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1.1 Begriff des Normativen

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Was ist nun das Bedeutende und Besondere am Begriff des Normativen?

Die Normative Ausrichtung zeigt sich zunächst in einer doppelten zweifachen Dimension:

(1) Die Zeit versagt, da

(1a) Zeit und Raum zusammenschrumpfen

(1b) Zeit und Bedeutung nicht zu trennen sind

(2) Die Strategie versagt, weil

(2a) Normative Sichtweise und Empirie zu trennen sind

(2b) Normativ fordert Ethik

Ad (1) Die Zeit versagt

(1a) Zeit und Raum schrumpfen zusammen

Immanuel Kant wies auf die Raum-Zeit Problematik hin (Kant 1781). Übertragen heißt das, dass es keine Betriebswirtschaftslehre an sich gibt. Das Management findet statt im Hier und Jetzt! Die Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsprinzips kann nur mit dem Vorfindbaren und dem Gegebenen erfolgen. Veränderungsstrategien und Entwicklung von Modellen schließen das nicht aus, aber die Gedankenexperimente müssen immer anwendungsorientiert bleiben, frei von abgehobenen, unrealistischen Denkstrukturen.

Micheal Foucault hat den Zusammenhang und das Zusammenrücken von Raum und Zeit weitergedacht, hervorgehoben und ausgearbeitet (Foucault 1967).

Während vor 100 Jahren Wilhelm Busch von Wiedensahl nach Stadthagen mit der Kutsche vermutlich 45 Minuten fahren musste, um dort mit Freunden ein Bier oder einen Kaffee im Ratskeller zu trinken oder mit seinem Verleger zu verhandeln, so können wir heute diese Strecke in 15 Minuten mit dem Auto bewältigen. Wir könnten mit dem Verleger heute direkt mit dem Smartphone, per Skype oder anderen Kommunikationsmitteln schneller kommunizieren.

Dennoch kursieren in vielen Teilen der Betriebswirtschaftslehre weiterhin die Kategorien »Operativ – Taktisch – Strategisch«, meistens mit Zeitangaben von einem bis zehn Jahren. Diese Denkstrukturen müssen aufgebrochen werden, will man mit der schnelllebigen Zeit mithalten.

Operatives und Strategisches Handeln wachsen viel schneller zusammen, als manche glauben wollen. Sie bedingen einander. Die Auswahl eines neuen Chefarztes mag langfristig vorbereitet sein, kurzfristig werden Anpassungsentscheidungen notwendig sein, da mit Dienstantritt des neuen Chefs vermutlich das OP-Programm Veränderungen erfahren wird. Man kann das künstlich in Strategisch und Operativ unterscheiden, damit werden Trennlinien geschaffen, die aber nicht dienlich sind.

Operatives und strategisches Denken sind zusammen zu betrachten und sind zu ergänzen um das Normative!

(1b) Zeit und Bedeutung lassen sich nicht trennen.

In den 70er Jahren haben manche Professoren in der Betriebswirtschaftslehre darauf hingewiesen, dass nicht nur die Zeit entscheidend ist, sondern auch die Bedeutung unternehmerischer Entscheidungen. Wir können deshalb nicht alles über die Zeiträume abhandeln. Die Bedeutung gerät in den Fokus, diese nimmt Einfluss auf die Entscheidungen. Grundsätzlich ausgedrückt: Es muss sichergestellt werden, dass Gesundheitseinrichtungen (Krankenhaus, Altenheim, ambulante Dienste etc.) Problemlöser sind. Im Krankenhaus sollen Menschen mit ihren Krankheiten genesen und ihre Schmerzen gelindert werden; im Altenheim sind Menschen zu versorgen, die allein nicht mehr leben können oder wollen, ambulante Dienste versorgen Menschen vor Ort.

Das ist nur von der normativen Ausrichtung aus zu beantworten, nicht aus der Strategie heraus. Und so gibt das Normative die Klammer vor, die das Denken leitet, so dass Aufgaben zielorientiert erfüllt werden.

Jede operative Entscheidung ist strategisch angelegt und wirkt strategisch fort. Operativ und Strategisch rücken deshalb zusammen.

Das Normative als das Grundsätzliche und als die Vision der Unternehmung gewinnt an Kontur, im Sinne von »Was wollen und sollen wir tun«.

Dabei wird es um die Kernkompetenzen der jeweiligen Gesundheitseinrichtung gehen und um eine Rückbesinnung auf das Wesentliche und Normative (»Back to the roots«).

Die Zeitebene darf nicht zur Vernachlässigung der Bedeutung führen. In die gleiche Richtung zielt auch das Gresham’sche Gesetz der Planung, das von Sir Thomas Gresham (1519–1579) bezogen auf das Geld herausgearbeitet wurde:

Probleme geringerer Bedeutung, aber hoher Dringlichkeit verdrängen die Lösungssuche für Probleme mit hoher unternehmungspolitischer Bedeutung aber geringerer Dringlichkeit bei der Organisationsgestaltung.

Deshalb ist die Zeit betriebswirtschaftlich nicht mehr dominierend!

Erste Zusammenfassung:

Da die Zeit als Abgrenzungskriterium nicht mehr greift, ist die normative Ausrichtung so wichtig. Dem Normativen ist mehr Bedeutung beizumessen als einer strategischen Frage, wo wir in 10 oder 20 Jahren stehen.

Das Normative bestimmt die Strategie!

Das Normative umfasst die Unternehmungsverfassung, die Unternehmungspolitik und die Unternehmungskultur.

Knut Bleicher hat die Dreiteilung eingeführt und die normative, strategische und operative Perspektive herausgehoben (Bleicher 2011). Während die normative Perspektive die Unternehmungsverfassung, -politik und -kultur umfasst, wird die Strategie in der Literatur durch die Bereiche Struktur, Organisation und Programme umschrieben und das operative Geschehen erfolgt durch Prozesse, Handlungen und Aktionen ( Tab. 1.1).

Tab. 1.1: Normative, strategische und operative Perspektive


Diese Dreiteilung wird – treffen die obigen Aussagen und Analysen zu – zu einer Zweiteilung zusammenwachsen. Auf der einen Seite wird die Werteorientierung sein und auf der anderen Seite werden Gestaltung und Lenkung zusammenfallen ( Tab. 1.2).

Da die Kultur in den letzten Jahrzehnten sich differenzierter gestaltet (immer mehr Zusammenschlüsse, Diversität, Internationalität etc.), ist die Frage, wie diese unterschiedlichen Kultureinflüsse gestaltet werden sollen. Die Ethik in ihrer Differenzierung in gesellschaftliche, unternehmerische und individuelle Konzeptionen kann diese Funktion übernehmen, um eine Zusammenführung, Integration oder Begleitung unterschiedlicher kultureller Einstellungen zu erreichen. Die Ethik ist dabei handlungsorientiert zu verstehen und von der Moral klar abzugrenzen. Moral als das zu bezeichnen, was alle billig und rechtdenkenden Menschen tun, ist zu wenig, um reflektorischen und handlungsorientierten ethischen Ansprüchen und Denkmodellen zu genügen.

Deshalb ist Bildung und Wissen, Reflexion und internationaler Gedankenaustausch so wichtig.

Tab. 1.2: Werteorientierung und Gestaltung und Lenkung


Normative PerspektiveStruktur- und Handlungsebene

Ad (2) Die Strategie versagt

(2a) Normativ versus Empirie

Prof. Dr. Norbert Lammert (CDU-Politiker, Bundestagspräsident a.D.) hat in einer Rede im Februar 2019 (100 Jahre Weimarer Republik mit dem Thema »Innovationen und Schwierigkeiten einer jungen deutschen Republik und Demokratie« am 08.02.2019) darauf hingewiesen:

»… Verfassungen … haben … normative Vorstellungen über die Gestaltung einer Gesellschaft …: Die Würde des Menschen ist unantastbar.«

Das ist ein normativer Satz!

»Empirisch ist dieser Satz geradezu paradox. Wollte unsere Verfassung erlebte Erfahrungen wiedergeben, müsste der erste Satz lauten: Die Würde des Menschen ist antastbar.«

Weiter formuliert er:

»Dieser Satz Die Würde des Menschen ist unantastbar gibt nicht einen empirisch gesicherten Sachverhalt wieder, sondern er leitet aus der genau gegenteiligen Erfahrung unserer Geschichte einen Geltungsanspruch her, der sich, wenn nötig, auch gegen die Wirklichkeit stemmen soll. Das ist zutiefst kulturell, religiös begründet und begründbar und ohne diesen Erfahrungszusammenhang nicht plausibel nachvollziehbar. Die Präambel unseres Grundgesetzes ist deshalb eine konstitutionelle Wegweisung, die ihre feierlich vorangestellten Leitgedanken ethisch begründet.«

Was heißt das: Die Bedeutung des Normativen steht vor der Empirie.

Aus der Empirie, die durchaus erhoben werden kann, lässt sich ein Sollen nicht ableiten. Ein Sollen muss begründet werden. Das haben David Hume (1711-1776) und andere herausgearbeitet.

Wie oft wurden doch Befragungen durchgeführt: An der Hochschule Osnabrück unter der Wissenschaftlichen Leitung von Prof Dr. Winfried Zapp mit einer Vollerhebung an niedersächsischen Kliniken oder beim Deutschen Verein für Krankenhaus-Controlling e.V. (DVKC) bundesweit, wie auch an vielen anderen Instituten. Die ersten Ergebnisse waren doch in den Studien erschreckend gleich:

Manche Krankenhäuser meinten eine Deckungsbeitragsrechnung zu haben, manche hatten dabei gleichzeitig geantwortet, über keine Kostenstellen oder keine Kostenartenrechnung zu verfügen. Aber eine Kostenartenrechnung ist Grundlage für alle anderen Rechnungen und wenn ein Krankenhaus darüber nicht verfügt, kann es auch eine Deckungsbeitragsrechnung nicht vorweisen können.

Nicht die Ergebnisse von Befragungen entscheiden, sondern die begründete Analyse ist entscheidend. Die Empirie versagt, wollten wir daraus ableiten, welches Rechnungssystem eingesetzt werden soll.

Das Management muss deshalb analysieren, begründen und entscheiden, ob eine Deckungsbeitragsrechnung oder Balanced Scorecard, ob eine Portfolio-Analyse oder Prozesskosten-Rechnung oder alles eingeführt und angewendet wird. Eine Befragung hilft da wenig, sondern die Normative Grundausrichtung und Vorgehensweise ist wesentlich: Eine Entscheidung muss begründet werden, vor dem Hintergrund, dass dadurch die Unternehmung optimal wirtschaftet! Und: Das Management muss dann die getroffene Entscheidung umsetzten – oder soll dann auch wieder eine Befragung durchgeführt werden?

Da aus der Empirie, die erhoben wurde, sich ein Sollen nicht ableiten lässt, muss ein Sollen begründet werden. Deshalb benötigen qualifizierte Ökonomen ethische Grundsätze.

Humes Formulierungen – auch als Sein-Sollen Problem dargestellt – weisen darauf hin, dass aus einem »Ist« kein »Sollen« abgeleitet oder begründet werden kann (Hume 2004). Eine ähnliche Ansicht – aber davon zu unterscheiden – ist der auf George Edward Moore (1873 – 1958) zurückgehende naturalistische Fehlschluss, der aus vorgefundenen und deskriptiv beschreibbaren Eigenschaften gute Eigenschaften ableitet (wie z.B. »Der Stärkere setzt sich durch«, Moore 1966, S.65). Humes Formulierungen vernachlässigen zunächst die Eigenschaft und Erfordernis des Guten, sondern bestreiten grundsätzlich eine Übertragung von einem vorgefundenen Ist auf ein zu forderndes Sollen (Hume 2004).

Die Realität und die Erfassung des Tatsächlichen werden nicht geleugnet, aber sie kann nicht aus diesem heraus zu einer Forderung erhoben werden, sondern muss begründet werden.

Die Erfassung der Wirklichkeit wird mit unterschiedlichen Verfahren, Methoden und Modellen untersucht: Die Bilanz strebt die Abbildungen tatsächlicher Gegebenheiten mit Bewertungen aus der Fachsprache des Rechnungswesens an. Diese Nomenklatur kann bei der Abbildung der Patienten- oder Mitarbeiterzufriedenheit nicht angewendet werden – hier sind andere Untersuchungsmethoden einzusetzen. Je nach Situation sind deshalb differenzierte wissenschaftstheoretische Instrumente zu wählen.

Durch die Abbildung der Realität wird das weitere Vorgehen nicht vorweggenommen. Bei Soll-Aussagen ist deshalb auf Erklärungen und Begründungen zu achten und diese sind zu hinterfragen. Neben der Erkenntnis des Ist und der Formulierung eines Sollens ist auch der Wille zum Handeln wesentlich. Erst durch ein Handeln – verstanden als Tun oder Unterlassen – werden die begründeten Soll-Aussagen umgesetzt.

Wenn im Folgenden von der Empire gesprochen wird, geht es darum, die Wirklichkeit mit unterschiedlichen Methoden zu erfassen, abzubilden und zu analysieren. Die normative Ausrichtung wiederum beschreibt eine Haltung, die das Sollen als Grundlage betont. Die Empirie kann somit helfen, zu erheben, inwieweit das Sollen auch im Ist erkennbar wird.

(2b) Normativ fordert Ethik

Die Rahmenbedingungen für ethische Handlungen und Haltungen müssen weiter erarbeitet werden, die dann von jedem einzelnen gelebt werden und zu unternehmerischem Handeln führen. Ethik sind die Begründungen und die Bildung von Kriterien für gutes und schlechtes Handeln; eine Aufstellung und Bewertung ethischer Motive und ethischer Folgen unter der Fragestellung »Was soll ich tun?« (Kant 2011).

Dazu ist eine Unternehmungsethik, aber auch eine Individualethik zu konzipieren. Horst Steinmann (2006) hat eine Konzeption erarbeitet ( Tab. 1.3), die stark am Konsens, am Frieden und auf der Argumentation und Begründung aufgebaut ist (vgl. auch Hans-Ulrich Küpper 2011). Diese Konzeption ist beeinflusst von Jürgen Habermas (Habermas 1983) und Karl-Otto Apel (Apel 2016).

Tab. 1.3: Dialogethik nach H. Steinmann (Quelle: in Anlehnung an Küpper 2011, S.145 ff., Hundeler 2019, S.41 ff.).


MerkmalInhalt

Die Normative Perspektive ist damit dreifach zu sehen:

1. Die Normative Perspektive stellt die Ausrichtung auf das Wesentliche, auf das Kerngeschäft und auf die Vision der Unternehmung ab.

2. Die Normative Ausrichtung versteht sich als Begründung und Erklärung betriebswirtschaftlichen Handelns.

3. Die Normative Sichtweise ist ethisch ausgerichtet an Werten, Normen und Regeln.

Normatives Management und strategische Entwicklung

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