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1. Kapitel

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Ein Jahr zuvor…

Guido, ein 35-jähriger Priester in dem hiesigen Kloster nahe dem großen Wald mit dem Fluss, wartet seit einiger Zeit auf seinen jungen Mitbruder Marcus. Der jugendlich wirkende Marcus wollte die nahe gelegene Kapelle aufsuchen, um zu schauen, ob es nicht einen beichtwilligen Sünder in den Beichtstuhl getrieben hätte.

„Der heiße Tag verspricht einen lauen Sommerabend und auch Marcus würde diesen Abend genießen wollen“, so hatte Guido gedacht, als er die wärmende Sonne genossen hatte und Marcus nicht zurückkam.

Aber nun war es bereits früher Abend geworden und in Guido beginnt nun doch eine irgendwie geartete Unruhe zu wachsen. Sicherlich, in ihrem Stand als Mönche spielte Zeit eine geringe Rolle, aber das tägliche Abendgebet würde niemand in dem Kloster vergessen. Auch Marcus, der junge Novize, nicht.

Also rafft sich Guido nun doch auf, um nach seinem jungen Klosterbruder zu schauen. Schließlich war er der Verantwortliche für diese jungen und unerfahrenen neuen Novizen in diesem Kloster.

„Vielleicht wurde Marcus von einem unvorhersehbaren Ereignis aufgehalten!“, denkt Guido nur leicht beunruhigt. „Und zu der Kapelle unter dem großen Kastanienbaum war es ja nicht weit. Warum also soll ich nicht nach ihm sehen!“

Die kleine Kirche oder war es eine Kapelle, wurde von den Wanderern am Fluss gerne besucht. Ihm, Guido, hatte es oft amüsiert, wenn die Gläubigen darüber diskutierten, ob es sich denn um eine Kirche oder eine Kapelle handelte. Jedenfalls hatte das Kirchlein einige Jahrhunderte auf dem Buckel und darauf war man im Kloster stolz. Für ihn war es die Kapelle des Klosters, der er immer wieder gerne einen Besuch abstattete.

Die Tür der Kapelle quietscht leicht aber ausdauernd, als sie nur wenig später von Guido geöffnet wird. Natürlich fällt sein Blick nach seinem Eintreten sofort auf den Altar mit dem gekreuzigten Christus und damit auch auf die Stufen davor, welche zum Altar hinaufführen.

Die noch am Himmel stehende Sonne lässt das Innere der Kapelle in helles Licht erstrahlen.

„Da liegt der junge Marcus betend vor dem Altar und hat wohl wieder einmal Zeit und Raum vergessen“, denkt Guido leicht belustigt, als er den Gesuchten erkennt.

Und wenige Augenblicke später: „Aber warum liegt er um Gottes Willen ausgestreckt auf dem Rücken?“

Doch der dort Liegende scheint offenbar das quietschende Geräusch der aufgehenden Tür nicht gehört zu haben. Scheinbar still und ruhig bleibt Marcus vor dem Altar liegen, als würde alle Zeit ihm gehören.

Bei diesen Gedanken und dem Anblick des liegenden Mitbruders ist Guido bereits einige Schritte zwischen den Sitzreihen beiderseits der Kapelle auf den Altar zugegangen. Er will gerade sein Kreuzzeichen zu seinem Heiland am Altar geben, als er entsetzt auf den Körper vor sich schaut.

Aus der Brust seines Mitbruders ragt ein schwerer Kerzenständer heraus, was Guido sofort bis aufs tiefste erschrocken erkennt. Aber sein zweiter Blick sagt: es ist kein Blut zu sehen!

Nun braucht der Priester nur mehr zwei Schritte, um sich zu seinem Mitbruder niederzuknien.

Entsetzt stellt er fest, dass dem jungen Priester vor ihm offensichtlich einer dieser riesigen Kerzenständer, welche den Altar schmücken sollen, in die Brust gestoßen wurde.

Nein! Noch genauer: Genau durch das Herz gestoßen wurde. Das dunkle Gewand des Priesters und das Hemd darunter wurden dabei wohl deshalb soweit zur Seite geschoben, dass dieser brutale, entsetzliche Stich genau in das Herz platziert werden konnte.

Schnell und unruhig blickt sich Guido sofort in der Kapelle um. Sein Mitbruder kann noch nicht lange tot sein. Vielleicht ist der Täter noch in der Kirche.

Doch nichts ist zu sehen oder zu hören.

Nun drückt das Verhalten von Guido Entsetzen aus, als er sich den vor ihm liegenden jungen Mönch genauer betrachtet. Eine automatische Handlung, nämlich den Kerzenständer aus der Brust des jungen Priesters zu ziehen, kann er gerade noch unterdrücken.

„Diese Augen“, denkt er, als er in das Gesicht des Toten schaut. „Welches Entsetzen, welche Panik, welche Angst drücken diese Augen aus. Was muss ein Mensch gesehen haben, dass dieser schreckliche Ausdruck in den Augen auch noch nach seinem Tod erhalten bleibt.“

Und für einen kurzen Augenblick war es ihm so gewesen, als würde er von diesem Grauen eingenommen werden. Von einem Gefühl, einem Entsetzen, welche sich in den Augen seines Mitbruders widerspiegelten.

Denn diese Augen leuchteten seltsam und waren unnatürlich groß und weit aufgerissen, als würde irgendetwas in den Augen viel Platz benötigen.

Und dieses eingefallene Gesicht, als würde sämtliches Blut daraus entwichen.

Schnell murmelt er ein Gebet in Richtung des Kreuzes am Altar, um dieses eigenartige, böse Gefühl abschütteln zu können.

Auch nach weiterem, intensivem Schauen, kann Guido kein Blut sehen, welches doch nach einem grausamen Stich ins Herz ausgetreten sein muss.

Guido lässt es mit dem Anschauen seines toten Mitbruders geschehen. Aus den Kriminalromanen, die auch in einem Kloster gelesen werden, ist ihm bekannt, einen Tatort so zu belassen, wie man ihn vorfindet. Wegen der Spurensicherung…

„Der Stich ins Herz muss so exakt, so genau ausgeführt worden sein, dass mein Bruder augenblicklich tot war. Das Blut hatte also keine Zeit, auszutreten. Und Marcus hatte deshalb keine Zeit zu sterben.“

Guido, der 35-jährige Priester des nahen Klosters, steht auf, nestelt an seiner Soutane und zieht ein Handtelefon heraus.

„Es wird mir nichts übrig bleiben, als die Polizei zu rufen. Das hier scheint ein vorsätzlicher Mord gewesen sein. Mehr noch, ein Ritual, um einen Menschen zu töten.“

Ihm ist deutlich geworden, dass hier jemand seinen Mitbruder mit ungeheurer Kraft und erstaunlich zielbewusst, getötet haben muss.

Aber warum?

Und warum offensichtlich mit einem Ritual?

Aber wer?

Guido schüttelt bei diesen Stoßgedanken den Kopf.

„Da passt doch irgendetwas nicht zusammen!“, murmelt er verwundert. „Marcus war ein junger, durchtrainierter Mann, mit dem ich täglich Sport getrieben habe…! Und dieses schreckliche Bild in unserer kleinen Kirche zeigt mir, dass Marcus offensichtlich keine Gegenwehr geleistet hat. Mehr noch, als wollte er diese ungeheure Tat geschehen lassen.“

Leichen leben!

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