Читать книгу Kunst und Handwerk des Schauspielers - William Esper - Страница 8
Vorbemerkung
ОглавлениеAls ich vor mehr als zehn Jahren zu William Esper ins Studio kam, hielt ich mich für einen voll ausgebildeten Schauspieler. Mir war so gut wie jede gängige Technik bekannt, ich hatte mich gründlich mit Stanislawski auseinandergesetzt – bzw. mit dem, was die verschiedenen Lehrer darunter verstanden –, habe ausgiebig nach Michael Tschechow trainiert und zahlreiche Workshops besucht, u. a. bei Keith Johnstone und Yoshi Oida. Einige Zeit habe ich nach Strasbergs »Method« gearbeitet, mich an Grotowski versucht und alles an Literatur verschlungen, was es zum Thema Schauspielen gab, hatte immer wieder versucht, Peter Brooks »leeren Raum« zu füllen und sein »offenes Geheimnis« zu durchdringen.
Und obwohl ich so viel tat, um das Wesen der Schauspielkunst zu begreifen, wurde ich nie das Gefühl los, dass der Zufall meine Vorbereitung und mein Spiel bestimmte – das Resultat war Stückwerk, im besten Fall eine gute Collage. Mir fehlte die Sicherheit, die auf einem soliden Fundament gründet und eine freie Entfaltung ermöglicht. Mir fehlte auch die Anleitung zum Erlernen eines Handwerks, mit dessen Hilfe ich mein künstlerisches Ausdrucksvermögen hätte weiterentwickeln können. Doch das sollte sich ändern. In den zwei Jahren meines Studiums bei William Esper setzte ich mich intensiv mit der von Sanford Meisner entwickelten Technik auseinander und trainierte, trainierte, trainierte – bis ich schließlich eine künstlerische Befreiung erlebte. Mein bis dahin bemühtes Spiel wurde leicht und wahrhaftig. Ich hatte ein Handwerk erlernt, das mir zu Freiheit im Spiel und Freude am Spiel verhalf. Ich hatte gelernt, was eine gute Vorbereitung ist und im Moment des Spielens loszulassen, der Vorbereitung und dem Reagieren im Moment zu vertrauen.
Ein nicht zu gering einzuschätzender Anteil an der gewonnenen Freiheit ging auch auf ein neu verinnerlichtes Verständnis zurück: Im Englischen bedeutet to act handeln und actor Handelnder.
Im Zentrum der Meisner-Technik steht das Handeln unter imaginären Gegebenheiten. Ehrliches Verhalten und wahrhaftige Gefühle sind die Folge des wirklichen Handelns. Kontext, Beziehung, Ziel etc. bestimmen das Verhalten.
Was genau damit gemeint ist und wie interessierte Akteure diese Technik erlernen und anwenden können, um ihr Potential zu entfalten, davon erzählt dieses Buch. Es wird Ihnen zu größerer Freiheit, zu Selbstsicherheit, Selbstvertrauen und nicht zuletzt zur Freude am Spiel verhelfen.
André Bolouri
André Bolouri studierte von 2008 bis 2010 bei William Esper in New York. Seit 2010 ist er künstlerischer Leiter des Meisner-Jahresprogramms in seinem Berliner Studio (www.studio-ab.de), wo er die Meisner-Technik lehrt. Seit 2000 arbeitet er regelmäßig mit einem internationalen Ensemble in Kalifornien, das klassische Theaterstücke auf die Bühne bringt. Von 2005 bis 2008 war er Leiter dieses Theaterensembles. In den Jahren davor arbeitete er als Schauspieler und Regieassistent, u. a. bei Yoshi Oida. Seine Grundausbildung erhielt er von 1995 bis 1998 an der Fritz-Kirchhoff-Schauspielschule (Der Kreis) in Berlin.