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„Deutschlands Auge und Ohr“

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Viele Faktoren führten dazu, dass Nürnberg an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit eine überaus wichtige Rolle spielte. Um das Phänomen Nürnberg zu begreifen, sind einige Vorbemerkungen angebracht, um die Stadt in ihrer Entwicklung und ihren Veränderungen zu charakterisieren. Was ihren Ursprung angeht, so sind wie bei den meisten besonders alten Städten historische Nachrichten von Legenden zu trennen. Auf die Versuche, die Entstehung der Stadt in römische Zeit zurückzuführen, komme ich später zurück, hier genügt die Feststellung, dass Nürnberg schon zur Zeit Karls des Großen zu den wichtigen städtischen Zentren gehört haben dürfte. Auf sicherem historischen Terrain ist man Mitte des 11. Jahrhunderts, als Heinrich III. an der Stelle einer auf dem Weg nach Böhmen gelegenen Festung eine Stadt gegründet haben soll. Hinweise darauf finden sich bei den bedeutenden deutschen Chronisten Gottfried von Viterbo und Otto von Freising. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur späteren Macht war das Privileg von Kaiser Friedrich II., mit dem er Nürnberg 1219 den Status einer freien Reichsstadt verlieh.

Das „Goldene Jahrhundert“ Nürnbergs begann in der Regierungszeit Karls IV. von Luxemburg. Viele Städte, zuvörderst Prag, erlebten damals eine ähnliche Blüte und ein ähnliches Wachstum ihrer Bedeutung. Im Fall Nürnbergs waren die Begleitumstände, die in jene große Zeit führten, relativ dramatisch. Gesellschaftliche Konflikte bewirkten 1349 wichtige Weichenstellungen: Ein misslungener Aufstand in der Stadt führte zu einem Verbot der Zünfte. Folgenschwerer noch war eine Entscheidung Karls IV., der in diesem Jahr gestattete, einen Teil des jüdischen Viertels zu zerstören, an dessen Stelle ein großer Marktplatz entstand. Zwar war der spätere Kaiser (damals war er noch Römischer König) bemüht, dass die „Operation“ ohne Gefährdung der jüdischen Bevölkerung vonstatten gehen sollte, doch bei Unruhen im Dezember 1349 kamen über 500 Juden ums Leben. Die Synagoge wurde durch die Frauenkirche ersetzt, der frei geräumte Raum bald schon bebaut – davon, dass hier einst Juden lebten, wissen nur noch Geschichtswerke und das historische Gedächtnis.

Wenige Jahre danach wurde die Stellung Nürnbergs auf eine besonders prestigeträchtige Weise gestärkt: Karl IV. erließ 1356 seine berühmte „Goldene Bulle“, die nicht nur die allgemein bekannten, neuen staats- und privatrechtlichen Prinzipien enthielt, sondern es jedem neu gewählten Herrscher auferlegte, seinen ersten Reichstag nirgendwo anders als in Nürnberg einzuberufen. Hierher, nach Nürnberg, ließ Sigismund von Luxemburg auch die Reichskleinodien und -reliquien bringen. Der berühmte Dichter Conrad Celtis schrieb dazu, dass die kaiserlichen Reliquien im Jahr 1424 nach Nürnberg gebracht und jedes Jahr 14 Tage nach Karfreitag, also am Freitag vor dem Sonntag Misericordias Domini, öffentlich ausgestellt wurden. Dieses Heiligtum bestand im Einzelnen aus Fragmenten vom Kreuz und von der Lanze des Erlösers, aus Insignien Karls des Großen und anderer früherer Herrscher, aber auch jener, die gerade in Aachen, Mailand und Rom regierten. Die Reliquien seien von Sigismund von Luxemburg aus Prag nach Nürnberg verlegt worden, da die Böhmen von der römischen Religion abgefallen waren (eine Anspielung auf die Hussitenbewegung). Unter den vornehmen Städten des Reiches verdiene – so Celtis – Nürnberg diese Auszeichnung am ehesten. Die Heiligtümer des Kaisers und des Reiches wurden mit größter Ehrerbietung in einem eigenen Zelt auf dem Marktplatz ausgestellt, wo ein Pfarrer mit kräftiger Stimme sie gemeinsam mit den bei ihm stehenden St. Gabin-Druiden, welche die Reliquien trugen, allen Interessierten zeigte. Ein wahrer Menschenstrom zog aus den benachbarten Regionen, aber auch aus ganz Deutschland herbei, um diese Kostbarkeiten zu bewundern.2

Der Nürnberger Patron, der heilige Sebald, wurde 1425 kanonisiert. Der Kult dieses Heiligen erreichte seinen Höhepunkt, als die Bürger der Stadt 1508 einen Geldbetrag gesammelt hatten, um dem heiligen Sebald ein neues Grabmal zu bauen. Der große deutsche Bildhauer Peter Vischer übernahm den Auftrag gemeinsam mit seinen Söhnen und beendete ihn bis 1519. Das prächtige, metallene Sebaldusgrab gilt als eines der hervorragendsten Zeugnisse der deutschen Renaissance, das Nürnbergs Anspruch als kulturelles und politisches Zentrum des Reichs belegt. So wurde die Rolle Nürnbergs wohl auch außerhalb der Stadt verstanden. Als 1452 aus Anlass der Krönung Friedrichs III. Vertreter der Stadt die Reichskleinodien nach Rom brachten, berichtete einer von ihnen: „Keine andere Delegation aus einer anderen Stadt des Reichs wurde so geehrt wie die Nürnberger. Nürnberg erfreut sich des größten Glanzes.“3 Wenig später nannte Conrad Celtis Nürnberg ein Vorbild für andere deutsche Städte, Fürstentümer und Regierungen, ein Ideal und eine Zier des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, wie es seit dem Ende des 15. Jahrhunderts hieß. Die ideale und die reale Perspektive überlagerten sich zwischen 1521 und 1523, als das Reichsregiment – der bald gescheiterte Versuch eine Regierung des Reichs zu etablieren – fest in Nürnberg residierte und die Stadt nun nicht nur die symbolische, sondern auch die tatsächliche Hauptstadt des Reichs war.

Stolze Architektur

Gegenstand des Bürgerstolzes waren Bauwerke, die in der Welt für ihre perfekten Proportionen und kunstvollen Verzierungen berühmt waren. Neben dem bereits genannten Sebaldusgrab gab es zwei Burgen. Conrad Celtis vermerkt in seinem Werk über Nürnberg, dass sich auf den Hügeln zwei wunderbare Burgen befanden – die Kaiserburg und die Burggrafenburg. Die im Westen gelegene Kaiserburg sei die größere; Kaiser Friedrich habe hier hängende Gärten angelegt. Die Burggrafenburg sei zuletzt arg verfallen und beherberge ein Getreidemagazin. Celtis’ Beschreibung wurde von dem aus Wendelstein bei Nürnberg gebürtigen Theologen und Humanisten Johannes Cochlaeus erweitert. In seinem 1512 erschienenen kleinen Werk Brevis Germaniae Descriptio widmete er Nürnberg ein eigenes Kapitel. Er berichtet hier, dass sich die Kaiserburg in der Stadt sowohl durch ihre Lage wie auch durch ihre Stärke und ihr Alter auszeichne. Sie sei auf einem Hügel gebaut und throne über der Stadt so wie einst Akrokorinth über Korinth. Wegen ihrer Befestigungen sei sie zu Recht kaiserliche Residenz. Sie sei in Fels gehauen, besitze vier große Türme sowie einen sehr tiefen und breiten Graben, der in einem Felsabhang ende. Dies alles gebe, so Cochlaeus weiter, ein schönes Bild von der durch dieses Bauwerk gebändigten Natur ab. Die Burgmauern ragten 40 Ellen senkrecht über die behauenen Felsen empor. Der Burghügel besitze außerdem drei Gotteshäuser und zwei Brunnen. Eine der Kirchen sei so alt, dass man sage, sie wäre einst der Göttin Diana geweiht gewesen, worauf alte und unbekannte Götterbilder hinwiesen, die dort zu sehen seien. Und einer der Brunnen sei so tief, dass man beim Blick hinab sein eigenes Spiegelbild nicht sehen könne.4

Unter den bedeutendsten Gebäuden der Stadt nennen die zeitgenössischen Autoren noch die Frauenkirche, die – so Celtis – in schöner Form und mit großen Kosten von Karl IV. gebaut worden sei, „nachdem die Juden von diesem Ort vertrieben worden waren“.5

Die Zierde des Marktplatzes war ein gotischer Brunnen, der wie eine Pyramide spitz aufragende „Schöne Brunnen“. Das steinerne Kunstwerk besaß reiche Vergoldungen sowie viele meisterliche Statuen und Plastiken; aus 16 Rohren lief Wasser, das zu ganz verschiedenen Zwecken verwendet wurde. In der Nähe befand sich nach Cochlaeus „eine Uhr, ebenso selten wie der Brunnen, die Georg Heuss mit schöpferischem Talent neulich groß und mit vielen in Erz gegossenen Figuren verzierte, die durch Schwung, Harmonie und verschiedenartige Gestaltung Bewunderung verdienen“.6

Nürnberg als Handelszentrum

Die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung Nürnbergs, an der neben verwandten Fachgebieten auch Disziplinen wie die Geographie und die Kartographie ihren Anteil hatten, wäre ohne das ungemein dynamische Wachstum des Handels nicht denkbar gewesen.

„Überall in Europa sind Nürnbergs Kaufleute. Der Reichtum der Nürnberger ist nicht nur den Deutschen, sondern auch den am entferntesten wohnenden Spaniern in Lissabon wie den fernsten Skythen am Don, den Polen, Ungarn und ganz Europa wohlbekannt. Wo gibt es denn einen Winkel, in den sie nicht Geld und Ware gebracht hätten? Sie wohnen in Lissabon, Lyon, Venedig, Budapest, Krakau, Wien, Köln, Antwerpen und in den übrigen Handelsplätzen Europas, wo sie die Bevölkerung durch gegenseitigen Warenaustausch reich machen und ihre Leute vor dem Mangel bewahren.“7

Mit Sicherheit trugen zur Entstehung des Nürnberger Handelsimperiums bestimmte natürliche Gründe bei. Die recht bescheidenen Voraussetzungen für eine ertragreiche Landwirtschaft führten dazu, dass sich die Einwohner andere Betätigungsfelder suchen mussten. Dazu kam die relativ günstige Lage, da Nürnberg wie eine Spinne in der Mitte eines ganzen Netzes von Handels- und Verkehrswegen lag, was seinen wirtschaftlichen Aufschwung sehr erleichterte. Nürnberg gilt zusammen mit Augsburg im 15. Jahrhundert als wichtigstes Handelszentrum Süddeutschlands. Durch diese Orte führten die Handelswege, die Italien mit Norddeutschland verbanden.

Vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Entwicklung anderer Städte wird Nürnbergs Stellung unterschiedlich interpretiert. Sicherlich übernahm es teilweise die Rolle des langsam schwächer werdenden Lübeck, doch wenn man es Köln gegenüberstellt, so ist seine Dominanz gar nicht so eindeutig. Manche Historiker geben Nürnberg den Vorrang, andere sehen Köln an erster Stelle. Unabhängig davon war das Betätigungsfeld der Nürnberger Kaufleute beeindruckend. Vom Ausmaß des Nürnberger Handels zeugt eine Aufstellung von 1332, die 69 Städte und Regionen in verschiedenen Teilen Europas umfasst, wo die Nürnberger Zollbefreiungen besaßen. Im Fernhandel waren sie im Südosten in Konstantinopel anzutreffen, im Südwesten gelangten sie bis nach Spanien und Portugal. Sie waren häufig als Vermittler tätig und brachten Waren aus dem Orient nach Italien; sie brachten Luxuswaren nach Mailand, Venedig und Genua und handelten in Brescia mit Papiererzeugnissen. Man sah sie auf den großen Messen in Genf und nach deren Niedergang in Lyon, sie waren in Antwerpen ebenso präsent wie in den Städten des Rheinlands, vor allem in der rasch aufstrebenden Stadt Köln, in London, in den Hansestädten, in Österreich und in Ungarn.

Ein eigenes Kapitel ist die Präsenz der Nürnberger Kaufleute in Ostmitteleuropa. Städte wie Posen, Krakau, Breslau und vor allem Leipzig verliehen Kaufleuten aus den süddeutschen Städten – darunter auch aus Nürnberg – gern das Bürgerrecht. Vor allem an der Wende zum 16. Jahrhundert spielten Kolonisten aus Nürnberg beim Handel mit diesem Teil Europas eine große Rolle. In jener Zeit sind wichtige Veränderungen in der Geographie der Verkehrs- und Handelswege zu beobachten. Der europäische Handel, der den Osten des Kontinents mit dem Westen verband, ging nun durch Nürnberg, das zu einem Knotenpunkt wurde. Dazu kam es unter anderem deshalb, weil der alte, über Lübeck führende Hanseweg an Bedeutung verlor, aber auch aufgrund des Niedergangs von Regensburg und der von hier nach Westen führenden Verkehrswege, die vom dynamischen Nürnberg übernommen wurden. Um das Jahr 1500 war der Handelsaustausch zwischen den süddeutschen Zentren und dem östlichen Europa ohne Nürnberg eigentlich gar nicht mehr denkbar.

Die große Konkurrenzstärke der Nürnberger Kaufleute hing mit ihrer Flexibilität und der Fähigkeit zusammen, auf Veränderungen der politischen Lage zu reagieren. Als die Hussitenkriege zu Beginn des 15. Jahrhunderts die östlichen Handelswege durch Böhmen und Schlesien störten, orientierten sich die Nürnberger Kaufleute rasch weiter nach Nordosten um. Zu einem wichtigen Stützpunkt des Handels wurde nun Posen. Seit 1394 besaßen die Nürnberger Kaufleute hier das Recht, auf den dreimal jährlich stattfindenden Messen frei zu handeln. Wegen des sogenannten Stapelrechts mussten sie ihre Waren drei Tage lang in Posen zum Verkauf anbieten, ehe sie damit die Umgebung bereisen konnten.

Wichtige – und relativ gut bekannte – Kontakte verbanden Nürnberg mit Krakau. Sie fanden nicht nur in einer kulturellen und künstlerischen Zusammenarbeit Ausdruck – es sei hier nur an das Wirken von Veit Stoß und Hans Dürer oder an die Grabplatten Peter Vischers in Krakau erinnert –, sondern auch in einem intensiven Handelsaustausch. Die Einfuhr aus Nürnberg nach Krakau setzte sich aus einer breiten Palette von Waren zusammen wie beispielsweise Gewürze, italienische Handarbeiten, Samt und Seide, Gold- und Silberschmuck aus den Werkstätten der Nürnberger Goldschmiede, Haushalts- und Küchengerät – eine Nürnberger Spezialität –, Metallerzeugnisse wie Rüstungen, Hellebarden, Messer oder Sporen.

Von der Metallbearbeitung, die sicherlich das internationale Aushängeschild des Nürnberger Handels war, ist bereits die Rede gewesen. Obschon Nürnberg selbst von der Natur nicht besonders großzügig mit mineralischen Rohstoffen ausgestattet war, erlangte es auf diesem Gebiet eine große Bedeutung, da es Rohstoffe oft aus großer Entfernung importierte. In den Hütten wurde aus Böhmen, Sachsen und Ungarn stammendes Kupfer verarbeitet. Bereits im 15. Jahrhundert führte der Bedarf nach diesem Metall dazu, dass Nürnberger Unternehmen in Thüringen Hütten bauten, um Kupfer zu schmelzen und zu verarbeiten. Die Umsätze aus dem Metallhandel überstiegen den Bedarf der Nürnberger Industrie und ermöglichten es, Überschüsse auf den internationalen Märkten anzubieten, wodurch die Stellung der Nürnberger Kaufleute vor allem in den Niederlanden weiter gestärkt wurde. Es gelang den Nürnberger Kaufleuten auch, in verschiedenen Teilen Europas: in den preußischen und livländischen Städten, in Lübeck, Flandern und Brabant, eine Reihe von Privilegien zu erhalten. Beispielsweise durften sie im 15. Jahrhundert in Lübeck folgende Erzeugnisse ihres Handwerks verkaufen: Messer, Schlösser, Rosenkränze, Panzerhandschuhe, Steigbügel, Glocken, Sporen, Brillen, Fingerhüte sowie Geschirr aus Zinn und Weißblech. Nürnberg erhielt auch das Recht, einen Jahrmarkt zu veranstalten; er fand nach dem Jahrmarkt in Frankfurt am Main statt und zog Tausende von Besuchern an, unter anderem deshalb, weil während seiner Dauer die Reichskleinodien und Reliquien ausgestellt wurden.

Die umtriebigen Bürger aus der Pegnitzmetropole waren auch in Polen sowie im Deutschordenstaat aktiv. Am Ende des Mittelalters spielten die großen Wasserwege eine ungemein wichtige Rolle für das Wirtschaftsleben. Man verschiffte Kupfer, Blei, Salz, aber auch Walderzeugnisse wie Holz, Wachs, Teer, Pech und Pottasche. Der Kauf dieser Waren in Krakau, Thorn oder Danzig ging oft unter Beteiligung von Nürnberger Händlern vonstatten. Natürlich löste ihr expansives Vorgehen nicht selten Unruhe bei ortsansässigen Kaufleuten aus. So stießen sie an der Wende zum 15. Jahrhundert in den preußischen Städten auf Protest, weil sie versuchten, den Export der dortigen Erzeugnisse nach Flandern selbst zu organisieren.

Was Böhmen im 15. und 16. Jahrhundert betrifft, so nutzten die Nürnberger Kaufleute intensiv die Straße nach Tachau sowie den über Prag nach Osten in Richtung Olmütz und Prag führenden Handelsweg.

Die Etymologie des Ortsnamens

Zu Beginn dieses Kapitels war davon die Rede, dass der Ursprung Nürnbergs der Legende nach in römischer Zeit zu suchen war. So behauptete Conrad Celtis, Ptolemäus habe in seiner Geografia mit „Segodunum“ die Stadt Nürnberg bezeichnet. Dies war in der Renaissance ein gängiges Vorgehen, als man sich bemühte, antike geographische Bezeichnungen in der damaligen Landschaft zu verorten, war aber auch Folge der gewaltigen Autorität, derer sich die antiken Autoren, vor allem Ptolemäus, erfreuten. Welche Stadt oder Ortschaft der Gelehrte aus Alexandria im Sinn hatte, wissen wir nicht genau, man hat auch auf Segnitz am Main oder Seckendorf bei Horbach verwiesen. Die Gleichsetzung von Nürnberg mit dem antiken Segodunum bei Celtis wurde einige Jahrzehnte später auch von Willibald Pirckheimer aufgenommen, einem bedeutenden humanistischen Gelehrten und einem der führenden Nürnberger Intellektuellen.

Eine andere Erklärung der Herkunft des Ortsnamens verbindet die Stadtgründung mit Nero. Darüber schrieb Sigismund Meisterlin, ein Benediktinermönch und Verfasser einer 1485 fertiggestellten Chronik von Nürnberg, der die Bezeichnung „Neronberg“ verwendet. Meisterlin sah im Übrigen eine klare Kontinuität zwischen der römischen Zeit und seiner Gegenwart und leitete die Rechte der Nürnberger gern von römischen Kolonisten ab. Die Legende, dass die Anfänge der Stadt etwas mit Nero zu tun hätten, sollte ein langes Leben haben und war noch im 19. Jahrhundert präsent.

Der Autor der großartigen und ungemein beliebten, 1493 veröffentlichten Weltchronik (Abb. 1), Hartmann Schedel, widmete Nürnberg, wo er lebte und arbeitete, viel Aufmerksamkeit. In seiner Beschreibung der Stadt ging er sehr ausführlich auf die Vergangenheit der Stadt und ihre Lage ein. Auch wenn sie jenseits des römischen Limes gelegen war, so hatte Schedel – ähnlich wie die bereits genannten Autoren – keine Zweifel daran, dass die Entstehung der Stadt mit den Römern in Verbindung zu bringen war. Die Gegenüberstellung der Namen „Neronberg“ und „Nürnberg“ deutet Schedel zufolge darauf hin, dass Kaiser Nero etwas mit der Stadt zu tun gehabt habe, doch sah er seinen Anteil vor allem im Bau der über der Stadt thronenden Burg. Den Namen der Stadt leitete er jedoch – nach Enea Silvio de’ Piccolomini – von noricus mons ab. Obschon die Einwohner Nürnbergs der Diözese Franken angehörten, könne man sie allerdings weder als Bayern noch als Franken bezeichnen, sondern sie seien ein drittes, ganz eigenständiges Volk. In seinen Beschreibungen vieler Städte scheute Schedel – ganz im Sinne der humanistischen Gepflogenheiten – nicht vor weit in die Vergangenheit reichenden Analogien zurück. So stellte er als Erster fest, dass Krakau das von Ptolemäus genannte antike „Carrodunum“ sei, während er über Augsburg schrieb, dass „[...] das schwäbisch volck vom Japhet dem sun Noe herkom, der erstlich dies land bewohnet, und alda dise stat erpawen [erbaut] hab, da man überflüssigkeit der wasser, gesunde lufft und [...] heben [haben] möcht“.8

„Deutsches Venedig“

Neben der Suche nach antiken Ursprüngen war eine andere gängige Methode zur Aufbesserung des Selbstwertgefühls die Konstruktion nobilitierender Beinamen und Vergleiche. Das lässt sich heute noch beobachten, wenn sich etwa Stockholm als „Venedig des Nordens“ anpreist. Nürnberg, das Martin Luther einmal „Auge und Ohr Deutschlands“ nannte, hatte relativ lange keine entsprechenden Beinamen, die seine Werte hervorhoben, während die rheinischen Rivalen Köln und Mainz bereits entsprechende Etikettierungen besaßen. Es überwogen geographische Zusammenstellungen, die aber deutliche historische und kulturelle Bezüge aufwiesen. In einer Komödie vom Ende des 15. Jahrhunderts wurde Nürnberg als „Korinth Deutschlands“ tituliert, und in der Mitte des 16. Jahrhunderts galt die Stadt dem Schriftsteller Rivius als „deutsches Florenz“, eine Bezeichnung, die auch im 20. Jahrhundert noch gelegentlich zu hören war. Derselbe Rivius hielt Nürnberg auch für eine „Mutter der Künste und Wissenschaften“. Aber auch große Vertreter von Reformation und Renaissance in den deutschen Ländern verliehen ihrer Bewunderung für die Stadt Ausdruck. Philipp Melanchthon schrieb von ihr als „deutschem Athen“; Martin Luther nannte sie gar kurz und vielsagend „Paradies“.

Am längsten hielt sich wohl der Name „deutsches Venedig“. Erstmals wurde dieser Vergleich in einer feierlichen Rede verwendet, die Christoph Scheurl 1506 in Bologna hielt. Er sagte hier, dass die Einwohner Nürnbergs gewaltige Reichtümer angehäuft hätten und man ihre Stadt hinsichtlich ihrer Bedeutung auf eine Ebene mit Venedig bei den Italienern stellen könne (daher habe sich die Bezeichnung „deutsches Venedig“ eingebürgert), mit Lyon bei den Galliern (Franzosen), Córdoba bei den Spaniern, Ofen bei den Ungarn, Krakau bei den Polen oder Prag bei den Böhmen.9 1548 bekundete der venezianische Gesandte Alviso Mocenigo in seiner Beschreibung vom Aufenthalt am Hof und im Lager von Kaiser Karl V. seine große Bewunderung für die Stadt an der Pegnitz, indem er schrieb: „Nürnberg gilt als viel besser verwaltet als andere Städte in Deutschland, weshalb es gelegentlich ‚Venedig Deutschlands‘ genannt wird.“10 Ebenso wurde Nürnberg noch von dem im 18. Jahrhundert lebenden führenden deutschen Theoretiker des Klassizismus, Johann Christoph Gottsched, bezeichnet.

Es hat den Anschein, als seien die Vergleiche Nürnbergs mit Venedig hauptsächlich der wirtschaftlichen Macht und dem gewaltigen Handelsvolumen geschuldet gewesen, aber auch bestimmten Einstellungen, die den Einwohnern beider Metropolen zugeschrieben wurden. Willibald Pirckheimer erwähnt in einem seiner Briefe eine „schicksalhafte und natürliche Bindung oder Neigung zwischen den Venezianern und den Nürnbergern“.11 An der Wende zum 16. Jahrhundert warf man den Nürnbergern sogar vor, die Vermehrung ihres Besitzes und die Entwicklung des Handels mit unzulässigen Methoden zu betreiben, worin sie den Venezianern nacheiferten (deren Skrupellosigkeit bei der Verwirklichung ihrer Ziele anscheinend sprichwörtlich war), welche ihre Absichten erreichten, indem sie die umliegenden Herzöge und den Adel unterdrückten, um dann mit dem diesen geraubten Luxus zu prahlen. Den Venezianern schrieb man auch die Redewendung zu, dass die deutschen Städte blind seien, Nürnberg aber auf einem Auge sehe. Christoph Scheurl nennt in seiner 1508 erschienenen Arbeit Libellus de laudibus Germaniae eine solche Entstehung und Version dieser Worte.

Zehn Jahre später wiederum vermerkt Ulrich von Hutten, ein deutscher Humanist mit Hang zur Polemik, der davon träumte, den alten Glanz des Reiches wiederherzustellen, dieselbe Redewendung, nennt aber nicht mehr die Venezianer als ihre Urheber. Ganz abgesehen von den verschiedenen Interpretationen des Beinamens „deutsches Venedig“ besteht doch kein Zweifel daran, dass er Bewunderung für die Findigkeit und Bedeutung Nürnbergs und seiner Einwohner ausdrückt.

Der Mittelpunkt Europas

Das Mittelalter hat Fragen des Raumes großen Wert beigemessen, und in der Neuzeit war dies nicht anders. Verkürzt gesagt war das am wichtigsten, was sich im Zentrum befand. Was Wunder, dass sich die Stadt Nürnberg buchstäblich im Zentrum, und zwar nicht nur im Mittelpunkt des „Reichs der Deutschen“, sondern ganz Europas sah. Diese Vorstellung scheint eine Folge ihres Reichtums und ihrer Macht gewesen zu sein, sodass die realen Leistungen auf die Ebene geographischer und symbolischer Begriffe übertragen wurden. Deshalb wurde die zentrale Position Nürnbergs sowohl in Kosmographien wie auch auf Karten hervorgehoben.

Einer der Ersten, der Nürnberg als Zentrum des Reichs bezeichnete, war Enea Silvio de’ Piccolomini, der dabei die geographische Lage im Sinn hatte. Eine ähnliche Ansicht vertrat der bedeutende Mathematiker und Astronom Regiomontanus, der zu Beginn der 1470er-Jahre eine Zeit lang in Nürnberg lebte und arbeitete und die Grundlage für die Blüte der Naturwissenschaften in dieser Stadt legte, vor allem der Geographie und der Kartographie. Regiomontanus schrieb Nürnberg eine zentrale Lage in ganz Europa zu, ähnlich wie dies Hartmann Schedel in seiner Chronik tat, und zwar sowohl im Text wie auch auf den zugehörigen Karten. Auch zwei Autoren, die bereits genannt wurden, beschäftigten sich an der Wende zum 16. Jahrhundert intensiv mit dieser Frage – Conrad Celtis und Johannes Cochlaeus.

Celtis versuchte, die Lage Nürnbergs festzustellen, indem er sich am astronomisch-geographischen Instrumentarium des Ptolemäus versuchte, der damals eine Renaissance erlebte:

„Der Breitengrad Nürnbergs, der auch durch das Mündungsgebiet des Dnjepr verläuft, und seine Position im siebten Gürtel entsprechend der Kugelgestalt der Erde ist 49 Grad und einige Minuten vom Äquator entfernt. Der längste Tag hat etwas weniger als sechzehn Stunden. Hinsichtlich des Längengrades liegt Nürnberg ziemlich in der Mitte Europas. Daraus ergibt sich, dass die Stadt nicht nur für das gesamte Deutschland, sondern auch für ganz Europa das Zentrum darstellt, denn sie ist fast ebensoweit von der Ostsee wie von der Adria, vom Atlantik wie vom Don entfernt.“12

Der von Ptolemäus stammende Begriff „Gürtel“ (Klima) bezieht sich auf einen großen Streifen Land, der von zwei parallelen Kreisen begrenzt wird. Der alexandrinische Gelehrte ging davon aus, dass es 16 Klimata gibt, weshalb Celtis Nürnberg im siebten Klima verortete. Die geographische Breite gab er sehr präzise an (tatsächlich beträgt sie für die Stadt 49 Grad, 27 Minuten und 22 Sekunden), doch irrte er, als er sie auf die gleiche Breite wie die Dnjeprmündung legte. Die Schätzung der Entfernung Nürnbergs von den charakteristischen Punkten in allen vier Himmelsrichtungen zeugt von den guten Informationsquellen unseres Autors. Die Stadt liegt Luftlinie rund 490 Kilometer von Stettin entfernt, bis zur Adria sind es 20 Kilometer weniger. Die Distanz bis zum Südwestrand Portugals beträgt rund 2200 Kilometer, also ungefähr soviel wie bis zum Don.

Johannes Cochlaeus betitelte in seiner Beschreibung ein eigenes Kapitel über Nürnberg De Norinberga, Germanie centro (Von Nürnberg, dem Zentrum der Germania) und versuchte hier, diese These vielseitig zu belegen. Cochlaeus stützte sich stark auf Celtis, doch führte er auch viele neue Informationen an:

„Nürnberg der Mittelpunkt der Erde sowie Deutschlands. In dieser ‚Beschreibung Deutschlands‘ nimmt die Stadt Nürnberg eine Art Mittelpunkt ein, da sie ja so ziemlich die Mitte bildet, was Lage, Sprache und Leistungsfähigkeit betrifft. Ihrer Lage nach, sage ich, erscheint sie nicht nur als die Mitte Deutschlands, sondern auch des ganzen Europa. Sie liegt nämlich gleich weit von der Adria und von der Ostsee, was die Breite Europas ausmacht. Gleich ist auch die Entfernung zum Don und bis Cadiz, mit der man die Länge (Europas) mißt. So behauptet man also mit Recht, daß diese Stadt im Mittelpunkt Europas liegt.

Außerdem ist sie fast gleich weit entfernt von Wien und Antwerpen der Länge nach, von Laibach in Kärnten und Lübeck in Sachsen der Breite nach.

Überdies ist sie auch die Mitte für die umliegenden Gebiete. Sie liegt nämlich zwischen Bayern, Schwaben und Franken wie eine gemeinsame Grenzscheide.“13

Die geographische Argumentation des Cochlaeus wurde durch zusätzliche Elemente gestützt. Nürnberg sei „ein sehr geeigneter Handelsplatz. Sie [die Stadt] ist daher der berühmteste Handelsplatz ganz Deutschlands, wohin die Waren der Südländer eingeführt und von wo sie den Nordländern vermittelt werden.“14 Nürnberg wurde als zentraler Punkt für den Handelsaustausch zwischen dem Süden und dem Norden angesehen.

Bemerkenswert ist, dass der Autor auch auf sprachliche Argumente zurückgreift. So war Nürnberg ihm zufolge „auch nach der Sprache die Mitte. Der Sprache nach ist sie [die Stadt] die Mitte, denn sie hat Anteil an äußerst Verschiedenem, von dem sie sich durch eine gemäßigte Mischung unterscheidet. Ja sie weicht etwas von der Mundart der Schwaben, Bayern und Franken ab.“15 An dieser Stelle ist daran zu erinnern, was Celtis über die Sprache der Einwohner Nürnbergs zu sagen wusste. Er schrieb:

„Erstaunlich ist, dass an den vier Toren der Stadt und auf ihren Plätzen die Bürger in ganz unterschiedlichen Dialekten reden: schwäbisch, fränkisch, bayrisch und oberpfälzisch [montane], je nachdem, wie sie im Gespräch mit den verschiedenen fremden Besuchern der Stadt an deren Ausdrucksweise Geschmack finden und sie sich angewöhnen, wie ja auch die Stadt gewissermaßen an vier Landschaften grenzt.“16

Ohne hier linguistische Analysen anstellen zu wollen, ist immerhin festzuhalten, wie unterschiedlich die Dialekte der verschiedenen deutschen Provinzen damals gewesen sein müssen, da Celtis darüber verwundert war, dass sich die Bürger trotz unterschiedlicher Dialekte problemlos miteinander verständigten. Bereits an der Wende zum 14. Jahrhundert verwendete Hugo von Trimberg, ein deutscher Dichter, eine ganze Passage seines 25 000 Verse zählenden Hauptwerks Renner darauf, die sprachliche Unterschiedlichkeit der Einwohner verschiedener deutscher Regionen aufzuzeigen. Was den Dialekt der Nürnberger betrifft, so erfreute er sich unter den Zeitgenossen wohl recht hohen Ansehens, da Mutianus Rufus zu Beginn des 16. Jahrhunderts meinte, er sei unter den deutschen Völkern der eleganteste.

Literarisches Lob der Stadt

Der letzte Faktor, den Cochlaeus in seiner Beschreibung Nürnbergs als Zentrum der Germania hervorhob, sind die geistigen Vorzüge seiner Einwohner.

„In der Leistungsfähigkeit aber gilt sie [die Stadt Nürnberg] als Mitte, weil sie an vielfacher Kraft reich ist, an politischer, wirtschaftlicher, sittlicher und geistiger. Die Kraft aber beruht auf einer gewissen Mitte. Wie sehr sich diese Stadt durch politische Leistungsfähigkeit auszeichnet, kann bei weitem klarer durch unsere Worte verdeutlicht werden.“17

Das Ende des Mittelalters und der Beginn der Neuzeit ist eine an verschiedenen Werken in Reimen oder auch in Prosa reiche Zeit, die den Ruhm verschiedener Städte verkünden. Ganz klar, eine Stadt vom Rang Nürnbergs musste auch ihre „Sänger“ haben.

Aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammt die anonyme Sage von der edlen und würdigen Stadt Nürnberg. Der Verfasser ließ hier seiner Begeisterung darüber freien Lauf, dass König Sigismund von Luxemburg 1424 die Reichskleinodien nach Nürnberg gebracht hatte. Ein weiteres Werk des bekannten Dichters Hans Rosenplüt, Spruch auf Nürnberg, erblickte im Jahr 1447 das Licht der Welt, rief aber ein halbes Jahrhundert später neues Interesse hervor, als es zum zweiten Mal in Nürnberg verlegt wurde. Hans Rosenplüt gilt als der erste namentlich bekannte, aus Nürnberg kommende Dichter, der auf Deutsch schrieb. Seinem Urteil zufolge war die Stadt an der Pegnitz nach Jerusalem, Rom, Trier und Köln die fünftwichtigste Stadt der ganzen christlichen Welt. Der Wohlstand Nürnbergs stützte sich – seiner Meinung nach – auf viele Grundlagen. Es handele sich um eine Stadt mit festen Mauern und schönen Sehenswürdigkeiten, unter denen er insbesondere den prächtigen Schönen Brunnen und die Reichsreliquien hervorhebt. In Nürnberg würden Handwerk und Handel, aber auch Wissenschaft und Kunst blühen. Die Stadt wurde von Rosenplüt als Hauptstadt der sieben freien Künste und Sitz vieler frommer Stiftungen bezeichnet. Die innere Ordnung werde garantiert durch gut ausgebildete Geistliche, eine folgsame Gemeinde und einen klugen Stadtrat, der die lokale Gemeinschaft mit durchdachten Gesetzen und Verordnungen vor Streit und Konflikten geschützt habe. Das Bild wird durch die „freundschaftliche Haltung“ der Bürger ergänzt. In diesem „Garten des Friedens“ konnte natürlich nichts anderes wachsen als Glück und Erlösung. Besonderen Nachdruck legt Rosenplüt auf die „Weisheit“, die in der Stadt und unter ihren Einwohnern herrsche. Diesem Begriff maßen typischerweise auch andere Schriftsteller aus Nürnberg große Bedeutung bei, so unter anderem Conrad Celtis und Willibald Pirckheimer.

An Rosenplüts Werk knüpfte ein anderer Meistersinger an, Kunz Has, der 1490 ein Lobgedicht auf Nürnberg schrieb, Neues Gedicht der löblichen Stadt Nürnberg, von dem Regiment, Gebot und Satzung eines ehrbaren weisen Rats, dessen ergänzte Fassung zwei Jahre später erschien. Er baute Rosenplüts Lob aus und ergänzte es um viele Detailinformationen. Viel Aufmerksamkeit widmete er dem Handel und seiner Struktur, der Herstellung von Waren und ihrem Verkauf auf den städtischen Märkten. Er lobte die Frömmigkeit der Bürger und den Eifer der Geistlichen bei ihrer Amtsausübung, die gute Verwaltung der Stadt sowie die Haltung der führenden Geschlechter, die über die Gerechtigkeit und den Wohlstand der Bürger wachten. Der literarische Wert der Werke von Rosenplüt und Has steht hinter Celtis’ Norimberga oder den Arbeiten von Cochlaeus zurück, doch hatten sie sicherlich auch einen anderen Leserkreis, da sie auf Deutsch schrieben und nicht auf Latein, das nur die gebildeten Kreise verstanden.

Um die Liste der Nürnberg gewidmeten Gedichte aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu vervollständigen, sei nur kurz auf zwei weitere Autoren verwiesen. Es handelt sich um Hans Sachs, der 1530 ein Gedicht in deutscher Sprache mit dem Titel Lobspruch der Stadt Nürnberg schrieb, sowie um Helius Eobanus Hessus, den Verfasser der lateinischen Gedichte Noriberga illustrata aus dem Jahr 1532.

Die Autoren heben bei ihrer Suche nach den Ursachen für den ungewöhnlichen Aufstieg Nürnbergs verschiedene Gründe hervor. Gerühmt werden die geistigen Vorzüge der Einwohner von Nürnberg, die sich den natürlichen Voraussetzungen der Stadt zum Trotz ausgebildet hätten. Die geographische Lage und das Klima werden gepriesen. Conrad Celtis stellt fest, dass es um Nürnberg weder zu warm noch zu kalt sei, Luft und Himmel seien mild und nirgends in Deutschland finde man einen angenehmeren Ort mit einem gemäßigteren Klima. Christoph Scheurl unterstreicht in seinem am Ende des ersten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts erschienenen kleinen Werk ebenfalls das gemäßigte Klima und fügt hinzu, dass gerade das Klima den Geist der Einwohner von Nürnberg stark beeinflusse, weshalb diese unter den Deutschen hervorstünden. Johannes Cochlaeus wiederum misst dem Klima keine so große Bedeutung bei und konzentriert sich hauptsächlich auf die Eigenschaften der Bewohner.

Ehe wir näher auf diese Eigenschaften eingehen (die schließlich alle Leistungen bedingten, auch jene, mit denen wir uns hier hauptsächlich beschäftigen, nämlich die auf dem Gebiet der Geographie und der Kartographie), wollen wir ihr äußeres Bild beschreiben:

„Die Bevölkerung von Nürnberg ist also, wie es dem Himmelsstrich und deutscher Art entspricht, körperlich leistungsfähig, vermag Anstrengung, Hitze und Kälte zu ertragen, ist muskulös mit kräftigem Knochenbau, schön gewachsen, blickt offen in die Welt und erfreut sich guter Gesundheit, wenn nicht Sittenlosigkeit, die man angesichts der heutigen Schwelgerei unverdientermaßen dem Bauch anlastet, zur Wollust und niederen Freuden verleitet. […] Sie kleiden sich meistens schwarz, wobei die Tracht häufig wechselt. Sie lassen sich nämlich von den fremden Völkern, mit denen sie Handel treiben, beeinflussen und es kommen auch Menschen verschiedener Herkunft zu ihnen.“18

Wenn Conrad Celtis auf die körperliche Kraft der Einwohner verweist, auf ihre Widerstandsfähigkeit gegen die Unbilden des Wetters und auf ihre gute Gesundheit – abgesehen von schwachen Individuen, die sich von ihrem Charakter mitreißen ließen –, so hatte daran die schwere Arbeit einen bedeutenden Anteil. Die schwierigen Voraussetzungen für die Entwicklung der Landwirtschaft waren in den topischen Darstellungen eng verknüpft mit dem Wohlstand, den sich die Nürnberger dank ihrer außergewöhnlichen Aktivität erworben hatten. Die Rede von der landwirtschaftlich höchst ungünstigen Umgebung Nürnbergs geht bis auf das große Privileg Friedrichs II. von 1219 zurück, in dem die Stadt den Status einer freien Reichsstadt erlangte. Detailliert nimmt Johannes Cochlaeus hierzu Stellung:

„Die Stadt liegt ja auf unfruchtbarem Boden, das Volk kann sich daher nicht lediglich von seinem Ackerland ernähren, das teils mit Wäldern bedeckt, teils mit Kies und unfruchtbarem Sand angefüllt ist; sie verbraucht ja in jeder Woche über 1000 Scheffel Getreide, und 100 fette Rinder außer dem sonstigen Fleisch von Kleinvieh, Wild und Geflügel genügen nicht. So ist denn ihre politische Leistungsfähigkeit bei den Fremden nicht unbekannt. Sie führen aber zu Haus ein so hervorragendes Regiment, daß sie keiner Stadt in ganz Europa nachsteht. Wenn nun die meisten Städte Griechenlands, Italiens, Spaniens und Frankreichs sie an Reichtum und Fülle der Güter übertreffen, so kann man das dem milden Klima, der vorteilhaften Lage und der fruchtbaren Scholle zuschreiben. Diese Stadt jedoch erfreut sich an nichts dergleichen, sondern allein am Fleiß der Bürger, was man gewiß viel höher zu schätzen hat, als wenn sie durch das Geschenk der Natur so reich und so glänzend dastünde.“19

Ähnliche Gedanken hatte Hartmann Schedel, der feststellte, dass die Stadt auf sandigem und unfruchtbarem Boden liege, weshalb dieser Mangel durch den Eifer ihrer Einwohner wettgemacht werden müsse. In der Tat seien alle Einwohner Nürnbergs entweder fähige Handwerker oder geschickte Kaufleute, sie seien die Schöpfer erstaunlicher Erzeugnisse, die sowohl zur Zierde dienten wie auch andere menschliche Bedürfnisse befriedigten.20

Sowohl Rosenplüt wie auch Cochlaeus machten auf die gute Regierung der Stadt aufmerksam, ein Aspekt, der auch von anderen Autoren hervorgehoben wird. Die Stadtväter waren für das Schicksal der Einwohner verantwortlich. Celtis unterscheidet zwischen dem gemeinen Volk (plebs), den Kaufleuten und dem Patriziat; außerdem lebten zu seiner Zeit in der Stadt rund 28 Familien von Adel und großer Vergangenheit. Cochlaeus, der Celtis’ Werk nutzte, führte diesen Gedanken weiter aus und schrieb, dass die Einteilung in drei ordines (Stände) eine Folge der großen Einwohnerzahl Nürnbergs sei.

„So groß ist die Menge der Bevölkerung, die in der Tat in drei Klassen zerfällt, in die Patrizier, Kaufleute und das gemeine Volk. Aber allein die Patrizier leiten das Gemeinwesen wahrlich zu solcher allgemeinen Zufriedenheit, daß in achtzig Jahren kein Aufstand ausbrach. Sie sind auch nicht untereinander in Parteien zerfallen, wodurch diese unsere Stadt allen Städten, selbst Italiens überlegen zu sein scheint. Aristoteles sagt nämlich im 7. Buch seiner ‚Politika‘, es sei entweder schwierig oder überhaupt unmöglich, daß eine so volkreiche Stadt ohne das Getöse von Aufständen gelenkt werde. Daher ist darin Nürnberg gar sehr zu loben.“21

Die Begeisterung über Nürnberg, vor allem aber über seine Einwohner erreichte ihren Höhepunkt wohl bei Christoph Scheurl. Er schrieb, sie seien gebildet, kampfeslustig und so „gierig“ auf Handel, dass man sie „Kaufleute“ nennen könne, genauso wie man die Einwohner von Ulm „Herren“ und jene von Augsburg „Bürger“ nenne. Trotz der Armut der Stadt an eigenen landwirtschaftlichen Erzeugnissen (wohl eine Anspielung auf das zuvor erwähnte Motiv des unfruchtbaren Bodens und der fehlenden eigenen Landwirtschaft) befänden sich in ihr Vorräte, ja sogar ein Überangebot an Waren. In Nürnberg schlage den Ausländern eine herzliche „Gastfreiheit“ entgegen, und seine Einwohner vermehrten, da sie die talentiertesten und eifrigsten seien, im Ausland den Ruhm ihrer Heimatstadt. In der Erstauflage seines kleinen Werks von 1506 schrieb er: „Wer nicht weiß, dass die Einwohner von Nürnberg die Mutigsten, Tapfersten und im Kriegshandwerk Erfahrensten sind, der leugnet, dass die Sonne mittags am Himmel steht.“22 An anderer Stelle finden wir folgende heitere und anscheinend zutiefst persönliche Feststellung: „Ich bin Christus Dankbarkeit dafür schuldig, dass ich ein Mann und keine Frau bin und dass ich in Nürnberg und nicht in Italien geboren wurde.“23 Auch in der zweiten Auflage dieses Werks drückt er seine Zufriedenheit darüber aus, dass er Nürnberger sei und kein Grieche; am Ende bringt er, ähnlich wie Cochlaeus, eine lange Liste bedeutender Vertreter der Stadt Nürnberg. Natürlich sind die zitierten Äußerungen in Zusammenhang mit den seinerzeit vitalen humanistischen Tendenzen zu sehen, als die Vertreter der italienischen Renaissance die Menschen aus dem Norden wie ungehobelte, um nicht zu sagen barbarische Wesen betrachteten.

Unternehmungsgeist, Fleiß und kaufmännische Talente waren allerdings nicht die einzigen Vorzüge, durch die sich die Einwohner Nürnbergs auszeichneten. Johannes Cochlaeus macht auf die Gerechtigkeit und die Frömmigkeit aufmerksam, die in der Stadt herrschten. Die Frömmigkeit drücke sich unter anderem dadurch aus, dass die Bevölkerung das Wort Gottes gleichzeitig an 13 Orten höre, dass viele Spenden für den Bau neuer Kirchen zusammenkämen, die Einwohner ganz besonders opferbereit seien und es nirgendwo sonst bei den Gottesdiensten einen ähnlichen Verbrauch von Kerzen gäbe.

Diesen guten Sitten musste man freilich auf die Sprünge helfen, sodass die städtische Verwaltung die Kontrolle hierüber ausübte. Dazu dienten Zensoren bzw. „Rugherren für Sitte, Rede und Kleidung, außerdem viele Aufpasser, die die Übertreter der Anordnungen anzeigen, damit das Volk in Sittsamkeit fest gehalten wird, damit es nicht durch Kleiderprunk und durch Zügellosigkeit in Sitte und Rede sich über das rechte Maß erhebt. Auch außerhalb der Mauern pflegen sie die Gerechtigkeit und zwar so gewissenhaft, daß sie sehr viele Bewaffnete sogar mit sehr großen Kosten unterhalten, die die Wälder und öffentlichen Wege vor Räubereien schützen.“24

Zu den den Nürnbergern zugeschriebenen Merkmalen zählen auch Einfallsreichtum und Humor. In einem weit verbreiteten Gedichtlein heißt es: „Der Venediger Macht, Der Augsburger Pracht, Der Straßburger Geschütz, der Nürnberger Witz, Der Ulmer Geld Seynd sehr berühmt in aller Welt.“25 Und ein Autor aus dem 16. Jahrhundert, Sebastian Franck, der als bedeutendster Vertreter der mystischen Strömung in der Literatur jener Zeit gilt, bezeichnet die Nürnberger als bissiges Volk, das sich schnell in Händel verwickele.

Und auch Conrad Celtis, der mit seiner Feder der Stadt und ihren Einwohnern ein so schönes Denkmal setzte, hatte Grund zur Klage. In zwei Briefen, die er an den Kaufmann, städtischen Würdenträger, vor allem aber Kunstmäzen Sebald Schreyer schrieb, der unter anderem den Druck der ungemein kostspieligen Chronik von Hartmann Schedel finanzierte, ist zu lesen, wie er sich über den Geiz des Stadtrats beschwerte. Die Briefe aus den Jahren 1496 und 1497 berichten davon, dass sich die Auszahlung des Honorars für sein Werk immer wieder verzögerte. Die Huldigung, die er mit seinem Werk den undankbaren Nürnbergern dargebracht habe, hätte ihm statt Rückerstattung der Kosten nur Arbeit und schlaflose Nächte eingebracht.

Das Lob der Stadt war durchaus typisch für die Literatur an der Wende vom Mittelalter zur Renaissance war. Es gehörte zur Konvention, war aber auch Ausdruck eines wachsenden Interesses für die Geographie. Entdeckungen, weite Reisen und das zunehmende Wissen über die Welt trugen zur Entstehung zahlreicher Beschreibungen von fernen und neu entdeckten Ländern bei, führten aber zugleich dazu, dass man sich den näher liegenden Gegenden zuwandte, darunter auch vielen Städten. Die Nürnberg gewidmeten Werke sind keineswegs Ausnahmen, es gibt viele derartige Schriften wie beispielsweise Albrecht von Eybs Beschreibung Bambergs aus dem Jahr 1452 oder das 1488 entstandene Werk Felix Fabris über Ulm. Eine der Hauptquellen und Vorbild für diese Schriften war von Enea Silvio de’ Piccolomini. Er beschrieb Städte wie Passau, Basel und Wien, aber natürlich auch Nürnberg. Als Ende der 1450er-Jahre der Vorwurf aufkam, dass die finanziellen Forderungen der römischen Kurie zur Verarmung der deutschen Lande führen würden, nannte Piccolomini die Beispiele vieler deutscher Städte, deren Reichtum diese Beschwerden infrage stellte.

Das Bild der Stadt

Die Chroniken enthielten oft auch Karten; die bildlichen Darstellungen führten im Übrigen nicht selten ein Eigenleben. Das wachsende Interesse an den Städten, eine Folge ihrer immer größer werdenden Bedeutung, führte dazu, dass sie immer häufiger auf Bildern und Abbildungen zu sehen waren. Stadtporträts begegnen in diversen Miniaturen, so in der Buchmalerei, aber auch auf Münzen und Siegeln. Anfangs war man bestrebt, im Bild einer Stadt die typischen Merkmale hervorzuheben, die der „Stadt“ an sich zugeschrieben wurden, also Mauern, Befestigungen und Türme. Diese Darstellungen sind in hohem Maße standardisiert und folgen nur selten dem tatsächlich existierenden Vorbild. Mit der Zeit aber sollte in immer größerem Maße die Realität abgebildet werden.

Nürnberg wurde erstmals auf einem kleinen Altar dargestellt, der von Jodokus Krell in der St. Lorenz-Kirche zwischen 1480 und 1485 gestiftet wurde. Der Künstler sucht hier die Stadt vom Westen aus zu zeigen, beschränkt sich aber nicht nur auf ein Bild von außen, auf die Darstellung von Mauern und Türmen, sondern hat auch den Ehrgeiz, das Innere der Stadt darzustellen. Um dies zu bewerkstelligen, wählt er einen höheren Beobachtungspunkt, um über die Mauern schauen zu können (Abb. 2).

Das zweifellos bekannteste, ja geradezu klassische Bild Nürnbergs ist die Ansicht in Hartmann Schedels Weltchronik. Die hier enthaltenen Abbildungen sind angeregt von kurz zuvor entstandenen Vorbildern, vor allem von zwei 1486 erschienenen Werken. Das eine stammt von Giacomo Filippo Foresti aus Bergamo und enthält kleinformatige Holzschnitte mit Stadtansichten, unter anderem von tatsächlich existierenden Städten wie Genua und natürlich Venedig, doch noch stärker stützte sich Schedel auf die Beschreibung von der Pilgerfahrt des Mainzer Domdekans Bernhard von Breydenbach, Peregrinatio in Terram Sanctam. Auf seiner Pilgerreise in den Jahren 1483 und 1484 wurde er von dem Utrechter Maler Erhard Reuwich begleitet. Der mit 28 Holzschnitten Reuwichs versehene Bericht erschien gleichzeitig in lateinischer und deutscher Sprache; die ungemein interessanten Skizzen Reuwichs wurden auch von Albrecht Dürer 1498 beim Druck seiner Apokalypse verwendet.

In Hartmann Schedels Chronik nimmt die Ansicht von Nürnberg den hervorragendsten Platz unter allen hier enthaltenen Stadtansichten ein, da sie sich über zwei Seiten erstreckt, ohne Platz für den Begleittext zu lassen. Schon oft ist über die Originalität dieser Ansicht diskutiert worden. Es hat den Anschein, als trage die in der Werkstatt von Michael Wolgemut und Wilhelm Pleydenwurff angefertigte Skizze neben gewissen stereotypen Merkmalen viele Kennzeichen für ein nach der Natur ausgeführtes Bild. Dennoch ist die Ansicht eine Synthese dessen, was wir als typisch „mittelalterliche deutsche Stadt“ bezeichnen können. Nürnberg wird hier von Süden gezeigt, doch der Standpunkt ist künstlich erhöht, weshalb wir – ähnlich wie bei Krell – den Eindruck haben, ins Innere der Stadt zu schauen. Wir blicken über die Dächer und Türme vieler Kirchen, darunter die beiden wichtigsten – St. Lorenz und St. Sebald. Vor unseren Augen erstreckt sich ein dichtes Häusermeer, ein Mosaik der unterschiedlichsten Steingebäude, die – im Gegensatz zur damaligen ländlichen Bebauung – „Stadt“ symbolisierten. Die doppelten, mit Toren, Türmen und Zinnen verstärkten Mauern bilden einen Grenzstreifen zwischen dem Stadtraum und der äußeren Umgebung. Die aufgetürmten weltlichen und sakralen Gebäude werden überragt von der stark gegliederten Silhouette der Kaiserburg. Die Wohnhäuser sind schematisch wiedergegeben, ohne dass versucht wurde, sie auch nur annäherungsweise realistisch abzubilden. Die aus dem Häusermeer aufragenden Kirchtürme tragen auch nicht sehr viele individuelle Züge, weshalb sie nur mit Mühe zu identifizieren sind. Am meisten Aufmerksamkeit widmete der Künstler den Türmen, die das prägende Element der Häuser sind. Der Beobachter des Panoramas befindet sich in Gesellschaft einiger Figuren unterhalb der Stadtmauern, in der Nähe des Galgens, doch ist seine Position erhöht, um besser ins Innere der Stadt schauen zu können. Die beiden Hauptkirchen – St. Lorenz und St. Sebald – sind nicht nur deshalb klar erkennbar, weil sie beschriftet sind, sondern auch wegen der individuellen Gestaltung ihrer Turmpaare. Das Bestreben des Autors nach „typischen“ Gebäudeformen führt dazu, dass die Baukörper beider Kirchen nur angedeutet sind. Den größten Eindruck macht auf dem Holzschnitt die Silhouette des Kaiserschlosses, und zwar aufgrund der lebhaften Darstellung wie auch der Detailbeflissenheit des Künstlers. Dem Stil der Zeit entsprechend, sind die Baulichkeiten der Burg stark zusammengedrängt; der Freiraum zwischen den Türmen ist auf ein Minimum reduziert, was der Abbildung eine stark vertikale Prägung verleiht. Die architektonischen Details des Burgensembles sind deutlich sichtbar, einschließlich der unterschiedlichen Fensterformen und den unregelmäßig angeordneten Erkern.

Die Ansicht von Nürnberg in Schedels Chronik wurde für viele spätere Stadtansichten zu einer Quelle der Inspiration und einem nachahmenswerten Vorbild. Die Erstauflage von Celtis’ Norimberga, wo zu einem umfangreichen Band auch das kleine Werk Quattuor libri amorum secundum quattuor latera Germaniae (Vier Bücher Liebeselegien nach den vier Himmelsgegenden Deutschlands) sowie andere Werke zusammengefasst waren, enthielt außerdem eine dem Holzschnitt aus Schedels Chronik folgende Stadtansicht, die wahrscheinlich von Hans Süss von Kulmbach angefertigt wurde. Ein weiteres Porträt von Nürnberg war auf der 1516 entstandenen Karte Nürnberg in den Reichswäldern (Abb. 3) von Erhard Etzlaub zu sehen, wo sich der Standpunkt des Künstlers diesmal im Norden befand, auch hier in erhöhter Position, was einen tieferen Einblick in die Bausubstanz der Stadt erlaubte.

Deutlich beeinflusst von der Ansicht in Schedels Chronik ist ein großer Holzschnitt mit einer Darstellung Nürnbergs, der um 1520 von Hans Wurm geschaffen wurde. Die Stadt erscheint hier jedoch anders, da die Breite der Zeichnung fast viermal so groß ist wie ihre Höhe, sodass schon bei Wurm die dominierende gotische vertikale Dominante nicht mehr zu erkennen ist. Wir sehen die Stadt – ähnlich wie bei Schedel – von Süden und Südosten. Wurm übernahm zwar dieses Vorbild, ging jedoch viel freier vor, weshalb seine Darstellung wohl näher an der Wirklichkeit ist. In Schedels Chronik drehen sich die doppelten Mauern auf beiden Seiten der Skizze unnatürlich nach oben, während Wurm den Verlauf der Mauern sorgfältig und ohne Vereinfachungen wiedergibt – wobei er bei einer Breite des Holzschnitts von 1,60 Meter auch mehr Platz hatte.

Aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gibt es noch Darstellungen in dem zwischen 1533 und 1536 angefertigten Buch der Familie Haller sowie auf etwas späteren Porträts von Johann Adler und Hans Lautensack.

Landvermessung

Die geographischen und kartographischen Interessen haben sich auf vielerlei Art und Weise entwickelt und sind verschiedenen Quellen entsprungen. Einer der wichtigsten Stimuli war sicherlich die steigende Mobilität der Bevölkerung im ausgehenden Mittelalter und zu Beginn der Frühen Neuzeit. So erweiterten Pilgerfahrten auch das Wissen und vor allem den geographischen Horizont. Der Nürnberger Stadtarzt Hans Lochner begleitete im Jahr 1435 die beiden brandenburgischen Markgrafen Johann und Albrecht auf ihrer Pilgerreise nach Palästina. Lochners Bericht von dieser Reise ist einer der ersten seiner Art, die auf Deutsch erschienen. Er zeichnet sich durch einen scharfen Blick aus, der Autor vermerkt in seinen Aufzeichnungen viele bemerkenswerte Einzelheiten. Der Bericht des Arztes, der mit seiner Frau Clara Pirckheimer 16 Kinder zeugte, gilt als direkter Vorläufer der späteren, vom Geist des Humanismus geprägten Reiseberichte des Nürnberger Patriziers Hans Tucher (erschienen 1482) und des Ulmer Mönchs Felix Fabri.

Die Lust daran, die Welt kennenzulernen, drückte sich auf unterschiedliche Art und Weise aus und führte oft dazu, dass man auch die unmittelbare Umgebung immer besser kannte. In Nürnberg ist dieses Interesse relativ früh festzustellen. Während der Vorbereitungen zum Krieg mit den benachbarten Fürsten in den Jahren 1503 und 1504 beauftragte der Stadtrat eine Gruppe von Bürgern, die Region zu erkunden und legte aus strategischen Gründen Statistiken für die erforschten Gebiete an. Hierdurch entstand das Werk Gelegenheit der Landschaft, das eigentlich eine geographische Beschreibung der Gegend rund um Nürnberg war und vor allem die Verteidigung und die Verkehrswege berücksichtigte. Der Krieg gegen Landshut von 1504/1505 wurde zu einem Erfolg und brachte Nürnberg territorialen Zugewinn, den die Zeitgenossen mit jener vorausgegangenen Erkundung erklärten. Der Stadtschreiber Lazarus Spengler überlieferte in einem recht detaillierten Bericht die Ausführung dieser Arbeit, die zum Sieg der Bürger in diesem Krieg beigetragen hatte.

Bemerkenswert war der Einfluss der Nürnberger Kartographen auf das Messwesen. Albrecht Dürer schrieb eine Unterweisung der Messung, deren Verwendung bis zum Dreißigjährigen Krieg belegbar ist. 1537 ließ der aus Bamberg stammende und in Nürnberg lebende Jörg Unger ein Büchlein mit einer Instruktion über die Landvermessung erscheinen, das sich auf ein früheres Werk von Endres Tucher stützte. Die Kartographie entwickelte sich – wie am Beispiel Landshut gesehen – zum Zweck der Verteidigung und der Kriegsführung. Dabei handelte es sich nicht nur um bewaffnete Konflikte mit den Nachbarn, sondern auch um Angelegenheiten von globaler Bedeutung wie die Gefahr, die dem christlichen Europa von den Türken drohte. Es war die Kunde von der türkischen Bedrohung, die Albrecht Dürer dazu bewegte, eine Theorie des Festungsbaus auszuarbeiten, die – zumindest im deutschen Kulturkreis – große Bedeutung erlangte (Etliche underricht zu befestigung der Stett Schloss und Flecken). Die Veränderungen in der Kriegskunst, vor allem die allgemeine Einführung von Feuerwaffen, führten dazu, dass bei den Kartographen nicht selten Militärs den Ton angaben. 1538 beauftragte der Nürnberger Stadtrat den Malteser Antonio Faggioni, die Stadt mit modernen Befestigungen auszustatten, die in der Zukunft auch die umliegenden Ortschaften umfassen sollten.

Nicht fremd war den damaligen Stadtvätern der Begriff des Militärgeheimnisses. Als Hans Behaim 1540 dem Rat ein von ihm angefertigtes Stadtmodell übergab, wurde er zur Ordnung gerufen und musste versprechen, aus Gründen der Diskretion keine weiteren derartigen Modelle mehr zu bauen. Die Nürnberger hüteten Informationen über die Ummauerung der Stadt gut, waren aber keineswegs abgeneigt, Wissen über andere Städte zu erwerben. Mit ihrer finanziellen Unterstützung erschien in der Offizin von Nikolaus Meldemann eine Skizze von der Belagerung Wiens 1529, die als erste Militärkarte mit einem Österreich-Bezug gilt. Andere derartige Unternehmungen sind etwa ein von Georg Penz 1540 herausgegebener Plan der Burg von Gent sowie eine im Verlag von Hans Guldemund erschienene Ansicht von Algier von 1542. Es ist nicht auszuschließen, dass sich in den Nürnberger Bibliotheken und Archiven noch weitere unbekannte Pläne von Burgen oder Städten befinden.

Die räumliche Orientierung erwies sich auch als nötig, um Rechtsansprüche durchsetzen zu können. Wer aus der Stadt Nürnberg verwiesen wurde, musste die Grenzen überschreiten, die aus den Flüssen, Bergen oder Wäldern bestanden, welche die Stadt auf allen vier Seiten umgaben. Die vier Länder, in die sie wandern mussten, waren Schwaben, Franken, Thüringen oder Böhmen, die vier Flüsse waren die Donau, die Elbe, der Rhein und der Main, die vier Wälder der Thüringer Wald, der Böhmerwald, der Schwarzwald und die Alpen. In der Praxis lag die Grenze, die ein der Stadt Verwiesener zu überschreiten hatte, in einer Entfernung von rund 30 Meilen.

Nürnberg, in dem verschiedene Handwerke blühten, auch das Kunsthandwerk, war in der Mitte des 15. Jahrhunderts ein Zentrum der Herstellung von mathematischen und physikalischen Instrumenten. Nikolaus von Kues erwarb hier 1444 ein Astrolabium, einen großen Himmelsglobus und ein Torquetum (ein im 13. Jahrhundert entwickeltes astronomisches Instrument), aber auch zahlreiche Handschriften und vielleicht eine Karte, aus der er Ausschnitte nach Koblenz und Trier weitergab. Aus dem Jahr 1455 stammt eine kleine Sonnenuhr aus Nürnberg. All dies deutet nicht nur auf ein Interesse für die Naturwissenschaften hin, sondern belegt auch, dass dieses Interesse konkrete Ergebnisse zeitigte, und zwar auf für jene Zeit hohem Niveau. Nürnberg war keine Universitätsstadt, doch in vielerlei Hinsicht musste es sich hinter den universitären Zentren nicht verstecken und übertraf sie sogar. Dies verdankte die Stadt unter anderem den internationalen Kontakten; die Gelehrten der damals führenden Universitäten arbeiteten gern mit Nürnberg zusammen. Gemeint sind hier die Hochschulen von Wien und Prag oder auch andere Zentren des wissenschaftlichen Lebens, die keine Universität besaßen, wie Regensburg, Klosterneuburg bei Wien oder Kloster Reichenbach in der Oberpfalz.

Die Anfänge der Kartographie

Die Anfänge der Kartographie in der Stadt an der Pegnitz hängen mit Reinhard Gensfelder zusammen, dessen Anwesenheit in Nürnberg schon für den Beginn des 15. Jahrhunderts belegt ist. Er war wahrscheinlich der Sohn oder zumindest ein Verwandter des Kürschners de Gensuelt oder Gensfelder. In den Quellen wird er „Reinhardus Gensfelder de Nuremberga“ oder „Magister Reinhardus Pragensis“ genannt. Der letzte Beiname hebt seine Beziehungen zur Prager Universität hervor, doch war er auch in Nürnberg, Regensburg und Padua tätig, ehe er schließlich geistiges Oberhaupt eines Kreises von Kosmographen in Klosterneuburg wurde. Um 1435 fertigte Gensfelder eine Kartenskizze der südlichen deutschen Lande an, auf der er viele Städte und Dörfer verzeichnete, die er auch in einem Ortverzeichnis berücksichtigte. Mit Gensfelder arbeitete Johann Schindel zusammen, ein Astronom, Mathematiker und Arzt, der in den 1520er- und 1530er-Jahren in Prag wirkte. Er bestimmte die geographischen Koordinaten Nürnbergs auf ein Grad genau. Aus demselben Kreis stammte Nikolaus von Heybeck, der 1427 eine astronomische Tafel herstellte, die auf die Koordinaten von Nürnberg und Prag berechnet war.

Das Bestreben, immer mehr über nähere und fernere Gegenden zu erfahren, führte mit der Zeit dazu, dass sich die geographischen und kartographischen Interessen regionalisierten. Auf dem Gebiet der Kartographie kam man von den Vorbildern der alten mappae mundi (Weltkarten) ab; Interesse erweckten nun Geschichte, Landschaft und Topographie der eigenen Region. Ein Beispiel für diese Interessen ist die steigende Zahl von Stadtchroniken. Geographie und Kartographie hatten damals noch nicht ihr besonderes Instrumentarium entwickelt und galten noch nicht als eigene Wissenschaften. Die Gelehrten, die ihre Zeit der Erforschung und Beschreibung der Erdoberfläche und dem Kartenzeichnen widmeten, gehörten sehr verschiedenen Disziplinen an. Unter ihnen gab es Astronomen und Mathematiker, aber auch Altphilologen und Mediziner, Seefahrer und Kaufleute. Die Regionalisierung in der Kartographie wurde in Mitteleuropa zu Beginn des 16. Jahrhunderts eingeleitet, um in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts aufzublühen, in einer Zeit, die ganz unabhängig von der außergewöhnlichen Erweiterung des geographischen Horizonts kühn als Epoche der lokalen Karten bezeichnet werden kann, da solche Erzeugnisse nun in vielen Ländern entstanden.

Die Anfertigung einer Karte war vor fünf Jahrhunderten keine leichte Aufgabe. Man behalf sich mit einigen Konstanten, deren Höhe bekannt war, mit Punkten wie Burgen, Kirchtürmen oder Rathäusern, für welche die astronomischen Koordinaten festzustellen waren. Die Entfernung zu anderen Orten wurde bestimmt, indem man mit Messketten und Seilen räumliche Messungen durchführte; die übrigen Entfernungen wurden geschätzt. Wenn der Kartograph die Absicht hatte, eine bestimmte Region auf einer Karte abzubilden, so war er – natürlich – nicht in der Lage, in allen Richtungen die benötigten Entfernungen zu messen, sondern er musste in diesen Fragen oft die Meinung von Einheimischen wie auch von Zugereisten einholen. Selbstverständlich gestatteten die mit keiner geringen Mühe gewonnenen Informationen keine genaue Rekonstruktion der erforschten Region im richtigen Maßstab, was die Ungenauigkeit vieler Karten und die gewaltigen Unterschiede zum tatsächlichen Geländebild erklärt.

Trotz dieser Schwierigkeiten griff immer stärker das Bewusstsein um sich, dass die Kenntnis der Geographie ungemein wichtig sei. Ein beredtes Beispiel dafür ist Johannes Cochlaeus, der einen großen pädagogischen Ehrgeiz besaß, was kaum verwunderlich ist, da er zwischen 1510 und 1515 Rektor der Lateinschule bei St. Lorenz in Nürnberg war. Er war sich darüber im Klaren, dass das geographische Wissen auch für das Studium der humanistischen Fächer wie der Dichtung, der Geschichte oder der Philosophie, höchst wichtig war. Die von ihm zitierten antiken Autoren wie Seneca, Strabon oder Plinius wären vom Leser ohne eine rudimentäre Kenntnis der Geographie nicht verstanden worden. Er gehörte in dieser Beziehung im Übrigen zu den Optimisten und war der Meinung, dass dieses Wissen selbst für Schulanfänger nicht zu schwierig sei, obschon diese eine geeignete Betreuung und Instruktion von Lehrern bräuchten. Zu den Übungen verwendete er gedruckte, aber auch zwei handgezeichnete Karten; in der Einleitung zur zweiten Auflage seines Werks Quadrivium Grammatices von 1513 empfahl er den Schülern auch, Karten anzufertigen, um praktische Übung zu erlangen. Bei der Sammlung von Material für seine Beschreibung der Germania verwendete Cochlaeus höchstwahrscheinlich eine Karte, und er vermerkte sogar, dass er die Deutschlandkarte von Erhard Etzlaub kannte. Er äußerte sich mit höchster Anerkennung über Etzlaub und dessen Werk, machte aber in seiner eigenen Arbeit interessanterweise nur geringen Gebrauch von ihm. Darauf deuten grundlegende Unterschiede in der Namensgebung hin – während bei Etzlaub die Ortsnamen in einer eingedeutschten Fassung auftreten, neigt Cochlaeus den lateinischen Namen zu. So erscheint beispielsweise bei Cochlaeus „Buda“ und bei Etzlaub „Ofen“, Znaim ist bei Cochlaeus „Znoymia“ und bei Etzlaub „Znaem“. Ähnlich verhält es sich bei den Meeren und Buchten. Die Ostsee wird bei Cochlaeus als „Mare Baltheum“ bezeichnet und die Nordsee als „Oceanus Germanicus“, während Etzlaub „Deutschmer“ und „Das gros Deutschmer“ vorzieht.

Für Cochlaeus ist die Lübecker Bucht „Sinus Codanus“ und der südliche Teil der Nordsee zwischen dem südöstlichen England und Holland heißt „Oceanus Britannicus“, Etzlaub hingegen gibt „Ostersee“ und „Westersee“ an. Die Differenz zwischen Theorie und Praxis ist bei Cochlaeus vielfach zu sehen, da er nicht nur die Lage verschiedener Orte falsch angibt, sondern auch größere Fehler macht, zum Beispiel, wenn er Mecklenburg als Stadt einzeichnet, das von Etzlaub richtig als Land dargestellt wird.

Das Gefühl einer unvollständigen Orientierung in der Geographie und Topographie führte gelegentlich zu Forderungen an die gesellschaftlichen Eliten, die aufgerufen wurden, bestimmte Schritte einzuleiten, um die Situation zu verbessern. Der hervorragende Kosmograph und Schöpfer von Globen, Johannes Schöner, schrieb in seinem 1533 erschienenen Opusculum geographicum:

„Und es könnten fürwahr die deutschen Fürsten auf keine Weise mehr für den deutschen Namen sorgen, als wenn hierin alle öffentlich und einzelne für sich die Aufmerksamkeit lenkten, dass sie, wie es auch geschehen könnte, die Längen- und Breitengrade Deutschlands oder auch ganz Europas sehr genau beobachten, es könnte nämlich sehr schwierig werden, die präzise und neue Beschreibung des gesamten Erdkreises wiederzugeben: allerdings könnte jeder sehr leicht die Längen- und Breitengrade seines Vaterlandes erfassen, sobald er die in diesen Dingen gelehrten Männer hinzugezogen hat.“26

Die Kartenmacher

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