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Einleitung
ОглавлениеWer im Ausland „Nürnberg“ hört, der verbindet damit möglicherweise als Erstes die Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg oder auch die Nürnberger Rassegesetze, die hier 1935 beschlossen wurden. Doch reduzieren sich die Gründe, warum sich die am Fluss Pegnitz gelegene Stadt – im Guten wie im Bösen – einen Namen gemacht hat, längst nicht auf die Zeitgeschichte. Man könnte beispielsweise die schöne Architektur und die hervorragenden Kunstwerke nennen, die hier im 15. und 16. Jahrhundert entstanden sind, die Dichtungen der Meistersinger oder auch die Tatsache, dass von hier nach Fürth die erste deutsche Eisenbahnlinie führte, und vieles mehr, was die Geschichte dieser am Rande des Frankenjura gelegenen Stadt ausgezeichnet hat.
Der Gegenstand dieses Buches betrifft jedoch keines dieser Themen, auch wenn hier sowohl von Handel und Handwerk wie auch von Baudenkmälern und Literatur die Rede sein wird. Es geht vielmehr um Geographie und Kartographie, also um Gebiete, für die Nürnberg vielleicht weniger bekannt ist (sieht man einmal von den Fachleuten ab), die jedoch nicht weniger spannend sind und die am Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit eine beispiellose Blüte erlebten. Freilich hatte darin nicht nur Nürnberg Erfolg. Studien und Arbeiten aus dem Bereich von Geographie und Kartographie entwickelten sich auch in anderen Gegenden „Deutschlands“1, das zu jener Zeit in diesen Disziplinen an die Spitze der europäischen Länder rückte.
Wenn es einleitend kurz um die Entstehung dieses Buches gehen soll, so muss ich gestehen, dass ich ursprünglich daran gedacht hatte, eine Sammlung von Aufsätzen über die deutsche Kartographie dieses Zeitraums zu schreiben, in der ich verschiedene Städte behandelt hätte. Doch im Laufe der Arbeit gelangte ich zu der Überzeugung, dass schon Nürnberg allein ein höchst interessanter und gut dokumentierter Gegenstand ist. Dieser Gedanke entwickelte sich während eines mehrmonatigen Aufenthalts in Leipzig, am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO), dem ich bei dieser Gelegenheit herzlich danken möchte. Ich möchte jedoch nicht ausschließen, dass ich in Zukunft meine Studien zur deutschen Geographie und Kartographie im 15. und 16. Jahrhundert weiterführen werde, da sie ein solches Interesse sicherlich verdient haben.
Dieser Zeitraum an der Grenze zweier Epochen (obschon die alte Unterteilung zwischen Mittelalter und Neuzeit in diesem Fall wenig überzeugend scheint; das 15. und das 16. Jahrhundert bilden ein relativ kohärentes Ganzes) ist ungemein aufregend und reich an Ereignissen. Es ist spannend, die sich rasch beschleunigenden geographischen Entdeckungen zu verfolgen und zu sehen, wie sie sich auf die Mentalität und die Raumvorstellungen auswirken. Die Ordnung des lawinenhaft anwachsenden Wissens über die Welt war in erheblichem Maße der kartographischen Dokumentation geschuldet, die wiederum dem recht steifen Korsett der alten Konventionen entwuchs. Wenn man Nürnberg betrachtet, so lassen sich zwei wesentliche Aspekte dieser Veränderungen ausmachen. Auf der einen Seite haben wir die Rezeption der Nachrichten, die aus der „großen“ Welt eintreffen. Auf der anderen Seite sind die Aktivitäten der intellektuellen Kreise aufschlussreich, welche nicht nur an einer passiven Aufnahme von Neuigkeiten interessiert waren, sondern die das neue Bild der Welt mitgestalteten. In Nürnberg gab es ein höchst lebendiges und kreatives intellektuelles Milieu, das humanistisches Interesse für Kultur, Literatur und Kunst mit Erkenntnissen in Kartographie, Geographie, aber auch Astronomie und Mathematik zu verbinden wusste; gerade aufgrund der Durchdringung dieser in – einander anscheinend so fremden – Disziplinen entstandenen Werke, die die Welt auf ganz unterschiedliche Weise widerzuspiegeln und zu erklären suchten.
Die in diesem Buch verwerteten Quellen sind sehr unterschiedlicher Natur. Es galt, sowohl Karten wie auch Globen anzusehen, geographische und kosmographische Traktate, aber auch Reisebeschreibungen sowie ganz unterschiedliche, verstreute Hinweise in historiographischen Werken als auch in der schönen Literatur. Die Zahl der wissenschaftlichen Untersuchungen zu dem uns hier interessierenden Thema ist ebenfalls relativ groß, wenngleich sie die hier analysierten Fragen oft nur am Rande behandeln; ihre Verfasser entstammen – verständlicherweise – hauptsächlich der deutschsprachigen Wissenschaft. Nach wie vor nicht überholt sind viele ältere Arbeiten, auch aus dem 19. Jahrhundert, deren Ergebnisse oft nur in geringem Maße an Aktualität verloren haben.