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Seniorenglück

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Sie steht neben mir an der roten Ampel. Sie schaut herüber. Kurz. Lächelt nicht. Ist klar. Hab sie links überholt, bevor sie die Spur wechseln konnte. Jetzt muss sie gleich hinter mir links rüber wegen der parkenden Autos da vorne. Da dürfen die gar nicht stehen, zwischen vier und sechs, blockieren die rechte Spur jetzt in der Rushhour. Es gibt so wenig Rücksicht im Verkehr.

Hätte sie auch reinlassen können, in die Lücke, gentlemanlike, aber ich wollte nicht. Nicht sie. Sie, mit ihrem kleinen Ford KA, mit der Aufschrift „Seniorenglück – ambulante Pflegehilfe“. Das hat sie davon! Sie, die alte Leute tot pflegt, von einem zum nächsten rast, mit ihrem kleinen Auto. Treppe rauf, rein in die Wohnung, „Wie geht’s uns denn?“, Windel ab, mit dem Lappen drüber, Windel drum, Mund auf, Pillen rein, Schluck Wasser drauf, und immer schön viel trinken, schönen Tag auch, Oma Schulze.

Und jetzt guckt sie noch einmal rüber, mit ihrem Blick ohne Lächeln, der sagt: „Warte, nicht mehr lange, dann pflege ich auch dich!“

Sie mag Ende zwanzig sein, Anfang dreißig, höchstens. Sie, mit ihrer unverschämten Jugend, mit ihrer dreisten Gesundheit.

Letzte Woche hatte ich den letzten Arbeitstag meines Lebens. War schon komisch. Da bin ich ausgeschieden, letzte Woche, aus dem Rennen um Karriere, Macht und Ruhm. Hatte schon was erreicht in der Abteilung. Mit meiner Erfahrung, meinen Kenntnissen, meinen Kontakten. Hat ja auch der Direktor gesagt in seiner Rede, bei meinem Abschied. Die goldene Uhr gab es nicht. Das war früher mal. Jetzt beim Sparkurs gibt’s Blumen und ein Buch: „Mit Elan ins leichte Leben – ein Ratgeber für rüstige Rentner“. Der Blumenstrauß hielt nicht lange. Das Buch liegt auf dem Klo, gut gegen Verstopfung.

In den letzten Jahren lief ich eher außer Konkurrenz, war kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Bei dem Tempo, das angesagt war, wurde ich reihenweise überholt. Saus-die-braus, links wie rechts, von jungen, intelligenten und dynamischen Kindern, die alles wussten von Innovation, Management und Cashflow, aber noch die Tränen in den Augen hatten vom ersten Liebeskummer. Sie kämpften mit Ellenbogen, dabei hätte ich sie gerne auf den Arm genommen und ins Bett gebracht, vielleicht noch eine Geschichte vorgelesen, von dem, der auszog, um das Fürchten zu lernen. Sie wussten alles von Produktpositionierung und Finanzkalkulation, aber nichts vom Leben. Na ja, das ist ja jetzt vorbei für mich, Gott sei Dank.

Den Wagen kriegt mein Sohn Max. Aber vorher mache ich ein paar Spritztouren. Lange Jahre hatte ich die Idee im Kopf, aber nie die Zeit. Jetzt bin ich endlich aus der Tretmühle raus und kann mit meinem alten Benz noch einmal die geliebten Städte abfahren: Amsterdam, Prag, Berlin, Brügge, Dresden, Weimar, Den Haag und natürlich Paris. Die Städte, die ich mit ihr verbinde, mit meiner Lebensliebe. Alles hat ein Ende, nur der Mensch hat zwei: Das eine ist der Tod, das andere das Vergessen. Dich vergesse ich nie.

Das wird schön, so durch die Städte zu schlendern und an früher zu denken. Dann vielleicht noch mal ans Meer, vielleicht Paimpol in der Bretagne oder auch nur Katwijk in Holland. Mal sehen.

Dann kriegt Max das Auto, wird sich freuen, der Junge. Dann ist er weg, der Wagen. Der Lack noch wie neu.

Wo kommt plötzlich all die Traurigkeit her?

Sie ist schuld. Diese freche junge Göre in diesem Kinderauto mit der Aufschrift „Seniorenglück“. Du kriegst mich nicht! Wo ist sie eigentlich? Schon weg. Warum hupen die alle hinter mir? Ja, ich fahr ja schon.

Muskelkater vom Leben

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