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Gemeinsam konstruierte Sandbildgeschichten

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Im narrativen Sandspiel werden auch Familiensandbilder in Bewegung versetzt; Geschichten, die aus ihnen entstehen, werden gemeinsam weitergespielt. Bei der Gestaltung der Sandbilder nutze ich ein Vorgehen, das auch jüngeren oder ängstlichen Kindern einen Einstieg erleichtert (»gemeinsam konstruierte Sandbildgeschichten«, Brächter 2010, S. 106 ff.). Reihum stellen Eltern und Kinder Objekte in den Sand, wobei ich mich eingangs beteilige und den Eltern in der Regulierung des Tempos und der Ansprache an das Kind als Modell diene. Zunächst wird die Umgebung gebaut, später werden Figuren hinzugefügt. Fällt es einem Kind noch schwer, zu sprechen und selbst etwas auszuwählen, helfe ich ihm durch ein »Ratespiel«, welche Figur es wohl anschaut und wohin sie gestellt werden soll. Das ruhige und strukturierte Vorgehen bietet Eltern und Kindern viel Sicherheit; von Runde zu Runde beteiligen sich auch zurückhaltende Kinder aktiver an der Gestaltung.

Ist das Sandbild abgeschlossen, wird gemeinsam überlegt, wie die Geschichte weitergehen könnte. Das Kind verteilt anschließend die Rollen zum Weiterspielen. Oft erhalten Eltern Rollen, in denen sie es bei symbolischen Entwicklungsschritten unterstützen können.

JÜRGEN, 4 JAHRE alt, ängstlich und in der Sprachentwicklung verzögert, neigt im Alltag zu heftigem Schreien, bei dem er von den Eltern kaum zu beruhigen ist. Beim Sandspiel wagt er es anfangs nicht, selbst Figuren zu wählen; stattdessen nutzt er die Hand seiner Mutter als »Baggerschaufel«. Schließlich stehen zwei Lämmchen vor einem Tunnel, als wollten sie ihn durchqueren. Jürgen gibt zu verstehen, dass der Vater mit dem größeren Lamm vorausgehen soll, während die Mutter als Hirtin bei seinem kleinen Lämmchen bleiben soll. Mir wird – wie oft – eine Nebenrolle zugeteilt: Als Zwerg schaue ich nur zu. Nachdem der Vater seine Figur durch den Tunnel geführt hat, schiebt er auch Jürgens Lämmchen hinein. Mit der Frage »Kommst du schon dran?« motiviert er ihn, es selbst aus dem Tunnel zu ziehen. Stolz blickt Jürgen auf die beiden Lämmchen, die es geschafft haben, und strahlt seine Eltern an.

Im Nachgespräch beschreiben die Eltern, wie wichtig es für sie war, Jürgen im Spiel gut geführt und begleitet zu haben. Wie bei vielen in der Erziehung eher unsicheren Eltern wirkt diese Erfahrung noch lange nach.6

Statt kurze Handlungssequenzen abzusprechen und umzusetzen, lassen sich Sandbildgeschichten mit älteren Kindern und Jugendlichen auch in einem offenen Prozess entwickeln, in dem die Spielhandlung im Verlauf entsteht. Im Gegensatz zum stützenden Sandspiel agieren die Eltern hierbei nicht vorrangig in einer Hilfsrolle für ihr Kind, sondern können sich auch mit eigenen Verhaltensimpulsen auseinandersetzen. Als Therapeutin wirke ich nicht aktiv mit, sondern beschränke mich auf Kommentare zum Spielgeschehen.

Das Vorgehen wird strukturiert, indem die Mitspielenden abwechselnd ein paar Sätze erzählen und die Handlung folgen lassen. Im Unterschied zu Familienskulpturen (siehe Kap. 3.1) und zur Kinderorientierten Familientherapie (siehe Kap. 4.2) begegnen sie sich dabei nicht mit fest zugeordneten Stellvertreterfiguren, sondern bewegen spontan Figuren, die im Sandbild vorhanden sind. Die flexible Rollenwahl ermöglicht es, unterschiedliche Aspekte des eigenen Erlebens auf Figuren aufzuteilen. Da die fiktive Ebene einer Geschichte Abstand zum Geschehen schafft, können tabubehaftete Seiten des eigenen Verhaltens leichter in Szene gesetzt werden.

BEN, 6 JAHRE alt, hat miterlebt, wie ihn seine Mutter nach einer Frühgeburt und anschließender Erkrankung der jüngsten Schwester immer wieder verlassen musste, um die Klinik aufzusuchen. Mit seinen Gefühlen von Angst und Verlassensein blieb er allein und konnte sich auch dem Vater nicht mitteilen, der selbst in Sorge war. Später entluden sich Bens Spannungen in einem Wechsel von Aggressionen und übergroßer Angst um die jüngeren Geschwister. Zu Therapiebeginn leidet er unter Albträumen; die Mutter-Sohn-Beziehung ist starken Belastungen ausgesetzt.

Im gemeinsamen Sandspiel mit seiner Mutter lässt Ben immer wieder Raubtiere um Nahrung kämpfen, dabei greifen sie auch kleine Tiere an. Anschließend wechselt er blitzschnell in Rollen, in denen er die bedrohten Tierkinder beschützt. In reflektierenden Kommentaren spiegle ich mögliche Gefühle und Bedürfnisse der Figuren.

An die Mutter gewandt, beschreibe ich die Angst, die die kleinen Tierkinder empfinden müssen, und bewundere die mutigen Tiere, die sich den Raubtieren in den Weg stellen. Im Selbstgespräch frage ich mich auch nach den Motiven, die die Raubtiere wohl antreiben – die mentalisierungsfördernde Art der Gesprächsführung, die Eia Asen (2021) für die systemische Arbeit mit Familien beschreibt, beziehe ich im Spiel auf die Figuren im Sandkasten.

Die Mutter teilt meine Wahrnehmungen und Fragen. Im Gegensatz zum Alltag kann sie sich ganz auf Ben einlassen, ohne sich um die jüngeren Geschwister zu sorgen; durch ihr Mitspielen trägt sie seine Emotionen mit und gibt ihm zu verstehen, dass er all dies fühlen und ausdrücken darf. Ein bedeutender Schritt ist erreicht, als der verzweifelte Kampf um Nahrung als Folge einer Hungersnot verstehbar wird: Wölfe kommen, um ihr Futter mit einem Panther zu teilen.

In ihrem letzten gemeinsamen Sandbild gestalten Mutter und Ben eine Bauernhofszene, die ruhig und friedlich wirkt; Raubtiere und Kampf sind als Themen verschwunden. Es kommt zu einem eindrucksvollen Moment, als Ben eine verletzte Katze spielt: Erstmals kann er seine Hilfsbedürftigkeit zeigen, ohne sofort selbst rettend zu intervenieren. Die Mutter spielt eine Bäuerin, die dies zwar sieht, aber so mit ihrer Arbeit beschäftigt ist, dass sie der Katze nicht helfen kann. Nachdem sie dies ausgesprochen hat, wechselt sie in die Rolle eines Stallburschen, der zur Katze geht und den Tierarzt ruft. Als der Arzt die Katze untersucht, kommt die Bäuerin hinzu. In der Rolle der Bäuerin spricht die Mutter einen Satz aus, der für Ben sehr wichtig ist: Sie habe gar nicht mitbekommen, wie stark die Katze verletzt war.

Im Anschluss an diese berührende Szene endet die Geschichte mit einer gemeinsamen Handlung: Mutter und Ben kümmern sich um den Stallburschen, der beim Beschlagen der Pferde von einem Huf getroffen und verletzt wurde (Abb. 3) (Brächter 2020).


Abb. 3: Der Stallbursche wird versorgt

Übersicht: Gemeinsam konstruierte Sandbildgeschichten

 • Reihum werden von Eltern und Kind Gestaltungselemente und Figuren in den Sand gesetzt (eingangs Mitwirkung der Therapeutin).

 • Anschließend wird die Szene betrachtet, die im Sandbild entstanden ist.

 • Es wird überlegt, wie die Geschichte weitergehen könnte.

 • Dabei wird dem Kind die Führung überlassen, die Eltern unterstützen es.

 • Das Kind verteilt die Rollen zum Weiterspielen, und die Geschichte wird umgesetzt.

Variante:

 • Abwechselndes »Weitererzählen« und Weiterspielen mit jeweils spontan gewählten Figuren.

2 Die Fallbeispiele wurden anonymisiert; Namen und Details wurden verändert, um ein Wiedererkennen von Personen auszuschließen.

3 Das im Weiteren Dargestellte gilt auch für Sandspieltherapie mit Jugendlichen und Erwachsenen.

4 Zum Vorgehen bei Traumatisierungen vgl. 4.1.

5 Vgl. zur »Transparenz« als Leitlinie systemischer Kindertherapie Schmitt und Weckenmann (2009).

6 Die Szene berührt auch ein geburtstraumatisches Erlebnis, für das ein gutes Ende gefunden wird; vgl. Brächter 2010, S. 108 ff.

Einführung in die systemische Sandspieltherapie

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