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Oliver Karstens war alles andere als ergiebig, und so wusste Bernd nach seinem Gespräch mit ihm nicht mehr als den Namen des vermutlichen Täters und kannte den ungefähren Klang seiner Stimme, sowie die Beschreibungen der beiden Eintreiber, deren Namen wiederum unbekannt waren. Das war herzlich wenig, um irgendwo anzusetzen.

Die Identität der beiden engagierten Schläger, mit deren Hilfe der Besitzer der Autowerkstatt sich seine geldgierigen Besucher vom Leibe gehalten hatte, gab Karstens nicht preis. Sie hatten ihm geholfen, und er wollte sie nicht in diese Sache hineinziehen. Außerdem versicherte er, dass sie noch viel weniger wussten als er selbst. Sie hätten ihm allenfalls Aufschluss über die Widerstandsfähigkeit der Köpfe und Magengruben ihrer Gegner geben können, und damit war ihm nicht gedient.

Bernd stand also so ziemlich vor dem Nichts, hatte sein Versprechen gegeben, den Polizeiapparat mit seinen ungleich besseren Fahndungsmöglichkeiten nicht einzuschalten, und musste mit der Sorge leben, dass die hübsche Heike Karstens inzwischen einem skrupellosen Gangster ausgeliefert war, falls sie überhaupt noch lebte.

Er hatte das Bild der Braunhaarigen behalten, und je öfter er es betrachtete, um so unwahrscheinlicher erschien es ihm, dass sie es fertiggebracht haben sollte, ihrem Vater davonzulaufen, ohne eine erklärende Nachricht zu hinterlassen.

Nein, wenn sie sich nicht gemeldet hatte, dann konnte das nur bedeuten, dass sie daran gehindert wurde.

Bernd konnte sich nicht unbegrenzt Zeit lassen. Kidnapping war ein Verbrechen, bei dem die Überlebenschancen des Opfers immer geringer wurden, je nervöser eine der beiden Seiten wurde.

Oliver Karstens war zweifellos mehr als nervös. Er stellte ein Pulverfass dar, das keiner brennenden Lunte bedurfte, sondern bei dem ein winziger Funke genügte.

Der Entführer würde irgendwann an Karstens mit neuen Forderungen herantreten. Dabei war es gleichgültig, ob es sich dabei um ein paar tausend Mark oder eine Mitarbeit Karstens bei der Bande handelte, die deren Chef vornehm ‚Gesellschaft‘ nannte. Lehnte der Mann ab, würde auch die Nervosität des Täters wachsen.

Bernd hatte mit Karstens vereinbart, dass er auf alle Fälle zunächst etwaigen Forderungen zustimmen und sich dann umgehend bei ihm melden sollte. Sie mussten in Erfahrung bringen, wo dieser Schneider steckte.

Bernd entschloss sich, zweigleisig zu fahren, um schneller voranzukommen. Franziska sollte feststellen, wo genau Heike Karstens gekidnappt worden war, um dann eventuell diese Spur weiterzuverfolgen. Er wollte in der Gegend, in der Karstens seine Werkstatt betrieb, Erkundigungen über die Bande einholen, die zweifellos auch bei anderen Unternehmen Schutzgelder erpresste.

Er nahm sich als erstes eine Pizzeria vor.

Ihr Besitzer, dessen schwarz-glänzende Haare am Scheitel verdächtig hell schimmerten, und der sich vermutlich nur wegen der Stilvollkommenheit Vittorio nannte, roch nach Geschäftstüchtigkeit und Oregano.

Bernd nannte zwar seinen Namen, behielt jedoch für sich, in welcher Eigenschaft er hier war.

„Ich habe gehört, dass Sie mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, Herr Vittorio“, begann er.

Der Pseudoitaliener breitete theatralisch die Hände aus und rollte mit den Augen.

„Wer hat das nicht?“, fragte er zurück. „Die Zeiten sind schwierig, und man muss schon mehr bieten als die Konkurrenz, um zu bestehen.“

„Und wenn dann noch ein paar Schmarotzer auftauchen, die abkassieren wollen, ohne dafür gearbeitet zu haben, ist das besonders ärgerlich, nicht wahr?“

Der andere wischte seine Finger an einer weißen Schürze ab, obwohl sie gar nicht schmutzig waren. „Ich verstehe nicht ganz, Herr“, bedauerte er. Seine Augen begannen, unruhig zu flackern.

„Dann muss ich mich deutlicher ausdrücken. Soviel ich weiß, zahlen Sie regelmäßig Schutzgebühren dafür, dass gewisse Leute Sie in Ruhe lassen.“

„Wo-wollen Sie mir drohen?“

Bernd wehrte ab. „Keineswegs. Ich gehöre schließlich nicht zu dieser Truppe. Aber haben Sie sich schon mal überlegt, dass man sich auch wehren kann, anstatt zähneknirschend zu zahlen?“

„Ich knirsche gleich mit den Zähnen, Mann“, fauchte der Pizzeriabesitzer, „und zwar, wenn Sie sich nicht schleunigst mit Ihren seltsamen Redensarten verduften. Ich weiß nicht, wovon Sie reden und will es auch gar nicht wissen. Hauen Sie ab, sonst ...“

„Sonst?“ Bernd sah den Mann, der ihm körperlich keinesfalls so gewachsen schien, dass er sich erlauben konnte, ihm zu drohen, neugierig an und grinste aufmunternd. „Schlagen Sie mir ein paar Zähne aus, oder was haben Sie sonst vor?“

„Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe! Wenn Sie Appetit auf ’ne Pizza verspüren, dann können Sie unter einundzwanzig Sorten wählen. Ansonsten kriegen Sie Ärger.“

„Mit Schneider?“ Bernd beobachtete den anderen genau, ohne das zu deutlich zu zeigen.

Vittorio stutzte nicht mal. Er fragte nur uninteressiert: „Wer soll das sein? Auch so ein Spinner wie Sie?“

„Sie sollten in der Wahl Ihrer Worte ein bisschen vorsichtiger sein. Manch einer verträgt das nicht. Sie haben also von Schneider noch nie gehört?“

„Nein, verdammt noch mal, und von Ihnen möchte ich auch nichts mehr hören. Ist das klar?“

„Fast. Da ist nur noch eine Kleinigkeit. Ich hätte doch gerne gewusst, warum Sie auf eine höfliche Frage derart sauer reagieren. Das muss doch einen Grund haben.“

„Den hat es, aber den lassen Sie sich besser von Lino und Leano erklären. Ich habe für Ihren Quatsch keine Zeit mehr.“

Damit wandte er sich ab und verschwand durch eine Tür neben dem Pizzaofen, vor dem ein hutzeliges Männchen werkelte und sich um das Gespräch zwischen seinem Chef und dem Fremden nicht kümmerte.

Sekunden später drängten sich durch die gleiche Tür zwei Kerle, die alles andere als hutzelig waren. Ihre Rücken passten gerade durch den Türrahmen, und ansonsten mussten sie sich bücken. Auch ihre Haare waren eindeutig gefärbt. Wahrscheinlich wussten sie nicht einmal, wo ihr angebliches Mutterland auf der Landkarte lag.

Sie glotzten Bernd Schuster an und fragten: „Bist du das, der die Prügel beziehen will?“

Bernd Schuster blieb noch ruhig. Wegen ein paar Fragen handgreiflich bedroht zu werden, hielt er zumindest für verdächtig.

„Ich habe einen derartigen Wunsch nicht geäußert“, gab er höflich zurück. Insgeheim schätzte er seine Chancen gegen diese Totschläger ab. Auf jeden Fall war es nicht verkehrt, sich den Rückweg offenzulassen.

„Bist wohl ein Witzbold?“, meinte Lino. Er trug, im Gegensatz zu seinem Partner, ein dürftiges Bärtchen unter der Nase, während Leano mit einem leichten Silberblick ausgestattet war. „Dir werden die Späße gleich vergehen.“

Er holte sich von seinem Kumpel einen aufmunternden Blick. Dann walzte er heran.

Die Pizzeria war mit Ausnahme der Angestellten momentan menschenleer. Bernd hatte absichtlich diese ruhige Stunde für das Gespräch gewählt. Sollte sich das jetzt rächen?

Er hatte nicht die Absicht, sich ins Bockshorn jagen zu lassen. Vittorio hatte anscheinend doch etwas zu verheimlichen. Sonst hätte er nicht dieses schwere Geschütz aufgefahren. Bernd wollte es genauer wissen.

Er sah Lino auf sich zukommen und wartete anstandshalber dessen ersten Schlag ab. Es hätte ja sein können, dass der nachgemachte Südländer sich nur mit ihm unterhalten wollte. Da durfte man nicht unhöflich sein.

Lino wollte sich unterhalten, aber auf seine spezielle Art. Er schlug zu, indem er weit ausholte, um die Wirkung besser zu genießen. Seine gewaltige Faust rammte vor, doch bei dieser Show fiel es Bernd Schuster nicht schwer, dem Treffer auszuweichen.

Bernds eigene Rechte landete stattdessen präzise am Kinn seines Gegners und ruckte dessen massigen Kopf in die entgegengesetzte Richtung.

Lino wirkte etwas verstört. Er sah in Leanos blödes Gesicht und suchte den Fremden, den er verprügeln wollte.

Bernd stand hinter ihm und tippte ihm hilfsbereit auf die Schulter. Er hasste es, Leute in Verwirrung zu sehen. Ein zweiter Schlag ließ den Kopf des Gegners erneut herumfahren.

Lino wurde unsicher.

Er erinnerte sich an Vittorios Auftrag, und der lautete, dem Kerl zwischen den Tischen eins aufs Maul zu geben und ihn anschließend in hohem Bogen auf die Straße zu befördern. Das war eine Spezialität von ihm. Warum sollte es diesmal nicht klappen?

Er besann sich auf seine Schnelligkeit und trat diesmal, bevor er herumwirbelte, einen kleinen Schritt zur Seite.

Bernd Schuster schoss zwar wieder eine Gerade ab, aber Linos Ausweichmanöver ließ die ganze Energie des Schlages nutzlos verpuffen. Dafür spürte er selbst einen Schlag auf der Brust, und die Pizzeria mit all ihren Tischen, Stühlen, Öfen und Schlägern geriet in eigenartig pulsierende Bewegung.

Zum Glück übersah Bernd dabei nicht die Faust, die ebenfalls auf ihn zu schnellte. Er duckte sich, und ein paar Knöchel zogen gerade noch über seinen Hinterkopf hinweg.

Bernd kam wie ein Stehaufmännchen wieder hoch. Dabei rammte er mit dem Schädel seinen Angreifer, den der Schwung ein bisschen zu weit befördert hatte.

Lino stöhnte. Verstört blickte er um sich.

Seine Fassungslosigkeit dauerte viel zu lange, und Bernd Schuster war der Ansicht, dass man die Schwäche eines Gegners für sich nutzen sollte.

Diesmal traf er die Nase des Schlägers, die ohnehin leicht deformiert war. Sie begann zu tropfen, und Lino gab zu erkennen, dass er außerstande war, sein eigenes Blut zu sehen. Die paar Spritzer brachten ihn völlig außer Fassung.

Leano sah ein, dass er schleunigst eingreifen musste. Er hatte genug gesehen, um zu wissen, dass der Fremde ein bisschen mehr brauchte als ein paar wilde Hiebe.

Leano nahm sich vor, dem Kerl zu beweisen, dass auch in seinem Schädel mehr steckte als pappiger Pizzateig. Er ging mit schrägem Grinsen auf Bernd Schuster zu und bedeutete Lino, die Keilerei einzustellen.

„Ich glaube, es war alles nur ein Missverständnis, Herr“, versicherte er verlegen. „Ich werde meinem Boss sagen, dass er sich geirrt hat. Nichts für ungut.“

Er hielt Bernd versöhnlich die Hand hin, und dieser griff nach flüchtigem Zögern danach.

Darauf hatte Leano gewartet. Seine stärkste Waffe war die Linke. Mit der verstand er, einen Haken von unten senkrecht nach oben abzuschießen. Die einzige Bedingung war, der Gegner musste nahe genug stehen und sein Kinn möglichst ahnungslos vorstrecken.

Diese Bedingung erfüllte Bernd. Allerdings war er nicht von gestern. Als die Linke explodierte und Leano sein gehässiges Grinsen schon nicht mehr verkneifen konnte, hielt Bernd sein rechtes Handgelenk eisern umklammert, vollführte eine Vierteldrehung auf dem linken Fuß und schleuderte seinen heimtückischen Gegner, dessen Faust ein Loch in die Luft bohrte, über seine Schulter quer durch die halbe Pizzeria.

Dass ausgerechnet Lino dort stand, war ein glücklicher Zufall und keineswegs Bernds Verdienst. Jedenfalls fanden sich beide Schläger in guter Gesellschaft mit einer Vielzahl von Tisch und Stuhlbeinen wieder.

Bernd Schuster fand, dass er seine Position ausreichend gestärkt hätte, dass Vittorio ihm eine vernünftige Antwort auf seine Fragen nicht mehr verwehren konnte, aber der Mann war verschwunden. Er hatte es vorgezogen, sich zu verdrücken, als er seine Streitmacht untergehen sah.

Kein Lösegeld für Tote Berlin 1968 Kriminalroman Band 54

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