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Ein Ort in Süddeutschland, 6. Juni 1979

Vorsichtig löste Colonel Zach die letzte der vier Sicherungsschrauben der gewaltigen Atombombe. Da! Die Bombe war frei und konnte jederzeit abgeworfen werden.

„Passen Sie auf, um Gottes Willen, passen Sie auf! Abwurfschacht öffnen, Private Feldkamp!“, rief Zach.

Behutsam umfassten die beiden sechzehnjährigen Jungs die schwere Maschine und zogen ächzend den kaputten VW-Motor aus seiner Halterung. Dann setzten sie ihn auf einen Holzbock und lehnten sich keuchend gegen das Fahrzeug.

„Schau, kommt da nicht deine Wichsvorlage?“, grinste Wolfgang Zach.

Wolfgang Zach und Harry Feldkamp starrten auf ein gleichaltriges Mädchen, das im kürzesten Minirock, den sie je gesehen hatten, in einiger Entfernung von ihnen stehen blieb.

„Was du da sagst!“, schnaubte Harry.

„Hey Pergola, komm mal her!“, rief Wolfgang und winkte ihr zu.

„Bist du verrückt? Die kommt wirklich!“, flüsterte Harry mit knallrotem Kopf.

Pergola näherte sich ihnen, als schwebe sie auf einer Haschischwolke. Sie sah so anders aus als die Mädchen hier. Im Süden Badens gab es so gut wie keine weißblonden Mädchen. Pergolas Eltern stammten aus Ostpreußen, vielleicht kam das Blond ja von dort.

Pergola hielt eine geöffnete Cola-Flasche in der linken Hand. Zum Trinken hob sie diese langsam hoch, bis sie in ihrem Gesichtsfeld auftauchte. Dann nahm sie ihre rechte Hand zu Hilfe und maß mit Daumen und Zeigefinger den Abstand zwischen Flaschenöffnung und ihrem sagenhaften Schmollmund. Dieser Abstandshalter verschmälerte sich scherenartig, bis die Flaschenöffnung an ihren Lippen andockte. Ohne jenen Abstandshalter wäre die Flaschenöffnung überall, nur nicht auf ihren Lippen gelandet. Als sie die Flasche abgesetzt hatte, konnte man im Gegenlicht der Sonne einen zarten, feuchten Flaum um ihren Mund herum erkennen.

„Großes Kino!“, flüsterte Harry.

„Sag mal, ist Pergola nicht so was wie Trevira, was zum Anziehen?“, fragte Wolfgang das Mädchen.

„Bist du blöd? Pergola ist ein Dach über der Terrasse, das man rüberkurbeln tut. Was Vornehmes, so.“

„Passt zu dir, der Name.“

„Wieso?“

„Neben dir steht jede im Schatten.“

„Ach?“

„Pass auf, er fällt!“, schrie Harry und versuchte erfolglos, den aufgebockten Motor festzuhalten, der soeben zur Seite kippte und krachend zu Boden stürzte.

Der Eisenblock riss Wolfgang zu Boden. Fassungslos starrte er auf den blutigen Matsch dort, wo vormals seine linke kleine Zehe war. Er umfasste mit beiden Händen seinen Unterschenkel und stierte atemlos auf seinen Fuß. Harry tropfte der Speichel aus dem Mund und Pergola hatte beide Hände vor den Mund geschlagen.

„Mein Gott, Wolfgang!“, ächzte Harry.

„Los, hol jemanden!“, schrie Wolfgang.

„Wen?“

Harry schossen die Tränen in die Augen, als er seinen Freund so vor sich liegen sah.

„Hey, ich bin der Verletze, nicht du!“, blaffte Wolfgang. „Hör auf zu flennen und hol einfach irgendjemanden!“, schrie er dann panisch.

Harry winkte Pergola herbei. Seine Lippen bebten. „Setz dich zu ihm, bitte!“ Dies waren die ersten Worte, die Harry je an Pergola gerichtet hatte. Dann rannte er davon.

Wolfgang legte seinen Kopf auf Pergolas Schoß, der das unendlich peinlich war. Wie verhält man sich mit so was Fremden im Schoß?

„Ah! Das tut gut …“, seufzte Wolfgang, der mit den Tränen kämpfen musste. Noch überlagerte der Stress den Schmerz. Aber am liebsten hätte er einfach losgeheult. Nicht wegen des Schmerzes, sondern wegen des Verlusts eines guten Kumpels am Fuß. Doch vor einem Mädchen weinen, das ging ja gar nicht …

Mit blossen Händen

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