frank wußte es, drehte sich wortlos um und ging auf das Tor zu.
»Frank!« rief ihm Halbom verhalten nach, »damit wir uns nicht etwa mißverstehen: Wenn du auf den Gedanken kommen solltest, den Leuten da drinnen was vorzuquatschen – wir beide können bezeugen, daß du die beiden Kids hier ins Freie gezogen hast!«
Macirian war stehengeblieben und drehte sich langsam um.
Was hatte dieses Ungeheuer in Menschengestalt da eben von sich gegeben? Er, Frank Macirian, sollte die beiden armen Würmer…?
»Du Bandit«, keuchte er.
»Sei vorsichtig, Franky. Überlege dir gut, was du tust und sagst. Wer kennt sich denn bei Gonzales aus? Wer ist denn so häufig auf dem Hof gewesen? Wer ist selbst im Wohnhaus der beiden Familien aus und ein gegangen und hat sich überall angebiedert? He, soll ich es dir sagen? Der liebe Frank Macirian, und niemand anders!
Auf der Whiskytonne, auf der du vorhin gestanden hast, war an der Ecke, wo du deine Stiefel hattest, Fensterkitt, öliger Fensterkitt. Du kannst ihn noch unter deinen Stiefeln fühlen. Der Sheriff würde kaum allzuviel Mühe haben, festzustellen, wessen Stiefelabdruck in den Brei auf der Tonne hineinpaßt, Franklin Macirian.«
Wie vom Blitz erschlagen stand der Arizonamann da und stierte fassungslos auf den hochgewachsenen Texaner, der ihm diese Worte eben im lässigen, leichten Plauderton so hingefegt hatte.
Er… er also sollte der Kinderräuber sein! Der Mörder!
»Es ist durch nichts wegzuleugnen, Frankieboy!«
Frank kam nicht auf den Gedanken, daß es alles nur Bluff war und daß es zu diesem Zeitpunkt gar nicht so schwer für ihn gewesen wäre, noch auszusteigen und seine Unschuld zu beweisen.
Er fühlte sich schon völlig verstrickt.
»Du hast überhaupt nur eine einzige Chance, Frank«, näselte der Tex, »da zu bleiben, wo du bereits von Anfang an stehst: auf unserer Seite. Vorwärts, Ed steht am Tor und würde noch genug Zeit finden, dich durch das Loch links unten in einem der Bretter abzuknallen, falls du pfeifst!«
Macirian drehte sich um und ging auf das Tor zu.
Da blieb er noch einen Augenblick stehen, blickte dann hoch und schwang sich hinüber.
Drüben blieb alles still.
Hal stieß Ed an.
Der spurtete los und kauerte sich unten neben das Loch, den Revolver in der Rechten.
Hal Chester indessen stellte sich ruhig neben das Tor und wartete.
In diesem Augenblick wurden rechts auf einem der Vorbauten Stimmen laut.
Irgend jemand verabschiedete sich von den Bewohnern, die er offenbar für ein paar Stunden besucht hatte.
Eine Tür fiel zu.
Und der Mann kam über die Straße.
Hal zündete sich eine Zigarette an und ging vorwärts.
Der Mann sah ihn auf sich zukommen, dachte sich aber nichts weiter dabei, grüßte sogar, und dann verschwand er im Dunkel.
Wieder lauschten die Brüder in den Hof.
Da knirschte hinterm Tor der Sand. Das ratschende Geräusch eines hochgeschobenen Balkons war zu hören. Gleich darauf wurde das Schloß geöffnet.
Langsam und leise knarrend ging das Tor auf.
Frank Macirian stand mit gesenktem Kopf links neben dem Flügel.
»Alles still«, sagte Ed.
»Ruhe!« zischte Hal zurück.
Macirian blieb hinter ihnen stehen und blickte mit leeren Augen auf ihre gebückten, niedergekauerten Gestalten.
War das denn kein Spuk? Dieses diabolische Bild da vor ihm, das mußte doch ein Alptraum sein!
Da wandte sich Hal um.
»Ed, zu den Pferden!«
Ed nickte und ging zurück.
Hal schnipste, ohne sich nach dem Arizonamann umzudrehen, mit den Fingern.
»Komm her!«
Frank ließ den Torflügel los.
Leise knarrend schlug er zurück.
Hal fuhr herum.
»Dummkopf!«
Macirian stand vor ihm, mit hängenden Schultern und halbgesenktem Kopf.
Wenn ich jetzt, in dieser Sekunde, meinen Colt ziehe und abdrücke, dann kann ich mich vielleicht nicht mehr retten, weil Ed mich fertigmachen wird, von der Straße aus. Aber das kleine pausbäckige Mädchen, das Frank hier so oft hatte mit einer Stoffpuppe spielen sehen, wäre gerettet.
Denn ein toter Halbom Chester könnte nicht mehr rauben…
Aber es war nur ein vager Gedanke, der da durch das Hirn Macirians geisterte.
»Du bleibst neben mir, wegen des Hundes.«
Hal ging langsam vorwärts.
War er vielleicht verrückt geworden, dieser Texaner? überlegte Macirian.
Was sollte er, Frank, denn tun, wenn der Hund kam? Bildete Halbom Chester sich etwa ein, daß er den Hund so gut kannte, daß er ihn hätte beruhigen können?
Jetzt, zu dieser Nachtstunde? Ein Irrsinn –!
Frank hatte zwar den zottigen Burschen ein paarmal gestreichelt, und vielleicht hatte Hal das beobachtet, aber das konnte doch keinen vernünftigen Menschen zu der Vermutung bringen, daß er jetzt, als Eindringling, und mitten in der Nacht, das Tier mit einem bißchen Kraulen zum Verstummen bringen könnte!
Sie gingen langsam an der Hauswand entlang.
Hal hatte die Tür fast erreicht, als irgendwo die schrille Stimme einer Frau ertönte.
»Was hast du denn? Nein, nein, du kommst jetzt nicht raus, nicht mitten in der Nacht! Ich laufe doch deinetwegen jetzt nicht zur Tür. Du bleibst hier!«
Frank hatte die Stimme erkannt. Es war die Negerin, die die Küche hier führte. Offenbar hatte sie mit dem Hund gesprochen, der bei ihr in der Stube vor der Tür schlief.
»Gib endlich Ruhe! Sonst setzt es was. Erst wolltest du mit Gewalt hier auf die Matte, und jetzt willst du raus. Nein, nein, gib Ruhe, oder ich hole den Stock!«
Da hatte Hal das leise Jaulen des Hundes vernommen, der die beiden Eindringlinge gewittert haben mochte. Irgendwo hinter einem der Fenster, die wegen der Bruthitze hochgeschoben waren, mußte der Hund also stecken. Und wenn es zu ebener Erde war, wie man nach der Stimme der Frau urteilen mußte, konnte das Tier mit einem einzigen Sprung über die Fensterbank in den Hof kommen.
Und Halbom Chester war noch längst nicht am Ziel.
Das Kind, das er holen wollte, lag in einem der Zimmer des Obergeschosses. Er wußte genau, in welchem. Sehr genau.
Er hatte lange überlegt, ob er auf dieses Opfer nicht verzichten sollte. Aber er wollte unbedingt drei Fliegen auf einmal fangen! Er brauchte das große Geld.
Und Martin Hartmann war ein reicher Mann. Er würde vielleicht noch mehr Geld geben, um seine kleine Tochter zurückzubekommen, als die anderen Väter für ihre Kinder.
Deshalb hatte Hal beschlossen, diesen gefährlichsten Gang auch noch zu wagen.
Drei Wagen, drei Kinder. Und drei Väter, die zahlen würden –!
Die Haustür war unverschlossen.
Hal wußte es.
Er betätigte den Drehgriff und schob den am ganzen Leib zitternden Arizonamann in den Hausgang.
Der Hund hatte sich beruhigt.
Wahrscheinlich weil er die Schritte der beiden Eindringlinge vom Hof aus nun nicht mehr hören konnte.
Dafür aber hörte er sie zwei Minuten später im Haus – und begann ein infernalisches Gebell.
Macirian preßte sich gegen eine Flurwand.
»Es ist doch Irrsinn, tödlicher Irrsinn, Hal«, hauchte er dem Texaner zu.
Der stieß ihn mit einem harten Gegenstand an, in dem Frank einen Revolverlauf erkennen mußte.
»Weiter, die Treppe da drüben hinauf!«
Die Treppe! Sie sollten eine Treppe hinaufsteigen, in einem Haus, in dem sie bereits von einem scharfen Hund entdeckt worden waren?
Jetzt wußte Frank, daß Halbom Chester keine Nerven besitzen konnte. Es gab keine andere Erklärung für sein Handeln, das er mit Eiseskälte vorantrieb.
Sie gingen langsam die Treppe hinauf.
Als sie sie endlich, nach qualvollen Sekunden, hinter sich hatten und im oberen Korridor standen, beruhigte sich der Hund etwas. Doch bellte er in Abständen immer noch.
Die beiden Eindringlinge schlichen durch den oberen Korridor des verhältnismäßig neuen Hauses. Halbom Chester öffnete die vorletzte Tür auf der linken Seite.
Frank wartete im Flur.
Wieder hörte er das seltsame Stöpselgeräusch. Schnell hielt er sich die Ohren zu, wobei er das Gesicht verzweifelt verzerrte.
Damned, ich bin ein Feigling! Ein elender Feigling bin ich geworden, sagte er sich. Weshalb ziehe ich jetzt nicht meinen Revolver und schieße ihn nieder, diesen Banditen.
Er hatte nicht den Mut zu einer solchen Tat, und es hätte eine Menge Mut dazu gehört.
Da kam Halbom Chester schon zurück. Er hatte wieder ein Kind in seine Decke gewickelt, drückte es dem Arizonamann in die Arme und lauschte in den Hausgang.
»Komm, rasch.«
Sie verließen den oberen Korridor und gingen so lautlos wie möglich die Treppe hinunter.
Ja, hatten die Menschen denn überall einen so tiefen Schlaf, daß man ungestört durch ihre Behausungen laufen konnte? fragte Macirian.
Da geschah es auch schon!
Vor dem Texaner stand plötzlich ein Mann. Groß und drohend. Ein Revolverhahn knackte.
Aber schon zuckte ein Hieb mit dem Revolverlauf, Halbom Chesters Spezialschlag, auf den Schädel des Mannes nieder.
Der Mann sank schwer betäubt zurück und rutschte an der Flurwand nieder.
Macirian wollte in wilder Hast flüchten.
Aber der hartnäckige Tex packte ihn rauh am Arm.
»Was ist denn los, Amigo? Nur keine Nervosität! Wir werden den Hof in Ruhe und so langsam, wie wir gekommen sind, wieder verlassen. Klar?«
Sie gingen hinaus und kamen unangefochten auf die Straße.
Als sie wieder auf ihren Pferden saßen, jeder ein Kind im rechten Arm, da hatten sie Eile.
In hartem Galopp sprengten sie aus der Stadt.
Anderthalb Meilen vor der Ranch hielten sie bei einer kleinen Camphütte an, die Glosters Vater vor urdenklichen Zeiten errichtet hatte und die immer noch stand.
»Du bleibst also hier, Ed«, sagte der ältere Chester.
»Ja«, kam es halblaut zurück.
Die Kinder wurden in die Hütte getragen.
»Vorwärts, Frank!«
Die beiden ritten weiter.
Halbom hatte das Pferd des Bruders an der Leine.
Unbemerkt gelangten sie auf die Ranch, brachten die Tiere in den Corral und schleppten die drei Sättel in einen der Sattelgänge im hintersten Stall.
Unbemerkt gelangten sie auf die Ranch, brachten die Tiere in den Corral und schleppten die drei Sättel in einen der Sattelgänge im hintersten Stall.
Dann begaben sie sich in den Schlafraum.
Lautes Schnarchen drang ihnen entgegen.
Geräuschlos begaben sie sich zu ihren Pritschen.
Sie schliefen beide nicht ein.
Frank Macirian nicht, weil das, was er in den letzten Stunden erlebt hatte, ihn einfach nicht zur Ruhe kommen ließ, und Halbom Chester, weil er den anderen bewachte.
Aber diese Mühe war unnötig. Frank Macirian hatte nicht mehr die Kraft, etwas gegen den Texaner zu unternehmen.
Es zeigte sich jetzt, daß er ein Schwächling war, und daß der kaltschnäuzige Halbom ihn von vornherein richtig eingeschätzt hatte.
Niemand an seiner Stelle hätte ausgerechnet den Bestman der Peons für ein solches Unternehmen ausgewählt, einen geradlinigen, etwas stutzerhaften Strebertyp, der doch nur zu leicht zum Verräter eines solchen Vorhabens werden konnte. Aber Chester hatte sich in dem Arizonamann nicht getäuscht! Frank war schwach – und deshalb nützlich für ihn.
Kurz vor halb vier richtete sich Halbom Chester auf.
Er besaß keine Uhr, aber er hatte ein enorm sicheres Zeitgefühl. Er ging hinüber, um Macirian wachzurütteln, fand ihn aber auf seiner Pritsche sitzend.
»Es geht los.«
Stumm stand der Arizonamann auf und kleidete sich voll an.
Dann verließen sie den muffigen, großen Raum und traten in den Hof.
Nachtkühle und Stalldunst schlugen ihnen entgegen.
Frank Macirian fröstelte. Er schlug sich den Kragen seiner Jacke hoch und zog den Hut tief in die Stirn.
Frank holte die drei Gespanne aus einem Seitenflügel der Ställe in den Hof.
Es ging alles ziemlich leise vor sich.
Schnaubend standen die sechs Pferde in den Geschirren.
Halbom hatte die Wagen schon in Abfahrtsrichtung gestellt, schickte den Arizonamann zum ersten Wagen, ging am zweiten vorbei und wollte gerade auf die Radnabe des letzten Schooners steigen, als er plötzlich eine Gestalt vor sich sah.
Ginger, der Vormann.
Chester erschrak bis ins Mark. Seine Rechte näherte sich dem Revolvergriff.
Der Vormann bemerkte es.
»Du bist wach, Hal. Richtig, ein angehender Cowboy muß wachsam sein! – Alles in Ordnung?«
»Alles, Vormann.«
Halbom hatte es heiser hervorgestoßen und sich dabei mühen müssen, seiner Stimme einen festen Klang zu geben.
»Dann gute Fahrt, Boys!«
»Thanks«, kam es reichlich leise und knurrig vom vordersten Wagen.
Der Vormann blickte zum zweiten Gespann.
»Der Driver da schläft wohl noch, he?«
»Keineswegs, Mr. Ginger!« beeilte sich Chester zu erklären. »Mein Bruder war sogar als erster von uns auf den Beinen.«
»Gut. Dann Hals- und Knochenbruch!«
Der Vormann tippte an den Rand seines verbeulten Hutes und machte kehrt. Mit hartem, sporenklirrendem Schritt ging er auf den Hof zu.
Hal lauschte ihm nach. Erst als er die Bunkhaustür ins Schloß fallen hörte, zog er sich auf den Kutschbock.
»Vorwärts, Frank!«
Macirian gab die Bremse frei. Das Gespann zog an.
Halbom Chesters Rechnung ging auf: das zweite Gespann folgte dem ersten auch ohne Driver.
Hal hatte die Zügelleinen locker gelassen und oben um die eiserne Armstütze gebunden. Er flankte auf das letzte Gefährt.
Die drei Wagen rollten knarrend und mit ihren stählernen Reifen im Sand knirschend von der Ranch.
Als sie einige hundert Yard hinter sich hatten, sprang Hal vom Wagen und rannte nach vorn zu Frank.
»Los, auf den letzten Wagen!«
Frank stieg ab.
Und Chester zog sich auf seinen Platz.
Mit wilden Zügelschlägen trieb er die beiden schweren Füchse zu schnellerer Gangart an.
Frank Macirian stand am Wegrand und starrte dem ersten Wagen nach, dann zog das zweite Gespann an ihm vorbei.
Das dritte nahte.
Schnaubend stieß eines der Pferde die Luft aus.
Der Arizonamann ließ die Tiere vorbei.
Da kam das Vorderrad. Die geölte Nabe blinkte schwach.
Jetzt muß ich aufsteigen!
Er stieg nicht auf.
Auch dieses Gespann zog an ihm vorüber. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der lange Wagen ihn passiert hatte.
Was dann geschah, im nächsten Augenblick, hat der Arizonamann nie begriffen.
Als der letzte Wagen an ihm vorüber war, sah er drüben auf der anderen Seite des Weges die Gestalt eines Mannes stehen. Halbom Chester –!
Jäher Schreck durchzuckte Macirian.
Halbom hatte seinen Revolver in der Hand. Frank sah es trotz der Dunkelheit.
Da wandte sich der Arizonamann um und lief dem letzten Wagen nach, auf den er hinaufkletterte, um die Zügelleinen zu nehmen.
Es gab offenbar kein Entkommen bei diesem Mann.
Wie war Hal bloß so schnell und ungesehen dahingekommen?
Wahrscheinlich hatte er damit gerechnet, daß Macirian nicht aufsteigen würde.
Aber Frank hatte ihn doch die Zügelleinen greifen und die Pferde zu schnellerer Gangart antreiben sehen?
Unheimlich war er, dieser Halbom Chester.
Als sie die Feldhütte erreichten, trat Ed schon heraus. Er brachte zu jedem der Wagen eines der immer noch reglosen Kinder.
Und jetzt erst bemerkte Frank Macirian, daß die Chesters alles ganz genau vorbereitet und geplant hatten. In jedem Wagen war Platz zur Unterbringung der Kinder freigehalten worden, unauffällig und vom Fahrer jeweils gut zu übersehen.
Macirian mußte auf den Kutschbock des mittleren Gefährten steigen. Und dann begann die Fahrt, eine Fahrt des Grauens…
*
Ernie Feldbush stand mitten auf der Overlandstraße und sah mit blinzelnden Augen nach Westen, wo fern auf einer Anhöhe die drei Wagen auftauchten.
Dreihundertzwanzig Meilen hatten die Chesters schon zwischen sich und Tucumcari gebracht.
Und jetzt hielten sie auf den vierten Mann zu, der in Halboms düsterem Plan eine wichtige Rolle spielte.
Der alte Feldbush hatte die frühere Pferdewechselstation als Wohnung behalten, seit der Overlandverkehr die Station und somit auch ihn nicht mehr benötigte.
Er lebte vom Fischfang, von der Jagd – und von dunklen Machenschaften, was aber nur wenige Menschen wußten.
Einer dieser Menschen war Halbom Chester. Er selbst war einmal auf einem Ritt hier in der Nähe von dem Alten überfallen worden, hatte ihn aber überlistet und niedergeschlagen. Seit diesem Tage stand der alte Outlaw in der Schuld des jungen Texaners. Und über der Schuld stand für Feldbusch die Angst vor Hal.
Sofort war er einverstanden gewesen, als Halbom ihm kürzlich erklärt hatte, daß er ihm demnächst ein Kind bringen würde, einen Jungen, den er vor jedermann zu verstecken habe.
Es ging alles so unheimlich still und wortlos vonstatten, daß Frank Macirian wiederum dachte, es müsse ein übler Traum sein, den er da erlebte.
Das Bündel, in das der kleine John Dandyson gewickelt war, wurde dem Alten übergeben.
Dann zog der Treck weiter. – Einer der drei Wagen war leer – was die Raubfracht betraf.
Vor San Jon bogen sie nach Südosten ab.
Der Sand begann, der sich über viele Hunderte von Meilen von hier nach Süden, Osten und Westen erstreckte. Der höllische Sand von Texas, dem die Pfahlmänner vor einem halben Jahrhundert den Namen Llano estaccado gegeben hatten.
Ein gefährliches Land, glutheiß, voller Tücken und Gefahren, weglos und von einer grausamen Unendlichkeit. Die Wasserarmut dieses Gebietes war so gefürchtet, daß selbst bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein die beiden dünnen Wege durch den Llano gemieden wurden wie die Pest. Und heute noch ist eine Fahrt durch die Sandwüste von Texas eine Qual…
Sie hatten etwa fünfzehn Meilen hinter sich gebracht, als Frank Macirian plötzlich zusammenzuckte.
Was war das? War da nicht ein Laut wie aus einer Kinderkehle an sein Ohr gedrungen?
Glühendheiß wurde ihm vor Erregung.
Sollte vielleicht eines der beiden Kinder nicht tot…
Er schluckte verzweifelt.
Und dann war der Laut wieder da. Er kam aus dem Wagen vor ihm. Aus dem Gefährt, das Halbom Chester lenkte.
Der Arizonamann schwang sich vom Kutschbock, aber nicht etwa zur Seite hin, wo der ihm folgende Edward ihn hätte sehen können, sondern auf das Hinterteil eines der beiden Pferde, rutschte über den Rücken des Tieres auf die Deichsel und sprang dann nach vorn, so daß er zwischen die Pferde und den voranrollenden Wagen geriet.
Blitzschnell war er unter der Plane verschwunden.
Da, das Geräusch wurde ganz deutlich.
Der kleine Junge, der da vorn lag, war nicht tot. Er weinte, weinte regelrecht. Leise und verhalten, aber es war ein sicheres Lebenszeichen, und das Herz Macirians begann wild vor Aufregung zu schlagen. Er kroch über die Häute, bis er das Kind erreicht hatte.
Vor sich sah er zwischen der schaukelnden Planenöffnung den breiten Rücken Halboms.
Da hechtete er wildentschlossen nach vorn.
Hal war überrumpelt und stürzte mit dem Kopf gegen das Stiefelbrett.
Benommen und unfähig, sich zur Wehr zu setzen, lag er vor dem Kutschbock.
Frank war jetzt eisern entschlossen, den Erfolg zu nutzen. Er riß den Colt aus dem Halfter und hieb ihn mit einem schweren Schlag auf den Schädel des Verbrechers.
Halbom Chester rollte zur Seite.
Frank sprang vom Wagen, blieb aber so dicht neben dem weiterziehenden Gefährt, daß Ed ihn erst gewahrte, als Macirian schon vor seinen Pferden stand.
Der Arizonamann hatte den Revolver in der Hand.
»Absteigen!« krächzte er dem jüngeren Chester entgegen.
Ed hob die Hände etwas an und sprang vom Wagen.
Er dachte nicht daran, sich gegen einen gezogenen Revolver zur Wehr zu setzen, schließlich war er nicht lebensmüde, und er besaß nicht den eisigen Nerv seines Bruders.
»Los, geh vor mir her zum vordersten Wagen!«
Ed tat, was ihm befohlen wurde.
Als sie den ersten Wagen erreichten, befahl Frank: »Halt die Gäule an!«
Ed tat auch das.
Dann wandte er den Kopf. In seinen Augen blitzte es gefährlich.
Frank sah es wohl.
»Was hast du mit Hal gemacht?« zischte Ed.
Macirian riß ihm den Revolver aus dem Halfter und schleuderte ihn in den Sand.
»Du hast hier nichts mehr zu fragen, Chester! Steig auf den Kutschbock und hole deinen Bruder herunter.«
Ed kletterte auf den Kutschbock und sah den Bruder reglos vor sich liegen.
»Ist er… tot?« stammelte er in plötzlich würgendem Schreck.
»Nein, ich bin kein Mörder, ich nicht!«
Im Wagen weinte das Kind.
Als Ed mit Hal auf den Armen herunterkam, befahl Macirian: »Du wirst ihn jetzt binden.«
»Binden? Er ist doch tot.«
»Unsinn!«
Aus einer kleinen Stirnwunde sickerte ein Blutfaden.
»Vorwärts, binde ihn!«
Ed tat, was Macirian befahl.
»So, Boy, und jetzt steigst du auf und wendest den Wagen.
Ich folge dir auf dem nächsten. Du hast keine Waffe mehr. Dein Bruder wird hier auf dem zweiten Wagen liegen. Wenn du auch den Versuch machen solltest, mich anzugreifen, schieße ich dich sofort nieder, Ed.«
Mit bleichem Gesicht stieg Edward Chester auf die Radnabe. Jetzt war also alles aus, dachte er. Aus der Traum von dem vielen Geld, von der großen Ranch!
Sie würden an den Galgen kommen, er genauso wie sein Bruder.
Wenn Frank Macirian mit den drei Wagen den nächsten Sheriff erreichte, war er gerechtfertigt – und sie beide verloren.
Da schlug Hal die Augen auf. Er lag gefesselt neben dem Arizonamann am Boden und begriff blitzschnell, was geschehen sein mußte.
Er sah seinen Bruder auf den Wagen steigen.
»Ed!« schrie er schrill.
Frank, der in höchster Anspannung war, drehte sich nach Hal um.
Da warf sich Ed oben auf dem Wagen zurück und stürzte sich auf den Arizonamann. Er riß ihn im schweren Sturz mit sich nieder.
Aber Frank bekam rasch Oberwasser, riß sich los und warf Ed, der ebenfalls hochkam, mit einem schweren Schwinger zurück.
Keuchend wollte Ed hoch, da schickte ihn Frank mit einem weiteren Hieb wieder hart an den Boden.
Da aber schnellte sich Halbom Chester, trotz seiner Hand- und Fußfesseln wie eine Schlange hoch und traf Frank mit seinem ganzen Gewicht, die Stiefel voran, im Kreuz.
Macirian stolperte vorwärts und stürzte.
»Steh auf, Ed!« schrie Hal. »Du mußt ihn töten! Er bringt uns an den Galgen! Kämpfe!«
Ed wußte das alles.
Aber die Kraft – Frank hatte sie ihm aus dem Leib geschlagen.
Dennoch riß Ed sich hoch und stürzte davon, dorthin, wo sein Revolver lag, den Macirian vorhin nicht weit genug fortgeschleudert hatte.
Frank war schon vor ihm, drei Yard. Aber in dieser entscheidenden Sekunde war Edward Chester schneller.
Der Schuß brüllte dem Arizonamann entgegen und stieß ihn wie mit einem Keulenschlag zurück.
Oben rechts an der Schulter getroffen, schwankte er zur Seite. Dann zerrte er mit der Linken den Colt aus dem Halfter an der rechten Seite.
»Ed!« kreischte Halbom, der von seinem Standort aus Macirian nicht mehr mit hochschnellenden Sprungwürfen erreichen konnte. »Ed! Schieß! Du mußt ihn erledigen! Sonst erledigt er uns!«
Aber Edward Chester stand von den schweren Treffern da, den Revolver in der schwankenden, zitternden Hand.
Well, er hätte abdrücken können. Aber er vermochte es einfach nicht. Er besaß nicht die Gefühlskälte, einen Menschen, der nur vier Yard von ihm entfernt stand, niederzuknallen.
Er war kein Mörder!
»Feigling!« kreischte Halbom mit sich überschlagender Stimme.
Aber noch gab er nicht alles verloren. Frank Macirian und Ed standen einander ja mit den Schußwaffen in der Faust gegenüber.
Und vorhin war Ed der Schnellere gewesen. Er mußte es ganz einfach für Hal noch einmal schaffen!
»Ed! Was zauderst du! Er bringt dich an den Galgen! Krack – macht es, wenn der Strick dein Genick zerreißt. Ed, schieß!«
Die große Minute, als Edward Chester einmal schneller und entschlossener war als ein anderer, war vorüber. Und er war kein Todesschütze.
Noch nicht.
Macirians Angst, er könne schwer getroffen sein, verblaßte angesichts des Revolvers, den der Tex auf ihn gerichtet hielt.
»Gib es auf, Ed«, stieß er heiser durch die Zähne. »Laß den Colt fallen!«
»Nein!«
»Laß ihn fallen. Du bist kein Mörder, kein Bandit! Ich werde es bezeugen.«
»Ed!« keifte Halbom schrill. »Merkst du denn nicht, was dieser Strolch, der auch dich früher immer schikaniert hat, jetzt im Schilde führt?«
»Du schweigst!« fuhr der Arizonamann Halbom an.
»Nie werde ich vor solch einem Wichtigtuer schweigen. Ed, mach ihn endlich fertig! Oder… wirf mir den Revolver her!«
Es war eine bittere Stunde, die da durch den Rand des Llanos kroch, für die drei Männer, die alle am Rande des Lebens standen…
»Ed!« kreischte Hal nochmals. »Es ist aus, alles aus, wenn du es nicht tust. Dein Hahn ist doch gespannt! Schieß doch! Du mußt es tun! Er macht uns sonst fertig…«
»Ich… kann es nicht, Hal!« keuchte Edward Chester.
»Feiger Hund! Elender Kriecher, Kerl ohne Mark und Kraft! Deinetwegen gehen wir jetzt beide vor die Hunde…«
Ed war schweißnaß und starrte in die hell glimmenden Augen des Arizonamannes.
»Frank! Es gibt noch einen anderen Weg«, ächzte er. »Laß deinen Colt fallen. Sei vernünftig, dann geschieht nichts. Gar nichts. Du steigst wieder auf deinen Wagen und Hal wieder auf den seinen, und dann fahren wir weiter. Wie bisher.«
»Nein, ich fahre nicht mit Kindesmördern.«
»Idiot!« grölte Halbom. »Die Kinder sind doch auch nicht tot. Ich mußte sie betäuben.«
»Betäuben?« fragte Frank, ohne Edward aus den Augen zu lassen. »Womit mußtest du sie betäuben, und weshalb?«
»Mit Corin, du hast es doch gerochen. Es ist ein schweres Betäubungsmittel, aber es tut den Kindern nichts.«
»Du lügst!«
»Ich habe die Wahrheit gesagt!«
»Doch, Frank, so ist es!« stimmte Ed dem Bruder zu.
»Weshalb habt ihr drei Kinder aus den Häusern geholt? Ich will das jetzt wissen!«
»Weil wir Geld brauchen, du armseliger Dummkopf«, hechelte Halbom.
»Geld?« stammelte Frank fassungslos. Deshalb also riskierten diese beiden Männer soviel?
Wußten sie denn nicht, daß auf Kindesraub in der gesamten Union der Tod stand?
»Das ist doch Unsinn!« stieß Frank hervor. »Auf Kinderraub steht der Galgen!«
»Na und? Der Galgen?« höhnte Halbom Chester rauh und richtete sich in sitzende Stellung auf. »Den Kindern geschieht nichts, in Kürze sind sie wieder bei ihren Eltern. Ed, verdammt noch mal, schneide mir endlich diese verrückten Stricke los!«
Ed blickte Frank an.
Der nickte.
»Du kannst ihn losschneiden!«
Ed ließ den Colt nicht aus der Hand, als er den Bruder befreite.
Aber dann, als Halbom nach der Waffe des Bruders greifen wollte, stieß Frank den Revolver vor.
»Nein, das ist vorbei. Wir steigen jetzt auf und fahren zurück. Ed nimmt den ersten Wagen, Hal den zweiten…« Macirian stockte jäh, weil ihm plötzlich bewußt wurde, daß das ein Unding war.
Von diesem zweiten Wagen aus hatte er den Überfall auf beide unternommen. Aber konnte er wissen, ob sie nicht noch irgendwo in den Wagen, in den Kutschbockkästen oder sonstwo Waffen versteckt hatten?
Hal lachte ihn diabolisch an.
»Na, Frankieboy, was jetzt!«
»Wir müssen die Wagen wenden.«
»Kommt nicht in Frage.«
»Doch –« Und jetzt hatte Frank Macirian einen Einfall. Man konnte schließlich drei Wagen hintereinander koppeln und sie dann von einem Sechsergespann ziehen lassen.
Er sagte es den Texanern.
Edwards Stirn krauste sich.
Da plötzlich machte Ed eine kleine Bewegung.
»Hal!« brüllte er.
Und der ältere Bruder fing den Colt des Bruders geschickt auf.
Die beiden hatten den Trick Hunderte von Malen geübt. Ed, ohne zu ahnen, daß er ihn einmal in einer so bitteren Stunde brauchen würde.
Frank Macirian, nicht so weich veranlagt wie Edward Chester, wußte, daß er jetzt schießen mußte, wenn er sich nicht selbst in Lebensgefahr bringen wollte.
Er schoß.
Die Kugel riß Halbom die Weste an der Seite auf.
Der zweite Schuß stieß Hal den Revolver zur Seite.
Aber dann schoß der Texaner.
Frank wich blitzschnell an den Pferden vorbei zurück.
Da, in dieser brennenden Sekunde, fiel ihm seine Winchester ein, die auf dem Bodenbrett des zweiten Wagens lag.
Er spurtete um das erste Gefährt herum, verfolgt von den wie Hummeln um ihn herumsurrenden Kugeln des rasenden Verbrechers.
Hal machte jetzt den Fehler, ebenfalls nach vorn an den Pferden vorbei zu wollen.
Da war Ed schon bei seinem Wagen und stieß sich hinauf.
»Hal! Das Gewehr! Er hat das Gewehr!« schrie Edward heiser.
Da riß der Arizonamann auch schon die Büchse hoch.
Ein blitzschneller Schuß ließ dicht neben den Pferden des ersten Schooners Sand vor Halboms Füßen aufspritzen. Der Outlaw konnte sich eben noch zurückwerfen.
Und dann sprang Macirian vom Wagen und sprintete los, in den Sand hinein, so schnell ihn seine Füße zu tragen vermochten.
»Hal, da…«
Halbom stieg auf den ersten Wagen. Dort stand er auf dem schmalen Bodenbrett und jagte Frank noch eine Kugel nach.
Und: Klick! machte es.
Er hatte sich verschossen. Seine Trommel war leer.
Mit fliegenden Fingern riß er eine neue Patrone aus einer Gurtschlaufe.
Da aber hatte Macirian schon eine Distanz erreicht, die von einem Colt kaum noch überwunden werden konnte.
Frank kannte diese Distanz genau. Er blieb stehen und riß das Gewehr hoch. Krachend zog er den Ladebügel durch.
»Halbom Chester, jetzt bin ich wieder dran! Du weißt genau, daß ich mit der Winchester umzugehen weiß!«
Hal knirschte mit den Zähnen.
»Fahr zur Hölle, Dreckskerl!«
»Steig vom Wagen!«
Hal blieb oben.
»Steig runter, Hal, sonst muß ich dich mit einer Kugel vom Wagen holen. Du hast mich mehrfach mit dem Tod bedroht, ich handele also in Notwehr. Steig ab, sonst fege ich dich mit heißem Blei da runter.«
Ed krächzte mit erstickter Stimme: »Steig ab, Hal, verdammt noch mal.«
»Idiot!« herrschte ihn der Bruder brüsk an. »Deinetwegen steht es jetzt so! Was bildest du dir ein, was wir jetzt noch machen können? Wenn der Halunke ein Gewehr in Händen hat, sind wir ihm ausgeliefert.«
»Nimm die Hände hoch, Hal!«
»Nie vor dir, nie. Schieß mich nieder!«
Da tauchte oben in der Planenöffnung das Gesicht eines Kindes auf. Ein schwarzgelockter Bub blickte auf die Männer hinunter und schrie dann los. Er weinte zum Steinerweichen.
Ed hielt sich die Ohren zu.
»Du hast schlechte Nerven, Brother«, zischte Hal ihn an. »Und tu jetzt, was ich dir sage. Wirf dich nieder und robbe auf den Wagen zu. Mein Gewehr liegt im Kutschbockkasten. Du kriechst unterm Wagen durch und…«
Jäh brach er ab.
Er hatte, wie auch Ed, den Arizonamann nicht aus den Augen gelassen. Und plötzlich sahen ihn die beiden Texaner umfallen wie ein Brett.
Frank schlug hart auf den heißen Sand auf. Sein Gewehr lag mehrere Yards vor ihm.
Hal spurtete sofort los.
»Vorsicht!« krächzte Ed, »vielleicht ist es nur eine Finte!«
Aber Hal hatte den Arizonamann schon erreicht, nahm ihm das Gewehr weg und wich damit einige Schritte zurück.
Jetzt kam auch sein Bruder heran.
»Dreh ihn auf den Rücken!« befahl Hal.
»Auf den Rücken?«
»Ja, vorwärts, ich will sein Gesicht sehen.«
Ed tat wieder einmal, was ihm geheißen wurde.
Dann starrten sie beide in das kreidebleiche Gesicht des besinnungslosen Macirian.
»Vielleicht hat er einen… Herzschlag bekommen«, stammelte Ed.
»Blödsinn, es ist eine Kugel. Sie sitzt vielleicht doch tiefer, als ich vermutete.«
Ja, es war das Geschoß aus dem Revolver Edward Chesters, das den noch nicht ganz neunzehnjährigen Arizonamann jetzt umgeworfen hatte.
Hal nahm das Gewehr hoch.
Da sprang Ed auf ihn zu und stellte sich vor den Bewußtlosen.
»Nein, Hal«, keuchte er. »Das wirst du nicht tun!«
»Geh mir aus dem Weg, verdammter Feigling!«
»Du kannst mich nennen, wie du willst, Hal. Ich bleibe! Du wirst ihn nicht erschießen.«
»Er verrät uns, Idiot!«
»Das ist doch Mord!«
»Mord«, kam es verächtlich über die Lippen Halbom Chesters. »Was ist schon Mord? Wir müssen uns in diesem verdammten Land eben rauh durchs Leben schlagen.«
»Rauh ja, aber nicht mit Mord und Todschlag, Hal. Es ist schlimm genug, daß du uns das mit den Kindern eingebrockt hast, aber vielleicht läßt sich das noch einrenken. Komm doch zur Besinnung…«
»Ich bin bei Besinnung!« schrie Hal den Bruder an. »Ich war nie so schwach von Verstand wie du, Ed. Was willst du eigentlich? Wir brauchen das Geld, zum Teufel! Jetzt sind wir so weit gegangen und können nicht zurück!«
»Vielleicht doch, Hal. Wir müssen es versuchen!«
»Ich will es doch gar nicht, Mensch. Ich habe fast ein Vierteljahr darangesetzt, auf alles verzichtet, um den großen Coup meines Lebens vorzubereiten. Du bist viel zu einfältig, als daß du das je begreifen könntest, und solltest froh und dankbar sein, daß ich dich mitgenommen habe und teilnehmen lasse.«
Da starrte ihn der Bruder bestürzt an.
»Ich soll froh und dankbar sein…? Für das, in was du mich da hineingezogen hast? Hal, du mußt geistesgestört sein.«
Der Ältere schnauzte ihn an: »Du stellst dich also auch gegen mich, Ed?«
»Gegen dich, nein. Aber vor diesen Burschen, den du töten willst. Weil ich nicht will, daß du ein Mörder wirst!«
»Ich brauche keinen Wächter. Ich sorge schon für mich selbst.«
»Du wirst ihn nicht erschießen!«
Hal senkte das Gewehr und blickte den Bruder jetzt mit sonderbaren Augen an. Welchen Mut dieser Junge auf einmal bewies!
»All right. Aber das sage ich dir. Du bewachst ihn! Und wenn er mir noch mal ins Kreuz fällt, garantiere ich für nichts. Du brauchst dich nicht zu wundern, wenn du mich dann gegen dich hast!«
Er wandte sich um und ging zu den Wagen zurück, die wartend in der Sonnenglut standen. Ed blickte ihm nach, wandte sich dann nach dem Ohnmächtigen um und hob ihn auf. Keuchend schleppte er ihn zum mittleren Wagen.
Hal sah ihm zu, wie er sich abquälte, den schweren Körper Franks auf den Wagen zu heben, aber er dachte nicht daran, dem Bruder zu helfen.
Ed lehnte Frank gegen das hintere Rad und wollte ihn sich gerade auf die Schulter schwingen, als Macirian zu sich kam.
Aus wirren Augen starrte er um sich.
Er begriff aber, was geschehen sein mußte, als er Halbom Chester mit dem Gewehr vorn am Wegrand stehen und verächtlich grinsen sah.
»Was… willst du?« keuchte er Ed zu.
»Ich wollte dich auf den Wagen…, aber…«
Frank starrte zu Hal hinüber. Dann schüttelte er den Kopf.
»Es ist schon vorüber. Vielleicht hilfst du mir auf den Kutschbock.«
Ed half ihm.
Und dann zog der Treck weiter.
Mit brennenden Augen starrte Frank Macirian vor sich hin. Die Sonnenglut setzte ihm jetzt fürchterlich zu. Er hatte scheußlichen Durst, hätte aber um keinen Preis den Mund geöffnet, um Hal anzurufen, der allen Proviant und auch das Wasserfaß rechts am vordersten Wagen hatte.
Zwölf schwere Meilen überstand der Bursche aus Arizona.
Dann rutschte er rechts vom Wagen und glitt in den Sand.
Ed hatte es beobachtet und war nach der seltsamen Langsamkeit des Sturzes wie gebannt vor Schreck.
Er ist tot! hämmerte es in seinem Hirn. Und ich – ich habe ihn jetzt getötet…
Er sprang ab.
»Hal, Hal! Halt doch an!«
Halbom blickte um die Ecke und hielt dann den Wagen an.
Die drei Schooner kamen ächzend und knarrend zum Stehen.
Langsam schlenderte Halbom auf die beiden zu.
Ed hatte Frank hochgestützt.
»Ich dachte… er wäre tot. Er stürzte plötzlich so langsam vom Wagen…«
Ed ließ den Arizonamann zurückgleiten und holte Wasser.
»Was gibst du dir bloß für Mühe mit dem Schurken!« höhnte Halbom.
»Mühe?« Ed blitzte ihn an. »Wenn er stirbt, bin ich sein Mörder!«
»Ah, das macht dich so unruhig? Well, dann kümmere dich um ihn, laß aber mich damit in Ruhe!«
Hal zündete sich eine Zigarette an und trat in den schmalen Schatten des Wagens.
Ed war noch im Bann seiner Angst, Frank Macirian könnte sterben und er wäre dann sein Mörder, so gab sich der Texaner gewaltige Mühe, den Besinnungslosen mit Wasser wieder zu sich zu bringen.
»Frank, he, Mensch, mach doch die Augen endlich auf!«
Er riß ihm die Weste herunter, zerrte das Hemd über der Brust auseinander und sah mit großen, starren Augen auf das verhältnismäßig kleine Loch, das inmitten eingetrockneten, verschmierten Blutes neben dem Oberarm zu sehen war.
Ob ich seine Lunge verletzt habe?
Ed wischte sich mit dem Unterarm wieder und wieder den Schweiß von der Stirn.
Dann fiel ihm ein, daß er Verbandzeug auf dem Wagen hatte.
Vormann Ginger hatte es angeordnet: Kein Treck von mehr als dreißig Meilen ohne Verbandstoff!
Zuviel Ärger hatte man früher bei mancher Fahrt erlebt, wenn man keinen Verbandstoff dabei hatte.
Jetzt legte Ed mit ungeschickten Händen einen Verband um den Oberkörper des Arizonamannes.
Frank war bei Besinnung, konnte aber nicht helfen, so schlapp und elend war er dran.
Ed hatte ihn in den Wagenschatten gezerrt.
»So, und jetzt heben wir dich auf meinen Wagen. Du wirst hinter mir unter der Plane im Schatten auf den Häuten und Decken liegen.«
»Wir heben?« fragte Hal spöttisch, der mit übereinandergeschlagenen Beinen hinten neben dem Wasserfaß auf dem Sproß hockte. »Du hast dich wohl versprochen. Bildest du dir ein, daß ich für diesen Verräter, der mich an den Galgen liefern wollte, auch nur einen Finger krumm mache? – Ja, das heißt, ich würde schon einen Finger krumm machen, aber nur am Abzug meines Revolvers, um den Burschen auszulöschen. Diesen verdammten…«
Das helle Geschrei eines Kindes ließ Hal aufhorchen.
Auch Ed blickte hoch. Und Frank Macirian sah aus der Planöffnung seines Wagens das braune Lockenköpfchen eines kleinen Mädchens hervorblicken. Der Anblick des weinenden Kindes schnitt ihm in die Seele.
»Ein Mädchen«, stieß er mit belegter Stimme hervor. »Ein kleines Mädchen! So eine gemeine Schurkerei! Dafür bringen sie uns alle an den Galgen.«
Hal lachte.
»Jetzt spricht er schon vernünftiger und in der Mehrzahl. Uns alle! Ganz recht, Amigo, uns alle! Es wäre gut, wenn du das nicht mehr vergessen würdest.«
Frank stand auf. Ed half ihm. Er wankte zum Wagen und zog sich hinauf.
Ganz dicht war jetzt vor ihm das braune Kindergesichtchen mit den blauen, fragenden, runden Augen, dem kleinen Stupsnäschen, den offenen Lippen und den dicken Pausbacken.
Die vierjährige Erica Hartmann hatte aufgehört zu weinen und betrachtete den fremden Mann mit dem blassen Gesicht verwundert.
»Onkel…!« kam es da über ihre Lippen.
Frank hob die Hand und streichelte so sanft, wie es ihm eben möglich war, über die feste runde Kinderwange.
»Hab’ keine Angst.«
Das Kind schüttelte den Kopf. »Keine Angst, Onkel…«
»Wie heißt du denn?«
»Erica, mich… Erica! Und wo ist Mammmi?«
Frank wandte sich ab und sog die Luft tief ein.
»Du siehst sie bald wieder, Erica! Dieser Onkel da«, und dabei wies er auf Halbom Chester, »wird schon dafür sorgen!«
Hal schleuderte seine Zigarette weg, rutschte von dem Wagensproß und schlenderte nach vorn zu seinem Sitz.
Da saß der kleine Gonzales-Junge und wich verstört zur Seite.
Ed war dem Bruder gefolgt.
»Ich werde den Jungen nehmen!
»Mach, was du willst«, knurrte Hal. »Aber das sage ich dir, wenn Frank noch einmal Ärger macht, ist es aus. Und vergiß nicht: wenn irgend jemand auftaucht, müssen die Kinder verschwinden. Notfalls müssen sie eben zum Schweigen gebracht werden.«
Ed, der den kleinen Juan Gonzales eben vom Kutschbock gehoben hatte, so daß die kleine Erica ihn sehen und mit einem hellen Freudenschrei begrüßen konnte, blickte zu seinem Bruder auf.
»Wie meinst du das: notfalls zum Schweigen gebracht werden, Hal?«
Der beugte sich mit einem Ruck dem Bruder zu und schrie: »Du verstehst mich schon ganz richtig, Edward! Sie dürfen notfalls nicht mehr in der Lage sein, uns durch einen Laut zu verraten. Kapierst du das nicht? Denn wenn sie uns verraten, war alles umsonst. Und ich denke nicht daran, mich wegen eines…, wegen dieser Brut an den Galgen bringen zu lassen.«
»Brut«, wiederholte Ed leise.
»Ja, ja«, brüllte Hal, »wegen dieser Geldsackbrut! Es sind die Sprößlinge der Geldsäcke. Der reichen Bonzen, für die wir schuften. Einerlei, ob sie nun Gloster, Hartman, Dandyson oder Gonzales oder sonstwie heißen, es sind unsere Peiniger! Scheusale, die uns quälen, die unser Leben auspressen!«
Ed verstand den Bruder wieder einmal nicht ganz, hatte aber keine Lust, ihn noch weiter zu fragen.
Als Ed zum zweiten Wagen kam, sah er Frank mit bleichem Gesicht gegen die Seitenlehne des Kutschbockes hängen.
Die kleine Erica streichelte den nach Atem ringenden Mann mit ihrer weichen Patschhand durchs Gesicht.
»Onkel… krank…«
Ed stieg auf, machte für den Verletzten ein Lager zurecht. Dann stieg er ab und koppelte den letzten Wagen hinten an, aber er ließ die Pferde in den Geschirrsträngen.
Dann stieg er bei Frank auf, setzte die beiden Kinder neben sich, die sich nur unter großem Geschrei hätten noch voneinander trennen lassen, und Hal knurrte: »Kann es jetzt endlich weitergehen, verdammt noch mal?«
Ed blickte zu dem älteren Bruder, der vom Wagen gestiegen war und ihm tatenlos zugesehen hatte, hinunter. »Wo wollen wir eigentlich hin, Hal?«
»Zu Cassedy!« war die barsche Antwort.
»Was –?« keuchte Ed. »Ausgerechnet… Weshalb zu Cassedy?«
»Aber er weiß noch von nichts?«
»Ich werd’s ihm schon klarmachen.«
»Ich weiß nicht, Hal. Jack Cassedy ist einer der Sands, und die lassen nicht mit sich spaßen.«
»Erstens ist er nicht nur einer der Sands, sondern ihr Boß, und zweitens, wer will denn mit ihm spaßen? Wir bringen Geld!«
»Geld? Kinder bringen wir, nichts weiter.«
»Na und? Durch die Kinder bekomme ich Geld. Und er profitiert davon.«
Ed zog die Schultern hoch.
»Ich habe kein gutes Gefühl dabei, Hal. Cassedy ist ein Mann, und…«
Halbom Chester richtete sich auf.
»Und?«
Da gaben die Nerven des jüngeren Chester nach, und er brüllte den Bruder unbeherrscht an: »Und? Was und, Hal! Wir sind Burschen, Jünglinge! Ich – und du auch!«
»Na, ’n Schuljunge bin ich ja wohl nicht mehr. Werd’ nur nicht komisch, Ed!«
»Ich bin nicht komisch. Wir sind noch junge Burschen, wenn wir vielleicht auch nicht mehr so aussehen. Aber wir haben nicht die Erfahrung, die ein Mann hat! Ich weiß es. Denk doch an Ginger, er ist fünfunddreißig, denke ich – er ist ein Mann! Alverson ist auch über dreißig. Martinez ist vierzig, Malmquist vierundvierzig und Jesse Oakland auch. Das sind Männer, Männer wie Jack Cassedy. Wir sind noch keine Männer. Du weißt genau, daß in New Mexico kein Rancher einen Mann als Cowboy nimmt, der nicht seine einundzwanzig Jahre hinter sich hat. Billy Brown hatte sich zwei Jahre älter gemacht, und als es rauskam, flog er.«
»Was soll das alles?« knurrte Hal unwillig.
»Du verstehst mich schon. Wir sind noch nicht alt genug, Hal, wir sind keine Partner für Männer wie Cassedy.«
»Ich schon.«
»Tu, was du willst!« brummte Ed und nahm die Zügelleinen auf.
Der Treck zog weiter.
Am späten Nachmittag machten sie bei einer Quelle Rast und bereiteten ein karges Mahl.
Ed sorgte dafür, daß der Verletzte und die Kinder zu essen bekamen.
Und immer lagen noch über zehn Meilen vor ihnen bis zu der kleinen Stadt, in der der Führer der Sands, Jack Cassedy, wohnte.
Frank lag apathisch auf seinem Lager und starrte gegen die zitternde Plane des rumpelnden und schaukelnden Wagens.
Mit dem Sinken des Tages ging es ihm schlechter und schlechter.
»Ed«, keuchte er plötzlich.
Das kleine Mädchen, das ihn die ganze Zeit über beobachtet hatte, stieß Edward an.
»Onkel Ed!«
Ed erschrak. Das Kind wußte seinen Namen, würde ihn wiedererkennen.
»Onkel Ed, Onkel Frank will etwas!«
Das hatte der kleine Junge gesagt. Also auch er wußte jetzt seinen Namen.
Ed griff sich mit der Linken unwillkührlich an die Kehle und dachte an die Worte, die der Bruder ihm vorhin, als er gefesselt am Boden lag, zugerufen hatte: Dann gibt es einen Knacks und…
Er wandte sich nach Macirian um.
»Was gibt es?«
Der Verletzte blickte ihn aus fiebrigen Augen an.
»Kannst du mir nicht die verdammte Kugel herausnehmen, Ed?«
Ed schüttelte den Kopf.
»Nein, Frank, das kann ich nicht! Hal…, er hat es schon einmal gemacht, bei Larry Vaugham damals, er war erst sechzehn.«
»Hal… wird es niemals tun.«
»Das befürchte ich auch.«
»Wo wollen wir noch hin?«
»Es ist nicht mehr weit, Frank. Nach Garcia, einer kleinen Stadt an einem See. Da wohnt ein Freund von uns… Ich meine von Hal.«
»Cassedy?«
Ed blickte Macirian verdutzt an.
»Kennst du ihn?«
»Nein, nur dem Namen nach. Aber ich habe es vorhin gehört, als Hal davon gesprochen hat. Mit einem solchen Banditen also wollt ihr zusammenarbeiten?«
»Ihr?« fragte Ed und blickte düster vor sich hin. »Hal will es.«
»Und mußt du alles tun, was Hal will?«
Darauf wußte der jüngere Chester keine Antwort.
Und der Treck ging weiter.
Bis Edward hinter sich die Stimme des Verletzten hörte: »Wenn ich sterbe, Ed, ist es deine Kugel gewesen. Und es gibt dann nur einen Menschen auf der Welt, der das beweisen kann, dein Bruder Hal.«
Mit einem Ruck hielt Ed die Pferde an.
Der Wagen kam zum Stehen. Hinten stieß die Deichsel des nachfolgenden Gefährts auf und schob den Wagen noch ein Stück weiter.
»Hal!«
Der erste Wagen hielt schwerfällig an.
Halbom sprang vom Kutschbock, den Revolver in der Rechten und die Winchester in der Linken.
Als er sah, daß es keinen Grund zum Eingreifen gab, schob er das Gewehr wieder aufs Bodenbrett zurück.
»Weshalb hältst du an, Ed?«
»Weil du etwas tun mußt.«
»Ich?«
»Du mußt Frank die Kugel aus der Schulter holen.«
»Bist du verrückt, Mensch?« Halbom hatte den Kopf auf die Seite gelegt und sah den Bruder aus schmalen Augenspalten an. »Was geht mich dieser Bursche an, dieser gemeine Verräter!«
»Hal, so darfst du nicht sprechen. Er glaubte, er sei im Recht, als er uns angriff. Und er war auch im Recht.«
Die Augenspalten Halboms wurden noch schmaler und schärfer.
»Was faselst du da?«
»Es geht um sein Leben, Hal. Ich bitte dich, hol die Kugel heraus! Ich kann es nicht, das weißt du. Unter meinen Händen würde es womöglich noch schlimmer.«
Da ging ein teuflisches Blitzen über das Gesicht des Verbrechers.
»Well, es ist gut. Ich werde es tun, aber nur, damit du endlich Ruhe gibst.«
Die Kinder wurden auf den ersten Wagen gebracht. Hal und Ed schleppten Frank auf die Straße, wo sie ihn auf eine Decke legten.
Dann kniete Hal nieder und beugte sich über den Arizonamann.
Er sah es sofort: Es war keine tödliche Verletzung, die Frank davongetragen hatte.
Langsam nahm er sei Messer aus dem Halfter und hielt ein Zündholz an dessen Spitze, wie er es unzählige Male bei Noteingriffen gesehen hatte.
Plötzlich stieg Ed heiße Angst in die Kehle.
Wie nun, wenn Hal jetzt die Gelegenheit wahrnehmen würde…
Niemand könnte ihm etwas beweisen. Hal würde im Gegenteil ein ganzes Leben lang sagen: Ed, sei still, du bist ein Mörder!
Da schnellte Ed vor, riß dem Bruder den Colt aus dem Halfter, zog seinen eigenen dazu und spannte beide Hähne.
Hal starrte entgeistert zu ihm auf – und sah in ein kristallklares, hartes Augenpaar, aus dem ihm plötzlich tödliche Entschlossenheit entgegenblickte.
Er schüttelte den Kopf und meinte böse lächelnd: »Du machst dich, Brother, du machst dich.«
Schwerer Schweiß stand dem Verletzten auf der Stirn, während sein größter Feind, bewacht von zwei entsicherten Revolvern in den Händen des Bruders ihm die Kugel herausschnitt.
Es zeigte sich, daß Halbom Chester tatsächlich etwas von dieser Sache verstand.
Als blutjunger Knabe hatte er schon bei Doc Hattersfields daheim in Morton stets zugesehen, wie der Arzt verformte Bleigeschosse aus den Körpern der Männer holte, die beschossen worden waren.
»Bleierne Grüße einiger Idioten«, hatte er den alten, geschickten Arzt häufig sagen hören.
Und er, der kaltnervige Junge, hatte eine Menge dabei gelernt.
Ed atmete hörbar auf, als Hal das Bleistück herausbefördert hatte.
»Es ist übrigens nicht schlimm«, sagte Hal, als er aufstand und dem Bruder blitzschnell die entsicherte Waffe aus der Linken nahm, sie um den Mittelfinger rotieren ließ, sie über Macirian schwang, dann grinsend sicherte und ins Futteral gleiten ließ.
Frank fühlte sich sofort besser.
Als die Wagen wieder anzogen, rief er leise: »Ed!«
Chester wandte sich nicht um, sondern tat, als wenn er es nicht gehört hätte.
Aber die kleine Erica stieß ihn von der Seite an.
»Onkel Ed! Onkel Frank hat dich gerufen.«
Die beiden Kinder blickten ängstlich in die Landschaft, auf die sich bereits die Schatten der Nacht wie dunkle Tücher legten.
Ed wandte den Kopf und meinte knurrig: »Was gibt es, Frank? Hast du Durst?«
»Nein, Ed«, log der Arizonamann, obgleich er das Gefühl hatte, jetzt den ganzen Missouri austrinken zu können, »ich wollte dir nur danken.«
»Kein Grund!« Ed wandte sich um.
»Doch, eine Menge Grund, Ed. Du hattest eine verdammt schwierige Lage vor dir. Viel schwieriger als ich.«
»Quatsch.«
Frank hatte ein schwaches Lächeln um die Lippen.
»Ich wollte, du könntest auch noch verhindern, daß Hal zu Cassedy fährt.«
Es blieb eine Weile still. Dann brummte Ed: »Wie stellst du dir das vor? Soll ich gegen meinen Bruder kämpfen?«
»Für das Recht mußt du kämpfen, Ed.«
»Geht nicht, wenn mein Bruder auf der anderen Seite steht.«
»Ihn würde es wenig kümmern, auf welcher Seite du stehst, wenn es nur seine eigene Seite ist.«
»Kann sein. Ich weiß es nicht. Ich jedenfalls kann nicht gegen meinen Bruder kämpfen.«
Frank machte einen letzten Vorstoß: »Wenn die Kinder zu Cassedy gebracht worden sind, ist nichts mehr daran zu ändern, und der Wagen rollt.«
»Er rollt ohnehin«, knurrte Ed mit gesenktem Kopf.
»Nein, Ed, wir können selbst am Ende der Welt noch umkehren, nicht aber mehr, wenn wir auf dem Hof Jack Cassedys sind und seine Tore sich hinter uns geschlossen haben.«
»Gib’s auf und laß mich in Ruhe, Frank!« maulte Ed.
»Es ist nicht zu ändern. Wir können die Kinder nirgends sonst unterbringen. Allein bei Cassedy sind sie sicher.«
»Sicher? Bei jedem Sheriff sind sie sicherer, bei einem Farmer oder jedem x-beliebigen Bürger einer Ansiedlung. Nicht aber bei dem gefürchteten Banditenführer Cassedy. Er macht die ganze Sache erst richtig gefährlich, das weiß ich genau. Und noch etwas: Glaube ja nicht, daß sich dieser Mann mit einer kleinen Geldsumme zufriedengeben wird.«
»Hals Sache. Ich will kein Geld, nicht einen Dollar will ich! Ich bin Peon und bleibe es bis zu dem Tage, wo mich vielleicht einmal ein Rancher als Cowboy nehmen wird.«
Dieser Tag würde für den texanischen Peon Edward Chester sicher einmal gekommen sein. Und sein früherer Bestman bestätigte es ihm sogar.
»Du bist bestimmt eines Tages ein richtiger Cowboy, Ed. Ein Mann, der seine vierzig oder gar fünfundvierzig Bucks im Monat verdient, von denen sich schon einiges kaufen läßt. Man kann Tabak dafür kaufen, Whisky, Kölner Duftwasser in den Stores, um ein Girl an sich zu fesseln, man kann sogar einen Sattel damit abzahlen. Man kann ein eigenes Pferd…«
»Hör auf!«
»Nein, Ed, ich bin noch nicht fertig. Ich muß dir noch sagen, daß das alles Dinge sind, die sich der ehrliche junge Cowboy ehrlich kaufen und leisten kann. Die dann jeder sehen darf. Du brauchst nicht rot zu werden, wenn die kleine Peggy unten in Harpers Speiseküche, die dir doch gefällt, wie ich bemerkt habe, Duftwasser von dir geschenkt bekommt, wenn sie fragt, woher du das Geld dafür hast. Weil es ehrlich verdient ist, mit Weidearbeit.«
»Laß mich zufrieden mit deinen Sprüchen.«
»Es sind keine Sprüche.«
»Doch!«
»Nein, und du weißt es längst, Ed. Das viele Geld, von dem dein Bruder träumt, würde einen Burschen wie dich niemals sehr glücklich machen. Das Fäßchen mit Kölner Duftwasser, das du dann vielleicht kaufen könntest für Peggy, würde dich drücken wie ein Mühlstein, im Gegensatz zu dem ehrlich erworbenen kleinen Fläschchen…«
»Verdammt, halte dein Maul, Frank. Du hättest Prediger werden sollen.«
Frank Macirian wußte, daß er jetzt am heikelsten, gefährlichsten Punkt angelangt war.
Der Weg zu dem Desperado Jack Cassedy mußte verhindert werden.
Und nur Ed konnte das. Wenn überhaupt einer.
Aber Ed war abhängig von seinem älteren Bruder Halbom, zu dem er achtzehn Jahre aufgeblickt hatte. So etwas ließ sich nicht mit ein paar Worten auslöschen.
Was der Verwundete auch versuchte, es prallte an der Bruderliebe Eds ab. Er konnte und würde nicht gegen Halbom handeln.
So, wie er am Vormittag keinen tödlichen Schuß auf den Arizonamann hatte abgeben können und der teuflischen Versuchung durch den Bruder widerstanden hatte, so widerstand er jetzt Franks Bitten um Einsicht.
Als in der Ferne unten im Tal ein helles, glitzerndes Schimmern zu sehen war, wußte Ed, daß es der Garcia-See war.
Da sagte Frank Macirian hinter ihm: »Ed, hast du auch daran gedacht, daß Cassedy die Kinder vielleicht töten wird?«
»Töten?«
Ed warf den Kopf herum und starrte in das Dunkel des schaukelnden Wagens.
»Ja, töten! Was soll ihn veranlassen, die Kinder bei sich aufzunehmen? Er wird bei eurer Erpressung helfen – aber nicht euren Plan teilen, die entführten Kinder tatsächlich auch wieder zurückzubringen.«
»Weshalb denn nicht?«
»Weil er sich da einer großen Gefahr aussetzen würde.«
»Der müßten wir uns auch aussetzen!«
»Nicht unbedingt. Ihr könnt erzählen, ihr hättet die Kinder da und dort gefunden und aufgegriffen. Aber ein Mann vom Rufe Jack Cassedy kann so etwas nicht mehr erzählen. Zudem wird er in beiden Staaten gesucht, drüben bei uns in New Mexico und hier in Texas!«
»Und du glaubst, er würde die Kinder umbringen lassen?« fragte Ed unsicher.
»Das denke ich. Weil er die offene Gefahr scheut. Dafür ist er doch bekannt.«
»Hal wird ihn dazu zwingen, die Kinder wohlbehalten nach Tucumcari zurückzusenden.«
»Hal wird ihn zwingen? Das träumst du, weil du Cassedy nicht kennst!«
»Ich kenne ihn wohl. Wir haben ihn zweimal getroffen. Und im vergangenen Herbst hat Jack Hal auf die Schulter geklopft und gesagt: Junge, du bist richtig. Du wirst eine Kanone! Ich bin dein Freund, hat er zu meinem Bruder gesagt…«
Ja, das hatte der Llano-Bandit wirklich zu dem jungen Hal Chester gesagt, und Hal war sehr stolz darauf gewesen. So stolz, daß er jetzt glaubte, mit seinem lebenden Raub zu Cassedy gehen zu können.
Es half nichts, daß Frank dem jungen Chester in allen Farben ausmalte, was ihm und Hal bevorstehen könnte – sie blieben auf dem Weg.
Wenn auch Ed ein schlechtes Gewissen bei der ganzen Sache nicht los wurde, er wagte nicht, sich gegen Hal zu stellen.
Längst lagen die Kinder neben Frank im Schlaf.
Da rollten die drei schweren Prärieschooner in Garcia ein.
Es war eine winzige, abseits von der großen Overlandstraße liegende Stadt.
Vor dem Haus, in dem Cassedy damals gelebt hatte, hielt Halbom den Treck an. Mit steifen Gliedern rutschte er vom Bock und klopfte an die Haustür.
Eine brummige alte Frau, die nur auf einem Auge sehen konnte, kam mit der Petroleumlampe an die Tür geschlurft.
»Was wollen Sie?« knurrte sie dem Mann in dem unverkennbar singenden texanischen Tonfall entgegen.
»Ich suche…«
»Wen?«
»Den Mann, mit dem ich damals hier gesprochen habe. Ich lernte ihn im Llano kennen.«
»Wer sind Sie?«
»Mein Name ist Chester. Halbom Chester.«
»Woher kommen Sie?«
»Aus Tucumcari in New Mexico.«
»Sie sind doch Texaner«, grollte ihn die Alte an.
»Ja, und…«
Da tauchte im Hintergrund des Korridors eine männliche Gestalt auf. Es war ein etwa fünfzigjähriger Mann mit kantigem Schädel und geschlitzten Augen.
Hal erkannte ihn sofort: Das war einer der Männer, die damals bei dem Führer der Sands waren.
»Mister Kid! Kennen Sie mich nicht mehr?«
Kid Corinne winkte ihm zu.
»Komm mit, Junge.«
Die Alte ließ den Besucher vorbei. Sie gingen in den Hof, und Corinne schob Hal in einen düsteren Stallgang.
Hinten sah Halbom mehrere Männer im Schein einer kleinen Lampe beieinanderstehen. Hal wurde von Kid hingeführt.
Die Augen Chesters ruhten auf einem großen Mann mit hängenden Schultern, hartem Gesicht, zu kurzer Nase, grauen Kieselsteinaugen und niedriger Stirn.
Jack Cassedy!
Er trug einen Kreuzgurt und zwei Revolver, deren Kolben nach vorn standen.
Eine Eigenheit, die man nur bei sehr schnellen Leuten sehen konnte. Jack Cassedy war ein sehr schneller Mann – was den Revolver anbetraf.
Jeder, der den Llano zu durchqueren hatte, fürchtete diesen Banditen, der von sich behauptete: »Ich bin kein Räuber. Ich bin ein Rebell wider diesen Staat, der uns Grenzen und Steuern auferlegt. Und Gesetze, die nur dem Staat nützen.«
Mit dieser Parole hatte der Tramp nichts Neues aufgebracht, denn Jahre vor ihm hatten der Tombstoner Rustler Ike Clanton, der sich King of Arizona nannte, und der rote Rebell Geronimo, der abtrünnige Apachenchief, etwas ganz Ähnliches behauptet.
Bei Cassedy aber bedeutete es doch etwas mehr, weil er mit seiner Parole hier in diesem staubigen Land bei der Grenzbevölkerung zwischen Texas und New Mexico viele Anhänger fand, und sei es auch nur Anhängerschaft, die stumm zu ihm hielt, seiner Meinung war und deshalb seine Taten billigte oder doch wenigstens nicht half, gegen ihn vorzugehen.
Deshalb vermochte er sich immer wieder durchzubringen, wenn einmal Gefahr für ihn im Verzuge war.
Und hier in diesem abgelegenen Städtchen hatte er alle Leute auf seiner Seite. Er hieß hier nicht Cassedy, sondern Mike Sommers. Und bekleidete sogar das Amt des Mayors in der Stadt.
Als er jetzt den Peon sah, zog er die geradegewachsenen Brauen zusammen, so daß sie einen einzigen Strich bildeten.
»Was willst du?«
»Mister Cassedy, ich…«
Da fuhr ihn der Desperado an: »Mein Name ist Sommers, Boy, merke es dir.«
Hal grinste scheel. Er glaubte, verstanden zu haben.
»All right, Mister Sommers, wie Sie wollen.«
»Nicht wie ich will, Boy, sondern wie es ist.«
»Well.« Und nun berichtete Hal, was er zu berichten hatte.
Fassungslos starrten ihn die Männer an. Ihre Galgenvogelgesichter wurden immer länger und ihre Augen immer größer. Cassedy hatte die Arme in die Hüften gestemmt und den Kopf ein wenig gesenkt.
Als Halbom Chester geendet hatte kam es rauh über die Lippen des Bandenführers.
»Du mußt geisteskrank sein, Boy.«
Hal richtete sich auf.
»Ganz sicher nicht, Mister Sommers. Ich habe lediglich die Absicht, schnell zu einer Stange Dollars zu kommen. Und Sie sollen mitverdienen, wenn Sie die beiden Kinder hierbehalten, bis das andere klar ist. Wenn ich den Treck hinter mir habe, hole ich das Geld, und Sie kriegen Ihren Anteil. Damit Sie nicht glauben, ich wolle Sie übers Ohr hauen: Sie brauchen die Kinder erst herauszugeben, wenn ich mit dem Geld hier bin.«
Ein böses Lächeln zuckte um den Mund des Führers der Sands.
»Übers Ohr hauen? Mich? Du? Hm. Los, führt die Wagen herein!« gebot Jack seinen Männern.
Dann standen sie im Hof.
Die Frau stand hinter Cassedy mit der Lampe.
Und Kid hielt eine zweite Lampe, die vorhin im Stall gehangen hatte.
Ed mußte absteigen.
Dann sahen sie Frank Macirian.
»Was ist mit dem?« fragte Cassedy mißtrauisch.
»Es ist unterwegs passiert«, sagte Edward Chester rasch, ehe sein Bruder etwas erklären konnte. »Mein Gewehr ging los, versehentlich, bei der ersten Rast. Ich habe ihn glücklicherweise aber nur oben über der Brust in die Schulter getroffen. Hal hat die Kugel schon herausgeholt.«
Cassedy zerrte die beiden Kinder aus dem Wagen, unbekümmert darum, daß er sie aus dem Schlaf riß und schob die weinenden, zitternden Würmer der Frau zu.
»Weg damit!«
Sie sah ihn mit ihren Zyklopenaugen an.
»Weg?«
In diesem einen Wort lag so viel Scheußlichkeit, daß Frank Ed einen raschen Blick zuschickte, der den jüngeren Chester veranlaßte, den Kopf zu senken.
Da packte die Frau die beiden Kinder bei den Armen und führte sie ins Haus.
Ed richtete sich auf.
»Hal, du hast den Leuten gesagt, daß die Kinder wohlbehalten nach Tucumcari zurückkommen müssen?«
»Ja, hab’ ich.«
»Halt’s Maul!« knurrte Cassedy.
Dann baute er sich vor Hal auf.
»Und weiter?«
»Was weiter?«
»Wann kriege ich das Geld?«
»Wenn die drei… die zwei Väter gezahlt haben.«
Cassedy senkte den Kopf auf eine für ihn typische Art und schob ihn vor, so als ob er das alles nicht verstanden habe.
»Wieviel Kinder sind es, Boy?«
»Zwei.«
»Drei.«
Hal sah ihn verblüfft an.
»Zwei, Mister Sommers.«
Da riß der Bandenführer blitzschnell einen Rückhandschlag hoch, der Halbom ungeschützt am Jochbein traf und ihn zurückwarf.
»Sommers! Was soll das!« zischte Hal.
»Komm her!« befahl Cassedy.
Hal kam zurück und baute sich vor ihm auf.
»Mr. Sommers, ich werde Ihnen jetzt etwas sagen…«
Da prallte ein zweiter Faustschlag mitten in sein Gesicht. Hal zog in rasender Wut den Colt.
Da schlug Cassedy ein drittes Mal zu.
Aber Halboms Kugel durchriß der Hemdsärmel des Bandenführers und traf die Lampe des hinter ihm stehenden Kid.
Hal torkelte zurück, den Colt noch in der Hand.
»Nimm das Eisen runter, Junge, sonst schlage ich dich tot!« sagte der Banditenführer mit seiner Reibeisenstimme.
Und als Hal nicht gehorchte, brüllte Ed: »Laß den Colt fallen, Hal. Er kann dir doch nichts tun!«
Ein Backhander traf Ed und warf ihn zurück.
Und jetzt bekamen die beiden Chesters mehr Schläge, als sie bisher in ihrem ganzen Leben zusammengenommen bekommen hatten.
Hal schob die Männer, vom Boden aufstehend, zurück und blieb schwankend vor Cassedy stehen.
»Das bereust du, Jack!« keuchte er. »Ich habe dir eine Falle gestellt! Du hast mich unterschätzt…«
Als Kid erneut mit einem schweren Prügel auf Halbom einhieb, stieß Cassidy ihn zurück und zog Hal an sich heran.
»Mach das Maul auf, Kleiner, sonst breche ich dir sämtliche Knochen.«
Hal blickte ihn aus schillernden Augen an.
Und der große Jack Cassedy, der Führer der gefürchteten Sands, wußte plötzlich, daß er da einen Menschen vor sich hatte, der aus dem gleichen Holz geschnitzt war wie er selbst.
Lächelnd stieß er ihn vor sich her.
»All right, Hal. Hebe deinen Revolver auf. Es war nur ein Spaß. Du verstehst doch Spaß? Eine Prüfung gewissermaßen, weißt du. Leute, die mit mir geschäftlich verkehren, werden erst geprüft.«
»Schöne Prüfung«, knurrte Ed, der eben seinen Banditen von sich schob und aufstand.
»So, Hal, nun pack aus und halte mich nicht auf«, mahnte Cassedy. »Schließlich sind wir jetzt Partner und teilen.«
»Teilen?« Hal Chester hatte ein Gesicht wie ein Teufel.
»Nein, Mister, davon war keine Rede. Sie bekommen ein Drittel, das ist mehr als genug.«
Cassedy hatte ein Zucken um die Winkel seines schmallippigen, häßlichen Mundes. Er mußte sich sehr beherrschen, die Maske nicht wieder fallen zu lassen.
»Ja, du kannst recht haben. Und wo ist also das dritte Kind?«
Hal verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Wagen.
»Eher schlage ich dir den Schädel ein, Cassedy, ehe ich es dir sage.«
Er lachte den Bandenführer entwaffnend an. Der entgegnete nur: »Mein Name ist Sommers, Hal.«
»Es ist mir einerlei, wie du dich nennst, und jetzt zum Geschäft! Ich hole die Kinder in genau zehn Tagen hier wieder ab. Das Geld bringe ich dann mit.«
»Wieviel?«
»Sie können in Tucumcari an der City Hall die genaue Zahl der Dollar lesen, die ich von den beiden Vätern verlange.«
»Von den drei Vätern«, meinte Cassedy verbessern zu müssen.
»Irrtum, Mister. Für Sie sind es nur zwei. Für die anderen natürlich drei.«
»Die anderen? Wer ist das?«
»Meine Sache.«
Wieder hatte Cassedy alle Mühe, sich zu beherrschen, um diesen fahlen Burschen da nicht auszulöschen.
Hal Chester war von der Art des Bandenführers, vom gleichen Schrot und Korn. Ganz sicher wäre er eines Tages ein ebenso gefährlicher Bandenführer geworden wie Jack Cassedy, wenn…
Dieses Wenn ritt soeben von Süden her in die Stadt.
In Gestalt von zwei Männern.
Der eine ritt einen Falbenhengst. Es war ein hochgewachsener Mann mit markant geschnittenem Gesicht und blauen Augen.
Er trug ein graues Katunhemd, eine schwarze Halsschleife, eine schwarze Levishose und einen schwarzen, flachkronigen Hut. An beiden Hüften hing je ein schwerer fünfundvierziger Revolver.
Es war niemand anderes als der berühmte Marshal Earp von Dodge City.
Und neben ihm, auf einem Rappen, ritt Doc Holliday, der Gambler und Gunfighter, der gerade so wie der Missourier seit einer Reihe von Jahren in Dodge City lebte.
Ausgerechnet vor Cassedys Haus hielt Wyatt Earp an, stieg vom Pferd, warf Holliday seine Zügelleinen zu und sah durch die noch offenstehende Haustür die Frau mit den beiden weinenden Kindern im Flur.
»Pardon, Madam…«
Die Alte stürmte auf die Haustür zu und warf sie ins Schloß.
»Nette Leute«, hörte der Marshal den Spieler vom Sattel aus spötteln. »Man sollte sich überlegen, ob man sich hier nicht ein paar Wochen zur Erholung einmietet.«
»Wie wäre es, wenn Sie mal nach einem Boardinghouse suchen gingen, Doc!« sagte der Marshal und kam auf die Straße zurück.
Der Spieler feixte.
»Wenn ich etwas suchen gehe, einerlei was es sein soll – es entpuppt sich am Schluß dann immer als Kneipe.«
Wyatt nahm sein Pferd am Zügel und führte es am Hof vorbei. Da hörte er dumpfe Schläge und unterdrückte Rufe. Auf der Straße war kein Wort zu verstehen, zumal nebenan eine Strohschneidemaschine gedreht wurde.
Da rief Holliday: »Hier, da haben wir ja alles: Bar und Boardinghouse. Die Bar für mich, das Boardinghouse für Sie.«
Der Gambler rutschte aus dem Sattel und warf nun seinerseits dem Marshal die Zügel zu.
Das Haus war schon verschlossen, aber auf das mehrmalige Klopfen des Georgiers erschien ein junger Wirt. Er hielt eine Stallaterne hoch, so daß er den späten Gast beleuchten konnte.
»Zwei Zimmer?« fragte er und musterte Holliday. »Ja, habe ich. Hier gleich über der Balustrade. Zwei gute Zimmer, pro Raum drei Dollar.«
»Für eine Woche ein tragbarer Preis«, schlug der Spieler schnell zurück.
Der Wirt grinste.
»Well, sagen wir zwei Dollar.«
»Kann ich die Räume sehen?«
Der Mann ging voran.
Als Holliday die beiden Zimmer besichtigt hatte, erklärte er, während er sich eine Zigarette anzündete: »Sie sind keine fünfzig Cents wert, aber jeder von uns schenkt Ihnen per Tag einen halben Dollar, dann machen Sie ein glänzendes Geschäft. Außerdem werde ich meinen Whisky bei Ihnen trinken, falls er genießbar ist.«
Der Wirt witterte Geldkundschaft und ließ sich auf den sauren Preis von einem Dollar pro Nacht und pro Nase ein.
Holliday ging zu dem Marshal vors Haus zurück.
»Die Zimmer gehen, den Whisky kenne ich nicht.«
Wyatt Earp fragte: »Und die Pferde?«
»Die kommen natürlich in den Stall«, entschied Holliday mit einer Handbewegung zum Wirt. »Unser freundlicher Gastgeber wird sie selbstverständlich sofort versorgen. Überhaupt ist er ein zuvorkommender, netter Mann, und ich werde mir das mit dem mehrwöchigen Aufenthalt dort überlegen!«
Die Worte gingen dem Schankwirt Babe Laughton ein wie Honig.
Trotz seiner dürftigen Bekleidung eilte er sofort auf die Pferde zu, um sich ihrer anzunehmen.
Seine Gäste blickten ihm solange nach, bis sie die Tiere im Stall versorgt wußten, und gingen dann in das Haus.
Doc Holliday stieß oben eine Zimmertür auf – da fiel drüben der Schuß.
Die beiden Dodger eilten ans Fenster und vermochten einen Blick auf die gespenstische Szene drüben im Hof zu werfen.
»Kein Licht machen«, mahnte Wyatt den Spieler.
»Wo werde ich denn. Hier gibt es doch zum Sonderpreis von einem Dollar offenbar noch eine ländliche Komödie dazu.«
So beobachteten die beiden Männer die Vorgänge auf dem gegenüberliegenden Hof, soweit sich dies über die ganze Breite der Mainstreet hinweg tun ließ.
Der Missourier hatte sein Nelsonrohr hervorgeholt, um die Gesichter der Männer dort drüben besser beobachten zu können. Plötzlich zog er die Brauen zusammen.
»He, wenn ich diese Raubvogelfratze nicht schon irgendwo gesehen habe, will ich Jeremias heißen!«
Er reichte Holliday das Glas.
Der blickte hindurch und sah jedes einzelne Gesicht scharf an.
»Kenne keinen davon. Wen meinen Sie?«
»Den langen Burschen, der den Kopf gesenkt hält und mit gespreizten Beinen und nach innen stehenden Füßen in der Mitte des Kreises steht.«
»Scheint der Boß in dem netten Laden zu sein. Wahrscheinlich hat er vorhin die beiden armen Würmer noch verprügelt, ehe sie ins Bett kamen.«
Wyatt Earp nahm das Glas zurück und beobachtete weiter den Hof.
Für die zerschossene Lampe hatte einer der Männer rasch eine andere angezündet. Das ermöglichte den beiden stillen Beobachtern, die Vorgänge auf dem Hof im Fernrohr deutlich zu sehen.
»Also, diesen Burschen kenne ich«, wiederholte der Marshal.
»Gut oder schlecht?« wollte der Georgier wissen.
»Bestimmt schlecht. Da war irgendeine düstere Geschichte, die mich mit ihm zusammengebracht hat. Der Mann ist eine ganz undurchsichtige Erscheinung. Wenn ich ihn einmal sprechen hören könnte, dann wüßte ich vielleicht, woher ich ihn kenne.«
»Wahrscheinlich interessieren sich ein Dutzend Sheriffs und ebenso viele Richter für ihn!«
»Richter!« Wyatt ließ das Glas sinken. »Zounds, ich habe es. Ich habe den Kerl in einer Gerichtsverhandlung drüben in Amarillo gesehen. Da sagte er aus. Er war zwar nicht angeklagt, aber er unterschied sich von dem Mann auf der Anklagebank lediglich darin, daß er keine eisernen Handfesseln trug. Es ging damals um einen Überfall im Sands. Ein einzelner Reiter ist angefallen worden und entkam zwei Banditen. Einen von ihnen hatte er in Amarillo wohl wiedererkannt, eine Zeitlang nach dem Überfall. Da tauchte dieser Mensch da drüben als Zeuge auf. Er bezeugte, daß der Beklagte zu der betreffenden Zeit mit ihm zusammen drüben in Oklahoma City gewesen sei. Ja, so war es, und als er den Raum in der großen City Hall von Amarillo verließ, blickten ihm eine Menge Männer mit sonderbaren Augen nach. Ich habe diese Gestalt niemals vergessen, weil mich der herrische Blick und das mehr als selbstsichere Auftreten dieses Menschen damals mißtrauisch gemacht hatten.«
»Wissen Sie noch, wie er hieß?«
»Warten Sie… Winters oder so. Kann auch irgendein ähnlich klingender Name sein, der jedenfalls unecht wirkte. Ein gerissener, hartnerviger Mann mit befehlsgewohntem Gehabe und einem Auftreten, das mich auf merkwürdige Weise an Ike Clanton erinnerte!«
Doc Holliday hatte sich auf einen der plüschbezogenen Sessel niedergelassen und meinte seufzend: »Wäre es da nicht richtiger, wenn wir uns gleich wieder in unsere Sättel setzten und zusehen, daß wir rasch aus dieser behaglichen Gegend kommen? Denn wenn Sie erst irgendwo hintreten, dann ist da etwas faul.«
Wyatt Earp wandte keinen Blick vom Fenster.
»Am liebsten würde ich jetzt…«
»Ich weiß«, unterbrach ihn der Spieler und erhob sich, schob seine beiden elfenbeinbeschlagenen Revolver nach vorn und stülpte seinen Hut auf. »Gehen wir also, es ist tatsächlich auch besser so. Sonst schlafen wir am Ende noch schlecht.«
Sie verließen das Haus durch die Hoftür, die der Wirt nicht abgeschlossen hatte, als er aus dem Stall kam.
Dunkel lag die Straße vor ihnen.
Ein sichelscharfer Neumond stand hoch über der Mainstreet und warf ein geisterhaftes Licht auf die Häusergiebel.
Wyatt Earp und Doc Holliday überquerten die Straße und blieben neben dem Hoftor Cassedys stehen.
Es war ruhiger geworden da drinnen.
Die beiden lauschten und vernahmen nur Wortfetzen.
Bis der Marshal dann ganz deutlich hörte, wie ein Bursche sagte: »Und damit wir uns verstehen: Den beiden Kindern geschieht nichts. Hal hat es versprochen.«
Doc Holliday meinte, als sich die beiden Dodger etwas vom Hof entfernt hatten: »Glauben Sie wirklich, daß sich diese Burschen nur der Kinder wegen so aufgeführt haben?«
»Das soll es ja geben. Aber ich glaube es nicht. Vor allem nicht, weil dieser Winters dabei ist.«
Sie beschlossen, durch eine Quergasse an die Rückfront des Anwesens heranzugehen, um von dort aus vielleicht ungestörter Einblick in die Geschehnisse zu gewinnen, die sich da abspielten.
Es war Edward Chester gewesen, der diesen Satz gesprochen hatte: »Und damit wir uns verstehen: Den beiden Kindern geschieht nichts. Hal hat es versprochen.«
Danach wandte sich Ed um, packte Frank Macirian am linken Arm und schob mit ihm zum Tor.
»Wo wollen die beiden hin?« fragte Cassedy knurrend Hal Chester.
»Weiß ich es? Wahrscheinlich will Ed ein Bett für Frank suchen.«
»Ein Bett? Wozu, wir haben einen großen Heuschober.«
Aber Ed Chester war schon auf der Straße und warf das Tor hinter sich und dem Arizonamann zu.
Stumm überquerten die beiden Männer die Straße.
Ed hatte schon beim letztenmal, als sie hier durchkamen, das kleine Hotel drüben an der Ecke gesehen.
Jetzt klopfte er dort ein Mädchen heraus, das ein kleines Zweibettzimmer richten mußte.
So hatte Ed den Verletzten unter Aufsicht, Frank konnte sich nicht heimlich davonstehlen und den Sheriff informieren.
Gleichzeitig konnte Ed beruhigt darüber sein, daß Macirian wohl aufgehoben war.
Dem Umstand, daß niemand die beiden beobachtet hatte, verdankten sie mehr, als sie ahnten.
Das Schicksal hatte indessen in Gestalt des Marshals Earp und seines Begleiters des Georgiers Doc Holliday eingegriffen. Die beiden Freunde hielten mit Riesenschritten auf die Rückfront von Cassedys Anwesen zu.
Hal wollte gerade seinem Bruder folgen.
»Wo willst du hin?« rief ihm Cassedy nach.
»Meine Sache.«
»Irrtum, Brother, wir sind Partner.«
»Wenn schon. Ich kann gehen, wohin es mir beliebt. Du hast ja mein Pferd.«
»Das kann eine böse Falle sein…«
Da blieb Hal Chester stehen und wandte sich um. Er sah jetzt, im äußersten Kreisring des Lichtes stehend, plötzlich sehr gefährlich aus.
»Hör zu, Jack Cassedy, ich werde dir etwas sagen: Wenn du glaubst, daß ich dich fürchte, hast du dich geirrt. Sicher, du bist ungefähr fünfzehn Jahre älter als ich, aber ich bin Hal Chester und lasse mich von niemandem aufhalten und von meinem Ziel abbringen. Ich werde Geld haben. Du bekommst einen Teil, und zwar genau den, den ich dir zugedacht habe. Keinen Cent mehr, und von nun an wirst du dich so geben, wie sich ein Partner in deiner Lage zu geben hat. Vergiß nicht, daß ich bis jetzt ein einfacher braver Peon von der Gloster Ranch bin, du aber der Anführer von…«
Cassedy hatte seinen Revolver in der Hand.
Aber Hal war wenigstens ebensoschnell gewesen.
»Haltet ihn fest!« brüllte Cassedy seinen Männern zu.
Dann peitschte ein Schuß los.
Halbom Chester hatte ihn nicht abgegeben, er kam aus dem Revolver des Desperados Cassedy.
Hal stand reglos da und starrte aus weiten Augen zu dem Bandenführer hinüber.
»Damned, Jack – das war… unfair. Ich habe dir… ein Geschäft gebracht… Die Kinder.«
»Du bist ein Betrüger!« stieß Cassedy rauh hervor. »Du hast zwei Kinder gebracht und das dritte an einem anderen Ort versteckt.«
Nun knickte Hal Chester im linken Knie ein. Noch immer hatte er den Colt in der Hand.
»Mörder! Du bist ein Mörder!« schrie Chester.
Da peitschte ein weiterer Schuß über den Hof, der Hal zurückwarf.
»Ed!« stieß der Sterbende heiser hervor. »Ed! Bring die Kinder zurück! Ed…, du mußt sie ihm wegneh…«
Aus kalten Augen blickte Cassedy auf sein zusammengesunkenes Opfer nieder.
Die beiden Dodger waren, als sie den Schuß hörten, schon bis an den hohen Palisadenzaun gekommen.
Die kleine Pforte, die durch ihn ins Freie führte, war natürlich verschlossen.
Da peitschte der Schuß. Wyatt war an den Pfählen und hörte die Schreie des Getroffenen.
»Damned! Doc, schnell!«
Holliday sprang vor ihm an die Fenz, spreizte die Beine und schob seine Hände zu einem Tritt zusammen.
Der Missourier mußte einen Anlauf nehmen.
Ein harter, kurzer Ruck ging durch den Körper des Spielers, dann flog der dunkle Körper des Marshals über die Palisaden in den Hof.
Cassedy und seine Männer hatten das Geräusch gehört und fuhren herum.
»Da! Ein Mann!« schrie der Bandenführer.
Zwei seiner Leute standen ihm im Weg.
Wyatt wich bis an die Pforte zurück, den großen Buntline Revolver in der Linken. Mit der Rechten tastete er hinter sich nach dem Riegel, der die Pforte verschloß.
Da sah er, daß der Mann, der seiner Erinnerung nach Winters hieß, sich, gedeckt durch seine Leute, davonstahl.
»Stehenbleiben!« donnerte der Marshal über den Hof.
Da blieben die Banditen stehen.
Nur Cassedy nicht.
Im Hechtsprung hatte er das Stallhaus erreicht und sich in die offenstehende Tür geworfen.
»Doc, er ist im Stallhaus!« brüllte der Missourier, und da hatte er die Verriegelung auch schon aufgezogen.
Holliday stieß das Pförtchen auf, lugte kurz mit seinem Revolver in den Hof, erkannte das Stallhaus und federte zurück.
Die Banditen standen wie angenagelt da. Sie waren sich nicht klar darüber, wie viele Gegner sie da bekommen hatten.
Und der große, dunkle Fremde wirkte so drohend und gefährlich, daß noch niemand wagte, ihn anzugreifen.
»Mein Name ist Earp. Wyatt Earp…«
Er kam nicht weiter.
Der einundzwanzigjährige Frederic King schnellte zur Seite und riß den Revolver heraus.
Aber er hatte keine Chance gegen den eisernen Mann aus Missouri. In seinen Schuß hinein röhrte der schwere Revolver Wyatt Earps und schlug ihm in den rechten Arm.
King robbte weiter zur Seite.
Da glaubte auch der rothaarige Sands-Mann John McColm, handeln zu müssen, denn er hatte genauso viel Grund, den Gesetzesmann zu fürchten wie King.
McColm sprang zur Seite und warf sich im Fallwurf mit dem gezogenen Revolver wieder zurück. Ein übler, gefährlicher Trick.
Wyatt Earp aber kannte ihn und hatte damit gerechnet.
Auch McColm kam zu keinem Treffer.
»Bleibt stehen, Männer! Der Hof ist umstellt. Wer leben will, gibt auf!«
Drei der Tramps hoben die Hände. Es waren die Brüder Enders und der dicke Flerry.
John Teck stand mit verkniffenem Gesicht da und blickte zum Stall hinüber. Dann schrie er: »Jack! Damned, reiß uns raus!«
Aber Jack Cassedy hatte in diesem Augenblick alle Mühe, sich selbst rauszureißen. Doc Holliday kauerte unten neben dem Stall und wartete.
Leider störte ihn der Lärm im Hof so sehr, daß er nicht bemerken konnte, wie sein Mann am Südende des Stalles vom Dach glitt und tief am Boden durch den Sand zu einer freistehenden Gerätehütte robbte.
Als Cassedy sie erreichte, erhob er sich und konnte ungesehen entkommen.
Holliday war eine Minute später auf dem Dach des Stalles. Leer!
Er rutschte zurück und stieg in das große Fenster, durch das Cassedy entkommen war.
Dann stand er in der Stalltür und sah den Marshal drüben im Dunkel an der schwarzen Fenz stehen. Vor sich hatte er sieben Männer.
»Hände hoch!« zischte Holliday in ihre Rücken.
Da endlich krochen die Hände der Banditen hoch.
Holliday entwaffnete die Männer blitzartig, schleuderte die Revolver in eine unverdeckte Jauchegrube und meinte: »Der Vogel hat Luft bekommen, Marshal. Was wird mit denen hier?«
»Ins Jail.«
Sheriff Plumback war ein kleiner dicklicher Mann, der schon geschlafen hatte.
Als er hörte, wer ihn da weckte, und um was es ging, verzog er säuerlich das Gesicht.
Noch hatte der Marshal nicht erkannt, welches Nest er da ausgehoben hatte und wer der Gegner eigentlich war, mit dem er sich kurz entschlossen angelegt hatte.
Plumback erkannte die Burschen alle genau. Es waren Cassedys engste Freunde.
Kid grinste dem Sternträger zu, was bedeuten sollte: Wir machen das Spiel mal mit, und du hältst das Maul. Jack bringt schon alles in Ordnung!
Der Marshal und sein Freund hatten es nicht gesehen.
Wyatt Earp wartete, bis die sieben Männer in den Zellen steckten. Dann sagte er: »Kommen Sie mit, Sheriff?«
»Wohin?«
»Ich zeige es Ihnen.«
Er führte den auf krummen Beinen daherwatschelnden Plumback in den Hof Cassedys.
Vor die Leiche des Peons Halbom Chester, dessen Weg so rasch zu Ende gegangen war, dessen ehrgeizige und zugleich krankhafte Pläne hier durch zwei Kugeln durchkreuzt waren.
»Wer ist der Mann?« krächzte der Sheriff.
»Keine Ahnung. Ich weiß nur, daß der Tote Hal heißt. Und sein Mörder heißt Jack.«
»Das ist verdammt wenig.«
»Wenig? Finden Sie?« Wyatt blickte den kleinen Mann mit dem sechszackigen Stern forschend an. So forschend, daß Plumback es vorzog, sich abzuwenden, um sich mit umständlichen Bewegungen eine lange Strohhalmzigarre anzustecken.
»Wem gehört dieses Haus?«
»Einem Bekannten von mir, einem ehrenwerten Mann, dem Mayor von Garcia.«
»Wie heißt er?«
»Sommers.«
Wyatt Earp tauschte einen raschen Blick mit dem Spieler.
Der hatte sich gerade eine Zigarette angezündet, schnipste das Zündholz von sich und fand: »Gar nicht so schlecht, eine Jahreszeit war es auf jeden Fall.«
Der Sheriff blickte ihn finster an.
»Was meinen Sie, Mister…?«
»Holliday, John Henry Holliday, Sheriff.«
»Was?« wandte sich Plumback erschrocken an den Marshal. »Das ist Doc Holliday?«
Wyatt Earp nickte, während er durch die Tür trat.
»Ja, Doc Holliday. Ich hoffe, es freut Sie, Sheriff, seine Bekanntschaft zu machen.«
»Doch, natürlich. Natürlich«, beeilte sich der Dicke unsicher zu beteuern.
Der Marshal war indessen ins Haus gegangen und hatte die Frau aus der Küche geholt.
»Bringen Sie die Kinder herunter!«
»Welche Kinder?«
Holliday, der seitlich hinter dem Missourier an der Flurwand lehnte, meinte: »Ich rate Ihnen gut, Madam, sich nicht schwerhörig zu stellen. Der Marshal ist schlechter Laune. Holen Sie die beiden Kinder runter, ehe es Ärger gibt.«
Aber die Schwester des Bandenführers war verstockt und härter, als der Spieler vermutet hatte.
»Wir haben keine Kinder.«
Da trat Wyatt Earp an sie heran.
Das Kerosinlicht, das der Sheriff in der Hand hielt, warf ein zuckendes Licht in den Hausgang und geisterhafte Schatten über das Gesicht des Missouriers.
»Ich habe Sie aufgefordert, die beiden Kinder herunterzubringen, die Sie vor einer Viertelstunde hier durch den Flur der Treppe hinaufschoben. Ich kam ja vorn an die Tür, die Sie mir zu spät vor der Nase zuwarfen. Ich warte genau drei Minuten. Doc Holliday wird Ihnen dabei helfen.«
Die Frau starrte mit glasigen Augen in das Gesicht des Marshals, und jetzt roch Wyatt Earp, was er schon vermutet hatte: Diese Frau war betrunken.
Eine Trinkerin wahrscheinlich. Daher ja auch ihre Unbekümmertheit allen Drohungen gegenüber.
Holliday griff entschlossen zu, packte sie am Arm und hielt ihr mit der Rechten den Revolver entgegen.
»Komm, schönes Kind, der Marshal hat es eilig. Und jedem Richter der Welt ist es lieber, dich tot zu sehen als die beiden Kinder! Vorwärts!«
Er zerrte sie die Treppen hinauf.
Holliday durchstöberte die vier Zimmer oben.
Ohne Erfolg.
Das Licht, das die Frau angezündet hatte, war so schwach, daß man nur zwei Schritt weit sehen konnte.
Holliday blickte die Frau aus harten, eisigen Augen an.
»Sie sind betrunken, well, Ihre Sache. Meinethalben werden Sie dann im Schnapsrausch zur Hölle fahren.« Er setzte die kleine Lampe auf den Boden, stieß den Revolver vor und spannte den Hahn.
»Schicken Sie noch einen Blick gen Himmel, denn es ist gleich zu Ende.«
Unwillkürlich blickte die Frau hoch. Sie war plötzlich nüchtern geworden.
Holliday folgte ihrem Blick und gewahrte zu seiner nicht geringen Verwunderung eine gut getarnte Bodenklappe an der Decke.
Rasch senkte er den Blick.
»Warten Sie, ich habe es mir überlegt, ein so schnelles Ende wäre eine Gnade für solch eine Kreatur. Der Marshal wird Sie an den Galgen bringen! Sheriff! Sie kommt hinunter!«
Er schob die Alte zur steil nach unten führenden Treppe.
Als sie unten war, sprang er in einem federnden Satz hoch und bekam den kleinen Ring zu fassen, mit dem man die Klappe öffnen konnte.
Aber nirgends war eine Leiter zu sehen.
Wyatt Earp kam die Treppe hinauf.
Er blickte zu der Bodenklappe hoch und stellte sich genau darunter.
Jetzt machten sie es umgekehrt. Doc Holliday lief an, trat auf die zum Tritt geformten Hände des Marshals, bekam oben den Bodenrand zu fassen, jumpte sich hoch und kniete im Bodenraum.
»Die Lampe, Wyatt.«
Der Marshal reichte sie ihm hinauf.
Doc Holliday begann, den großen Bodenraum abzuleuchten.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er in einer niedrigen Ecke gleich unterm Dach auf einer Strohschütte die beiden Körper entdeckte.
Er stürmte darauf zu und hielt inne.
Seine entsetzliche Befürchtung traf glücklicherweise nicht zu.
Vor ihm lagen unter einer Decke ein kleines Mädchen und ein kleiner Junge. Beide schliefen tief und hatten ihre pausbäckigen Gesichtchen ins Stroh geschoben.
Der Spieler brachte es nicht fertig, sie aufzuwecken.
»Doc!« hörte er da die Stimme des Marshals.
Auf Zehenspitzen kam er zur Klappe zurück.
»Schon mal zwei Engel schlafen gesehen, Marshal?« fragte er leise.
Der Marshal, den ebenfalls eine Furcht befallen hatte um die beiden Kinder, atmete hörbar auf.
»Alles in Ordnung?«
»In bester Ordnung. Ich komme runter.«
Holliday reichte die Lampe hinunter und rutschte dann durch die Klappe, die er wieder hinter sich zuzog.
Unten im Korridor stand der Sheriff mit der Lampe vor der Frau.
Margret Cassedy lehnte zusammengekauert an der Wand.
Ihr hageres Gesicht wirkte jetzt eingefallen wie das einer Greisin. Das Kopftuch war verrutscht und hing ihr tief in die Stirn.
Der Marshal sah sie groß an.
»Wollen Sie nicht sprechen?«
Die Frau schüttelte den Kopf.
»Well, dann ist alles Weitere Ihre Schuld.«
Da warf sie den Kopf hoch.
»Was? Was ist meine Schuld? Habe ich ihn so gemacht? Er ist ein…«
»Verbrecher! Das wissen wir.«
Aber wußte der Marshal auch alles? überlegte die Frau. Wußte er wirklich, wen er da aus seinem Rattennest aufgestöbert hatte?
Der Sheriff stand mit zuckendem Gesicht dabei.
Wyatt blickte sich nach ihm um.
»Sie wissen auch nichts weiter, Mister Plumback?«
Der Sheriff schüttelte den Kopf.
Da donnerte ihn der Missourier plötzlich an: »Mister Plumback, Sie tragen den Stern des Gesetzes! Offenhar haben Sie vergessen, zu was Sie sich da verpflichtet haben. Sie müssen dem Gesetz dienen und nicht einem Schurken gehorchen, den Sie vielleicht zu fürchten haben. Wer ist dieser Mann, der den Burschen da draußen niedergeschossen hat?«
»Sommers, Marshal. Jack Sommers. Was soll ich mehr sagen?«
»Alles müssen Sie sagen! Es geht hier um zwei schwere Verbrechen, um Mord und Kindesraub. Wo kommen die beiden Kinder her? Und wer ist der Tote im Hof dort?«
»Den Mann kenne ich nicht.«
»Und seinen Mörder?«
»Ich weiß ja nicht, ob Jack ihn erschossen hat.«
»Well, Mister Plumback. Ich werde dem Gouverneur berichten, welch zuverlässigen Sheriff er hier in dieser Stadt sitzen hat.«
Earp tat, als wolle er sich abwenden.
Da packte der alternde Sheriff ihn am Arm.
»Warten Sie, Mister Earp«, sagte er.
Die Frau schrie plötzlich auf: »Wenn Sie reden, Sheriff, sind Sie ein toter Mann!«
»Noch ein Wort, Madam«, fuhr da der Spieler sie an, »und ich vergesse meine gute Erziehung. Sie wagen es, den Sheriff zu bedrohen in Gegenwart des Marshals? Wissen Sie, daß Sie sich jetzt selbst erledigt haben?«
Der Kopf der Frau sank auf die Brust hinab.
Wyatt Earp empfand schon Mitleid mit diesem zerrütteten Geschöpf.
»Jack Sommers ist Ihr Sohn?«
Sie schüttelte den Kopf.
Da krächzte der Sheriff: »Er ist ihr Bruder.«
»Und wer ist der Tote?«
»Ich kenne ihn nicht. Er kam heute abend…«
»… mit den Kindern?« schoß Holliday blitzschnell dazwischen.
»Das weiß ich nicht.«
»Lügen Sie nicht! Sie wissen es. Und wenn Sie so irrsinnig sind, mit dieser Lüge Ihres Bruders wegen zum Galgen gehen zu wollen, dann ist das Ihre Sache.«
Wyatt Earp ergriff das rechte Handgelenk der Frau: »Stoßen Sie sich nicht noch tiefer ins Elend, sprechen Sie!«
»Ich weiß ja nichts.«
»Der Mann kam heute abend mit den Kindern?«
»Ich glaube.«
»Kam er etwa mit den drei Wagen, die im Hof stehen?«
»Ich weiß es nicht.«
Wyatt Earp drehte ihr den Rücken zu und ging hinaus.
Holliday, der Sheriff und die Frau folgten ihm.
Der Missourier hatte eine der Planen angehoben. »Rinderhäute! Der Wagen kommt von einer Ranch!«
Das war dem erfahrenen Mann sofort klar. Und Rinderhäute wurden in dieser Gegend nach Levelland gefahren.
»Sheriff, nehmen Sie die Frau mit ins Jail.«
Mit gesenktem Kopf trottete die Frau neben dem Sheriff her.
Doc Holliday und Wyatt Earp standen jetzt allein im Hof.
»Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als die Kerle im Jail in die Mangel zu nehmen«, meinte der Georgier.
»Die sind bestimmt noch verstockter als die Frau und haben auch mehr auf dem Gewissen als sie.«
»Ich möchte den Mann finden, der vorhin gerufen hat: Hal hat versprochen, daß den Kindern nichts geschieht.«
Wyatt Earp rieb sich nachdenklich das Kinn.
»Mit diesen drei Wagen ist der junge Mensch da nicht allein gekommen. Es sind an jeder Deichsel Stränge. Also waren wenigstens sechs Pferde bei dem Treck. Und die überläßt kein Rancher der Welt einem einzelnen Burschen. Selbst mit zwei Männern wäre es ein gefährlicher Transport, bei dieser nicht eben wertlosen Ladung. Es müssen drei Driver gewesen sein. Einer von ihnen ist tot. Wo sind die beiden anderen?«
»Wahrscheinlich im Jail.«
Wyatt nickte. »Leider ist das nicht ausgeschlossen.«
Daß er aus den Männern im Jail nichts herauspressen könnte, hatte er schnell begriffen. Er verstand sich auf Gesichter. Zu lange jagte er Banditen, zu viele Menschen hatte er kennengelernt, als daß er nicht gewußt hätte, was er von solchen Gesichtern zu halten hatte.
Der Marshal schärfte dem Sheriff ein, daß er auf jeden Fall die drei Wagen mit Rinderhäuten sicherzustellen habe. Wenn sich jemand meldete, der sie holen wolle, so habe er sich zu legitimieren. Außerdem erklärte Wyatt dem Sheriff, es sei anzunehmen, daß außer diesem Hal noch andere Männer bei dem Treck gewesen seien.
Der Sheriff beteuerte, alles verstanden zu haben und es ganz sicher dem Gesetz entsprechend zu regeln.
Wem gehörten die Kinder?
Wyatt hatte schnell festgestellt, daß die Ranch, von der die Wagen stammte, sich G-Ranch nannte. Ferner konnte er feststellen, daß die Rinderhäute das G-Zeichen und ein Hufeisen trugen. Auch an den tief eingedrückten Spuren der schweren Prärieschooner vorm Tor erkannte er, daß der Treck von Westen gekommen war.
Also hatte er die G-Ranch höchstwahrscheinlich im Westen, wahrscheinlich sogar im Nordwesten zu suchen, denn Garcia lag an der schmalen alten Overlandstraße hinüber nach New Mexico.
Das waren schon ganz gute Anhaltspunkte, und der Marshal war sicher, die Ranch finden zu können.
Wo aber steckte der Mörder?
Hatte er sich hier in einem der wenigen Häuser verborgen?
Oder war es ihm gar gelungen, ein Pferd zu bekommen und zu fliehen?
Wyatt hielt die letztere Möglichkeit für wahrscheinlicher. Dieser Bandit hatte nicht nur seine Schwester unter seiner Gewalt, sondern ganz offensichtlich noch mehr Leute in diesem abgelegenen Nest.
Wer war dieser Jack Sommers?
Der Mann hatte den Namen des Marshals gehört, wußte also, wer gegen ihn stand und hatte mit seiner Flucht bewiesen, daß er allen Grund hatte, sich rasch auf und davon zu machen.
Der Marshal kannte solche Orte, er kannte auch die Menschen, die gezwungen waren, in ihnen zu leben. Oft wurde eine ganze Stadt von einem einzigen Banditen regelrecht tyrannisiert und war so eingeschüchtert, daß es keiner wagte, sich dagegen aufzulehnen oder gar den Verbrecher zu verraten.
Aus diesem Grunde verwarf der Missourier den Gedanken, in der Ansiedlung Nachforschungen zu halten.
Diesem Umstand verdankten es Edward Chester und der Verletzte, daß sie zunächst unentdeckt blieben.
Wyatt Earp nahm einen leichten, hochrädrigen Wagen aus dem Schuppen Sommers, legte seine niedrige Ladefläche mit Stroh und Decken aus und schaffte so einen guten Platz für die beiden Kinder.
Noch bevor die Nacht zu Ende war, verließen er, Doc Holliday, der kleine Juan Gonzales und die vierjährige Erica Hartman das düstere Garcia, das Banditennest, die Bleibe des Anführers der Sands, Jack Cassedy.
Doc Holliday ritt voran, und der Marshal, der seinen Falben eingespannt hatte, lenkte den Wagen.
Die beiden Kleinen waren so müde, daß sie trotz des holprigen Weges rasch wieder einschliefen.
Wichtiger als der Mörder und alles andere sonst war jetzt, die beiden Kinder so rasch wie möglich zu ihren Eltern zurückzubringen.
Sie hielten auf die Grenze zu und kamen auf die sandige Straße nach San Jon.
Als die Sonne aufging, hatten sie schon ein gutes Stück Weg hinter sich gebracht. Und jetzt fand der Marshal seine Vermutung bestätigt, die drei Schooner waren auf diesem Weg gekommen. Ganz deutlich vermochte er immer wieder ihre Wagenspuren zu erkennen. Es waren besonders schwere Wagen, die großen Räder hatten breite Stahlbänder, und das beachtliche Gewicht der Häute hatte die Räder zuweilen sehr tief einsinken lassen.
Von Garcia nach San Jon hatten sie mehr als dreißig Meilen zurückzulegen. Aber sie schafften die Strecke fast in der Hälfte der Zeit, die die schweren Planwagen dazu benötigt hatten.
Leicht rollte der Highlander, von dem hochbeinigen Falben spielend gezogen, dahin. Doc Holliday ritt immer so weit voraus, daß der Marshal und die beiden kleinen Passagiere kaum Staub zu schlucken hatten.
Plötzlich sah der Marshal, daß der Spieler seinen Rappen anhielt.
Wyatt fuhr näher heran, hielt dann ebenfalls an und stieg vom Kutschbock.
Doc Holliday war abgestiegen und betrachtete Fußspuren, die vom Weg ab in den Sand und zwischen dem Steppengras hindurchführten.
»Was mag das zu bedeuten haben?«
Wyatt Earp hatte die Eindrücke eine Weile betrachtet und erklärte dann: »Hier hat ein Kampf stattgefunden.«
»Zwischen den Leuten vom Wagen?«
»Schwer zu sagen. Möglich wäre es ja, da die Spuren alle wieder zur Straße führen.«
»Vielleicht haben die beiden anderen sich hier mit diesem Hal gestritten.«
»Irgend etwas ist da noch unklar. Aber ich werde es herausfinden!«
Sie machten eine Rast. Die Kinder bekamen zum erstenmal in ihrem Leben ein Essen vom Campfeuer mitten in der Savanne.
Am gestrigen Tag hatten sie nur Brot gekaut und vor Angst und Aufregung kaum Appetit gehabt.
Es hatte bis zum Mittag gedauert, bis zumindest das kleine Mädchen so viel Vertrauen zu den neuen Onkeln gefaßt hatte, daß es den Marshal ansah und fragte: »Bringst du uns wieder zu Mutti?«
»Ja.«
»Heute noch?«
»Ich hoffe es sehr. Jetzt müßt ihr erst gut essen, damit ihr uns nicht umfallt, ihr Präriezwerge.«
Holliday hatte anschließend in seinem kleinen Kupferkessel einen Kaffee gemacht, wovon auch die Kinder, nachdem er stark verdünnt und gezuckert worden war, etwas bekamen.
Der Georgier kniete sich neben dem Mädchen nieder. Er nahm seine Uhr aus der Tasche und zog sie auf, dann hielt er sie dem Kind an das Ohr.
Die kleine Erica lauschte dem klingenden, weichen Schlag und lachte silberhell auf.
»Das ist hübsch.«
Holliday fragte: »Hatte denn von den Männern, mit denen ihr gestern gefahren seid, keiner eine Uhr?«
»Nein. Ich weiß nicht, Onkel Hal vielleicht. Aber er hat nicht mit uns gesprochen.«
Fast wie aus einem Munde fragten die beiden Dodger: »Und wie heißen die anderen?«
Der Junge richtete sich auf und zog die Brauen wichtig in die Stirn.
»Ich weiß es, Onkel Ed, der war lieb, und Onkel Frank, der war noch lieber. Aber er war krank. Deshalb mußte Onkel Hal ihn verbinden.«
Die beiden Männer tauschten einen raschen Blick miteinander.
Bald wußten sie, daß Onkel Ed und Onkel Frank auf einem Wagen saßen und einer der Männer verwundet oder verletzt war, und daß Hal auf dem ersten Wagen gesessen hatte.
Der Junge erzählte, daß sein Vater viele schöne Pferde hätte, und das kleine Mädchen wußte zu sagen, daß es einen Hund hätte, der Cari hieße, und eine schwarze Katze namens Mot. Und die Köchin sei schwarz wie die Katze und hieße Myrian.
Aber aus welcher Stadt sie kamen, das wußten beide nicht.
In dieser Stunde befanden sich der Marshal Earp und Doc Holliday nur noch elf Meilen hinter dem flüchtigen Mörder, der die ganze Nacht durchgeritten war.
Bei Sonnenaufgang stieg Cassedy aus dem Sattel und machte unter einer Valoriastaude Rast. Da war ihm etwas passiert, das einem flüchtenden Mörder, der den Marshal Earp hinter sich wußte, niemals passieren durfte: Er war eingeschlafen und erwachte erst, als die Sonne schon hoch am Himmel stand.
Mit einem Satz kam er auf die Beine.
Er sah sich um. Weit und breit niemand zu sehen.
Jack Cassedy hätte sich natürlich nach Süden wenden können, wohin ihm so leicht niemand gefolgt wäre, in sein Land, zu den Sands, die da überall herumlungerten und ihrem Anführer ganz sicher gegen jedermann beigestanden hätten.
Aber erstens wäre ihm Wyatt Earp auch dorthin gefolgt, er kannte den Llano und hatte ihn oft nach allen Richtungen hin durchquert, und zweitens trieb den Banditen ein Gedanke, den er kaltstirnig verfolgte: Irgendwo auf dem Weg von Tucumcari mußte Halbom Chester das dritte Kind gelassen haben.
Sie waren mit drei Kindern gekommen. Und sie hatten sich keinen Umweg leisten können mit den schweren Wagen. Die Route mochte ihnen der Rancher zwar nicht genau vorgeschrieben haben, da er sich da weitgehend auf die des Landes kundigen Texaner verlassen haben würde. Der Rancher mochte sich gesagt haben, daß ein Treckführer immer den kürzesten Weg nehmen werde, da ihm doch selbst daran lag, die staubige Fahrt durch die texanische Sonnenglut recht schnell hinter sich zu bringen.
Irgendwo auf dem Weg von Tucumcari nach Garcia mußte Hal das dritte Kind gelassen haben.
Bisher hatte es keine Möglichkeit einer Zuflucht gegeben. Cassedy kannte das Land hier an der Grenze genau.
Vor San Jon konnte es also nicht gewesen sein.
Aber in der Stadt gab es natürlich eine Menge Möglichkeiten. Aber San Jon war eine sehr kleine Stadt, und Jack Cassedy hatte auch dort Freunde und Bekannte, die ihm notfalls weiterhelfen würden. Allerdings war er darauf bedacht, möglichst niemanden in die Geschichte einzuweihen.
Das Geld, das Hal Chester aus den Vätern dreier Kinder herauspressen wollte, das gedachte Cassedy aus einem allein herauszuholen.
Wie er diesen Chester einschätzte, hatte der sich bestimmt keine armen Leute ausgesucht.
Der nicht einmal ganz zwanzigjährige Halbom Chester hatte sein Verbrechen mit dem Tode bezahlt, ehe das Gesetz die Todesstrafe für seine Untat hätte vollziehen können. Er wäre seinem Geschick doch nicht entgangen.
Aber jetzt saß ein schlimmerer, gefährlicherer und erfahrener Mann auf dem gleichen Trail.
Jack Cassedy!
Zwar saß ihm die Angst vor dem gefährlichen Banditenjäger Wyatt Earp im Genick. Der Marshal war seiner Ansicht nach ganz sicher nicht zufällig plötzlich auf seinem Hof in Garcia aufgetaucht. Aber da Jack eine menschliche Ratte war, die alle Schlupfwinkel dieses Landes kannte, hoffte er, diesem Wolf aus Dodge City entgehen zu können. Und gleichzeitig würde er den Coup landen, an dessen Vollendung der texanische Peon Hal Chester zerbrochen war.
»Ich werde dieses Kind finden und das Geld bekommen! Ich allein. Und zwar muß es schnellgehen, denn Wyatt Earp wird vielleicht die beiden anderen Kinder entdecken, und er ist schnell, der eiserne Earp. Ich muß vor ihm mit meiner Forderung in Tucumcari sein.«
Es stand für Cassedy fest, daß Chester die Kinder in Tucumcari geraubt hatte. Wo sonst schon, da doch die Ranch, auf der Hal gearbeitet hatte, ganz in der Nähe dieser Stadt lag.
Dann stellte der Bandit am frühen Nachmittag zu seiner Verblüffung fest, daß die immer noch gut sichtbaren Spuren der schweren Wagen kurz vor der Stadt nach Westen abbogen.
Es war die alte Overlandstraße, die hier an San Jon vorbeiführte.
Die kleine Stadt Son Jon wurde erst zu Beginn des Jahres achtzig begründet von Colonel Horst und seinem Freunde, dem Rancher Gonneman, von irischen Farmern und deutschen Zimmerleuten gebaut. Es war eine saubere kleine Stadt, aber niemand begriff, weshalb sie in die Talsenke gesetzt worden war. Siebzig Jahre später wurde wieder eine neue Überlandstraße gebaut, eine gewaltige Asphaltstraße, die San Jon ebenfalls nicht berührte und oben auf dem Plateau mehrere Meilen nördlich vorbeilief und die Städte Glenrio und Tucumcari miteinander verband. Es schien also das Schicksal der Stadt zu sein, immer abseits zu liegen.
Für den Desperado Jack Cassedy war es ein Glücksumstand, wie er fand. Er hatte es also nicht nötig, Nachforschungen in der Stadt anzustellen, die ihm später böse Folgen bringen konnten, nämlich wenn nach den Kindesräubern gesucht wurde.
Der Bandit ließ also San Jon rechts liegen, blieb auf der alten Overlandstraße und folgte weiterhin den Spuren der schweren Schooner.
Plötzlich kam Wind auf. Scharfer, sengender, heißer Wind, der den Sand hoch aufstieben ließ und in Kürze die Spur der Wagen aus Tucumcari, die bis dahin noch verhältnismäßig gut zu sehen war, völlig verwischte und verwehte.
Bisher war Cassedy weder einem Reiter noch einem Gefährt begegnet. Nach wenigen Meilen sah er rechts am Wege eine alte Pferdewechselstation auftauchen.
Er erinnerte sich, daß er auf seinen Streifzügen durch diese Gegend den Bau schon gesehen hatte.
Da er keiner Postkutsche begegnet war, wußte er, daß die Station nicht mehr benutzt wurde.
Sie würde leer sein.
Da es dort Schatten und bestimmt auch Wasser gab und er endlich für eine halbe Stunde dem scharfen Wind entgehen wollte, hielt er auf das Anwesen zu.
Als er neben dem großen Brunnen aus dem Sattel rutschte, sah er einen Mann, einen alten, struppigen Burschen mit listigen Augen und krummer Haltung.
Argwöhnisch beäugten die beiden Männer einander.
»Die Station wird doch nicht mehr benutzt?« fragte Cassedy, ohne den Alten auch nur eines Grußes zu würdigen.
»Nein, Mister«, entgegnete der alte Feldbush, »nur noch von mir.«
Cassedy beobachtete ihn erneut scharf.
»Was machen Sie hier?« knurrte er.
»Geht es Sie etwas an, Brother?«
Da richtete sich der Sands-Boß hoch auf und funkelte den Alten an: »Wie reden Sie mit mir?«
»Wie Sie mit mir. Oder sind Sie etwas Besonderes?«
Da trat Cassedy, der im allgemeinen vorsichtiger war, an den einstigen Stationshalter heran und fauchte: »Damit Sie wissen, woran Sie sind: Mein Name ist Cassedy.«
»Häufiger Name!« entgegnete der Alte gleichmütig.
»Jack Cassedy.«
»Na und? Ich heiße Ernie. Finden Sie nicht, daß Ernie ein bedeutend seltenerer Na…« Der Alte brach jäh ab.
Jack Cassedy! War er denn taub gewesen? Das war doch der Name des Banditenchefs, der den Llano unsicher machte.
»He, gehören Sie etwa zu den Sands?«
»Sands?« gab der Outlaw verächtlich zurück. »Ich kenne den Ausdruck nicht. Meine Männer und ich kämpfen für die Freiheit!«
Ach, so nannten sie das ja. Feldbush kannte die Parole des Banditen. Genug hatte er von ihm gehört.
Cassedy ließ keine Gelegenheit vorübergehen, seinen gefürchteten Namen auf andere wirken zu lassen, wenn es ohne Gefahr geschehen konnte.
Und jetzt glaubte er sich außer Gefahr.
Da rannte plötzlich ein kleiner Junge am Haus vorbei und verschwand drüben hinter der Buschecke.
Cassedy sah dem Kind nach und fragte: »Hausen Sie etwa mit Ihrer ganzen Familie hier?«
»Man muß sehen, wo man bleibt, Cassedy«, versetzte der Alte ausweichend.
»Ja, das muß man. Hören Sie, ich habe eine Frage. Haben Sie gestern drei große Schooner hier vorbeikommen sehen?«
Feldbuschs Gesicht zog sich plötzlich zusammen wie ein Winterapfel.
»Drei Schooner? Warten Sie, ich muß nachdenken. Gestern war Sheriff Plengas hier aus San Jon. Und Kidbeen kam hier vorbei, der Trader. Dann ein Mann von Websters Farm und…, ja richtig, es kamen drei Wagen hier vorbei, Ranchwagen, glaube ich.«
»Und…?« kam es lauernd von den Lippen des Banditen.
»Was heißt und, Cassedy?«
»Was haben Sie mir noch zu berichten?«
»Ich – Ihnen? Nichts!«
»Haben Sie nichts beobachtet?«
»Nein.«
»Well.« Der Desperado entschloß sich offenbar zu reden, da er zu der Ansicht gelangt war, der Alte könnte ihm nicht gefährlich werden. »Ich suche ein Kind.«
Ernie Feldbush verzog keine Miene, als er wiederholte: »Ein Kind?«
»Ja, ein Kind.«
»Wo haben Sie es denn verloren?«
»In Tucumcari.«
Feldbush zog seine borstigen Brauen zusammen.
»Ach, und dann suchen Sie es hier in der Savanne?«
Cassedy stieg in den Sattel. Der gerissene Alte fiel ihm sehr auf die Nerven.
Da kam der kleine Junge wieder zurück und sauste an dem Alten vorbei, wobei er einen Stein nach ihm warf.
»Onkel, fang!«
Und schon war der Kleine verschwunden.
Cassedy, der sein Pferd schon in Bewegung gesetzt hatte, hielt noch einmal an.
Onkel? Sollte der Junge der Neffe des Greises sein?
»Zu wieviel Leuten haust ihr hier?«
»Sollte das nicht ausschließlich unsere Sache sein?« entgegnete der Alte.
Damit hatte er einen Fehler gemacht.
Hätte er eine x-beliebige Zahl genannt, so wär vielleicht noch alles an ihm vorübergegangen. Jetzt aber schöpfte der Bandit Verdacht. Sofort war er wieder aus dem Sattel und erklärte: »Ich werde mir Ihren Laden doch mal ansehen.«
Da machte der Alte einen zweiten und diesmal entscheidenden Fehler. Er griff zum Colt.
Jack Cassedy war schneller.
Die Kugel traf den alten Postman, der sich zu einer bösen Hehlerei hergegeben hatte, nur um zu ein paar lumpigen Bucks zu kommen. Er griff sich an den Oberschenkel und knickte ein.
»Bandit!« keuchte er. »Warten Sie, mein Sohn wird mich rächen! Tom! Tom! Freddy! Ed! Kommt her! Jack Cassedy ist hier.«
Aber er vermochte den Verbrecher nicht mehr zu täuschen.
Jack lachte ihm ins Gesicht.
»Du machst mir Spaß, alter Gauner! Hättest du drei Boys zur Verfügung, wären sie längst aufgetaucht.«
Er ging an dem Alten vorbei um das Haus und kam nach fünf Minuten vorn durch die Tür zurück.
Der Alte war verschwunden und mit ihm der Junge.
Aber Ernie Feldbush war nicht der Mann, einen Jack Cassedy zu schlagen.
Wenige Minuten später hatte der Bandenführer den Alten und das Kind auf dem Boden der Station hinter einem Strohhaufen entdeckt. Er versetzte dem Alten, der sich einen Notverband um die Beinwunde gemacht hatte, einen derben Fußtritt und zerrte den Jungen mit sich.
»Komm, Boy! Erzähle mir erstmal, wie du heißt und wo du hingehörst.«
»Ich heiße John.«
»John, das ist ein feiner, seltener Name. Und wo kommst du her?«
»Von unserem Hof. Da bin ich hergekommen. Mein Vater sucht mich sicher. Und mein Vater heißt auch John. John Dandyson…«
Dandyson. Mehr brauchte der Verbrecher nicht zu wissen. Wer kannte nicht Dandysons Wollweberei in Tucumcari.
Nun hatte er also das dritte Kind gefunden.
»Hör zu, Alter«, brummte er Feldbush an. »Du bist schiefgewickelt, wenn du jetzt denkst, du könntest gegen irgend jemanden eine Story auspacken. Ich bin Jack Cassedy und komme zurück. Und wenn du gesungen hast, gibt es eine Antwort, die du nicht überleben wirst.«
Brutal packte er den Jungen, zerrte ihn zu sich aufs Pferd und trabte davon, der fern im Westen liegenden Stadt entgegen.
Er überlegte, wie er es anstellen wollte. Keinesfalls wollte er mit dem Kind in die Stadt reiten. Schon gar nicht am Tage.
Er mußte allein reiten, wenn er nicht gleich als Kindesräuber gelyncht werden sollte.
Und den Jungen, wo sollte er den lassen?
Je länger er darüber nachdachte, desto deutlicher drängte sich ihm die Feststellung auf, daß das Kind ihn nur stören würde. Daß es ihn durch die bloße Gegenwart verraten mußte.
Er brauchte es ja im Grunde gar nicht. Er brauchte nur das Geld.
Das mußte er bekommen, ohne das Kind zurückzugeben.
So beschloß der gewissenlose Mann den Tod des Kindes. Aber der Alte, der hatte ihn doch gesehen! Der würde ihn verraten!
Der Alte mußte stumm gemacht werden.
Jack Cassedy wendete das Pferd und ritt zurück.
Kaum war er vor der Station angekommen, als ihm eine Gewehrkugel den Hut vom Schädel riß.
Cassedy sprang ab und nahm hinter einer Regentonne Deckung.
Das nutzte der Junge, indem er ebenfalls vom Pferd rutschte und gewandt wie ein Wiesel zwischen den Gebäuden der Station verschwand.
»Bleib hier! Verdammter Bursche! Na, warte, ich werde dir helfen, elender Strolch. He, Alter, laß die Ballerei sein! Komm runter, ich habe mit dir zu sprechen.«
»Kann ich mir vorstellen, daß du mit mir zu sprechen hast, Cassedy.«
»Nichts kannst du dir vorstellen! Ich will dir einen Vorschlag machen. Wir brauchen doch beide Dollars – oder etwa nicht? Und mit dem Boy kann ich doch nicht in die Stadt reiten…«
Während er sprach, kam Cassedy ein neuer Gedanke. Nein, er würde weder den Alten noch den Jungen töten. Er konnte das lebende Kind sehr wohl noch gut gebrauchen. Sobald er das erste Geld hätte, wollte er mehr verlangen und dabei das Kind ausliefern.
Wo sollte der Junge solange bleiben, wenn nicht bei dem Alten?
Cassedy sagte dies laut – und der greise Stationshalter, den die Armut und die Einsamkeit seines Alters zum gefährlichen Hehler gemacht hatten, hörte zu.
Dann kam er heraus und blickte den Bandenführer mißtrauisch an.
»Sie haben Glück gehabt, Jack. Die Wunde ist halb so schlimm und wird verheilen.«
»Und wenn ich einen Stapel Dollarnoten darauflege, old man, heilt sie doppelt so schnell.«
Plötzlich blickte der Alte in die Ferne, wo am südöstlichen Horizont mehrere auf und nieder tanzende Punkte auftauchten.
»Ein Wagen und ein Reiter.«
Cassedy packte sein Pferd und zerrte es hinters Haus.
»Hunde im Nacken?« höhnte der Alte, der ihm gefolgt war. Er zog den Jungen aus dem Schuppen. Dann beobachtete er von hier aus die langsam größer werdenden Punkte.
»Hunde?« wiederholte Cassedy. »Nein, Wölfe, wenn du so willst.«
»Einen Sheriff?«
»Und was für einen!«
»Marcat?«
Cassedy schüttelte den Kopf.
»No, der sitzt nicht hier oben. Es ist ein bedeutend gefährlicherer Wolf, der mir in Garcia in die Quere kam.«
»Bin gespannt!« spöttelte der Alte.
»Wyatt Earp!«
Feldbush ließ den Jungen los und wich verblüfft einen großen Schritt zurück.
»Sind Sie wahnsinnig! Sie haben sich doch nicht mit dem angelegt?«
»Ich hatte es nicht vor, aber er stand plötzlich auf meinem Hof, als ich einen Peon niederschießen mußte. Hal…«
»… Chester?« fiel ihm der Alte ins Wort.
»Genau!«
Ernest Feldbush schlug die Hände an den Kopf.
»Dann… sind Sie verloren, Jack«, stieß er heiser hervor.
»Einmal habe ich den Marshal erlebt, drüben in Amarillo, damals war Doc Holliday bei ihm.«
»Ich glaube, der ist auch jetzt bei ihm. Aber was wollen Sie, Mann, das da ist doch nicht Wyatt Earp! Der kommt doch nicht mit einem Wagen an.«
»Schwerlich.« Der Alte beruhigte sich etwas.
Gewaltig war ihm der Schreck in alle Glieder gefahren. Wyatt Earp! Himmel und Hölle, mit dem wollte er nichts zu schaffen haben.
»Es wird ein Händler sein«, meinte Cassedy. »Komisch ist nur der Reiter daneben. Auf jeden Fall: Er darf nichts von meiner Gegenwart erfahren, klar? Nehmen Sie den Jungen mit ins Haus. Das heißt, er kommt am besten gleich mit mir.«
Die Station lag wieder still da, als der Wagen vorüberrollte. Wyatt Earp hatte eine Decke über die beiden Kinder gelegt, die wieder einmal eingeschlafen waren, sich selbst mit krummen Rücken auf den Bock gesetzt, und Doc Holliday gar sah aus wie ein uralter Mann, so schief und vornübergeneigt hing er im Sattel. Ihre Gesichter waren vom Haus abgewandt.
Sie hatten die Station etwa um eine Meile hinter sich gebracht, als Wyatt Earp die Zügel anzog.
»Der Trick war nicht ganz umsonst, Doc. Der Reiter, dessen Fährte wir seit dem Nachlassen des Windes folgen, ist wieder zur Station zurückgekehrt.«
»Unser Mann?«
»Nicht ausgeschlossen.«
»Und was haben Sie vor?«
»Wir müssen die Dunkelheit abwarten.«
Damit mußten sie dasselbe tun, was auch Jack Cassedy tat.
Als es dunkel wurde, verließ der Bandenführer die Station, nachdem er den Alten gemahnt hatte, sorgfältig auf den Jungen aufzupassen.
Er strebte etwas von der Straße weg, mußte aber den versteppten Boden bald wieder verlassen, da es wegen der Soden und harten Grasinseln zu gefährlich war, darüber zu reiten. So kam er denn wieder auf den Weg zurück.
Plötzlich stand da die schwarze Gestalt eines Mannes, Jack Cassedy sah sie wie von der Feder geschnellt aus dem von der Sonnenglut verbrannten Boden auftauchen.
Er war radikal genug, sofort den Colt zu ziehen.
Aber seine Kugel traf das schwarze Phantom nicht.
»Wer bist du?« krächzte Jack mit heiserer Stimme.
»Ich war vor dir hier.«
»Well, ich bin Jack Cassedy! Geh aus dem Weg!«
Wie Schuppen fiel es da dem Missourier vor den Augen.
Jack Cassedy, der Führer der Sands, der in zwei Staaten steckbrieflich gesuchte Bandenführer Cassedy.
»All right, ich bin Wyatt Earp!«
Der Outlaw saß einen Moment wie gelähmt im Sattel.
»Nein«, brach es da von seinen Lippen.
»Steig ab, Cassedy!« Metallisch schlug ihm die Stimme des Missouriers ans Ohr.
»Nein…«
»Steig ab, sonst hole ich dich.«
»Was… willst du… von mir, Earp?«
»Du hast Hal ermordet.«
»Es war Notwehr.«
»Das kannst du dem Richter sagen.«
»Nein!«
»Steig ab!«
»Ich… will mit dir kämpfen!« preßte der Verbrecher wild durch die Zähne.
»Das steht dir frei.«
Und dann begann das Duell mit Cassedy – aber es währte nur einen Herzschlag lang.
Cassedys Kugel fehlte den Marshal, streifte nur den Rand seines Hutes – und das Geschoß aus dem schweren Buntline Special in der Linken des Missouriers warf den Mörder aus den Stiefeln.
Aber er war nicht tot. Die Kugel hatte ihn nur schwer betäubt.
Doc Holliday, der am Wegrand gewartet hatte, verband den Desperado und fesselte ihn dann.
Cassedy wurde auf den Wagen geladen und so hingelegt, daß er sich nicht bewegen und auch die beiden Kinder nicht stören konnte.
Dann lenkte der Marshal den Highlander zur Station zurück.
Der Alte erschien in der Tür.
»Sie sind Wyatt Earp, nicht wahr?« rief er sofort.
»Richtig. Und was haben Sie mir zu sagen, Mister?«
Der Alte hatte eine Kerosinlampe in der Hand und sah das harte Gesicht des Marshals dicht vor sich. Da tat er etwas, das er sich gar nicht vorgenommen hatte. Er sagte: »Das Kind ist bei mir, Marshal. Hal Chester hat es hiergelassen. Ich weiß nicht weshalb und ich weiß auch nicht, wo es hingehört. Morgen wäre ich damit nach San Jon zum Sheriff geritten…«
*
Als der Marshal zusammen mit Doc Holliday, den drei Kindern und dem gefangenen Führer der Sands in Tucumcari einritt, war es Mitternacht.
Aber im Sheriffs Office warteten drei Männer, die den Gesetzesmann schon den ganzen Tag heiß beschäftigt hatten: Dandyson, Gonzales und Hartman. Und draußen vor dem Vorbau standen ihre weinenden Frauen.
Der Highlander hielt, und die drei Kinder, die schliefen, bemerkte niemand.
Wyatt Earp ging auf das Office zu.
Da sah ihn Gonzales und warf die Arme hoch.
»Himmel, Wyatt Earp! Sie schickt der Himmel!«
»Es wäre schön«, entgegnete der Marshal, der den Pferdehändler von früher her flüchtig kannte.
Ehe noch jemand etwas sagen konnte, erschien Doc Holliday auf dem Vorbau und meinte, während er sich gegen einen Pfeiler lehnte: »Hoffentlich nimmt bald einer die drei Kinder und den Banditen vom Wagen, Marshal.«
Eine Woche später kamen Ed Chester und Frank Macirian, der wieder gesund war, mit den leeren Wagen zurück.
Macirian beteuerte, daß er und Ed nichts von den Kindern gewußt hätten. Erst in Cassedys Hof sei ihnen ein Licht aufgegangen.
Es gab eine lange Verhandlung, aber wo kein Kläger mehr war, konnte auch der Richter nichts sagen.
Für die Menschen von Tucumcari war nur eines wichtig: Die drei verschwundenen Kinder waren wieder da.