Читать книгу Die Suche nach Tony Veitch - William McIlvanney - Страница 9
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ОглавлениеALS ER ZURÜCKKAM, hatte Ena sich bereits ein altes Drehbuch zurechtgelegt. Sie verkörperte Rom und er Attila, den Hunnenkönig. Seine Portion Lasagne war während seiner langen Abwesenheit ungenießbar geworden, im eigenen Fett erstarrt. Die Gäste waren gegangen. Ena deutete an, es habe sich ein tiefgründiges Gespräch entsponnen, das er verpasst habe. Der letzte Blick in Ecks totes Gesicht war noch frisch in Laidlaws Erinnerung, und so fiel es ihm schwer, sich an seinen Text zu erinnern.
Sie fing wieder mit seinem angeblich mangelnden sozialen Fingerspitzengefühl an. Er zeige sich so charmant wie King Kong. Sie geziert, wie in ein Mustertuch gestickt. Dagegen er ein Monument der Selbstsucht. Wer Sorgen habe wie sie, müsse an Frostbeulen sterben. Jedenfalls habe er alles dafür getan, dass Donald und Ria ihn nicht ausstehen konnten. Wer Feinde hatte wie diese beiden, wer brauchte da noch Freunde?
Nach dem Kabarett der gegenseitigen Vorwürfe ging Ena ins Bett, und Laidlaw schenkte sich ein halbes Glas Antiquary ein, füllte es mit Wasser auf. Er ging ans Telefon, hoffte jemanden dranzubekommen, den er kannte und mit dem er klarkam, was nicht ganz einfach war, wie er schuldbewusst dachte. Er hatte Glück. Der diensthabende Staatsanwalt war Robbie Evans.
»Hallo, Jack. Was gibt’s Neues von der Front?«
Laidlaw erzählte ihm von Eck.
»Du glaubst, sein Tod hatte keine ausschließlich natürlichen Ursachen?«
»Möglich.«
»Welche zum Beispiel?«
»Gift?«
»Wie willst du das feststellen? Hat er sich nicht seit Jahren selbst vergiftet?«
»Wenn er’s mal wirklich alleine gewesen ist. Es wird eine Obduktion geben. Ich würde nur gerne sichergehen, dass es so schnell wie möglich passiert. Noch Morgen Vormittag. Anscheinend hat er ziemlich lange im Sterben gelegen. Wenn ihm das jemand angetan hat, gehen uns Spuren verloren, je länger es dauert. Ich würde mich gerne vergewissern, bevor er im Kühlhaus landet.«
»Ich kümmer mich drum. Hat dir den Abend verdorben, oder?«
»Ja, schon. Aber Eck ist es nicht besser ergangen.«
»Ruf morgen wieder an, Jack.«
»Danke.«
Er trank ein paar Schluck Antiquary und ging hoch, um nach den Kindern zu sehen. Wenn er Schlimmes erlebt hatte, war das für ihn fast wie ein Zwang. Er erinnerte sich, wie er einmal vor vielen Jahren, als er noch Uniform getragen hatte, als Erster am Tatort eines Mordes eingetroffen war, nicht in Glasgow. Das Opfer, ein Homosexueller, war von zwei jungen Männern, die er auf einer öffentlichen Toilette getroffen und mit nach Hause in seine Wohnung genommen hatte, zu Tode gefoltert worden. Einer der Männer war Fleischer-Lehrling und hatte den Jungen zum krönenden Abschluss, nachdem sie ihn bereits stranguliert hatten, von der Leiste bis zum Brustknochen aufgeschlitzt und ausgeweidet wie ein Huhn. Später hatte der Fleischer ausgesagt: »Der war nicht normal.«
Damals war Moya gerade erst auf der Welt und Laidlaw merkte, dass er so oft nach ihr sah, dass es ihm schon wie ein Wachdienst vorkam. Große böse Welt, ich behalte dich im Auge.
Heute Abend war alles gut. Moya schlief mit ihren elf Jahren beinahe lächelnd, als habe sie ein Geheimnis. Dem Anschein nach ein sinnliches. Ihr Körper wurde dieser Tage weicher und ihr Gesichtsausdruck zog sich in Nachdenklichkeit zurück. Gute Probleme kamen auf sie zu. Mit zehn sah Sandra jünger aus, als sie war, und schien immer noch den Ehrgeiz zu besitzen, als Junge durchzugehen. Jackie lag wie immer ausgestreckt und selbstvergessen wie ein Unfall in der Kammer. Er war sieben. Ihnen ging es gut.
Er stieg die Treppe runter und stürzte sich kopfüber auf seinen Drink, schenkte sich gleich einen weiteren ein. Er überlegte, ob er lesen sollte. Aber alles schien ein bisschen zu weit vom toten Eck im Royal entfernt. Er dachte über ihn nach. Entfernt verspürte er das Bedürfnis, jemandem davon zu erzählen, der sich dafür interessierte. Für jeden Toten sollte es mindestens einen geben, der sich für ihn interessiert. Je mehr Menschen etwas darüber wissen wollen, desto näher kommt man einer Art humanistischen Erlösung. Und für eine andere fehlte Laidlaw der Glaube.
Er erinnerte sich, dass er Eck seit Beginn seiner Zusammenarbeit mit Brian Harkness ein paar Mal getroffen hatte. Brian hatte beim Fall Bryson zum ersten Mal mit ihm zu tun gehabt.
Laidlaw ging zum Telefon. Es war inzwischen früh am Morgen, aber er rief trotzdem an. Er musste es einige Male klingeln lassen, bevor Brians Vater abnahm. Brian war nicht zu Hause. Laidlaw entschuldigte sich. Brians Vater war ein netter Mann, der Laidlaw von seiner generellen Abneigung gegen Polizisten auszunehmen schien, obwohl er ihm nur einmal begegnet war. Er nahm die Nachricht über den Toten entgegen und erklärte, er wolle Brian ausrichten, dass Laidlaw ihn früher treffen wollte. Aber natürlich hatte er Eck nicht gekannt.
Laidlaw legte auf und nahm Ecks Zettel aus der Hosentasche. Da fiel ihm das Geld ein. Dass Eck sieben Pfund in der Tasche hatte, war genauso ungewöhnlich für ihn wie ein Hauptgewinn im Fußball-Toto. Die Nummer musste eine Telefonnummer sein, drei Ziffern Vorwahl. Er wählte sie, ließ es fünfzehn Mal klingeln. Niemand hob ab.
Dieser wenig überraschende Umstand zog Laidlaw in seiner Niedergeschlagenheit noch weiter runter. Wenn er auf der Intensivstation schon ganz unten angekommen war, dann hing er jetzt in den Schlaglöchern. Das Schweigen am anderen Ende der Leitung wirkte auf ihn so absolut, als hätte er Gott angerufen. Immer wieder lockte ihn die Verzweiflung über gegenseitiges Desinteresse in einen Hinterhalt und machte jegliches Gefühl, etwas geleistet zu haben, zunichte.
Entweder war jeder etwas wert oder niemand. Er erinnerte sich, als Teenager hochfliegende Gedanken gehegt zu haben, als wäre er der Erste, dem sie je in den Sinn kamen. Rückblickend nannte er das seine »Warum sind wir auf der Welt«-Phase, während derer er manchmal mit einem Kopf herumlief, der einer Titelseite mit der Schlagzeile glich: Gibt es Gott? Heute konnte er darüber lachen, aber sein Lachen klang reumütig.
In Wirklichkeit verfolgten ihn einige der Unmöglichkeiten, mit denen er damals zu kämpfen hatte, bis heute. Er erinnerte sich, den Glauben an eine übergreifende Bedeutung des Lebens aufgegeben zu haben, weil eine solche unteilbar, unwiderruflich und allgemeingültig hätte sein müssen und jeder schwebenden Feder und jedem Fitzelchen Papier gleichermaßen und unvoreingenommen Bedeutung verliehen hätte.
Eck war wie ein solches Fitzelchen Papier. Man konnte nicht behaupten, der Sinn sei anderswo und Eck spiele keine Rolle. Das wäre Verrat. Wir haben nur einander, und wenn wir Waisen sind, können wir ehrenhalber nichts anderes machen, als einander zu adoptieren, der Sinnlosigkeit des Lebens mit der Sorge füreinander trotzen. Das ist, was uns adelt.
Laidlaw versuchte, seine Energie wieder aufzufüllen, indem er beim Whisky allen Gewalttätern den Krieg erklärte, allen, die sich nicht für andere interessierten. Doch allein der Gedanke war ihm peinlich. Er wäre ein solch verhinderter Held, ein Gescheiterter, der sich Gescheiterten entgegenstellt. Er musste sich eingestehen, dass er in diesem Moment Jan im Burleigh Hotel anrufen wollte und deshalb gleich ein doppelt schlechtes Gewissen hatte. Einerseits, weil er damit der Versuchung erliegen würde, Jan als Trösterin zu missbrauchen, obwohl er sie kaum an seinem Leben teilhaben ließ. Und andererseits, weil er Ena betrog. Der Kompromiss seines Lebens, mit dem er andere so sehr verletzte, widerte ihn an.
Doch ihm fiel niemand ein, dem Eck genug bedeutete, um herausfinden zu wollen, was ihm zugestoßen war. Laidlaw musste es versuchen. Erbärmlicherweise, wie ihm schien, fielen ihm nur kleine Dinge ein. Er würde die Adresse und die Namen überprüfen und die verfluchte Nummer so lange wählen, bis jemand abnahm. Und morgen würde er die Ergebnisse der Obduktion bekommen.
Wenigstens konnte er Brian morgen davon erzählen, einem, der den Toten gekannt hatte. Damit wurde die Liste der Trauernden um einen weiteren Namen verlängert. Doch auch dieser Gedanke vermochte nicht, seine wütende Traurigkeit zu vertreiben.