Читать книгу Von Erbfeinden zu guten Nachbarn - Wirsching - Страница 4
Vorwort
Оглавление»Die Deutschen [sind] unfassbarer, umfänglicher, widerspruchsvoller, unbekannter, unberechenbarer, überraschender, selbst erschrecklicher, als es andere Völker sich selber sind: – sie entschlüpfen der Definition und sind damit schon die Verzweiflung der Franzosen.« Diese von Friedrich Nietzsche 1886 gestellte Diagnose trifft recht gut den Geist der damaligen Zeit. 15 Jahre nach dem Deutsch-französischen Krieg war das Verständnis zwischen Frankreich und Deutschland erschwert und belastet. Und auch darüber, was überhaupt ›die‹ Deutschen und ›die‹ Franzosen damals waren und was sie heute sind, lässt sich trefflich diskutieren.
Dass sich der Deutsch-französische Krieg von 1870/71 nun zum 150. Male jährt, gibt einmal mehr Anlass, sich mit den Beziehungen beider Länder näher auseinanderzusetzen. Der Krieg und in seiner Folge die Gründung des Deutschen Kaiserreichs waren ein extrem einschneidendes Ereignis. »Dieser Krieg bedeutet die deutsche Revolution«, kommentierte der britische Premierminister Benjamin Disraeli, »ein größeres politisches Ereignis als die Französische Revolution des vergangenen Jahrhunderts.« Tatsächlich war nach 1870/71 zwischen Frankreich und Deutschland nichts mehr so wie zuvor. Die Rahmenbedingungen ihrer Beziehungen hatten sich fundamental gewandelt. Zwar bestanden das Interesse füreinander und die kulturellen Beziehungen fort. Aber sie wurden von militärischem Argwohn und politischer Feindschaft überlagert. Schon zuvor bestehende Missgunst verstärkte sich und neuer Hass entstand.
Entsprechend kompliziert gestalteten sich die deutsch-französischen Beziehungen im 20. Jahrhundert, und der Weg zur dauerhaften Kooperation, guten Nachbarschaft, ja Freundschaft war gesäumt von der bitteren Erfahrung erneuter Kriege und millionenfachen Todes. Stets war die Frage eines Einvernehmens zwischen beiden Ländern für die europäische Geschichte essenziell. Heute, inmitten eines Friedens in unsicheren Zeiten, gilt dies ganz besonders.
Auf den folgenden Seiten verfolgen wir in Form eines Dialogs die wichtigsten historischen Entwicklungen und prägenden Ereignisse in der Geschichte der Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern. Das Format eines eintägigen lebendigen Gesprächs war ein lohnendes Experiment. Dabei ging es nicht darum, den Gegenstand einfach aus der ›französischen‹ und aus der ›deutschen‹ Sicht zu betrachten. Sich mit der Geschichte, Kultur und Mentalität des Nachbarn zu beschäftigen, ja sich in sie hineinzuversetzen, ermöglicht reziprokes Verständnis. Es war uns daher ein Vergnügen, gemeinsam Bekanntes neu zu beleuchten und Neues zu entdecken, auch wenn sich in diesem Rahmen eine volle wissenschaftliche Akribie natürlich nicht erreichen lässt. Für die thematische Auswahl und verbleibende Ungenauigkeiten übernehmen wir daher selbstverständlich die Verantwortung.
Dem Reclam Verlag danken wir für die Initiative zu diesem Buch sowie insbesondere dafür, dass er aus dem lockeren Gespräch einen lesbaren Text machte und die Drucklegung mit Umsicht begleitete.
Christina Holzmann und Isabella Radmann danken wir für das Mitlesen der Korrekturen.
Paris und München, im Juli 2019
Hélène Miard-Delacroix und Andreas Wirsching