Читать книгу Harras - Alles wird böse - Winfried Thamm - Страница 12

Kapitel 5

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Ein klärendes Gespräch

Harras war ein südländischer Typ mit fast schwarzen Haaren und einer großen, etwas schiefen Hakennase, einem schmallippigen, häufig arrogant wirkenden Mund und intensiven dunklen Augen. Sein Körper, etwas kleiner als Hennings, war mager, durchaus durchtrainiert, drahtig und ungeheuer zäh, aber nicht sehr schön anzuschauen mit seinen knochigen, krummen Beinen und seiner blassen Haut. Er war der einsame Wolf, unabhängig und kompromisslos, mit verrückten Ideen, viel Geld und Einfluss. Sein Luxusleben finanzierte er sich als Immobilien-Geier. Mit guten Drähten zu Banken, Steuerbehörden und anderen wichtigen Leuten – auch das Internet war da eine große Hilfe – kaufte er Immobilien von Leuten, die schlecht bei Kasse waren, billig auf und verhökerte sie teuer an Leute, die Geld genug hatten. Vorher ließ er die Objekte optisch gut durchrenovieren. Er kannte da so ein paar Polen, die das preiswert hinkriegten und dafür Geld bar auf die Hand bekamen. Dann gingen die Anwesen weg wie warme Semmeln. Er arbeitete meist von zu Hause mit PC, Internet und Telefon. Hier und da fuhr er auch mal zu Hausbesichtigungen und war oft unterwegs, um Kontakte zu halten oder neu zu knüpfen. Das war wichtig: Kontakte zu den Richtigen, unter ihnen auch einige aus dem Rotlichtmilieu und der Unterwelt.

Was Frauen anging, war er ein Jäger. Die Jagd an sich fand er spannend. Das Balzen und Turteln und Lügen und Machen. Und das Erlegen. Der Fick. Danach war tote Hose. Nur einmal war sein Herz dabei gewesen, bei Anna. Die hatte was, was er bei keiner wiedergefunden hatte. Als er erfahren hatte, dass sie schwanger war und nicht bereit zu einer Abtreibung, hatte er sie geschlagen, einmal, mitten ins Gesicht. Das hatte er sich bis heute nicht verziehen. Dass sie daraufhin nichts mehr von ihm wissen wollte, bedauerte er in stillen Stunden immer noch.

Seitdem verstand er sich eben als Jäger und Sammler, der die kleinen Mosaiksteinchen der sexuellen Reize vieler unterschiedlicher Frauen für das große Puzzle seines Frauenideals bei vielen Amouren zusammentrug, um so der ,Frau an sich‘ näherzukommen. Das redete er sich wenigstens ein.

Mit Absicht kam Harras zehn Minuten später als verabredet zum „Stilbruch“. Das hatte zwei Gründe: Er wollte Henning das alte, ihm vertraute Bild des Harras bieten, der häufig, fast regelmäßig zu spät kam und nichts dabei fand. Und er wollte Henning ein wenig ärgern, weil er sich heranzitiert fühlte, wie ein untreuer Untergebener, der die Portokasse mitgehen ließ und sich jetzt seine Strafe abholen sollte. Das war Harras nicht gewohnt, das hasste er, das kränkte seinen Stolz.

Er sah Henning am hintersten Tisch des kleinen Biergartens sitzen, entspannt zurückgelehnt, vor ihm ein Weizenbier, in der Hand eine Zigarette. Harras setzte sich ihm gegenüber und eröffnete moderat:

„Schön dich zu sehen, Henning. Das letzte Mal passte es ja nicht so. Das zeigt, dass wir in manchen Dingen völlig unterschiedlich sind. Es sollte eine nette Überraschung sein, es war gut gemeint. Helen hat es auch so gesehen.“

„Weißt du, was meine Mutter immer sagte, wenn sie sich besonders penetrant in mein Leben mischte? ,Ich meine es doch nur gut, mein Junge‘.“

„Angekommen!“

Beide maßen sich im Schweigen. Die Blicke gesenkt.

Die Kellnerin kam vorbei, Harras bestellte sich ein großes Pils.

Henning trank einen Schluck, nahm Harras fest in den Blick und griff an:

„Was willst du von mir?“, fragte er bissig.

„Ich hoffe, das Gleiche, was du von mir willst“, blieb Harras freundlich.

„Und das wäre?“

„Wenn du es nicht weißt, werde ich es dir sagen. Ich habe für heute Abend einen riesigen Sack Geduld mitgebracht und ein dickes Fell. Heute Abend ist wohl die Arschwäsche angesagt, habe ich auch verdient. Was ich von dir will, ist letztendlich Vergebung und eine Chance, wieder mit dir ins Reine zu kommen, dir wieder ein Freund sein dürfen, deine Akzeptanz meiner Fehler, ein Schwamm drüber, nicht heute, nicht morgen, aber bald. Bitte Henning!“

„Wie stellst du dir das vor? Als ich nach der akuten Schmerzphase im Krankenhaus meine Gedanken sortierte, war der erste: Ich bringe dich um. Du besäufst dich, du turnst auf der Reling herum, du gehst über Bord, du wirst von mir herausgefischt, dann löst du noch den Knoten am Ruder, damit das Boot abdreht und der Mastbaum mich erwischt.“

„Stopp! Das stimmt nicht! Alles richtig, alles Leichtsinn, alles grobe Fahrlässigkeit, aber das mit dem Knoten, nein.“ Harras jagte die Worte nur so heraus, ließ keinen Raum für Unterbrechungen. „Du hast einen halben Schlag auf Slip benutzt, in der Eile, ist klar, du weißt aber, wie leicht sich so ein provisorischer Knoten von selbst löst. Ich habe den Baumschlag nicht ausgelöst, das musst du mir glauben.“

„Und wenn nicht?“, grinste Henning böse.

„Du bist ein Arschloch! Was soll das jetzt? Vielleicht bleiben wir jetzt mal ernst?!“

„Okay, nach viel Grübelei bin ich auch zu dem Schluss gekommen, dass du den Knoten nicht oder nicht absichtlich gelöst hast. So eine Sauerei traue ich dir dann doch nicht zu. Reichen die anderen Punkte denn nicht aus, einfach zu dem Schluss zu kommen: Tschüss Harras, das reicht. Es ist wirklich genug! Du tust mir eben nicht gut. Was soll ich denn sonst noch alles verzeihen? Dass du den kleinen Jazzauftritt mit Stasia im Billardklub, auf den ich so stolz war, der mich in seiner Spontaneität so berührt hat, selbst eingefädelt hast und mich damit wie einen dummen Jungen behandelt hast? Dass du sie auf mich angesetzt hast, mich zu verführen? Dass du Helen mit mir teilen willst, wie zwei Freier die gleiche Hure aufbocken und nachher Witze darüber machen. Nur, das mit den Witzen wird bei mir nicht klappen. Dazu bin ich ja zu kleinbürgerlich, ich der kleine spießige Idiot, mit dem du machen kannst, was du willst. Das hast du mir doch oft genug gesagt, dass ich das bin, dass du das von mir hältst, du arrogante Sau!“

„Du weißt genau, dass das nicht so gemeint war, höchstens mal im besoffenen Kopf so rumgesponnen. Ich weiß auch, dass ich manchmal ziemlich arrogant bin, ja, aber du weißt auch, dass ich viele Seiten an dir schätze, sogar bewundere und dir sogar neide. Jetzt mach dich nicht selbst so runter, das hab ich nie getan. Hier und da provoziert, ja. Und das mit Stasia? Du bist ein erwachsener Mensch, du kannst mit Tinte schreiben und kommst an die Klingel und bist für deine Taten selbst verantwortlich. Wenn du dich nicht zurückhalten kannst … also dafür kannst du mir die Schuld nicht in die Schuhe schieben.“

„Ach so, ach ja? Dein ganzes manipulatives Vorgehen ist doch ein Zeichen für hochgradiges Misstrauen. Das soll also die Basis unserer Freundschaft sein? Und dann noch dein protziges Gehabe mit Chauffeur und Staatskarosse und Champagner bis zum Abwinken, ach hör doch auf!“

„Das ist nicht fair, denn das hat dir imponiert, das hat dir Spaß gemacht, gib ’s zu!“

„Wie soll ich dir denn noch über den Weg trauen, Harras?“

„Tu’s einfach, Henning. Helen tut ’s auch. Vielleicht nimmst du sie als Garant. Frauen haben da einen besseren Instinkt als wir. Henning, gib mir eine Chance, bitte!“, sagte Harras und schaute Henning fest in die Augen.

Er hielt den Blick nicht aus, schaute auf seine Hände am Bierglas, räusperte sich und flüsterte heiser: „Harras, was verlangst du da von mir?“

Schweigen, hilflos.

„Ich hab Durst, bestell mir ’n großes Pils und ’n Ouzo, ich muss zum Klo“, sagte Henning schroff.

Unsicher stand Henning auf und verschwand im Inneren der Kneipe. Harras bestellte die Getränke.

Henning hatte mehr als zehn Minuten auf der Toilette gesessen und nach Luft geschnappt. Seine Beine schmerzten, seine Rippen taten weh und sein Magen grummelte, als habe er etwas Falsches gegessen. Als er zurückkam, warteten die Getränke bereits auf dem Tisch.

Henning setzte sich und Harras prostete ihm zu, wollte mit ihm anstoßen, doch Henning hob nur sein Glas und trank. Harras nahm es hin und sagte:

„Nun gut, erst mal prost auf Distanz. Ich bin der böse Bube, ich weiß. Als wir uns damals als junge Spunde nach dem Streit aus den Augen verloren, nein, du mir aus dem Weg gingst, da haben wir im Nachhinein gemerkt, dass alles nur ein saublödes Missverständnis war. Oder anders ausgedrückt, ich zu hart mit dir umgegangen bin …“

„Du wolltest ja nur mein Bestes, wie meine Mutter früher.“

„Lass das jetzt, du mit deinem Mutterkomplex, dafür bin ich wirklich nicht zuständig“, fuhr Harras geduldig fort, „da habe ich gemerkt, dass ich eine Art habe, die nicht immer bei dir ankommt, aber wir haben ihn ausgeräumt, den Zwist. Und dann hatten wir doch eine schöne Zeit, das hat uns beiden doch viel Spaß gemacht und noch mehr: Wir hatten uns wieder gefunden. Wir haben uns wieder aneinander gerieben und uns gegenseitig unsere Sicht auf die Welt erklärt, uns gespiegelt und gerauft, Perspektiven getauscht und Verständnis gefunden und Erkenntnisse gewonnen. Das ist doch das, was Freundschaft ausmacht, oder?“

„Ja, ja“, Henning grinste kühl. Der Friedensengel war für ihn noch lange nicht in Sicht. „Du hast ja nicht monatelang im Krankenhaus gelegen, mit Schmerzen ohne Ende, mit Erniedrigungen durch Bettpfannen und Pinkelflaschen, mit der Trennung von Frau und Sohn und Firma, völlig aus der Welt, ohne zu wissen, ob ich jemals mein altes Leben wieder aufnehmen kann. Das war meine Erfahrung, nicht deine. Und jetzt soll ich so tun, als ob nichts gewesen wäre, das alles so sehen, wie einen kleinen Unfall mit Blechschaden. Und das nur wegen deiner Sauferei und deinem Leichtsinn. Dass da Vertrauen verloren gegangen ist, ist wohl wieder nur meine kleingeistige, spießbürgerliche Sichtweise, oder was?!“

„Nein, dass wir jetzt einfach wieder zur Tagesordnung übergehen können, erwarte ich gar nicht. Nur gib mir noch einmal eine Chance. Du …“, Harras versuchte vergeblich den Kloß im Hals wegzuschlucken, „bist für mich der wichtigste Mensch, den ich habe, also, den ich kenne. Und den möchte ich nicht verlieren.“

Harras schaute auf seine Finger, die mit seinem Feuerzeug spielten, als seien sie nicht seine. Und Henning meinte einen feuchten Schimmer in seinen Augen zu sehen.

„Und wie stellst du dir die vor, die Chance?“

„Ja nun, ich stelle mir vor, dass ich weiterhin in deinem Hause willkommen bin, dass ich vorbeikommen kann, mit dir und Helen und Karl reden kann. Vielleicht normalisiert sich alles irgendwie, nicht sofort, aber nach einer gewissen Zeit. Dann können wir gemeinsam mal was unternehmen, oder so. Scheiße, ich weiß es ja auch nicht!“ Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, ein Ouzo-Glas fiel um.

„Okay, ich sag’s mal so. Du hast kein Hausverbot, aber ich möchte, dass du vorher anrufst und nicht einfach so auftauchst, wie es dir passt“, sagte Henning in einem Tonfall, der Hoffnung auf Tauwetter zuließ. „Jetzt noch ein hartes, aber ehrliches Wort. Momentan scheine ich ja wichtiger für dich zu sein, als umgekehrt. Kein Wort über Stasia zu Helen, auch kein belangloses. Wenn sie fragt: Du hast dich von ihr getrennt und willst nicht drüber reden. Und wage es nicht, Stasia noch einmal mitzubringen, egal ob wir uns mit Helen treffen oder nur wir beide. Und schon gar nicht in mein Haus. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, mit ihr bei mir aufzutauchen?“

„Ja, das weiß ich jetzt auch nicht mehr. Ich wollte … keine Ahnung. War wohl nicht so schlau.“

„Ich will Stasia nicht mehr begegnen. Sie tut mir nicht gut.“

„Ja, einverstanden, klar, selbstverständlich. Meinst du, ich bin so ein Merknix …“

„Ja, der bin ich doch sonst immer, der Merknix. Weißt du noch, als du zum ersten Mal bei uns warst. Da hast du mich ziemlich getroffen, mit dem Merknix“, unterbrach ihn Henning.

„Ach ja, ich wollte dich nicht … das ist mir so rausgerutscht.“

„Du hast eben einen sehr empfindsamen Freund.“

„Freund“, wiederholte Harras.

Und zum ersten Mal nach langer Zeit wagten beide einen Anflug von Lächeln.

Dann stand Harras auf und ging. An der Tür drehte er sich noch einmal zu Henning um und hob die Hand zum Gruß.

Henning bestellte noch einen doppelten Ouzo und hing seinen Gedanken nach. Als er schließlich den Kellner wegen der Rechnung rief, war sie schon beglichen. Die alte Ratte, dachte er und grinste.

Zu Hause angekommen merkte er, dass sein Hemd völlig durchgeschwitzt war. Er wechselte es schnell gegen ein T-Shirt, ging hinunter ins Wohnzimmer und erzählte Helen von seinem Treffen mit Harras.

„Henning, das finde ich wunderbar, dass du ihm noch eine Chance gibst“, sagte Helen. „Er hat sich in der Zeit, als du in der Klinik warst, wirklich betroffen gezeigt. Er ist kein schlechter Mensch. Er hat mir auch oft ganz praktisch geholfen, hat auf Karl aufgepasst, wenn ich in den Laden zu meinem Vater musste. Und überhaupt. Das renkt sich alles wieder ein. Ich würde mich so freuen für euch und auch für mich. Er ist ein prima Kerl.“

Sie gingen zu Bett und liebten sich, diesmal langsam und voller Zärtlichkeit, ja mit großer Vorsicht.

Als er einschlief, spürte er seine Schmerzen nur noch als ein leichtes graues Laken auf seinen Gliedern und auf seiner Seele.

Harras - Alles wird böse

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