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Viertes Kapitel

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Nein, wirklich, niemand hätte sie für Tante und Neffen halten können, als sie zusammen zum Dinner hinuntergingen.

Gisela, schmiegsam und graziös in jeder Bewegung, in einem seegrünen dekolletierten Seidenkleid mit Altbrüsseler Points, eine Kette rosig schimmernder Perlen um den vollen Hals, sah jung aus und war sehr schön.

Archi erschien in dem taillierten Frack besonders schlank. Neben ihm, der sie beinahe um Haupteslänge überragte, wirkte Gisa wie seine ältere Schwester.

So gingen sie durch die große Halle auf die Tür eines größeren Salons zu, vor der der Butler Parker – steinalt, verhutzelt, geheimrätlich korrekt – stand.

In dem mittelgroßen, intim wirkenden Salon fanden sie schon Harold im Gespräch mit Adrian Kettelried. Ungewöhnlich groß und schlank, war Kettelried sozusagen der alte Gardedukorps in Musterausgabe. Sein charaktervolles, adlernasiges Gesicht ließ sofort die weit über den Durchschnitt hinausragende geistige Bedeutung dieses Mannes ahnen. Seine ganze Art zeigte die Gelassenheit und Leichtigkeit des Mannes von Welt und war ohne die leiseste Spur von Pose. Nach Art der Blinden hielt er den Kopf so, als lausche er auf ein fernes Geräusch. Seine rechte Hand umfaßte die Krücke eines Ebenholzstockes.

Als Kettelried sich nun, ein liebenswürdiges Lächeln auf den Zügen, mit einer chevaleresken Bewegung Gisela halb zuwandte, hätte niemand glauben können, einen Blinden vor sich zu haben. Nur das eigentümlich Starre in den von langgeschwungenen, dichten Brauen beschatteten Augen fiel auf. Doch das Erloschene der Augen bemerkte man kaum, da die Lider sie halb verdeckten.

Gisela reichte ihm die Hand oder – richtiger ausgedrückt – sie ergriff die seine. »Hier bringe ich Ihnen meinen Neffen Archibald Barring, lieber Adrian. Er freut sich schon sehr darauf, hier mit Ihnen zusammen zu sein.«

»Das ist sehr nett von ihm, meine gnädigste Gisela.« Mit der ein wenig behutsamen, gleichsam suchenden Bewegung der Blinden streckte er Archi seine große, lange Hand entgegen, die dieser herzhaft drückte. Er fühlte tiefes Mitleid mit dem Blinden und hegte den lebhaften Wunsch, Kettelried seine Sympathie deutlich zu zeigen.

»Guten Tag, Herr von Kettelried« – und dann wurde er ein wenig rot, weil er die Empfindung hatte, noch irgendein liebenswürdiges Wort hinzufügen zu müssen. Doch sosehr er auch nach einem solchen suchte, ihm fiel zu seinem Ärger beim besten Willen nichts Passendes ein.

Ich muß ja wirklich einen unglaublich dämlichen Eindruck machen, dachte er.

Allein Kettelried überhob ihn dieser Sorge sofort.

»Ich freue mich sehr, Herr von Barring, Ihre Bekanntschaft zu machen. Das klingt vielleicht ein bißchen nach einer Redensart, aber in diesem Fall ist es das nicht. Ich hatte die Ehre, Ihren Herrn Großvater näher zu kennen. So freue ich mich wirklich ganz besonders, Ihnen hier zu begegnen.«

Er sprach ganz akzentfrei und nicht sehr laut, dabei aber sehr deutlich und mit einer wohltuend wirkenden Ruhe. Sein Organ war tief und klar. In seinem Wesen lag etwas überaus Natürliches, das angenehm berührte, Vertrauen und Sympathie einflößte.

In diesem Augenblick öffneten zwei Diener die Flügeltür, der alte Parker trat ein und meldete feierlich, daß angerichtet sei.

Nun war Archi schon bald vier Wochen in Bancroft Park. Übermorgen – am Sonnabend – würde wieder eine Menge Menschen sich hier zusammenfinden. Das heißt, in Wirklichkeit wurden nur neun oder zehn Bekannte und Freunde erwartet, doch für Archis Empfinden waren das schon sehr viele.

Archi hatte die Zeit tief genossen. Jeder Tag wurde zum Festtag für ihn. Ging er am Abend zu Bett, so freute er sich schon auf den Augenblick, da er wieder aufstehen konnte, um mit Tante Gisa zusammen den Tee zu trinken. In Drangwitz war er immer mit dem Gefühl des Schauderns eingeschlafen, bereits um vier oder fünf wieder aus den Federn zu müssen. Hier war das alles ganz anders. Man dachte über vieles plötzlich so verschieden von früher. Dazu kam das schöne, milde Wetter. Die Sonne schien beinahe so warm wie im Sommer, und dann – alle waren so reizend zu ihm. Onkel Harold auch. Es war, als kennten sie sich schon wer weiß wie lange, er und Archi. Übrigens mußte Onkel Harold viel weg sein, hatte häufig in London zu tun, fuhr auch herum und hielt Wahlreden, um, wie Kettelried sagte, die Möglichkeit zu erlangen, »demnächst auf dem klassischen Fechtboden der Politik, dem Unterhaus, antreten zu können«.

Diesen Ehrgeiz seines Onkels verstand Archi nicht ganz. Es schien ihm sehr viel erstrebenswerter, mit Tante Gisa zusammen in Bancroft Park zu sein, als im Parlament langweilige Reden über sich ergehen zu lassen.

Bei dem schönen Wetter ritten Gisa und er jeden Tag drei, vier Stunden durch das grüne, hügelige Land mit den prächtigen alten Bäumen und den vielen Wäldchen, dem Fluß, der sich durch die Wiesen schlängelte, den freundlichen Dörfern mit ihren schwarz-weißen Fachwerkhäusern oder roten Backsteinbauten, dem uralten Wirtshaus, dem man die dreihundert Jahre, die es hier schon stand, gleich ansah, der Kirche mit dem wuchtigen viereckigen Turm. Immer wieder gab es Neues zu sehen. Wirklich – mit zwei Augen war schwer auszukommen.

Und dann auf solchen Pferden zu sitzen und vom Sattel aus all das Fremdartige, Hübsche und Interessante zu genießen, das war einfach herrlich!

In den Boxen des Reitstalles stand ein volles Dutzend Pferde. Eines immer besser als das andere. Einen sechsjährigen Grauschimmel und einen Dunkelfuchswallach mit schmaler Blesse, links vorn gestiefelt, hatte Tante Gisa am Halfter aus dem Stall führen lassen. Zwei prachtvolle Pferde! Vollblüter, aber über einen ganz großen Leisten gearbeitet, sahen sie aus wie edelste Hunter. »Die sollst du reiten, Archi. Sie werden dir bestimmt gut gehen.« Und wahrhaftig – wie am Zwirnsfaden gingen sie. Dabei mit einem Schwung, daß man das Gefühl hatte, direkt in den Himmel hineinzureiten. Und dann dies herrliche Temperament! Nie kuckrig oder heftig, immer gelassen und im vollsten Gleichgewicht, so gingen sie mit langen, wundervollen Bewegungen dahin.

Archi wußte nun auch über die Kettelrieds genauer Bescheid.

Seit undenklichen Zeiten saßen sie an der Ostküste Holsteins auf dem Fideikommiß Riedsee, zu dem fünftausend Morgen Akker und Wiesen und viertausend Morgen Wald gehörten. Nach dem verhältnismäßig frühen Tode von Kettelreids älterem Bruder war der schöne Besitz an dessen Sohn gefallen, einen Mann Ende der Zwanzig, der seit einigen Jahren mit einer Mecklenburgerin leider kinderlos verheiratet war. Übertrieben angenehm mußte die Frau nicht sein. Jedenfalls machte Adrian Kettelried sich nicht besonders viel daraus, in Riedsee zu weilen. Er ging selten und immer nur für wenige Tage dahin.

Seit Jahren hatte er in Berlin dicht am Tiergarten, in der Bendlerstraße, eine hübsche Wohnung inne, in der er zahlreiche Bekannte und Freunde bei sich sah. Seine finanzielle Lage war, wenn nicht direkt glänzend, so doch durchaus bequem und sehr rangiert. Sie erlaubte ihm, ein gastfreies Haus zu führen und auf größerem Fuße zu leben.

»Sie müssen mich dann besuchen, lieber Archibald«, hatte er Archi einmal aufgefordert. »Sie werden bei mir nicht nur Leute ›von uns‹ treffen, sondern eine ziemlich gemischte Gesellschaft. Aber ein oder zwei amüsante Leute und zuweilen auch einen wirklich interessanten Mann oder eine kluge Frau findet man, glaube ich, ziemlich oft bei mir. Einige kommen, weil sie ab und zu vielleicht wirklich ganz gern mit mir zusammen sind. Andere zieht die Kochkunst meiner böhmischen Köchin an und die Sorgfalt, die ich auf meinen Weinkeller verwende. Sie wissen ja, ich trinke gern ein gutes Glas Wein. Viele finden den Weg zu mir, weil sie sich einbilden, ich könnte ihnen durch gute Beziehungen nützlich sein.«

»Verzeihen Sie, Baron Adrian, wenn ich Sie unterbreche, aber da muß ich Ihnen widersprechen. Ich bin überzeugt, die Leute kommen zu Ihnen, weil sie sich gut unterhalten wollen und genau wissen, daß man immer von Ihnen lernen kann.«

Mit herzlicher Freude sah Gisela die feste innere Verbindung, die sich schon in der kurzen Zeit zwischen Kettelried und Archi geknüpft hatte und sich jeden Tag enger gestaltete. Sie erhoffte sehr viel vom Einfluß Kettelrieds auf Archis Entwicklung, und auch Adrian würde das Bewußtsein, von einem Menschen wirklich gebraucht zu werden, Befriedigung gewähren und Freude schenken.

Der Enkel der Barrings

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